Erfahrungen-Einsichten

Der Philosoph und Schopenhauerianer
Arthur Hübscher (1897-1985)
und seine Erinnerungen an ein Jahrhundert.

Erlebt - Gedacht - Vollbracht /
Erinnerungen an ein Jahrhundert

- so lautet der Titel eines Buches, das Arthur Hübscher (einst viele Jahre Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft und Verfasser zahlreicher Bücher über Arthur Schopenhauer und seine Philosophie) veröffentlichte. Die Arbeit an dem Buch beendete der Verfasser 1983, also in seinem 87. Lebensjahr! Es enthält Erfahrungen und Einsichten eines Lebens mit und für Schopenhauer.

Die folgenden Textauszüge sind aus den letzten Abschnitten des o. a. Buches. Sie haben die sehr bezeichnenden Überschriften:

  • Einübung auf das Alter

  • Unzeitgemäße Betrachtungen

  • Blick hinter die Masken

Dort schrieb Arthur Hübscher in seinen Lebensjahren über das Alter und seine Einübung:

" Im Guten wie im Schlimmen [...] - wir müssen uns einrichten auf das, was unausbleiblich ist. Es geht nicht etwa darum, dem alten römischen Sprichwort nachzuleben, man müsse lernen, frühzeitig alt zu werden, wenn man lange alt sein wolle.

Mit diesem Wunsche ist es nicht weit her. Die Erfahrung lehrt das Gegenteil: Alle möchten alt werden, alt sein möchten sie nicht. Wenn wir uns der letzten Lebensstufe anbequemen, tun wir es im Wissen um die ganze Fragwürdigkeit des Lebens, dem in allem Werden, Wechsel und Wandel durch verschiedene Altersstufen hindurch der Keim zum Tode mitgegeben ist. Vom Tode her empfängt alles Leben seinen Sinn, - die Philosophen wiederholen es seit mehr als zwei Jahrtausenden.

Für Platon ist Philosophie nichts anderes als die Vorbereitung auf den Tod [...] und der Gedanke der Vorbereitung zieht sich erstaunlich gleichbleibend durch die Jahrhunderte: in der späteren Stoa als ruhige Gewöhnung in die Notwendigkeit des Sterbenmüssens, bei Montaigne in der weisen Skepsis seines Essays Philosophie heißt Sterben lernen.

Für Schopenhauer schließlich ist der Tod geradezu der inspirierende Genius, der Musaget der Philosophie, das Sterben das eigentliche Ziel des Lebens und das Leben selbst eine stete Hemmung des Sterbens. In uneingestandener Nachfolge Schopenhauers erklärt noch Heidegger unser Dasein als ein Sein zum Tode.

Wir sehen wohl, daß diese Lebens- und Todesdeutung eine lastende Verpflichtung in sich schließt, die unser Denken und Handeln immerfort begleitet. Montaigne konnte sagen, daß den meisten Menschen die Vorbereitung auf den Tod mehr Qual gemacht habe als das Sterben selbst.

Wie aber, wenn wir nicht das Endziel des Lebens ins Auge fassen, die Grenze, hinter der kein Fortgehen und keine Rückkehr möglich ist, sondern die vorletzte Stufe, eben das Alter und die Forderungen, die es mit sich bringt.[...]

Ich möchte, was Erfahrung und Beispiele mich über die Einübung ins Alter gelehrt haben, in ein paar Sätze zusammenfassen, die man beifällig aufnehmen mag, auch wenn man sie in Wirklichkeit außer Acht zu lassen gedenkt:

Das Unabänderliche willig hinnehmen. Sich der Vorteile bewußt werden, die auch physische Behinderungen mit sich bringen: Schwerhörigkeit schützt uns vor lästigem Lärm, zunehmende Vergeßlichkeit räumt manchen Schutt zerstörter Illusionen fort.

Im Alltäglichen noch das Besondere finden, die einfachsten Handlungen, einen Spaziergang, ein Gespräch, eine stille Stunde im Garten in innerer Teilnahme erhöhen, und immer wieder im einzelnen Ereignis die philosophische Verwunderung über die Welt und unser eigenes Dasein erleben.

Nicht dem Vergangenen nachtrauern, nichts Verlorenes zurückholen wollen, nichts Hinschwindendes gewaltsam aufhalten, aber fördern und nutzen, was sich immer noch bietet oder neu eröffnet und sich unserm Sinne fügt.

Die reizvolle Vielheit der Horizonte und Aufgaben sorglich eingrenzen, die Kräfte sammeln und sich immer klarer werden über unser Selbst, in der Beschränkung, die den Meister macht.

Aber immer auch in der Vorbereitung auf etwas Kommendes, Erwünschtes, Erstrebtes, zu Verwirklichendes leben, und immer noch den Blick über sich hinaus erheben, in Höhen, die uns kaum jemals erreichbar sind und von denen doch der Trost herabkommt ..."