The following description of Gottfried Benn's life is quoted from: http://www.greeninteger.com)

"The son of a Lutheran minister and a mother of French-Swiss extraction, Gottfried Benn was raised in the small German village of Mansfeld, in an area which is now part of Poland. There he was educated privately and in the Gymnasium at Frankfurt an der Oder, living in the same boarding-house as did the poet Klabund. In 1903, following his father's desires, he entered the University of Marbach, studying theology and philosophy. But he soon switched to medicine at the Kaiser Wilhelm Akademie, a part of the University of Berlin, and, upon graduating, focused on venereolgy (the study of venereal disease) and dermatology as a medical doctor until the end of World War I.

In 1912, upon his graduation from medical school Benn was called to active military duty, but fell ill from the strenuous training. During this period, in utter mental and physical exhaustion, he wrote the work Morgue und andere Gedichte (Morge and Other Poems), which focuses on the kind of haunted visions and depersonalization of contemporary man that characterized much of Expressionist writing. The reaction to his poems, filed with drug-addicts, prostitutes, alcoholics, and other low-life figures, was one of outrage from bourgeois readers. During this period he met and entered into an intimate relationship with the poet Else Lasker-Schüler, and dedicated his second book,Söhne (published in 1913), to her.

Upon discharge from the military, Benn became employed as an assistant at the Pathological Institute of Westend Hospital, where he performed hundreds of autopsies. The result of this employment and the mental anguish from which he suffered and expressed in his poetry, he left that position, becoming a ship's physician in the spring of 1913. However, Benn suffered from sea-sickness, and, in New York, left the ship, attending a performance of Enrico Caruso at the Metropolitan Opera, and ultimately returning to Berlin. The ship to which he was to have been assigned sank with no survivors.

His third collection of poetry, Fleisch (Flesh), was published in 1917. This book carried further his prevailing sentiments of melancholy and cynicism. Over the next several years, his poetry continued to appear in expressionist journals, where he came to be recognized as a major avant-garde writer. But his work continued to move toward Nietzschean ideas that saw art as an escape from nihilism and sought, as solace to the suffering of mankind, beliefs underlying ancient mythologies and their primal urges. In 1916 Benn published a collection of short tales, Gehirne (Brains) which explored the psyche and its pulls between the Dionysian and Apollonian elements, ideas which he would further develop in his 1920 essay Das moderne Ich (The Modern Self).

These ideas, popular in their day, at first seemed simply to be a part of his unorthodox poetics; but with the rise of National Socialism, which shared many of these underlying beliefs, it became apparent that Benn was on a dangerous intellectual path. In the late 1920s and early 1930s he greeted Hitler's rise to power enthusiastically, expressing his shared values of the Nazi eugenics program and other concepts of the "German folk" on radio and in essays. Several of his Expressionist friends, now in exile in Russia and elsewhere, reproached him, further isolating his from the literary avant-garde. With Hitler's appointment to the head of German government in 1933, Heinrich Mann, the president of the literary academy, called for the Socialist-Communist coalition to overthrow Hitler. Benn supported Hitler, and Mann and his brother Thomas were expelled and, ultimately, forced to leave the country. Klaus Mann and others now questioned Benn's cooperation with Hitler's regime. Benn fought back through radio speeches. But he soon was himself denounced as a Jew, and was forbidden a health certificate to practice medicine. When his new collection, Ausgewählte Gedichte was published in 1936, in celebration of his fiftieth birthday, the book was denounced by the SS newspaper Das Schwarze Korps and was reprinted in Nazi journals. In 1938 he was officially ousted from his membership in the Reichsschrifttumskammer and threatened with penalties if he continued writing.

After the War, Benn was further attacked by figures such as Bertolt Brecht and Alfred Döblin for his involvement with the Nazi regime. But he still had many friends, and with their support and the publication of his collection Statische Gedichte (Static Poems, 1948) and his lengthy autobiographical essay Doppelleben (Double Life) in 1950, he began to rehabilitate his career. In 1961 he won the Georg Büchner Prize of Poetry, upon which he delivered his famous essay, Probleme der Lyrik (Problems for Poetry). His final volumes, Destillationen (Distillations, 1953) and Apréslude (Afterlude, 1955) continued the expression of despair and disillusionment of his major poetry. Today Benn is recognized as one of the greatest of German poets, perhaps the best since Rilke."


Gottfried Benn Interview 1956 - Video

Gottfried Benn über Dichtung und Leben:

Die Dichtung bessert nicht, aber sie tut etwas viel Entscheidenderes: sie verändert. […] Alle Dinge wenden sich um, alle Begriffe und Kategorien verändern ihren Charakter in dem Augenblick, wo sie unter Kunst betrachtet werden, wo sie sie stellt, wo sie sich ihr stellen. Sie bringt ins Strömen, wo es verhärtet und stumpf und müde war, in ein Strömen, das verwirrt und nicht zu verstehen ist, das aber an Wüste gewordene Ufer Keime streut, Keime des Glücks und Keime der Trauer, das Wesen der Dichtung ist Vollendung und Faszination.

(Soll die Dichtung das Leben bessern?“ 1955)



Verlorenes Ich


Verlorenes Ich, zersprengt von Stratosphären,

Opfer des Ion: - Gamma - Strahlen .- Lamm -,

Teilchen und Feld: - Unendlichkeitschimären

Auf deinem grauen Stein von Notre - Dame.

Die Tage gehen dir ohne Nacht und Morgen,

die Jahre halten ohne Schnee und Frucht

bedrohend das Unendliche verborgen -,

die Welt als Flucht.

Wo endest du, wo lagerst du, wo breiten

Sich deine Sphären an -, Verlust, Gewinn -:

Ein Spiel von Bestien. Ewigkeiten,

an ihren Gittern fliehst du hin.

Der Bestienblick: die Sterne als Kaldaunen,

Der Dschungeltod als Seins- und Schöpfungsgrund,

Mensch, Völkerschlachten, Katalaunen

Hinab den Bestienschlund.

Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten

Und was die Menschheit wob und wog,

Funktion nur von Unendlichkeiten,

die Mythe log.

Woher, wohin -, nicht Nacht, nicht Morgen,

kein Evoë, kein Requiem,

du möchtest dir ein Stichwort borgen -,

allein bei wem?

Ach, als sich alle einer Mitte neigten

Und auch die Denker nur den Gott gedacht,

sie sich den Hirten und dem Lamm verzweigten,

wenn aus dem Kelch das Blut sie rein gemacht,

und alle rannen aus der einen Wunde,

brachen das Brot, das jeglicher genoss -,

oh ferne zwingende erfüllte Stunde,

die einst auch das verlorene Ich umschloss.

Mann und Frau gehn durch die Krebsbaracke


Der Mann:

Hier diese Reihe sind zerfallene Schöße

und diese Reihe ist zerfallene Brust.

Bett stinkt bei Bett. Die Schwestern wechseln stündlich.

Komm, hebe ruhig diese Decke auf.

Sieh, dieser Klumpen Fett und faule Säfte,

das war einst irgendeinem Mann groß

und hieß auch Rausch und Heimat.

Komm, sieh auf diese Narbe an der Brust.

Fühlst du den Rosenkranz von weichen Knoten?

Fühl ruhig hin. Das Fleisch ist weich und schmerzt nicht.

Hier diese blutet wie aus dreißig Leibern.

Kein Mensch hat soviel Blut.

Hier dieser schnitt man

erst noch ein Kind aus dem verkrebsten Schoß.

Man läßt sie schlafen. Tag und Nacht. - Den Neuen

sagt man: hier schläft man sich gesund. - Nur sonntags

für den Besuch läßt man sie etwas wacher.

Nahrung wird wenig noch verzehrt. Die Rücken

sind wund. Du siehst die Fliegen. Manchmal

wäscht sie die Schwester. Wie man Bänke wäscht.

Hier schwillt der Acker schon um jedes Bett.

Fleisch ebnet sich zu Land. Glut gibt sich fort,

Saft schickt sich an zu rinnen. Erde ruft.



Wer allein ist, ist auch im Geheimnis.


Wer allein ist, ist auch im Geheimnis,

immer steht er in der Bilder Flut,

ihrer Zeugung, ihrer Keimnis,

selbst die Schatten tragen ihre Glut.

Trächtig ist er jeder Schichtung

denkerisch erfüllt und aufgespart,

mächtig ist er der Vernichtung

allem Menschlichen, das nährt und paart.

Ohne Rührung sieht er, wie die Erde

eine andere ward, als ihm begann.

nicht mehr Stirb und nicht mehr Werde:

formstill sieht ihn die Vollendung an.


Zwei Dinge


Durch so viel Formen geschritten,

durch Ich und Wir und Du,

doch alles blieb erlitten

durch die ewige Frage: wozu?

Das ist eine Kinderfrage.

Dir wurde erst spaet bewusst,

es gibt nur eines: ertrage

- ob Sinn, ob Sucht, ob Sage -

dein fernbestimmtes: Du musst.

Ob Rosen, ob Schnee, ob Meere,

was alles erbluehte, verblich,

es gibt nur zwei Dinge: die Leere

und das gezeichnete Ich.

Gesänge


O dass wir unsere Ururahnen wären.

Ein Klümpchen Schleim in einem warmen Moor.

Leben und Tod, Befruchten und Gebären

glitte aus unseren stummen Säften vor.

Ein Algenblatt oder ein Dünenhügel,

vom Wind Geformtes und nach unten schwer.

Schon ein Libellenkopf, ein Möwenflügel

wäre zu weit und litte schon zu sehr.

II

Verächtlich sind die Liebenden, die Spötter,

alles Verzweifeln, Sehnsucht, und wer hofft.

Wir sind so schmerzliche durchseuchte Götter

und dennoch denken wir des Gottes oft.

Die weiche Bucht. Die dunklen Wälderträume.

Die Sterne, schneeballblütengross und schwer.

Die Panther springen lautlos durch die Bäume.

Alles ist Ufer. Ewig ruft das Meer -


Ein Wort


Ein Wort, ein Satz -: aus Chiffren steigen

erkanntes Leben, jäher Sinn,

die Sonne steht, die Sphären schweigen,

und alles ballt sich zu ihm hin.Ein Wort -

ein Glanz, ein Flug, ein Feuer,

ein Flammenwurf, ein Sternenstrich -

und wieder Dunkel, ungeheuer,

im leeren Raum um Welt und Ich.


Chopin


Nicht sehr ergiebig im Gespräch,

Ansichten waren nicht seine Stärke,

Ansichten reden drum herum,

wenn Delacroix Theorien entwickelte,

wurde er unruhig, er seinerseits konnte

die Notturnos nicht begründen.

Schwacher Liebhaber;

Schatten in Nohant,

wo George Sands Kinder

keine erzieherischen Ratschläge

von ihm annahmen.

Brustkrank in jener Form

mit Blutungen und Narbenbildung,

die sich lange hinzieht;

stiller Tod im Gegensatz zu einem

mit Schmerzparoxysmen

oder durchh Gewehrsalven:

man rückte den Flügel (Erard) an die Tür

und Delphine Potocka

sang ihm in der letzten Stunde

ein Veilchenlied.

Nach England reiste er mit drei Flügeln:

Pleyel, Erard, Broadwood,

spielte für zwanzig Guineen abends

eine Viertelstunde

bei Rothschilds, Wellingtons, im Strafford House

und vor zahllosen Hosenbändern;

verdunkelt von Müdigkeit und Todesnähe

kehrte er heim

auf den Square d'Orleans.

Dann verbrennt er seine Skizzen

und Manuskripte,

nur keine Restbestände, Fragmente, Notizen,

diese verräterischen Einblicke -

sagte zum Schluß:

"Meine Versuche sind nach Maßgabe dessen

vollendet,

was mir zu erreichen möglich war."

Spielen sollte jeder Finger

mit der seinem Bau entsprechenden Kraft,

der vierte ist der schwächste

(nur siamesisch zum Mittelfinger).

Wenn er begann, lagen sie

auf e, fis, gis, h, c.

Wer je bestimmte Präludien

von ihm hörte,

sei es in Landhausern oder

in einem Höhengelände

oder aus offenen Terrassentüren

beispielsweise aus einem Sanatorium,

wird es schwer vergessen.

Nie eine Oper komponiert,

keine Symphonie,

nur diese tragischen Progressionen

aus artistischer Überzeugung

und mit einer kleinen Hand.