Matthias Weckman und Johann Jacob Froberger. Ein musikalisches Gipfeltreffen am Hof zu Dresden

Es muß ein denkwürdiges Zusammentreffen gewesen sein, das Johann Mattheson im Artikel »Weckmann« seiner Grundlage einer Ehren-Pforte (1740) detailliert wiedergab:

»Johann Jacob Froberger, Kaiser Ferdinandi [III.] Hoforganist, kam um diese Zeit [nach 1647] nach Dresden, und brachte dem Churfürsten ein Kaiserliches Handschreiben. Mein Matthies, sprach der Churfürst [Johann Georg I.] heimlich zu Weckmann, wollet ihr mit Frobergern, um eine güldene Kette auf dem Clavier spielen? Von Hertzen gerne antwortete Weckmann; aber aus Ehrerbietung für Ihro Kaiserliche Majestät, soll Froberger die Kette gewinnen. Dieser, nachdem er gespielet hatte, frug gleich nach einem in der Capelle, der Weckmann heißen sollte, der wäre am Kaiserlichen Hofe sehr berühmt, und denselben mögte er gerne kennen. Weckmann stund hart hinter ihm, dem schlug der Churfürst auf die Schulter, und sagte: Da steht mein Matthies. Nach abgelegten Begrüßungen, spielte denn Weckmann auch, und führte ein Thema, das er von Frobergern beobachtet, fast eine halbe Stunde durch; darüber sich so wohl dieser, als der gantze Hof verwunderte, und Froberger zum Churfürsten mit den Worten herausbrach: Dieser ist wahrhafftig ein rechter Virtuos. Beregte beide Künstler haben hernach immer einen vertraulichen Briefwechsel geführet, und Froberger sandte dem Weckmann eine Suite von seiner eigenen Hand, wobey er alle Manieren setzte, so daß Weckmann auch dadurch der frobergerischen Spie!-Art ziemlich kundig ward.«

Im Artikel »Froberger« war Mattheson bereits auf den Besuch eingegangen, ohne sich jedoch auf Weckman zu beziehen:

»Hierauf hatte er [Froberger] Belieben, nach Dresden zu reisen, um die dortige Capelle zu besuchen: welches ihm der Kaiser nicht nur erlaubte; sondern recht gerne sahe; daß der Churfürst, Johann Georg II. [richtig: I.] seinen Froberger gleichfalls hören mögte: zu welchem Ende denn Er ihm ein Empfehlungs-Schreiben mitgeben ließ. Er spielte, unter andern, 6. Toccaten, 8. Capricci, 2. Ricercaten und 2. Suiten, die er alle in ein schön gebundenes Buch sehr sauber selbst geschrieben hatte, vor dem Churfürsten, und überreichte ihm hernach das Buch zum Geschenck; wofür er eine güldene Kette bekam, bey Hofe wohl bewirthet, und, mit einem Churfürstlichen Antwortschreiben an den Kaiser, in allen Gnaden erlassen wurde. Was dieser Monarch [der Kaiser] für ein Liebhaber der Musik, Kenner und Componist gewesen, ist weltkündig: daher war ihm Frobergers Verrichtung Und erhaltene Ehre überaus angenehm. (Ach! wo sind die Zeiten hinkommen!)«

Seine Informationen dürfte Mattheson hauptsächlich von Johann Kortkamp (1643-1721), der Weckmans Schüler und erster Biograph war, erhalten haben. In seiner zu Beginn des 18.

Jahrhunderts in einem Rechnungsbuch der Hamburger Gertrudenkapelle niedergeschriebenen »Organistenchronik« geht Kortkamp allerdings nur so allgemein auf jene Zeit ein, daß auf einen Froberger-Besuch in Dresden nicht unmittelbar geschlossen werden kann:

»Die Zeit, ehe er nach Hamburg kam [1655], hat er mit großem Nutzen sich bedienet, die künstlichste Arbeit zu der Zeit verfertiget [...] Zu der Zeit ist sein Geist erst recht eingerichtet vor einen sonderlichen Virtuosen in der Welt zu passiren.«

In den vorangehenden drei Zitaten erhalten wir eine erstaunliche Fülle von Informationen. Zwar wird das Datum des Treffens nicht genannt, aber dank neuerer Forschungen von Siegbert Rampe ist der Besuch auf die Zeit zwischen September 1649 und Februar 1650 einzugrenzen. Froberger, der offenbar über Weckmans Wirken bereits gut unterrichtet war, erscheint nicht nur als Privatmann, sondern auch in diplomatischer Mission, deren konkreter Zweck und Ziel aber bisher nicht bekannt geworden ist. Der erfolgreiche, dem höfischen Repräsentationsbedürfnis Rechnung tragende Besuch dürfte dem habsburgischen Kaiser tatsächlich auch diplomatisch »überaus angenehm« gewesen sein. Das lutherische Kurfürstentum Sachsen war, nachdem es während des Dreißigjährigen Krieges lange Zeit zwischen den Parteien hin und her taktiert hatte, ab 1635, in der Endphase der Auseinandersetzungen, auf Seiten des Kaisers geblieben. Zum mutmaßlichen Zeitpunkt des Besuchs Frobergers in Dresden war der Friedensschluß in Münster und Osnabrück keine zwei Jahre her und die eigentlichen Friedensfeierlichkeiten standen erst bevor.

Aus den spärlichen Bemerkungen über das Wettspiel selbst scheint hervorzugehen, daß Froberger seine eigenen, ausgearbeiteten Werke spielte, während Weckman sich als Meister kontrapunktischen Improvisierens zeigte. Es fällt auf, daß dieser Zug seines Schaffens - ganz im Gegensatz zu seinen choralgebundenen Orgelwerken - in seinen für Cembalo geeigneten Kompositionen ein wenig in den Hintergrund tritt. Die Toccaten, aber auch die Canzonen, zeigen eine sehr lockere kontrapunktische Faktur, während Frobergers entsprechende Werke, vor allem im Libro secondo (1649!), etwas strikter wirken.

Die hier eingespielten Werke Weckmans stammen aus dem sogenannten Lüneburger Clavierbüchlein, einer weitgehend autographen, undatierten Quelle. Alexander Silbiger hat darauf hingewiesen, daß Weckman wohl beabsichtigte, die Stücke in ähnlicher Weise anzuordnen, wie sie aus Frobergers Wiener Autographen ersichtlich ist.

Froberger hatte, von französischen Lautenisten angeregt, die Sätze der viersätzigen Suite neu angeordnet. Während die ältere Form die Gigue an das Ende der Folge plazierte, zeigte die neue Variante die Reihenfolge Allemande - Gigue - Courante - Sarabande.

Beide Varianten finden sich bei Weckmann, der der älteren Form in der hier zu hörenden h-moll-Suite noch ein Praeludium voranstellt.

Tombeau- oder Lamentokompositionen, wie sie Froberger schrieb (in dieser Einspielung über den Tod des Lautenisten Charles Fleury de Blancrocher), hat Weckman wohl nicht komponiert, aber immerhin ist Frobergers höchstpersönliche Meditation Fait svr ma Mort fvtvre ... [Meditation, gemacht über meinen zukünftigen Tod...] nur von Weckmans Hand erhalten geblieben. Einen eindrucksvolleren Beleg für den freundschaftlichen Austausch dieser beiden Musiker kann es nicht geben.

@1997 Ibo Ortgies