Kapitel Vier

»Sag mal, hast Du sie noch alle, oder was?«

Robert plumpste auf den Beifahrersitz des VW-Kübel, auf den er von Majo gestoßen wurde. Majo selbst setzte sich mit grimmigem Gesicht ans Steuer.

»Meinze, ich würd Dir den kleinen Flirt mitte Reporterin nich gönn‘, wennet nich watt Wichtigeres gäbe?«

Wären Majo und Robert in diesem Moment nicht im Zustand höchster Anspannung gewesen, hätten sie verwundert festgestellt, daß der Kübelwagen auf Anhieb ansprang. So aber entging ihnen dieses einmalige persönliche Entgegenkommen des uralten Vehikels, das sich dann auch mit äußerst bockigen Federstößen auf der Fahrt zum Sprenggelände rächte.

»Bevore die Klappe aufmachs, sach ich Dir, dattet höchste Eisenbahn is, endlich ma Butta beie Fische zu tun. Damit ich auch ma weiß, watt gespielt wird.«

Robert blickte seinen Kompagnon, Sprengmeister und langjährigen Freund verständnislos an.

»Könntest Du mir mal verraten, was in Dich gefahren ist? Weißt Du eigentlich, was Du da gerade angerichtet hast? Das war das erste Interview, in dem ich unsere neue Technik schildern konnte!«

»Na klasse! Hasse denn auch gesacht, datte, um auch ganz sicha zu gehn, ein paar Zentna mehr Sprengmittel verbuddelt hass?«

Robert spürte einen inneren Hieb auf die Magenwände.

»Woher weißt Du?«, brachte er nur mühsam krächzend hervor.

»Woher ich datt weiß? Von eine Liste weiß ich datt. Und weisse woher ich die Liste hab? Die Liste hält mir son Inspizient vonnem Bundesgrenzschutz unta die Nase. Und willze vielleicht auch wissen, woher ich diesen Typen kenne? Der steht grade bei uns inne Sprengbaracke. Will wissen, wo wir den ganzen Sprengstoff gelagert ham. Ich dachte, ich fall vom Glaum ab, als ich die Gesamtmenge gesehn hab.«

Der Druck auf Roberts Magenwände wurde stärker, gab ein Schulbeispiel des archimedischen Prinzips zum Besten, und die aufsteigende Magensäure erinnerte Robert mit plötzlichem Sodbrennen daran, daß er sich um seine anatomische Physik und Chemie keine weiteren Gedanken zu machen brauchte. Allerdings seine Psyche bettelte um einwandfreie Funktionalität.

»Also gut. Du weißt, daß ich den veralteten Bundeswehr-Beständen von Anfang an mißtraute. Wie viele Fehlzündungen hatten wir in der Testphase mit dem alten Sprengstoff? Eins zu Eins bis Drei zu Eins schwankend. Wir konnten doch nie sicher sein, daß alle Ladungen hochgingen.«

»Datt weiß ich allet selbs. Nur warum hasse mir nix gesacht, allze die Bestellmenge geändert hass? Ich dachte, datt wär unsa gemeinsames Projekt. Ich hätte nie gedacht, datte mich so hintagehn würdes.«

Robert schaute Majo verwundert an, der mit steinernem Gesicht starr geradeaus blickte und sichtlich gegen seine aufkommende wütende Enttäuschung anschluckte. Das war also der Grund für Majos Verhalten, er fühlte sich von seinem Geschäftspartner und Freund betrogen.

»Majo, falls was mit der Sprengung schief gehen sollte ... ich wollte Deinen Kopf da raus halten. Scheiße, Du weißt doch, das mir die Hände gebunden waren, der Vertrag, der ausschließlich Bundeswehr-Material[1] vorschrieb. Mensch Majo, versteh doch, meine Verantwortung über dieses Projekt, der Name der Firma, der von einem Gelingen abhängt, hier geht es einfach um alles oder nichts. Bei einem Nicht-Gelingen wollte ich nicht, daß man Dich damit reinzieht, dann wäre alles allein mein Fehler gewesen.«

Majo nickte mehrmals stumm.

»Mensch, Majo. Ich dachte, das bin ich Dir als Freund schuldig.«

Majo bremste den Wagen abrupt, blickte Robert mit wutverzerrter Miene an.

»Hörsse getz endlich mit diesa gequirlten Scheiße auf? Entweda man issn Freund, da geht man zusamm durch Dick und Dünn oda man iss keina. Nich nur als Freund hasse mich beschissen, auch als Geschäftspartna. Meinze, ich hab mir keine Sorgen gemacht, oppe Sprengladung reicht?«

Robert nickte schwach. Majo hatte Recht, er hätte ihn ins Vertrauen ziehen müssen. Das war er ihm nicht nur des gefährlichen Berufes wegen schuldig gewesen, sondern insbesondere als langjähriger Freund.

»Getz sach mir endlich, wieviel mehr Du als ursprünglich kalkuliert hass.«

Robert blickte zum durchlöcherten Fahrzeugboden.

»Drei.«

knirschte er durch Zähne.

»Watt?«

»Faktor drei.«

Majo schaute wieder nach vorn.

»Datt nenn ich gründlich!«

Er atmete tief durch.

Robert fühlte sich elend, er fürchtete, Majos Vertrauen für immer verloren zu haben. Seine eigene Eitelkeit, sich mit dieser Sprengung einen großen Namen in seiner Branche zu machen, hatte ihn leichtsinnig über die Köpfe seiner Mitarbeiter entscheiden lassen, ohne diese zur Beratung mit einzubeziehen. Robert wagte nicht, Majo anzublicken. Er sann nach einer Entschuldigung, ihm fiel aber keine passende ein. Einige Minuten saßen sie schweigend im Wagen, Minuten, die Robert zu quälenden Stunden, Monaten und Jahren wurden. Alte Erinnerungen wurden in ihm wach, Erinnerungen, an seine Studienzeit, der erste Job in einem Sprengstoffunternehmen, wie er Majo dort kennen gelernt hatte, wie sie gemeinsam ihrem damaligen Chef mehrfach das Handwerk noch lehren konnten, ehe sie sich entschlossen hatten, eine eigene Firma zu gründen. Majo hatte seinerzeit sogar seinen liebevoll gepflegten Borgward Arabella verkauft, um das nötige Startkapital zusammenzukratzen. Wenn Robert richtig überlegte, war Majo stets zu seiner Seite gewesen, wenn es einmal gravierende Probleme geschäftlicher aber auch privater Art zu lösen gab. Und all das schien jetzt zunichte gemacht worden zu sein. Durch seine eigene blöde Eitelkeit, durch einen Moment des puren Egoismus. Robert hätte sich selbst ohrfeigen, mehr noch geißeln oder noch Schlimmeres antun können. Er wußte, wenn er Majos Vertrauen verlöre, würde er auch einen Teil seiner selbst verlieren.

»Datt macht also zusamm Faktor sechs.«

Robert wachte langsam aus dem Nebel seiner Gedanken auf. Er verstand nicht, was Majo damit sagen wollte, ob er ihm überhaupt zugehört hatte. Fragend blickte er Majo an.

»Meinze etwa, ich wollte nich, dattet auch einwandfrei klappt? Ich hab die Zahlen vadoppelt, bevor ich se Dir als Bestellmenge angegeben hab.«

Majo grinste ihn verlegen an.

»Watt Du kannz, kann ich schon lange.«

Roberts Begreifen benahm sich wie ein Bummelzug, zuckelte gemächlich über die Schiene von Majos letzten beiden Sätzen, machte ausgiebig lang Station bei den einzelnen Wörtern, ließ deren Sinn gemütlich einsteigen und Platz nehmen. Endlich war die Strecke der Erkenntnis abgefahren.

»Das heißt, Du hast .... Du hast einfach ...«

Robert konnte es nicht fassen, sein langjähriger Freund und Geschäftspartner hatte einfach so die Zahlen getürkt.

»Ich wollte ehm auch, datt Dein Loch ein Erfolg wird.«

»Du Arsch! Du dreimal verfluchtes hirnloses Rindvieh, Du .... Du ...«

Ja was denn eigentlich? Robert schüttelte den Kopf, eine Welle der Erleichterung durchströmte ihn rauschend, spülte eine enorme Last der Gewissensbisse und Selbstvorwürfe hinweg.

»Mensch, Du bist mir einer! – Mann, Majo! Du ...«

Beide verzogen ihre Münder zu breiten Grinsen, ihre rollengeprägt eingefleischte Erziehung verbot ihnen das zu tun, was den Frauen in solchen Situation gesellschaftlich-moralisch erlaubt ist: sich in die Arme zu fallen, ohne den Verdacht zu wecken, eine sexuell Beziehung zueinander zu pflegen. Leider sind beide Figuren etwas spießig angedacht und so verzichteten sie auf den körperlichen Ausdruck tiefer Männerfreundschaft. Genau, »Du Freund« hätte Robert am liebsten seinen Satz beendet.

»Und jetzt?«

Majo warf den Ganghebel um und fuhr an.

»Getz wird datt wohl datt größte Raasch-Loch aller Zeiten.«

Während sie zum Sprenggelände tuckerten und gemeinsam eine Strategie entwarfen, dem Inspizienten glaubhaft versichern zu können, daß die gelieferte Menge an Sprengstoff dem tatsächlichen Bedarf entsprach, sahen sie keine Veranlassung, hinter sich zu blicken. Sonst wäre ihnen der schwere Geländewagen aufgefallen, der ihnen im gebührenden Abstand folgte und an den Seitenwänden in Leuchtbuchstaben die Lettern einer Fernseh-Nachrichten-Agentur trug.

Unterdessen versuchte Hubert van Strahlen, den Tumult in der Pressebaracke zu beschwichtigen, indem er erklärte, der Mitarbeiter von Herrn Raasch habe lediglich darauf hinweisen wollen, daß die Sprengung so harmlos sei, daß man sorgenlos in unmittelbarer Nähe ein nettes Picknick veranstalten könne. Was ja auch ganz und gar dem Sinn seiner von ihm getroffenen Sicherheitsbestimmungen entspräche. Tatsächlich hatte van Strahlen ob der Unverschämtheit Majos derart fest seine Kiefer zusammengepreßt, daß die Gaumenplatte seiner Prothese brach und sich die stimmlosen Konsonanten seines eiligst zusammengereimtes Statements sonderbar weich und zischelnd anhörten. Insbesondere das Wort Picknick hätte er in dieser etwas sprachbehinderten Situation zu artikulieren besser unterlassen sollen.

»Ech fechteht alcho üferhauft kein Anlach chur Feununruhigung. Die Frechekonferench icht chomit feendet.«

Fürwahr, der Begriff kleiner Imfich hätte van Strahlen weitaus besser zu Gebiß gestanden, um der Peinlichkeiten ein Ende zu setzen.

Robert und Majo wurden bereits ungeduldigst von einem Soldaten erwartet, der mit grimmiger Miene, verschränkten Armen über der stattlichen Brust und breitbeinig in seiner Uniform bilderbuchartig vor der Tür des Bürocontainers Position bezogen hatte. Neben dem Container stand ein Kleinbus des Bundesgrenzschutzes, auf dessen Fahrersitz ebenfalls ein Uniformierter, lässig die Beine über das Armaturenbrett gekreuzt und zigarettenrauchend, lümmelte, das Berret tief in die Stirn gezogen.

»Oha, Rambo persönlich.«

kommentierte Robert das zu Fleisch und Blut gewordene Denkmal des standhaften Soldaten vor seiner Bürotür.

Neben ihm standen die beiden polnischen Arbeiter an die Containerwand gelehnt, jeder mit einer Büchse Cola in der Hand. Robert rammte sich, das Kinn nach vorn gereckt, erneut seine Dunhill in den Mundwinkel und ging lässigen Schrittes auf den Bundesgrenzschützer zu.

»Guten Tag. Ich bin Robert Raasch. Mein Mitarbeiter sagte mir, daß Sie bei uns etwas nachprüfen wollen?«

Der Uniformierte tippte mit dem Zeigefinger seiner Rechten kurz an den Rand seines Berrets.

»Feldwebel Riefenstief. Ich habe die Anweisung, Ihre Sicherheitsvorkehrungen zu überprüfen.«

»Aber bitte, gerne. – Und Ihr beide seht zu, daß die Kabel weiter verlegt werden«, wandte sich Robert an seine Arbeiter.

Beide zuckten mit den Achseln und trollten sich wieder zum Sprengplatz. Robert schloß die Containertür auf, ließ den Feldwebel eintreten, folgte ihm, wiederum mit Majo im Schlepptau.

»Also, Herr Riefenstief, was genau wollen Sie inspizieren und wer gab Ihnen diese Anweisung?«

»Das Bundesinnenministerium befürchtet für morgen noch Demonstranten-Krawalle, eventuell sogar Sabotage-Akte. Wir wollen nur sicher gehen, daß keinerlei Gefahr besteht, daß die von Ihnen gelagerten Sprengstoffe Zugang von Unbefugten haben. Ich habe hier eine Liste der von Ihnen bestellten TNT- und Zündermenge und möchte nun kontrollieren, wo Sie diese Stoffe gelagert haben.«

»Aber datt hab ich doch schon gesacht, datt allet längs unta der Erde is.«

»Davon möchte ich mich eben gern selbst überzeugen.«

»Wollen se etwa dat ganze Zeuch wieda ausbuddeln?«

Robert gab Majo durch ein Handzeichen zu verstehen, er möge seine Klappe halten.

»Darf ich mal Ihre Liste sehen, Feldwebel?«

Der Soldat überreichte Robert eine Computerliste, die er aus der Brusttasche zog. Robert überflog sie kurz und stellte mit leicht flauem Gefühl im Magen fest, daß die gelieferte Menge tatsächlich dem Sechsfachen des eigentlichen Bedarfs entsprach.

»Soweit ich beurteilen kann, ist das exakt die von dem Versorgungsdepot der Bundeswehr gelieferte und auch von uns georderte Menge. Und wie mein Mitarbeiter Ihnen bereits sagte, befinden sich die Sprengladungen bereits an ihrem Einsatzort. Wenn Ihnen aber unsere Unterlagen weiter helfen würden?«

»Welche Unterlagen?«

»Ihnen sollte bekannt sein, daß wir Pyrotechniker gesetzlich dazu verpflichtet sind, über jede Bewegung unseres explosiven Materials Buch zu führen. Da wir alles für die morgige Sprengung vorbereitet haben und das Material bereits versenkt ist, kann ich Ihnen lediglich unsere Computer-Protokolle zwecks Prüfung anbieten. Es sei denn, Sie verlangen von uns, die Sprengladungen einzeln wieder aus den Bohrlöchern hervorzuholen. Dazu wären wir auch gerne bereit, wenn Sie die Verantwortung über die Verschiebung des Sprengtermins übernehmen. Schätzungsweise in drei Tagen könnten Sie dann mit der Inventur beginnen. Die Sprengung verschöbe sich dann lediglich um eine Woche.«

Der Feldwebel verlor erheblich von seiner Rambo-Ausstrahlung und wirkte eher wie ein Gorilla während der Feststellung, ein um zwei Konfektionsgrößen zu weites Fell zu tragen.

»Majo, würdest Du bitte unser Protokoll ausdrucken? Am besten doch gleich alle Unterlagen, inklusive unserer täglichen Arbeitsprotokolle, damit Herr Riefenstief sich von der Notwendigkeit der Bestellmenge überzeugen kann, aber auch davon, daß kein Gramm des gelieferten Dynamits eventuell woanders gelandet sein könnte als unter unseren Füßen.«

Majo verstand die Botschaft. Er ging zum PC des Schreibtisches, rief ein Kalkulationsprogramm auf, vertauschte in einer gewissen Zelle eine Zahl und ließ das Programm dementsprechend neu berechnen. Nach wenigen Augenblicken begann ein Laserdrucker, ellenlange wie unüberbersichtliche Kalkulationstabellen auszuspucken.

»Und außer dem für die morgige Sprengung vorgesehenem Material haben Sie weiter keinen Sprengstoff gelagert?«

Robert ging auf einen Tresor in der Ecke des Büros zu, tippte einen sechsstelligen Zahlencode in das Elektronikschloß.

»Doch, wir haben hier noch etwas Plastiksprengstoff. Etwa 100 Gramm. Wenn Sie sich bitte überzeugen würden?«

Robert öffnete die Tresortür, deren Dicke kaum Tiefe im Innenraum zuließ.

»Das ist unser Restbestand hier auf dem Gelände, damit könnten Sie nicht einmal diesen Safe hier knacken. – Aber auch hierüber wird Ihnen Herr Majewske die entsprechende Inventur-Eintragung ausdrucken.«

Der Feldwebel betrachte die schmale Tafel grauweißer Masse, die an Knetgummi erinnerte und im oberen Fach des Tresors lag.

»Wozu haben Sie das hier gelagert?«

»Das ist der Restbestand von der Auflösung unseres Arbeitslagers. Bis letzte Woche stand hier ein Dorf aus Wohn- und Bürobaracken. Die festen Bestandteile dieses Dorfes, die nicht am Stück abtransportiert werden konnten, haben wir hiermit beschleunigt beseitigt.«

»Und wer außer Ihnen hat noch Zugang zu dem Tresor?«

»Niemand außer Herrn Majewske.«

Der Feldwebel ging näher auf den Tresor zu, beugte sich vor, inspizierte die Dicke der Wände und die Schließbolzen aus gehärtetem Stahl, die rings aus der Tür ragten.

»Es ist also ausgeschlossen, daß jemand Unbefugter an den Sprengstoff gelangt?«

Robert grinste.

»Der Tresor ist inwendig mit Spezialbeton gefüllt, wiegt gut eine Tonne, ist zusätzlich mit dem Fundament verankert, hält einer Temperatur bis zu 1500 Grad stand und Sie bräuchten etwa die zehnfache Menge an Sprengstoff, um an den gelangen zu können, der hier drin gelagert ist. Zusätzlich ist dieses Gebäude hier mit drei unabhängigen Alarmsystemen gesichert. Das einzige, was wirklich interessant für potentielle Saboteure sein könnte, ist das hier.«

Robert fischte eine CD aus dem mittleren Fach des Tresors und reichte sie dem Soldaten.

»Das ist der Ablauf für die morgige Sprengung. Hier drauf ist die Zündabfolge der viertausendachthundertsechsundneunzig Sprengladungen gespeichert, die zwischen achtundvierzig und drei Metern Tiefe da draußen in einzeln versiegelten Bohrschächten versenkt sind.«

Der Feldwebel betrachtete die CD-Klapphülle in seinen Händen derart, als könne er durch eine besondere Fingerfertigkeit ein Kaninchen daraus entlocken.

»Hiermit könnte also jeder die Sprengung einleiten?«

»Jeder, der zusätzlich Zugang zu unserem Programm in unserem PC hat. Beide sind mit Paßwörtern gesichert. Und da das komplette Gelände hermetisch abgeriegelt ist, wird es schon sehr unwahrscheinlich sein, überhaupt bis an dieses Gebäude heranzukommen, geschweige denn, hier irgend etwas in die Luft jagen zu können.«

»Und was ist mit dem Startknopf oben an der V.I.P.-Tribüne?«

»Datt issn Dummy, glaumse etwa, wir lassen jeen Arsch datt Programm auslösen?«

Der Feldwebel blickte sichtlich empört hinüber zu Majo, der einen dicken Papierstapel aus dem Drucker zog.

»Nach meinem Kenntnisstand drückt Frau Bundeskanzlerin Meyer-Schluddnig den roten Knopf.«

»Tschulligung, ich meinte ja auch: jede Ärschin.«

Robert grinste breit.

»Während unsere Frau Regierungsoberhäuptin den Knopf dort hinten drücken wird, wird Herr Majewske von hier aus das Programm starten. Der Knopf drüben ...«, Robert nickte aus dem Fenster hinüber zur wachsenden Tribüne, »... dient lediglich dazu, hier ein Lämpchen aufleuchten zu lassen. ...«

Robert starrte, die Pfeife aus dem Mundwinkel verlierend, durch die Plexiglasscheibe.

»Ja spinn‘ ich denn?«

Majo und der Feldwebel schauten ebenfalls aus dem Fenster. Die beiden polnischen Arbeiter riefen gestikulierend einer Frau zu, die die Beiden ignorierend durch das Netz der bereits verlegten Zündkabel schritt. Sie trug lange offene, blonde Haare, einen seltsam geformten Drahtbügel in ihren Händen und ein weißes, durchsichtiges langes Hemd, das gleichzeitig an Täufer- und Nachthemd erinnerte, aber auch an ein hauchdünnes Nichts. Langsamen, barfüßigen Schrittes schwebte diese engelsgleiche Erscheinung zum Zentrum des Spinnennetzes aus Zündkabeln, streckte ihre Arme waagerecht zum Boden, den Draht immer noch in beiden Händen haltend. Robert stürzte zur Tür.

»Das darf doch wohl nicht wahr sein!«

»Wie ist die denn hierher gekommen?«, folgte ihm der Feldwebel.

Allein Majo blieb noch einen Moment länger interessiert am Fenster stehen.

»Ker ey, hat die Oschis!«

Derweilen ergab sich auf dem Sprenggelände ein eigenartiges Fangspiel. Die polnischen Arbeiter, darauf bedacht, die akribisch verlegten Zündkabel nicht zu betreten, rannten am Rande des Kabelnetzes auf und ab, als wollten sie die ruhig verharrende Frau in irgend einer Weise einen von ihr noch zu planenden Weg abschneiden. Robert stand am Rand des Sprengfeldes und schnauzte den Feldwebel an, der wiederum seinen Fahrer anranzte.

Robert: Ich denke, Sie sind hier für die Sicherheit zuständig. Also holen Sie die Frau da weg!

Feldwebel: Gefreiter Henning, stehen Sie nicht so dumm da, unternehmen Sie was!

Robert: Wehe, Sie reißen auch nur ein Kabel ab!

Feldwebel: Haben Sie gehört! Nichts berühren!

Robert: Unternehmen Sie doch endlich was.

Feldwebel: Das ist ein Befehl! Tun Sie nichts, was Schaden anrichten könnte.

Der arme Rekrut wußte weder ein noch aus, schritt vor und zurück, salutierte mehrmals und drehte sich letztendlich doch nur im Kreis. Majo lehnte im Türrahmen des Bürocontainers und beobachtete schweigend die Frau, die nun in einen melodiösen Singsang zu verfallen schien. Leicht schwingend bewegte sie ihren Oberkörper, die Arme nunmehr angewinkelt, die Spitze des Drahtbügels himmelwärts gerichtet. Ihre Arme bewegten sich langsam höher, ihre tranceartigen geschmeidigen Bewegungen verstärkten sich. Die Arme der Blonden ragten nunmehr senkrecht empor, schienen weiter aus ihrem Körper wachsen zu wollen. Der Singsang steigerte sich in ein beinah lustvolles Stöhnen, wurde lauter. Die Polen liefen weiter auf und ab wie kopflose Hühner, stießen Flüche ihrer Landessprache aus, die selbst der Autor nicht versteht, geschweige denn hier wiedergeben könnte, und der Rekrut wußte immer noch nicht, was er aufgrund der ihm erteilten Befehle eigentlich machen sollte. Majo schwieg und beobachtete weiterhin. Etwa hundert Meter entfernt parkte ein mit bunten Lettern verzierter Geländewagen, aus dessen Seitenfenster ein Kameraobjektiv ragte. Ein an dem Kameragehäuse rot leuchtendes Lämpchen verriet, daß Majo nicht der einzige Beobachter dieser Szene war.

»IIIIIIIIIIIIIIIIIIEEEEEEEEEEEEEEEEEAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!«

Der ekstatische Aufschrei der Frau ließ alle Beteiligten jäh in ihren Bewegungen gefrieren und zu ihr herüber starren. Die Blondine sank auf die Knie, eigenartige, unverständliche Laute vor sich herbrabbelnd, die wie mystische Formeln anmuteten. Was aber mehr die Augen der betrachtenden Männer fesselte, war das Zerreißen der Frau ihres dünnen Nichts und ihr wollüstiges Streicheln ihrer großen schweren Brüste, während die wie in Trance ihren Oberkörper in anmutig drehenden Bewegungen kreisen ließ. Stille breitete sich über den Platz aus. Jene Stille, die allen großen, geschichtsträchtigen, tragischen, inhaltsschweren und bedeutungsvollen Momenten vorauseilt und insbesondere von Filmemachern gern als Mittel der Spannungssteigerung eingesetzt wird, wenn ihnen nichts Besseres einfällt. Hier aber schrie die Stille förmlich nach Auflösung ihrer geballten erotischen Wirkung, die sie in den Hirnen der männlichen Beobachter ausgelöst hatte. Gebannt blickten die Männer auf die Fremde, die offensichtlich völlig weltenentrückt eine Art spiritueller Handlung an sich vollführte, gleichzeitig überlegend, ob es sich für sie nicht lohne, eventuell der Sekte der Blonden beizutreten, allein schon aufgrund der optischen Offenbarungen, die sie in Aussicht zu stellen schien. Es war jedoch Feldwebel Riefenstief, der, ganz Militär, der Ästhetik des Momentes keinen weiteren Respekt zollte und brutal voranschreitend auf die Venus im Zündkabelspinnennetz zuknobelstiefelte. Kaum hatte er sich jedoch der üppigen Schönheit auf wenige Meter genähert, verwandelte sich diese jäh zu einer fauchenden Raubkatze.

»Komm mir nicht näher, Du Knecht Satans. Dies ist ein geweihter Ort.«

Riefenstief stutzte einen Moment. Geweihte Orte zu okkupieren hatte man ihm während der Grundausbildung beizubringen versäumt. Daß er in den Augen der Blonden des Teufels Feldwebel zu sein schien, störte ihn weniger. Allerdings versagte dessen körperliche Motorik den Dienst des Zugreifens und entschied, bevor sie auch nur den kleinen Finger krümmte, beiseite zu treten und den Wettkampf zwischen männlichem Instinkt und Kampfausbildung in der zerebralen Kommandozentrale des Feldwebels abzuwarten. Denn beide konnten sich über die Angriffspunkte bei der Blondinen nicht einig werden. Riet der Soldat in Riefenstief zum klassischen Schwitzkastengriff, befürwortete der Mann Riefenstief eher Griffe, die ihn selbst ins Schwitzen geraten ließen. Schauen wir also während der Dauer des inneren Haders diskret an Riefenstief vorbei und widmen uns mehr dem esoterischen Phänomen dieser Situation.

Wie ein Jeder aus eigener Erfahrung weiß, läßt sich jeder Gedanke, jede These, jede Idee, Überzeugung, Meinung, Ansicht, Weltanschauung, ja sogar selbst die Wettervorhersage, sachlich diskutieren. Alles läßt sich argumentativ erklären, deuten, analysieren, interpretieren und werten. Alles. Wirklich alles. Außer dem Glauben, alles Sein habe irgendeinen Sinn und stehe im kausalen Zusammenhang zueinander. Solange dieser Glaube mit der Vorstellung einher ging, irgendwelche greisen Gottheiten hätten aufgrund eines kreativen Weltschöpfungsschubes sich schon ihren Teil dabei gedacht aber wegen alzheimerischer Zerstreutheit und beginnender Altersdemenz gerade jenen Teil der Menschheit zu erklären schlichtweg vergessen, ließ sich damit noch recht gut leben. Nachdem aber einige frustrierte Wissenschaftler beim Anblick ihrer lethargisch in den Hörsälen dahindösenden Studenten am Sinn ihrer Daseins zu zweifeln und aus dieser Verzweiflung heraus die sogenannte Chaostheorie zu entwickeln begannen, entpuppte sich mit einem Mal die Welt als hoch komplexes Gebilde scheinwahr wahrscheinlicher Zusammenhänge. Mittlerweile weiß ein Jeder jenen bedauernswerten Schmetterling zu zitieren, der mit seinem unbedachten Flügelschlag am rechten Ufer eines Amazonas-Seitenarmes jene Sturmböe am Yang-Tse-Kiang-Oberlauf auslöste, die wiederum den berühmt gewordenen Sack regionaltypischer Cerealien in China umwarf und somit kettenreagierend den Import der asiatischen Reisschüsseln nach Europa drastisch beschleunigte. Kurzum, die Chaostheorie fußt auf dem Axiom ‚Nichts ist unmöglich‘[2]. Das Chaos entstand in der Tat urplötzlich real, da niemand mehr wagte, etwas zu tun, um eben keine unabsehbare Kettenreaktion auszulösen.[3] Etliche Tag- und Nachtfalter, gewarnt durch das unrühmliche Verhalten ihres Artgenossen, stellten jedes weitere Falten ein, vormals emsige Arbeiter falteten ihre Hände in den Schoß und die schon immer den neuesten Trend-Gurus Vertrauenden wurden noch einfältiger. Seitdem teilen nicht nur namhafte Wissenschaftler, Philosophen und Talkshow-Theologen, sondern darüber hinaus auch einige mehrfach geschiedene Bibliothekarshilfsassistenzanwärterinnen mit abgeschlossenem VHS-Esoterikseminar für fortlaufend Zeitgeistige die Ansicht, das Universum sei allein aus einer Ur-Idee geboren und alles in ihm vorhandene Sein habe seinen darin dieser Idee angestammten Sinn. Diese Theorie ist nicht nur angenehm verklärend romantisch und die Daseinsberechtigung oben erwähnter Volkshochschul-Absolventinnen ersatzbefriedigend, sie ist auch ungemein praktisch umzusetzen. Seitdem nämlich jene Wissenschaftler und Professoren, die diese Theorie einst in Umlauf gebracht hatten, diese auch dozieren, brauchen sie sich nicht länger mit dem unausgegorenem Gedankengut oberstufenreformierter und Hip-Hop-kauderwelschender Kommilitonen auseinanderzusetzen und können guten Gewissens unbesehen Examina und Promotionen erteilen[4] – macht doch alles irgendwie[5] seinen Sinn.[6]

Tatsächlich aber – und für die meisten Menschen bisher völlig unbekannt – ist das Universum eine Raubkopie eines Rohentwurfs der chemischen Zusammensetzung einer naturidentischen Instantsuppe, die einem neunjährigen Hacker als vermeintliche Hardcore-Software auf einem Schulhof des auf irgendeiner unbedeutenden Sternennebelbank gestrandeten Planeten Phu-Indohs 9x verhökert worden ist. Der enttäuschte Knabe rächte sich, indem er via Interstellarnet diese Datei als Virus per Ketten-Email verschickte. Von da an nahm das Verhängnis seinen Lauf, zumal das Datum-Problem aller Computer das Universum den Anwendern weitaus älter vorgaukelt, als es eigentlich ist. Dies weiß ein jeder Telefon- und Internet-Benutzer aufgrund eigener Erfahrung. Unmöglich, daß man so lange geredet, gesurft oder gechattet hat, wie es einem die EDV-Rechnungen vorgaukeln wollen! Dies liegt allein an dem enormen Rechentempo der Computer. Als nämlich die ganze Welt den sogenannten Jahr-2000-Crash befürchtete und nicht ein einziger PC den Händlern den Gefallen tat, in sich zusammenzubrechen, um durch ein neues Gerät ersetzt werden zu müssen, stellte sich sehr schnell heraus, daß die PC’s längst ihren eigenen Kalender entwickelt hatten und sich intern darauf einigten, jeglichen format:C/ –Befehl als ein abgeschlossenes Jahrtausend zu zählen, und da die EDV mittlerweile die Welt regiert, bestimmt sie auch deren Zeitrechnung. Nimmt man jedoch die Dauer der Vorbereitung jener Instantsuppe als Berechnungsgrundlage, so wurde das Universum tatsächlich erst 5 vor 12 geschaffen.[7] Derart, wie also Zeit im PC expandiert, expandiert ebenso der Raum darin. So begann sich auch das als Virus im Interstellarnet implantierte Universum rasant auszudehnen. Hatte es ursprünglich lächerliche 46 KByte eingenommen, bzw. mit 250 ml heißem (nicht kochendem!) Wasser angerührt, in einem Plastikbecher ausreichend Platz gefunden, so wuchs dessen Speicherbedarf raschest ins knapp Unendliche. Jener Virus nährt sich nämlich vom menschlichen geistigen Unrat. (Wie gesagt, es handelt sich um die Rohfassung einer Instantsuppe – nachträglich wurde ein Negativ-Zeichen korrigiert, so daß jener nach dieser verbesserten Rezeptur tatsächlich hergestellte Müll laut Hersteller den Menschen zu nähren vorzugeben versucht.) Dies ist vor allem dadurch erklärbar, daß der menschliche Geist allen Mist zu glauben bereit ist, der in Printmedien, die mit „BI“ beginnen, oder in Talk-Shows von Prominenten, denen jegliche Fähigkeit einer körperlich oder geistig anspruchsvollen Arbeit fehlt, so dass sie sich ins Ghetto des Showbiz zurückziehen müssen und im ewigen Blitzlichtgewitter eigens bestellter Paparazzi darbend vor sich hin dem Luxus frönen, verbreitet wird. Jener geistige Müll[8] jedoch nimmt Speicherplatz enormen Ausmaßes in Anspruch, zumal täglich neue Irrtümer hinzu kommen.

Um hier nur ein Beispiel wirklich gewaltiger Irrtümer zu nennen, sei die anmaßende Behauptung eines durch und durch puritanisch denkenden englischen Adeligen aufgeführt, nach der sich angeblich Körper gegeneinander anzögen. Dabei weiß doch jeder vor sich hinpubertierende Körper instinktiv, daß das genaue Gegenteil der Fall ist. Körper, insbesondere solche unterschiedlichen Geschlechts, ziehen sich gegeneinander vorzugsweise eher aus, denn an. Daß die Theorie jenes verklemmten Engländers, um sich selbst den Anschein ihrer Stimmigkeit zu geben, bereits den Großteil des Universums einnimmt und geradezu großkotzig anmutend komplette Galaxien heranzitiert, um deren gravierende interstellare Beziehungen zueinander zu veranschaulichen, wohingegen im zweiten Fall ein, sagen wir mal 12 m² großes Jugendzimmer, in dem noch nicht einmal die besorgten Eltern zwangsläufig einen Platz fürs Hereinplatzen beanspruchen müßten, völlig ausreichte, beweist die – wenn auch unnütze – Notwendigkeit eines sich rapide ausdehnenden Universums, um jedem auch noch so abstrusen Gedanken seinen Archivplatz einräumen zu können.

Wem dies nachzuvollziehen schwer fallen sollte, ist die Zubereitung besagter Instantsuppe nur zu empfehlen. Man beobachte das plötzliche Auftauchen von suppengrünlichen und nudelähnlichen Kunststoffgebilden aus dem scheinbaren Nichts des hellstuhlfarbenen Pulvers in der heiß (nicht kochend!) aufgebrühten Plastiktasse, wie auch das sich anschließend im Körper universal ausbreitende Unwohlgefühl nach deren Einnahme.

Eine dieser äußerst suspekten Ingredienzen dieser Universalsuppe, die dieser insofern Substanz zu verleihen versuchen als sie stets deren Sinn nacheilen, sind die Esoteriker. Mit der Hingabe, in der sie einen roten Faden in der Brühe der Ungereimtheiten zu finden glauben, erweisen sie sich selbst oft als das ungenießbare Haar in derselben.

Esoteriker haben oft mehrere Gemeinsamkeiten: Sie glauben unbeirrt an das Ende der Welt (für die anderen), sie sind sehr von sich und ihrem Glauben überzeugt (trotz der anderen) und versuchen, ihren Glauben zu missionieren (gegen die anderen). Das ist das wirklich Gemeine an ihnen. Dabei ist es völlig unerheblich, ob sie Runen, kabbalistische Texte, Hände, Horoskope, Kaffeesätze oder von Däniken lesen. Der wirklich engagierte Esoteriker verbringt den Großteil seines Daseins zudem mit Reinkarnationen, je nach politischer Heimat, bzw. touristischem Interesse wahlweise germanisch-keltischer oder pharaonistischer Ausprägung. Ansonsten gehören Wünschelrute, Hasenpfote, Tarotkarten und ein Abo der Zeitschrift P.M sowie die komplette DVD-Sammlungen der Akte-X- und Galileo-Mystery-Staffeln zu seinem unabdingbaren Über- und Wiederlebenswerkzeug. Auch sehr wichtig: der Taschenkalender. In ihm werden alle aktuellen lokalen und überregionalen potentiellen Weltuntergänge vermerkt, wie z.B. Sonnen- und Mondfinsternisse, Jahrtausendwechsel, die allmonatlich stattfindenden Jahrhundertstürme und der Besuch der Schwägerin. Auch die ausgedehnte Kenntnis um den eigenen Asz.[9] zeichnet den Esoteriker aus. Wer seinen Asz. nicht kennt, wird im Kreise der Esoteriker weder auf-, geschweige denn für voll genommen. Ohne Asz. geht nicht. Aszolut nicht. Ansonsten sind Esoteriker völlig harmlose, nette, wohlerzogene, gebildete und Anderen gegenüber durchaus hilfsbereite Mitmenschen – es sei denn, sie geraten an Ihresgleichen. Dann wird Krieg geführt, erbarmungslos. Frosch- um Krähenauge, Löwen- um Mäusezahn, Hühnerbein gegen Hasenfuß, Nostradamus gegen pater noster, Wenn-Glaube gegen Aber-Glaube.

Wenn aber Esoteriker nicht gerade mal aneinander oder wie in unserer Geschichte an geweihte Stätten geraten, sind sie eigentlich nur durch den Niederpupswanger Ampeltest von den anderen Otto-Normal-Spinnern zu unterscheiden.

Ein überzeugter Esoteriker überquert z.B. stets bei Rot den Fußgängerüberweg des Kölner Barbarossaplatzes mitten während der Rush-hour, von Neue Straße in Richtung Kyffhäuserstraße, den Blick himmelwärts suchend nach außerirdischen Erscheinungen gerichtet. Alsdann nach seinem Verhalten im Ambulanzwagen befragt, haucht er glückselig lächelnd mit »Es hat alles irgendwie seinen Sinn« den letzten Atemzug seiner momentanen Interims-Inkarnation aus. Der selbe Esoteriker bliebe aber unter Garantie und egal in wievielter Daseinsform nachts um halb drei bei der einzig nachtaktiven Fußgängerampel in Niederpupswangen (ursprünglich sollte die Ampel von Melsungen hierfür herhalten, aber das Kaff kennt ja kein Schwein) bei Rot stehen. Auch wenn er zwei Stunden warten müßte, bis das erste Auto vorbei käme. Denn außer für einen inkompetenten und sich daher wichtig nehmenden Verkehrsplaner beschert diese bei Nacht eingeschaltete Ampel in Niederpupswangen (ursprünglich: nordhessische Fachwerkstatt an der Fulda südlich Kassel gelegen) auch – aber auch nur - dem Esoteriker Sinn.[10]

Allerdings handelt es sich bei unserer Geschichte bereits um eine jener wenig verbliebenen Esoterikerinnen, die den zum Jahrtausendwechsel ausgebliebenen Weltuntergang überlebt hatten. Zeitgenossen erinnern sich: Bis kurz vor dem Jahr 2000 schossen Seher, Hexen, Wahrsager, Astrologen, Druiden, Engel, Sphingen, ja selbst Beezlebuben, Mysterien, Luzi- und Koniferen eigener Gnaden wie Pilze aus dem Boden in die Chaträume des Internet. Jede dieser Personen fühlte, schmeckte, roch, sah, transzendierte, -pirierte und spiritierte das nahe Ende herbei, oder doch zumindest den Beginn eines neuen Zeitalters. Jeder auf seine Weise. Als aber weder das Eine noch das Selbe eintreten wollte, die Sonnenfinsternis verbarg sich hinter Regenwolken, war somit vor lauter Dunkelheit kaum zu sehen, das Jahr 2000 endete wie alle anderen Jahre zuvor erst mit dem 31.12. (und damit auch erst das alte Jahrtausend, was aber nur einige wenige notorische Besserwisser wie der Autor besser wußten) und alle herbeigerufenen und ersehnten Katastrophen, Schreckgespinste und –spenste sowie Apokalypsen blieben wegen miesen Wetters oder schlechter Laune zu hause. Derlei vom Weltuntergang enttäuscht, begingen einige etliche Esoteriker Suizid, um pünktlich zum darauf folgenden Weltende zu reinkarnieren oder suchten ihr neues Glück im Bemalen von Fensterscheiben mit Fingerfarben, bzw. errichteten Homepages mit eigenen, sich selbst betrauernden Gedichten, die zu lesen eh niemand Zeit fand, da alle Welt eigene, sich selbst betrauernde Gedichte für ihre Homepages verfaßte.

Aus irgendeinem Grunde aber, der mit Sicherheit unserer Esoterikerin auch Sinn gibt, blieb sie ihrer Überzeugung treu. Denn wie alle Auserwählten, die sich ihrer auserwählten Bestimmung spätestens dann bewußt werden, wenn sich auch der letzte Wohlmeinende kopfschüttelnd von ihnen abwendet, spürte sie bereits von Kindesbeinen an jene besondere Fähigkeit in ihr inne wohnen, der sie sich Zeit ihrer diversen Leben fortan widmen wollte. Als sie im zarten Alter von zwölf Jahren zum ersten Mal dieses innere körperliche Ziehen, Zittern und Zucken, das ihr diese unbegreifliche plötzliche Lebenslust vergönnt hatte, verspürte, wußte sie, daß etwas mit ihr geschah, was bestimmend für ihr Dasein sein sollte. Sozusagen über Nacht überfiel sie die Erkenntnis, daß Mutter Natur zu ihr, und zwar allein nur zu ihr sprach. Denn in jener Nacht flüsterte die Mutter alles Weiblichen zu ihr heimlich ins Ohr: »Entkleide Dich und wünsche Dir eine Rute.« - So wurde Desideria Alphonsina Celeste Kniepkötter zur Wünschelruten-Gängerin.

Inwieweit ihre alleinerziehende Mutter ihr mit dieser Vornamensgebung bereits den Weg in die Sonderbarkeit gepflastert hatte, lassen wir mal außer acht, wie auch den Umstand, daß Desideria Alphonsina Celeste seit ihrer Kindergartenzeit eigentlich nur noch auf den Namen Daisy-Dack hörte, da ihr unmittelbares Umfeld diese Verkürzung aus ihren Initialen ungemein praktischer und gemein origineller fand. Wir wollen auch gar nicht wissen, daß Daisy von ihrer ledig gebliebenen Mutter mehrmals täglich mahnend die Worte »Die Männer sind es einfach nicht wert« zu hören bekam. Selbst wenn es unter Umständen interessant sein könnte, wenn wir erführen, daß es Daisy dann doch mit 30 Jahren geschafft hatte, sich insofern ihrer Mutter zu widersetzen, indem sie sich fortan weigerte, die blonden Haare in Gedenken an den adeligen Ururgroßonkel fünften Verwandtschaftsgrades, der Halbstiefschwager des großen kleinen Korsen, jedoch aus der Gegend um Marseille stammend, gewesen sein sollte, schwarz zu färben. Aber dies brächte uns im Fortgang der Geschichte nicht einen Deut weiter, zumal Riefenstiefs Hader – wir erinnern uns: Daisys natürliche und naturblonde Blöße entblößte des Feldwebels Zweifel an kampftechnischen Personeningewahrsamnehmenmethoden – nicht länger anhielt.

Die neutrale und für außenstehende Beobachter unverfänglich erscheinende Körpermitte Daisys in Höhe ihres Nabels mit beiden Armen anpeilend, umschlang Riefenstief Desideria Alphonsina Celeste von hinten, so daß sie, nunmehr emporgehoben, wild mit den Beinen um sich speiend und Verwünschungen ausstrampelnd, dem Kameramann in dem bunt beklebten Geländewagen ein gar nicht so unverfängliches Motiv bot, wie sich Riefenstief dies ursprünglich vorgestellt hatte. Als dann Robert, befürchtend, der Kampf zwischen den beiden könne noch weitere Zündkabel aus ihren Halterungen lösen, kurzentschlossen Riefenstief zur Hilfe eilte und die Beine Daisys in Oberschenkelhöhe zu fassen bekam, während sie sich mit aller Kraft wand, um den Griffen der Männer zu entkommen, mußte selbst Sonja, die nunmehr als weitere unbedarfte Beobachterin des Geschehens an dessen Rande erschienen war, unausweichlich das glauben, was ihre Augen ihrem abzublocken versuchenden Verstand dennoch erfolgreich zu melden trachteten. Zu eindeutig schlängelte sich Daisys Körper zwischen den beiden Männern, zu offenbar befand sich Robert zwischen den Schenkeln der sich ekstatisch windenden Frau. Es war exakt das Bild, das sich der wieselgesichtige Reporter als Erstmeldung in sämtlichen TV-Nachrichtensendungen des noch jungen Tages ausgestrahlt wünschte.

Gemeinsam trugen Robert und der Feldwebel die zappelnde Daisy aus dem Bereich der Zündkabel.

»Ihr werdet noch den Tag verfluchen, an dem Ihr Eure Seele dem Teufel verkauft habt. Dies ist ein heiliger Ort und Jeder, der seine Hand daran legt, wird die Rache der Mutter Natur zu spüren bekommen.«

Die beiden Männer bugsierten Daisy auf die Hintersitze des VW-Bully, Riefenstief knallte hinter ihr die Schiebetür ins Schloß. Als habe dieser zwischengeschlechtliche Nahkampf erhebliche Wunden in des Feldwebels soldatischen Habitus geschlagen, blickte er hilflos Robert an.

»Was soll ich jetzt mit der anfangen?«

Robert zuckte mit den Achseln.

»Was weiß ich? Sie sind doch hier für die Sicherheit zuständig.«

Die beiden Polen wie auch der Rekrut hatten mittlerweile all ihren Mut wieder gefunden und näherten sich tapfer dem Kleinbus, durch dessen Fensterscheiben sie der nackten Gefahr in der Gestalt Desiderias mannhaft nicht nur allein ins Auge schauten, breit grinsend darüber, auf der Siegerseite zu stehen. Allein Majo verschwand schweigend im Bürocontainer, entstieg diesem kurz darauf wieder mit einer gelben Regenjacke in der Hand, ging wortlos an Robert und Riefenstief vorbei, öffnete die Fahrzeugschiebetür und reichte Daisy die Jacke.

»Ziehn Sie sich datt ma an. Iss zwar nich am Regen, aba bessa iss datt wohl.«

Drei Augenpaare verfolgten enttäuscht, daß Majos Rat Folge geleistet wurde. Daisy, wohl einsehend, daß weiterer körperlicher Widerstand zwecklos war, nickte Majo zu.

»Ich rate Dir, mache Dich nicht mit schuldig an diesem Frevel.«

Irgend etwas an dem ruhigen, intensiven Blick der Frau irritierte Majo, als fühle er in seinem Innersten etwas von diesen Augen aufgespürt, was er selbst noch nicht entdeckt hatte.

»Keine Bange, wir ham allet unta Kontrolle.«

Der tiefe Blick Daisys entwickelte sich zu einem optischen Schraubbohrer, der sich in Majos Augen spiralförmig hineinzufressen schien, Daisys tiefe rauchige Stimme schaltete passend dazu in den psychischen Schlaghammergang.

»Du wirst sehen, morgen beginnt der Anfang vom Ende. An diesem Ort liegen alle Geheimnisse der Welt unter Verschluß. Ihr dürft sie nicht öffnen.«

Majo fühlte sich mit einem Mal aufs Angenehmste unwohl, Daisys geistige Vedübelung in und mit ihm geradezu sehnlichst herbeifürchtend.

»Äh ja, datt sehn wir ja dann. Wenn se uns nich gefallen, könn‘ wir se ja imma noch wieda einbuddeln.«

Daisy lächelte Majo an, der sich einzureden versuchte, dieses Lächeln sei typisch irr und hätte nicht den Charakter eines weisen, wissenden, sehenden und vor allem so sinnlichen Lächelns mit einer Spur des Spottes auf den Lippen.

»Ich geh dann ma lieba.«

Daisy nicht in die Augen zu schauen wagend, nickte Majo ungefähr in deren Richtung und entließ sich selbst aus dem Bann von Desideria Alphonsina Celeste Kniepkötters kobaltblauem Silberblick.

»Am besten is, Sie bring‘ die Dame nach Hause.«, beorderte Majo kurz dem Feldwebel im Vorbeigehen.

Riefenstief blickte kurz auf Robert, sich vergewissern wollend, ob dies auch dessen Wunsch entsprach. Doch Robert hatte sich bereits in Gedankengängen neuer Überraschungen verloren. Hatte Majo tatsächlich die Vokabel ‚Dame‘ benutzt?

Sonjas unmittelbares Auftreten, vielmehr die Sonja derart intensiv umhüllende Aura des Kümmerns, die ihr stets um mehrere gestöckelte Messerstichschritte körperlich spürbar voraus eilte, ließ keine weitere Überlegungen zu. Bevor Sonjas Kümmern selbst einsetzte, kümmerten sich die Polen freiwillig um das Beheben der an den Kabeln entstandenen Schäden, sprangen Riefenstief und dessen Rekrut fast gleichzeitig in ihr Fahrzeug, um Daisy egal wohin zu fahren, Hauptsache aus diesem dräuenden Lokalgewitter heraus, das in Sonjas blitzenden, auf Robert gerichteten Augen jeden Moment unheilvoll auszubrechen und jeden in dessen Wirkungskreis Anwesenden in Mitleidenschaft zu ziehen drohte.

»IchwilljanichtssagenaberwennichesnichtmiteigenenAugengesehenhättesagmalschämstdudicheigentlichgarnichthiermitteninallerÖffentlichkeitdiristwohlgarnichtsmehrheiligalsoichkannesgarnichtfassenweristüberhauptdieseSchlampeundwaswardasvorhinimPressebunker?«

Robert, von diesem Wortschwall überschüttet, sortierte eiligst mögliche Antworten, die vor allem auch ihm selbst das soeben Geschehene begreiflich machen sollten.

»Getz halt ma die Luft an. Wir ham ganz andere Sorgen innen Griff zu kriegen.« eilte Majo seinem Freund zur Seite, sich selbst als Blitzableiter anbietend.

»MitdirredeichsowiesokeinWortmehrsowieduRobertbloßgestellthastneinwiepeinlichundjetztauchnochRobertmitdiesemFlittchendawassollichbloßdavonhaltenEuchkannmanwirklichkeineSekundeausdenAugen-lassenvanStrahlentobtgeradezu!«

»Kannze ma Deinen Atem darauf vawenden uns zu erklären, bis in welche Tiefe Deine Sondierungsbohrungen für Dein geologisches Gutachten gegangen sind?«

»IchredemitRobertversuchbloßnichtabzulenkenmitdirhabeichehnocheinHühnchenzurupfenalsoichwilljetztwissenwerdieseFrauistwaswillstdueigentlichmitdemGutachten.«

Robert hatte alle ihm eingefallenen Antworten mittlerweile als unbefriedigend verworfen und war dankbar für Majos Ablenkung auf ein zwar nicht minder heikles, aber Eifersuchtsdramen ausschließendes Thema.

»Sonja, was, nach Deinem Kenntnisstand, könnte geschehen, wenn die Sprengwirkung, sagen wir mal, ein wenig höher ist als ursprünglich vorgesehen?«

Sonja, nunmehr als Geologin gefragt, besaß neben dem Kümmern jenen emanzipierten Ehrgeiz selbstbewußter Wissenschaftlerinnen, der es zuließ, alle privaten Gefühlsladungen wie einen tonnenschweren Sattellastzug mit ausgeglühten Bremsbelegen aus rasanter Hangfahrt in eine Notbremsspur (außer in jene Niederpupswangens) zu steuern, um sofort das berufsspezifische Themenlenkrad zu ergreifen, nicht zuletzt, um auch hierin tonangebend zu bleiben.

»WasheißteinwenighöherIhrhabtdochallemeineUnterlagensagtbloßesstimmtwasnichtalsoichhabkeineAhnungIhrseiddochdieSprengstoffexperten.«

»Am besten iss wohl, wir besprechen datt ma im Büro.«

Majos sachlicher Vorschlag wie auch Roberts nicht minder dienstlich wirkender Gesichtsausdruck ließen Sonja ahnen, daß in diesem Moment ihr Kümmern allein nicht ausreichen würde, sondern tatsächlich dringender Handlungsbedarf bestand, eine heikle Situation zu bereinigen. Ihrer eigenen Natur widersprechend, zog es Sonja vor, schweigend abzuwarten, was die beiden Männer ihr in dem Bürocontainer offenbaren würden. Als sie den Container betraten, spuckte der Laserdrucker die letzten Seiten des getürkten Protokolls aus, das Riefenstief dank Desiderias Auftreten mitzunehmen und zu prüfen völlig vergessen hatte.

Nur der Ordnung halber wollen wir dieses Versäumnis als das siebte menschliche Versagen in einer Kette von Einzelfehlleistungen kennzeichnen und festhalten, die unmittelbar mit der Sprengung des Lochs in Zusammenhang stehen. Zwar hat dieses Protokoll auf die Auswirkungen des noch folgenden Geschehens keinen Einfluß, es wäre jedoch das einzig existierende schriftliche Beweisstück für die fatalen Betrügereien und Schönredereien des gesamten Schwarzweiler-Projektes gewesen. So aber wanderte es, noch warm von der eingebrannten Schrift, zur Weiterverarbeitung zu Zellulose-Spaghetti in den Reißwolf. Dies ist auch mit ein Grund dafür, daß die später eingeschalteten Staatsanwälte, so gern sie sich in einem der größten Strafprozesse des neuen Jahrtausends einen Namen gemacht hätten, keinerlei Chancen sahen, das Verfahren je durchziehen zu können. Über die komplette Schwarzweiler-Affäre gibt es nichts schriftlich Festgehaltenes – außer diesem Roman natürlich, aber wer baut schon auf die Aussagen eines bis dato völlig unbekannten Autors?

Doch damit zumindest der Leser den Überblick des gesamten Ausmaßes be- und Einsicht in die Fakten erhält, halten wir folgende Kettenglieder dieser fesselnden Geschichte fest.

1. Die aufgrund des Vertrages zwischen (alter) Bundesregierung und RRAG gelieferten Sprengmittel sind veraltet und unzuverlässig – darüber wird niemand in Kenntnis gesetzt

2. Durch Testen der gelieferten Sprengmittel ermittelt Sprengmeister Majewske, Thomas, deren relative Unbrauchbarkeit und beschließt, die doppelte Menge einzusetzen, in der Hoffnung, damit die gewünschte Sprengwirkung zu erzielen – darüber wird niemand in Kenntnis gesetzt

3. Dipl.-Ing. Raasch, Robert, ebenfalls um die fragliche Zuverlässigkeit des Sprengstoffes wissend, bestellt die dreifache Menge des von seinem Kompagnon angegebenen Bedarfes, aus den selben Erwägungen wie sein Geschäftspartner – darüber wird niemand in Kenntnis gesetzt

4. Dipl.-Ing. Wolff, Sonja, stellt bei der Analyse der Kernbohrproben eklatant ungewöhnliche, nicht erklärbare Phänomene fest, die sie allerdings auf vermeintliche Fehlerquellen in ihren Laborgeräten zurückführt – darüber werden wir gemeinsam mit Robert und Majo gleich im Anschluß an diese Auflistung in Kenntnis gesetzt

5. Wird wegen der besseren Statik des Spannungsbogens erst später aufgezeichnet

6. Wurde in Unkenntnis der Punkte 1-5 ebenfalls als Spannungselement von einem weiteren Protagonisten eingebracht

7. Feldwebel Riefenstief versäumt es, ein Dokument entgegen zu nehmen, das hätte eindeutig belegen können, daß die vom Ingenieurbüro Raasch berechnete Sprengwirkung keinesfalls mit der am folgenden Tag erzielten übereinstimmen konnte.

8. Bleibt für weitere, ergänzende Überlegungen des Lesers offen

9. Bleibt uns also nichts anderes übrig, als dem eingeschlagenen, verschlungenen Kurs des Autors zu folgen und abzuwarten, wie sich diese verschachtelte Geschichte weiterhin entwickeln wird.

Sonja blickte fassungslos abwechselnd in die Gesichter Roberts und Majos. Robert hatte in kurzen Worten geschildert, wie es dazu kam, daß im ungünstigsten Falle die sechsfache Sprengwirkung der ursprünglich vorgesehenen zur Zündung kommen würde. Die Betretenheit in ihren Gesichtszügen hätte auch weniger in der Kenntnis des Kümmerns bewanderte Frauen zu mütterlichen Gefühlen gerührt.

»IhrmüßtdieSprengungabblasengarkeineFrage.«

»Und mit welcher Begründung?«

»TechnischeSchwierigkeitenFehlerinderSoftwarewasweißich.«

»Dann könnwa gleich einpacken, watt meinze, watt für die Firma aufm Spiel steht?«

Sonja nickte, sie verstand, daß von dieser Sprengung der Erfolg von der noch jungen Firma der beiden abhing. Eine Terminverschiebung wäre dem Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit gleich gekommen. Zu publik, zu groß, zu viel Aufsehen erregend war der kommende Tag. Die ganze Welt richtete ihre TV-Kameras auf dieses Ereignis. Nun ja, zwei, dreißigtausend Objektive blieben für die obligaten Schmuddel-Talk-Show-Aufzeichnungen schon noch reserviert.

»Was wir benötigen, sind nunmehr alle geologischen Daten, die über eine Tiefe von schätzungsweise achtzig Metern hinausgehen, insbesondere im Bereich des Sprengfeldes. Wir können diese Daten, zusammen mit der erhöhten Sprengwirkung, dann im Computerprogramm simulieren. Vielleicht haben wir Glück, und das Loch wird nur unwesentlich größer.«

Robert glaubte selbst nicht an seine Worte, ein Wunder rückte bereits in wahrscheinlichere Nähe als seine Spekulation auf Schadensbegrenzung. Doch untätig der anstehenden Katastrophe entgegensehen wollte er ebensowenig wie wirklich das Resultat der Simulation erfahren. Er flüchtete in reinen Denkaktionismus, sich einredend, zumindest der Fakt, etwas zu unternehmen zu wollen, egal auch was, könne sein schlechtes Gewissen beruhigen.

Ach ja, die menschliche Psyche war schon stets feiger Natur. Anstatt den Fakten ins Gesicht zu sehen, versucht sie es zunächst stets mit Ausweichmanövern, das eigene Scheitern nie zugeben zu müssen. Eigenartigerweise reagiert die Psyche, allen Behauptungen von Emma-LeserInnen zum Trotz, keinesfalls geschlechtsspezifisch. Im Vertuschen-Wollen sind weibliche und männliche Seelchen völlig neutrale und gleichberechtigte Meister. Gerade deshalb tat sich Sonja schwer darin, Robert und Majo darüber aufzuklären, was sie sich selbst zu erklären eben nur per Umschiffung ihrer eigenen Psyche vermochte.

»IchweißnichtobdaswasbringtbesserwärewohleinenTeilderZünderzudeaktivierenoder?«

Robert und Majo schüttelten derart simultan ihre Köpfe, daß dies bei optimaler Kameraeinstellung ein oscarrreifes Bild abgegeben hätte.

»Gerade das exakte Zusammenspiel der einzelnen Zündungen ermöglicht doch erst die Sprengung. Wir müßten ein völlig neues Programm schreiben, ließen wir nur eine Zündung aus. Ich will nur sicher gehen, daß wir in den Bereichen unterhalb der geplanten Sprengsohle von fünfzig Metern nicht auf irgendwelche Verwerfungen stoßen und somit unkontrollierbare Abrutsche oder Einbrüche des Kraterrandes hervorrufen. Nicht, das die V.I.P.-Tribüne uns einsackt.«

»Damit könnten wir uns unta Umständen aba datt Bundesverdienstkreuz einhandeln, wenn wir so einige vonne Prominenz vaschwinden ließen.«

Sonjas und Roberts synchron eindringliche Blicke verrieten Majo, daß es weit unter der Würde beider lag, die höchste Anerkennung des deutschen Staates in Aussicht gestellt zu bekommen.

»Also, wie sieht es zwischen fünfzig und achtzig Metern unter uns aus?«

»IchgehedavonausdaßwiraufidentischeStrukturenwierundumdasSprengfeldstoßen.«

»Mich interessiert der Sprengbereich.«

»AlsooptischsinddieBohrkernebishundertMeteridentischmitdenenrundumsFelddieselbenSedimentschicht-ungendiegleichefühlbareDichte.«

»Also keine Verwerfungen, Brüche oder gar Kavernen? Keine Wasserblasen?«

Sonja spürte, daß sie ihren auf freie Fahrt drängenden Gesichtszügen kaum länger das Haltesignal entgegen setzen konnte.

»NichtswasnachmeinemErmessemnachdaraufhinweist.«

Majo stutzte.

»Moment ma, datt is mir zu schwammich: optisch, fühlbar, dein Ermessen. Kannze nich einfach sagen, welche mittlere Sedimentdichte wir als Berechnungsgrundlage eingeben müssen? Sach uns ne Zahl und dann sehn wir weita.«

»GehtmaldavonausdaßIhraufeinBraunkohlesandsteingemischtrefftwiedarüberauchallerdingsmitderfürdieseTiefendruckentsprechendenDichte.«

»Ich will getz keine Formeln ausrechnen. Gib uns einfach die Laborwerte der Bohrkerne.«

Sonja spürte förmlich die geöffneten Schleusen der Gesichtsblutbahnen, den heißen Strom des Lebenssaftes, der die Kapillaren der subcutanen Schichten kräftig durchzuspülen sich vorgenommen hatte, wenig darauf achtend, daß er durch seine Farbe dieses Vorhaben verriet und Sonjas Gesicht einen übergesunden Teint verlieh.

»Es gibt keine Laborwerte aus dem Bereich des Sprenggebietes.«

Robert und Majo horchten simultan auf, weniger daran denkend, daß sich dieses synchrone Verhalten in einem Film sehr bald als running gag totlaufen würde, doch um so mehr derart darauf gespannt, was diese ungewohnten Pausen zwischen Sonjas einzelnen Worten wohl aussagen mochten, daß sie den Inhalt der Summe gerade jener Worte völlig außer Acht ließen. Sonja mißdeutete das Schweigen der beiden als stummes Entsetzen, was in ihr wiederum einen Schwall der entschuldigenden Erklärungen auslöste, ein psychologisch sehr interessanter Fall, der beweist, daß auch gegenseitige Mißverständnisse durchaus alle Parteien zufriedenstellende Resultate hervorbringen können.

»WiesollicheserklärenalsichdieBohrkerneanalysierenwolltehabendieGeräteverrücktgespieltichhabeüberhauptkeinebrauchbarenWertebekommenwedervon-derSpektralanalysenochvonderDichtemessungvonderchemischenZusammensetzungganzzuschweigen.«

Die wieder erlangte gewohnt rasante Sprechgeschwindigkeit verstanden die beiden Männer schon weitaus besser.

»Watt heißt datt? Du kannz nich sagen, watte als Bohrkerne hass?«

»IchkannnursagendaßdieBohrkerneausdemSprengfeldgenausoaussehenundsichsoanfühlenwiedieausdemunmittelbarangrenzendemBereichalsohabeichdieWertederanderenKerneaufdieausdemSprengbereichübertragen.«

»Datt heiss also unse ganzen Berechnungen sinn nur hypothetische Werte?«

»StrenggenommenjaaberwarumsolltenausgerechnetimSprengfeldanderegeologischeFormationenbestehenalsringsumzumalausdenWertenderanderenKerneabzuleitenistdaßwirvongleichförmigenSchichtungenausgehenkönnen?«

Nun, beispielsweise fänden in diesem geologisch nicht definiertem Bereich des ursprünglich geplanten Sprengloches rund 1500 Einfamilienhäuser oder 10,79856 Billiarden[11] Mensch-ärge-Dich-nicht-Figuren oder 250 Milliarden Doppel-Cheese-Chili-Chicken-Chippendale-Whopper[12][13] oder, um einen alltäglich gebräuchlicheren Vergleich heranzuziehen, dieses Terrain böte einen praktischen Euro-Rettungs-schirmständer in der Summe von 1 Bio. Euro (natürlich nur in 100-Euro-Scheinen nach fortlaufenden Nummern gebündelt. Bis diese Scheine aber prüfend gezählt sein würden, wäre das Geld bereits verrottet und reif für die Biotonne, siehe Fußnote – oder aber es merkte mal wieder kein Schwein, wenn sich der eine oder andere ein paar Scheinchen davon abgreift). Es fänden noch ganz andere Dinge darin Platz. Bei ausführlichem Abwägen all der Möglichkeiten, was in einem dreihundert Meter Durchmesser und fünfzig Meter Tiefe messendem Zylinder alles untergebracht werden könnte, ist die Wahrscheinlichkeit, es handele sich um die selben Substanzen wie im angrenzenden Bereich, eine auch theoretisch nur äußerst geringfügige Größe. In einem Gewürzregal zum Beispiel befinden sich ja auch sogar in äußerlich identischen Behältnissen dicht an dicht höchst unterschiedliche Substanzen. Sonjas Annahme, die Geologie des Sprengbereiches entspräche in allen Punkten jener der umliegenden Erdkruste, fußt allein auf dem äußerst wackeligen Podest des menschlichen Ermessens, bzw. des blinden Vertrauens auf menschliche Erfahrungswerte. Daß beides in der Praxis oft nicht mehr als eingebildeter Tinnef ist, veranschaulicht bestens die leider zu Unrecht in Verruf geratene Milchmädchenrechnung.

Diese Rechnung verdankt ihren Namen einer äußerst gewitzten Sennerin aus den Schweizer Alpen, die dereinst einen Bauern aus der Patsche ins Jenseits befördert hatte. Jener Bauer hatte eines schönen alpinen Postkartentages beschlossen, das Zeitliche zu segnen. Warum genau, weiß zwar kein Mensch mehr nachzuvollziehen, aber man kennt ja das recht eigenbrötlerische Verhalten von Gebirgsnebentalbewohnern, die vor lauter Ein- und Anöde uri-plötzlich beginnen, Äpfel von den Birnen ihrer Nachkommen zu schießen oder gar Einwegarmbanduhren mit angeschraubten Rädern als Geschmacksbehindertenfahrstühle[14] zu verkaufen. Außer seinem festen Willen, am morgigen Tage tot aufzuwachen, besaß jener Bauer drei Söhne und siebzehn Kühe. Letztere wollte er gerecht auf Erstere aufteilen. Nach einem nur ihm bekannten Verteilerschlüssel, der Lebensalter, Trinkfestigkeit wie auch gekostete Nerven bei der Erziehung seiner Söhne einschloß, sollte Sohn A die Hälfte, Sohn B ein Drittel und Sohn C ein Neuntel der Kühe erben. Kühe, wie aber auch die Söhne, waren sich jedoch einig darin, keine Schlachtung zu vollziehen, um die vom Vater gewünschte exakte Aufteilung des Viehs herbeizuführen. Entweder Testamentsänderung oder es wird nicht gestorben hieß die einmündige Forderung der Erben wie auch der Erbmuhsse. Jene typische Ignoranz habsüchtiger Erben gegenüber dem letzten Willen des Vaters machte diesem das Sterben schwer. Tage und Nächte, Wochen und Monate, Lawinen und Volksabstimmungen kamen und gingen, es fand sich einfach keine Lösung des Problems, solange der Bauer auf dieser Verteilung beharrte. Dabei wäre der alte Herr doch so gern glücklich gestorben. Eines nachts aber, während es draußen stürmte, goß, hagelte, wetter- und alpenleuchtete und in der guten Stube gar munter ein gemütliches Kaminfeuer glomm, knisterte, knackend Funken stieben ließ und diese den würzigen Duft angesengten Teppichs im Haus verbreiteten, klopfte es an der Türe des Chalets. Der sterbensgesunde Bauer öffnete selbst und blickte in das strahlendnasse Gesicht einer jungen Frau.

»Gchrrrüezi. Ichch bin die Sennerrrin Cheidicheida und wollte chinab ins Dörrrfli steigchen als michch das Unwetterrr überrrrrraschte. Kchan ichch überrr die Nachcht meine Kchuh bei Euchch einstellen?«

Der Alte wies ihr in der Dunkelheit den Weg zum Stall und lud sie ein, ihm anschließend am Kamin Gesellschaft zu leisten. Dankbar nahm Heidiheida das Angebot an, verzehrte hungrig das vom Bauern zubereitete Bircher Müesli, trank brav ihre Ovo und erwärmte sich am Feuer des Kamins. Irgendwann kam der Bauer auf sein Problem zu sprechen, daß er doch ach so gern sterben wolle aber weder seine Söhne noch die Kühe ihn ließen. Heidiheida lauschte aufmerksam den Worten des alten Mannes.

»Wennscht mirrr ein Rrrachchengcholdstückch[15] gchegchen mein fürrrchchterrrlichches Kchrrratzen im Chals gchibst, kchann ichch Dirrr chelfen.«

Dem ehrlichen Blick und der Offenheit des Dirndl-Oberteiles der jungen Sennerin vertrauend, spendierte der Sterbenswillige Heidiheida ein Hustenbonbon und lauschte ihrer lutschenden Zunge.

»Bauer, wieviel Kühe hascht Du jetscht im Schtall schtehen, isch meine schuschammen mit meiner Kuh?«

Der Mann rechnete scharf nach und teilte der Sennerin das Ergebnis seiner intensiven Kalkulation mit.

»Rischtisch, achschehn. Schetsch teile dasch mal dursch Schwei.«

forderte Heidiheida ihn kräftig lutschend und nicht minder heftig nickend auf.

»Und dann dursch Drei und dursch Neun.«

Der Bauer bemühte Bleistift und Papier, um genau Buch über seine Rechenschritte zu führen. Endlich standen in sauber hingekritzelter Schrift die Ziffern 9, 6 und 2 auf dem Papier. Die junge Frau nickte zufrieden.

»Und schetscht schäl dasch schuschammen.«

Der Mann rechnete und rechnete. Als er endlich das Ergebnis bleischwarz auf fettfleckig weiß sah, war kaum zu unterscheiden, inwieweit die Schweißperlen auf seiner Stirn körperliches Nebenprodukt seiner Hirntätigkeit oder eher Resultat freudiger Erregung waren.

»Aberrr wieso stechchen dorrrt siebzehn Kchühe statt achchtzehn?«

»Weil die achschente meine Kuh ischt (Du hirnloscher Ochsche).«

Den in Klammern stehenden Teil schluckte Heidiheida allerdings still mit dem Rest ihres Hustenbonbons hinunter.

Zwar verstand der Bauer nicht, wieso mit einem Mal sein Problem gelöst war, weniger noch, wieso es dazu einer Kuh mehr bedurfte, die aber dann letztendlich doch wieder überflüssig wurde, doch Hauptsache, er konnte nun ruhigen Gewissens sterben und versprach vor lauter Dankbarkeit der jungen Sennerin, damit zu warten, bis er sie am folgenden Morgen verabschiedet habe. Statt dessen weckte er seine Söhne und teilte ihnen nunmehr die exakten Zahlen des zu erwartenden Erbes mit.

Pünktlich mit dem ersten »Kchikcherrrikchi« des hofeigenen eidgenössischen Hahnes eilte Heidiheida in den Stall, während der Bauer am Fenster seines Schlafzimmers stehend seinen letzten Lebensmorgen begrüßte. Er wollte zum Abschied der jungen Frau zuwinken, die seine Sterbensfreude derart geschürt hatte. Als er jedoch Heidiheida aus dem Stall treten sah, gefolgt von ihrer an einem Hanfseil geführten Kuh, traten dessen Augen voll Kümmernis über (wie auch immer dieser poetische Schwachsinn optisch umgesetzt aussehen mag, vermutlich steht Basedow dafür Pate). Heidiheidas Kuh trug seltsamerweise statt zwei Kopfhörnern zwei Höcker auf dem Rücken, ein fahlbraunes Fell sowie beidflankig die darauf lila prangenden Lettern ‚KAMIL‘.[16] Heidiheida winkte fröhlich dem Bauern mit erhobenen Mittelfinger der rechten Hand zu

»It’s a Kuh[17], man!«, grinste breit und verließ den Hof.

Bei diesem Anblick erblaßte der Erblasser final.

»Ichch bin einerrr Schwindlerrrin aufgchesessen, michch trrrifft der Schlagch!«, sprachs und folgte seinen letzten Worten.

Kaum war Heidiheida hinter dem eng begrenzten Horizont des Alpennebentales verschwunden, zerstritten sich die Brüder über das nach ihrer Auffassung ungerecht verteilte Erbe und schoben allein der Sennerin die Schuld in die Schuhe. So entstand das Gerücht über unstimmige Milchchmädchchenrrrechchnungchen.[18]

Tatsächlich aber ließen sich alle bisher unerklärlichen Phänomene nach dem Prinzip der Milchmädchenrechnung schlagartig erklären. Statt Sonja allein auf ihr menschliches Ermessen femininer Ausprägung vertraut hätte, hätte sie besser den Meßdaten ihrer Laborgeräte glauben sollen. Auch wenn diese festgestellt hatten, daß die Bohrkerne aus dem Bereich des Sprenggebietes aus einem qualitativ hochwertigem Nichts bestanden. Aber so wie der Verstand Dinge und Begebenheiten, die er zu begreifen entweder zu faul, zu unwissend oder von sich selbst zu voreingenommen ist, einfach als nicht existent erklärt, so bildet er sich bisweilen Existenzen ein, die real gar nicht vorhanden sind. Und manchmal sagen sogar Laborgeräte die Wahrheit. Jetzt aber davon ausgehend zu behaupten, es sei eh alles nicht so, wie es scheint, wäre ein fataler Schluß. ‚Nichts ist, wie es scheint‘ trifft bei genauerer Betrachtung nicht einmal auf diese Aussage selbst zu. Nichts ist hingegen alles Mögliche, nie aber das vermeintliche Garnichts. Selbst überzeugte Nihilisten putzen sich ja gelegentlich die Zähne, auch wenn sie gemäß ihrer Überzeugung nie zu erklären imstande wären, wessen was wann wer womit zu welchem Zweck wast.

Da weder Sonja noch Robert, geschweige denn Majo bereit waren, sich auf eine Milchmädchenrechnung einzulassen, ließen sie statt dessen den PC mit den hypothetischen Werten der sechsfachen Sprengkraft und der angenommenen Bodenstruktur bis in eine Tiefe von hundert Metern die Auswirkung der Sprengung simulieren. Nach relativ rascher Berechnung zeigte das Programm, ohne sich je mit der Software von Sonjas Geräten in Verbindung gesetzt oder gar abgesprochen zu haben ... nichts. Das heißt, es zeigte schon etwas, wenn auch nur ganz kurz, bevor das System zusammenbrach: ein kleines graues, allen PC-Nutzern wohl vertrautes Rechteck mit gelbem Warnschild ‚fatal error!‘ Das war so gut wie Nichts. Selbst mehrmaliges Hochfahren des Rechners und erneute Programmstarts ließen den PC hartnäckig auf dessen einmal eingenommener Meinung beharren.

Die Drei starrten den sich abermals knisternd verdunkelnden Monitor an. Screen-Untergänge haben ihren ganz besonderen Reiz, sie können bis zur Weißglut reizen. Besonders dann, wenn deren Betrachter weniger Sinn für die wehmütige Romantik von Programm-Verabschiedungen aufbringen. Noch weniger Sinn beinhaltete Roberts Fluchen ob der Dienstverweigerung seines elektronischen Mitarbeiters.

Computer sind keinesfalls bösartige, ihre Herrchen ärgern wollende Hausgenossen, wie oft behauptet wird. Im Gegenteil: trotz meist mieser Nahrung durch in kalifornischen Garagen sinnlos und eiligst zusammengeschusteter Betriebsprogramme sind sie durchaus gewillt, jedwede Stöckchen zu apportieren, die ihre Herrchen wahllos ins Datengestrüpp werfen. Nur irgendwann reißt auch dem genügsamsten Programm der Logikfaden, es vergeht ihm die Lust am Spielen und teilt seinem denkfaulen Spielkameraden unmißverständlich mit: »Hol Dein blödes Stöckchen doch selbst. Jetzt schmeiß ich mal, und zwar die Arbeit.« Und in genau jener alles bestreikenden Trotzphase befand sich Roberts PC. Er wollte einfach nicht mehr theoretische Gesteinsformationen mit theoretischen Sprengkörpern in eine theoretische Luft jagen, zumal er letztere vielleicht zur Kühlung seines heiß laufenden Gehirns, aber bestimmt nicht zum Atmen brauchte. Ihm stand eher im Sinn, einmal wieder mit der netten Rechenzentrale des Landesbergbauamtes zu flirten und Datentransferromone auszutauschen, zumal diese ihm während des letzten Plauderstündchens unmißverständlich mitgeteilt hatte, sie wäre durchaus nicht abgeneigt, mit ihm gemeinsame Bits in die Datenwelt zu setzen. Was hätte er auch den Dreien schon mitteilen sollen, außer, daß eine Berechnung der eingegebenen Daten angenommener Werte nichts weiter als ein eventuell wahrscheinlich eintretendes Resultat erbracht hätte? Das war dem PC dann doch zu blöde.[19]

Sonja beobachtete Roberts stummes, konzentriertes Mahlen des Unterkiefers, als wolle er den harten Brocken einer anstehenden Katastrophe mit eigenen Zähnen zerkauen.

»IchweißzwarnichtwasdudenkstaberichmeinebesserwäreesnichtalleLadungenzuzündenliebereinezukleinealseinezugroßeSprengungdukannstjadann-immernochbehauptendasveralteteMaterialseidaranSchuldgewesen.«

»Getz hamwa uns datt Loch eingebrockt, getz wirdett auch ausgelöffelt. Entweda, der Sprengdruck is so groß, datt wa allet zu nem granitfesten Riesenbrickett verdichten oda sogar noch größa, und allet zerfällt so klein, datte datt Loch mit nem Strohhalm leersaugen kannz. Datt Schlimmste watt passieren kann iss, datt morgen der Molly ne kräftige Sandladung zwischen die Möpse gerät unn se dann beim Auf- und Abwackeln zu Knirschen anfangen.«

Majo fing Sonjas ihm stilettartig zugeschleuderten Blick gelassen achselzuckend auf.

»Wenn se schon Molly Dusty heißt, wird se datt abkönn. Aussadem: Silikat zwischen Silikon, datt merkt höchstens ein Chemika«

Robert nickte.

»Majo hat Recht, wir ziehen das Ding durch, komme, was da wolle.«

»Ich geh ma nache Kabeln kucken.«

Majo verließ den Container.

Hätte Robert um jene Dinge gewußt, die wir nun gemeinsam, der Autor aufgrund einer akuten Spinnspirationsphase und der Leser als unfreiwilliger Augenzeuge dieses Anfalls, erfahren werden, wer weiß, ob er diese in seinen Mund gelegten Worte wirklich je gesagt hätte?

Diese für Robert völlig unbekannten Größen begannen wie alles einmal sehr klein. Derart klein, daß deren Existenz von niemandem wahr, zumindest nicht ernst genommen wurde. Auch als sie heranwuchsen, wurden sie noch als schrullig, aber irgendwie niedlich belächelt. Als sie dann aber, herangewachsen, und in der Gesellschaft einen wichtigen Platz eingenommen hatten, wurden sie, von der neuen Kanzlerin Eva Meyer-Schludnigg zufälligerweise unter dem Teppichboden des Kanzleramtes entdeckt, schreckensbleich mit »Au weia!« kommentiert. Wobei Frau Bundeskanzlerin keinesfalls das Au weia! ihres Wahlkampfes wiederholen sondern eher ein Au weia!! ehrlicher, aufrichtiger Fassungslosigkeit zum Ausdruck bringen wollte.

Um uns ein besseres Bild der ersten Kanzlerin deutscher Geschichten-Schreibung machen zu können, haben wir zunächst mit dem zweitgrößten Irrtum des Universums aufzuräumen.[20] Allen anders lautenden Behauptungen zum Trotz sind nicht alle Friseurinnen blond. Es gibt sogar welche, deren Lebenspartner sich weitaus bessere Fahrzeuge leisten können als über ein Vierteljahrundert Jahre alte Sportcoupés. Insbesondere die Erhaltung dieses Klischees hat eine komplizierte Schleife im Raum-Zeit-Kontinuum herbeigeführt, so daß mittlerweile weitaus mehr PKW dieses Types existieren als je produziert worden sind.

[1] Prinzipiell sind sich militärische und industrielle Sprengstoffe in ihren Bestandteilen ähnlich. Allein der Industrie-Sprengstoff wird in Wirkungsgrad- und Radius exakter dosiert und plaziert. Das Militär setzt eher auf das große „Kawumm“, während die zivilen Sprengmeister lieber mit wohlkalkulierten Wümmchen operieren. Das klassische Dynamit wird längst nicht mehr benutzt, da zu häufig bei falscher Lagerung Nitroglyzerin ausschwitzte und für vorzeitige Knalleffekte sorgte – auch wenn der Begriff selbst bisher umgangssprachlich alle Opfer überlebte.

[2] wobei der Export besagter Reisschüsseln just mit jenem Axiom enorm beschleunigt wurde und mittlerweile auch das Qualitätssiegel volksrepublikanischer Herstellung trägt.

[3] Dies führte so weit, daß selbst das befehligte Morden von Tibetern seitens der chinesischen Regierung vom Rest der Welt als durchaus sportives Element des olympischen Gedankens gewertet wurde.

[4] Dies erklärt die akademische Titelschwemme insbesondere bei der jüngeren Politikerkaste

[5] ‚irgendwie‘ als Begriff hat es irgendwie leider nie geschafft als Leitwort dieser Kulturepoche der Sinnchaosverknüpfungen seinen angestammten Platz in sprach- oder kommuni-kationswissenschatlichen Werken zu finden. Dabei läßt sich kaum eine andere Präposition (außer: ‚eigentlich’) finden, die so prägnant nebulös die allgemeine Geisteshaltung des Sichnichtfestlegenwollens um die Jahrtausendwende beschreibt.- Eigentlich irgendwie schade!

[6] Man bemerke: Vor Inkrafttreten der Chaostheorie hatte eine Angelegenheit einen Sinn oder war sinnlos. Das Sinn-Machen kam derart stark in Mode, daß es mittlerweile zu einem einzigen Wort verschmolz: Das Machen an sich. Insbesondere Politiker, die ihrer Inkompetenz Ausdruck verleihen wollen, betonen seitdem das Machen von Neuwahlen, Koalitionen, Parteitagen, Ausschüssen, bzw. das Politik-Machen im allgemeinen. Sprachsoziologisch war dieses Phänomen zunächst als „müntefehren“ bekannt, wurde jedoch auch von anderen Volksvertretern bemerkelt und sprachhohlheitlich ins Parlament übernommen. Seither fließt das Machen in jedes politische Statement egal welcher Couleur mit ein, allein um den Schein zu wahren, etwas Sinnvolles zu tun zu beabsichtigen vorzuhaben. Fazit: Die Einen handeln spontan, die Anderen machen uns was ... vor – meist die, die an der Macht sind.

[7] Fairerweise muß darauf hingewiesen werden, daß der Große Zauderer Ggaim Rronk von der Nebulösen Universität Andromeda die These vertritt, das Universum sei erst sechs Wochen später entstanden, nämlich nachdem die Suppe zwar mit heißem (nicht kochendem!) Wasser angesetzt, aber nie verzehrt worden sei. Ein wichtiges Telefax sei dazwischen gekommen und die die Suppe ansetzende Sekretärin habe diese daraufhin schlicht vergessen. Der große Zauderer verweist zur Stütze seiner Lehre auf die andromedaische Tradition, vor den Mahlzeiten das Eßbesteck zu verknoten, um daran erinnert zu werden, daß ein derartiger Lapsus wie das Entstehen eines Universums nicht wieder vorkomme und rechtzeitig vernichtet wird, was auf den (Schreib)Tisch kommt.- Fünf vor 12 wurde jedoch von zahlreichen Ohrenzeugen glaubhaft bestätigt, die glaubten den Satz „Hei nun, es werde Licht!“ des Werkselektrikers vernommen zu haben, bevor der intergalaktische Sicherungskasten mit einem Urknall auseinanderflog, etliche Splitter dabei die Getränkedosen der Werkskantine durchschossen und daher an jenem Tag der Apfelsaft von der Speisekarte gestrichen wurde, so daß jener Barthel, mit Vornamen Moses, der den Most holen sollte, diesen Vorfall auch in seinen späteren Memoiren als amüsante Randnotiz festgehalten wissen wollte.

[8] Auch als „Dünnbrett-Bohlen“ bekannte Müll-Anthologien in Millionen-Auflage.

[9] Falls es jemanden interessieren sollte, der Asz. des Autors bildet in Konjunktion zu seinem Sonnenzeichen ein quadrantisches Doppelreihenhaus unter Asylgewährung von Mars und Saturn im Septil zur Großen Bärenmarke ... oder so.

[10] Inwieweit die Kiesbett-Notfall-Slalomspur Niederpupswangens (auch Bartenwetzerstadt genannt) selbst einem Esoteriker Sinn gibt, wagt der Autor nicht zu erwägen. Der sich jetzt nach diesem Sinn fragende Leser ist herzlichst nach Niederpupswangen (diese Zeilen sind gesponsort vom Fremdenverkehrsverein der Stadt mit dem einzigartig schönen mittelalterlichen Rathaus) eingeladen, sich in just jene vor Ort (A7, Würzburg-Kassel, Abfahrt Niederpupswangen) zu verfahren, er wird es spätestens dann begreifen.

[11] Nach dreimaligem Gegenzählen und 111 736 Tagen bestätigt.

[12] Bevor der Eindruck der Schleichwerbung entsteht, sei gesagt, daß jeder andere x-beliebige Doppelstock-Burger gleicher Größe das Loch hätte füllen können. Da aber der Autor die Entstehungskosten des Romans so niedrig wie möglich halten wollte, entschloß er sich für das günstigste Burger-Angebot der Woche. Bei dieser Menge spart er somit weitaus mehr Geld ein als er durch den Verkauf dieses Romans je verdienen wird.

[13] Chippendale wegen der eigens hierfür geschwungen doppelgekrümmten Spritzguß-Zwiebelring-Segmente mit Vanille-Knoblauch-Aroma..

[14] Die aller Vermutung zum Trotz nicht von den gesetzlichen Krankenkassen teilfinanziert wurden; gemeint sind die bunten Spielzeuge, die wie Spritzgußautos aus Riesenüberraschungseiern wirken und an jeder Straßenecke aus überdimensionierten Kaugummi-Automaten zu ziehen waren, sich jedoch als Flop erwiesen, da vergessen wurde, den Automaten Schlumpf-Figuren im Verhältnis 1:7 beizumischen.

[15] Hier die Marke eines Schweizer Hustenbonbons zu nennen, wäre lächerlich (frz. = rigolo) einfallslose Wortspielerei, die ichch nit errrfunne chabe mechcht.

[16] Nachdem eine bei arte ausgestrahlte Kindersendung allen Ernstes den Begriff „Schiraffe“ den jungen Zuschauern wiederholend einbläute, halte ich „Kamil“ für durchaus logotim.

[17] Man beachte das feinsinnige Lautspiel: Kuh, wie frz. le coup, just jener jähe Schlag, der den Bauern kurz vor seinem Sterben dahinraffte und er seinem eigenen Tod lebend nicht mehr gegenüberstand.. Derlei Wortspiele sind halt nur in mehrsprachigen Ländern wie in der Schweiz möglich.

[18] Wen dieses Zahlenbeispiel bereits verwirren mag, versuche es doch einmal mit dem Vergleich der Ergebnisse von 1+1-1+1 und (1+1)-(1+1) und dann eine Erklärung hierfür zu finden. Im ersten Beispiel bekommt Fritz von Opa Hans einen Euro, dann noch einen von Tante Erna, kauft sich ein Päckchen Kaugummi und bekommt dann noch von Oma Olga einen Euro. Zuletzt verfügt er über 2 Euro Bargeld, die er zur Hälfte z.B. noch in ein Eis investieren könnte. Im zweiten Beispiel erhält er wiederum von Tante Erna und Opa Hans je einen Euro, kauft sich dann jedoch zu den Kaugummis sofort ein Eis und Oma Olga verpaßt ihm eine Ohrfeige wegen zu vielen Naschens. Fritz hat ist nun pleite und verfügt über eine dicke Backe. Fazit: Mathematik ist auch nur stets in Abhängigkeit der verwandtschaftlichen Verhältnisse und deren erzieherischen Methoden so wie dem Timing des Eisessens zu sehen und führt bei absolut selben Zahlen und Vorzeichen zu den unterschiedlichsten Ergebnissen.

[19] Zumal dieser PC obiges Zahlenbeispiel mit Fritz und dem Eis eingescannt und gelesen hatte und seither Ohrfeigen fürchtet.

[20] Inwieweit der Autor bereit ist, die Leser und insbesondere die Menschheit über den größten Irrtum aufzuklären, überlegt er sich noch während der weiteren der Folge des Buches.