Die Sozialen Netzwerke sind nur ein Bereich im Internet. Aber dieser wird immer wichtiger. - Das Beispiel eines Politikers, der übereilt seinen Twitterauftritt und weitere Accounts löscht, zeigt, dass die Handhabung der Neuen Medien ihre Tücken hat.
So wirkt vielleicht manches Verhalten im Internet ungeschickt und inkompetent, weil die Nutzer nicht die »Psychologie der Sozialen Netzwerke« berücksichtigen.
Was ist zum Beispiel der Unterschied zwischen einem »eigenen Beitrag« und einem »Kommentar«?
Öffentlichkeit und Kommunikation spielen sich im Internet, im Gegensatz zum physischen, realen Leben, im Browserfenster ab! - Da ist das Leben.
Deshalb haben die Webdesigner einen großen Einfluss darauf, wie wir die Kommunikation und Interaktion mit anderen Menschen dort erleben. Ein besonderes Negativbeispiel ist die Kommentarfunktion. Wenn sie schlecht umgesetzt ist, »klebt« der Kommentar unten am Originalbeitrag. Dies bietet beste Voraussetzungen für Belästigungen aller Art. Hatespeech, Hassreden, Pöbeleien, aggressives Duzen, Drohgebärden, Beleidigungen aller Art sind dort zuhauf zu finden. Trolle und Provokateure siedeln sich besonders gerne in den Kommentarspalten an. - Sie sind physisch ganz nah am Originalbeitrag (und Beitragsschreiber?), was realem physischen Angriff beziehungsweise einer solchen Belästigung gleichkommt.
Ganz anders sieht das aus, wenn es keine Kommentarfunktion in einem Sozialen Netzwerk gibt. Dann haben die Pöbler und Provokateure nicht so leichtes Spiel. Im Datenstream geht ihr Angriff gegen einen anderen Teilnehmer in der zeitlichen Abfolge »unter«. Sie müssen erstens einen eigenen Beitrag schreiben und damit er sich auf jemanden anderes bezieht, müssen sie ihren Beitrag »verlinken«.
Was ist überhaupt die Idee eines Sozialen Netzwerkes?
Die Produzenten solcher Software machen manchmal den Eindruck, als ob es darum ginge, »mit Freunden« über dieses Kommunikationsmedium in Kontakt zu bleiben. Tatsächlich geht es darum nur am Rande. – Viel wichtiger sind die Sozialen Netzwerke, um »in der Öffentlichkeit« des Internets, mit anderen Menschen (mit allen?) in Kontakt zu treten. Es geht bei den Sozialen Netzwerken darum, den eigenen Standpunkt öffentlich zu machen. Die eigene Meinung. Und es besteht die Möglichkeit, mit anderen Menschen sich zu »verbünden«, um zu bestimmten Themen Position zu beziehen und sich zu anderen Positionen abzugrenzen.
Die Sozialen Netzwerke sind also hoch-politisch. Sie bieten durch ihr Design den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, »jederzeit« mit den Mitmenschen in Kontakt zu sein und »sofort« sich zu aktuellen Ereignissen zu äußern. – In diesem Sinne sind sie hoch-demokratisch und für ein gesellschaftliches Funktionieren von Vorteil. – Deshalb ist es absurd, sich als Politiker von den Sozialen Medien fernzuhalten.
Das Beispiel mit der Kommentarfunktion zeigt aber, dass es gar nicht so einfach ist, dieses Medium optimal zu handhaben.
Nehmen wir »Twitter«. - Es ist möglich, den geschriebenen Beitrag einer anderen Person zu »retweeten«. Was bedeutet das psychologisch? – Mit dem Retweeten drückt der Retweeter aus, dass er mit den im Tweet (im Beitrag) gemachten Aussagen übereinstimmt. Oder, dass er den Beitrag interessant findet. Man kann natürlich auch dasjenige retweeten, was man ablehnt. Zum Beispiel um den Autor des Beitrags »bloßzustellen« und weitere Öffentlichkeit hervorzurufen, damit es von anderen angegriffen wird. – Aber das ist eher die Ausnahme.
Den Retweet kann man mit einem eigenen Kommentar versehen. – Dieser Retweet ist ein »eigener Beitrag«, weil er nicht als solcher am Originalbeitrag hängt. Das ist ein wichtiger Unterschied.
Retweet und Gefällt-mir-Bekundungen dienen der Kommunikation zwischen den Teilnehmern. Zwar treten die Nutzer der Sozialen Netzwerke als Einzelpersonen auf, dennoch sind »Bündnisse« mit anderen Teilnehmern »symbolisch« vorhanden. – Und diese sind zahlenmäßig abgebildet, mit der Zahl der Retweets und »Gefällt mir« Äußerungen. – Die Anzahl der zustimmenden Äußerungen in den Sozialen Netzwerken, haben »soziales Gewicht«.
Deshalb können sich User (Nutzer) mit einem großen Anhang, vieler Retweets und Gefällt-mir-Bekundungen erfreuen. - Wer die Äußerungen von anderen Teilnehmern »wiederholt«, durch den Retweet, oder beherzt (das Gefällt-mir-Symbol), bestätigt in einer Weise die Aussagen des Beitragsschreibers oder befürwortet sie.
Damit ist aber die Orientierung bei Twitter noch nicht zu Ende erzählt. – Es gibt auch verzwickte Situationen. Zwar kann ein Beitragsschreiber es gut finden, wenn er retweetet wird, aber nicht jeder Retweet ist willkommen. - Warum?
Der Retweet ist eine Verdoppelung des eigenen Standpunkts. Allerdings wollen wir nicht retweetet werden, von Leuten, die wir ablehnen, deren sonstige Meinung wir nicht teilen.
Das hängt damit zusammen, dass das Leben kompliziert ist und erst recht wir Menschen!
Das große Gemeinsame unter uns Menschen ist der Umstand, dass wir nicht einer Meinung sind. Wir sind überwiegend »unterschiedlicher« Meinung. In seltenen Fällen sind wir auch einmal »einer« Meinung. Aber zu vielen verschiedenen Themen sind wir Menschen in der Regel unterschiedlicher Meinung. – Das ist normal.
In jungen Jahren kann »die Liebe« zu einem Menschen diese Unterschiede verdecken. Man ist mit privaten Dingen beschäftigt, und hat dort seine Aufgaben. – Die Regel ist aber, dass wir nicht einer Meinung sind. – Ist das schlimm?
Ganz und gar nicht. Es ist Teil unserer Wesenheit. So sind wir Menschen. Wir brauchen bloß damit umgehen lernen. Dann ist alles bestens.
So kann es zum Beispiel sein, dass ein Beitragsschreiber zu »einem Thema« mit vielen anderen Beitragsschreibern einer Meinung ist. Aber zu »anderen« Themen mit genau denselben Leuten nicht einer Meinung ist. – Das ist eine verzwickte Situation. Und führt in der Praxis zu absurden Verhaltensweisen.
So kann ein Organisator in der physischen Welt eine Demonstration gegen Hartz4 absagen, weil das Gerücht umgeht, auf der Demo könnten auch rechte und populistische Teilnehmer auftauchen. - Um das zu verhindern, wird dann die ganze Demo gecancelt. Absurd, nicht wahr?
Ähnliche Probleme tauchen bei Twitter auf.
Zum Thema A gibt es eine Reihe von Leuten, die der gleichen Meinung sind, wie der Beitragsschreiber auf Twitter. Doch diese Leute haben zu den Themen B, C und D völlig andere Ansichten als der Twitterer. – Wenn der Twitterer zum Thema A schreibt, bekommt er Gefällt-mir- und Retweet-Zustimmung. Doch jetzt stellt sich die Frage, ob der Twitterer diese Zustimmung überhaupt will, wenn die Retweeter zu den anderen Themen des Beitragsschreibers völlig andere, ja sogar entgegengesetzte Vorstellungen haben.
Soll er deshalb den Kontakt zu den Retweetern komplett einstellen, weil er mit diesen nicht bei »allen Themen dieser Welt« einer Meinung ist? - Und wäre das nicht albern?
Da wir Menschen zu unterschiedlichen Themen unterschiedlicher Meinung sind, geraten wir bei den Retweets in eine Zwickmühle. - Zum Thema A sind wir einer Meinung mit Person 2. Wir geben uns symbolisch die Hand, klopfen uns symbolisch auf die Schulter, weil wir beim Thema A denken, ja, so ist das, so ist die Lage. Wir sind einer Meinung.
Aber bei Thema B würden wir uns schon nicht mehr in die Augen schauen oder uns gar die Hand geben, so stark sind wir anderer Meinung. – Das ist eine wirklich vertrackte Situation. – Was kann man da tun?
Im Grunde muss die Gesamtsituation abgewogen werden. – Wie sind die Retweeter einzuschätzen, welche Beiträge haben sie bisher veröffentlicht. Kennt man die Retweeter im physischen Leben persönlich oder sind sie einem unbekannt. Nennen die Retweeter ihren Realnamen oder sind sie im Internet nur anonym unterwegs.
Es gibt eine ganze Reihe Punkte, die da zu berücksichtigen sind. – Hat man den Eindruck, der Retweeter hat ein unseriöses Auftreten, retweetet er provozierende, grenzwertige Beiträge, äußert er sich gewaltorientiert und mit vielen Kraftausdrücken, dann kann es Sinn machen, einen solchen Retweeter einfach zu blockieren, damit bei anderen Twitternutzern nicht der Eindruck entsteht, man hätte Verständnis für dieses Verhalten.
Das heißt, man muss sich auch von Retweetern distanzieren können, wenn man den Eindruck hat, deren gesamtes Auftreten passt nicht zum eigenen Auftritt im Internet. Allerdings ist darauf aufzupassen, dass das Blockieren nicht zu leichtfertig gehandhabt wird. – Denn schnell ist man mit sich selbst allein auf Twitter, nur umgeben von den Klonen der eigenen Ideenwelt. – Immer nur den Wiederhall des eigenen Tons zu hören, kann auch einschläfern und hat nicht unbedingt etwas mit Kommunikation zu tun.
Es sind Grenzen herauszufinden, was man noch akzeptieren kann, an anderen Meinungen und Auftritten, und wo man sagt, das will ich nicht in Zusammenhang mit meinem Internetauftritt bringen, da schiebe ich einen Riegel vor. Da will ich keinen weiteren Kontakt.
Aber diese Situation ist eben nicht einfach zu handhaben. Und dennoch muss es von jedem geleistet werden. – Und nur seine Konten bei den Netzwerken kündigen und löschen, weil man nicht mit den Sozialen Netzen zurechtkommt, wäre eine zu einfache und wenig kluge Lösung.
Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Meinungsunterschiede in den Sozialen Netzwerken eine harmlose Geschichte sind. Denn dort geht es ja gerade darum, unterschiedliche Ansichten auszutauschen. – Diesen Austausch zu unterbinden, wäre das Allerschlechteste. Dieser Austausch ist notwendig. – Und wieder zurückkehren zum Fernsehzeitalter, wo nur immer in eine Richtung geplärrt und belehrt wird, das kann es nicht sein. Das war 1970 modern, und nicht heute.
Deshalb müssen wir uns damit beschäftigen, wie mit den Sozialen Netzen umzugehen ist und wie wir sie optimal handhaben.
Gesellschaftlich gefährlich ist es hingegen, wenn eine Clique von Leuten riesige Menschengruppen beherrscht und dominiert. Etwa in Diktaturen und mittels totalitären Regimen. - Twitter und Co sind gerade ein Mittel, diesen Strukturen vorzubeugen, indem die Menschen üben, wie mit unterschiedlichen Meinungen umgegangen werden kann, ohne sich gleich die Köpfe einzuhauen.