Kapitel Zwei

Sicherheitsvorkehrungen, so weiß die Erfahrung, sind allein in der Theorie tauglich. Entweder es geschieht nichts, dann brauchen die getroffenen Vorkehrungen auch nicht umgesetzt zu werden, oder es geschieht etwas, und das stets unmittelbar darauf agierende und die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich ziehende siamesische Zwillingspärchen Panik und Chaos schert sich einen Dreck um irgend welche tausendundeinmal eingepaukten Regeln. Dann funktioniert allein der genetisch äußerst sensibel reagierende Schutzmechanismus der Spezies homo sapiens sapiens: Rette sich, wer kann! Statt dessen widmen wir uns der Bemerkung Roberts, die Hubert van Strahlen nicht ganz zu Unrecht als witzig bezeichnet hatte.

Rupert Scherfing war damaligen Zeitgenossen noch als Verteidigungsminister kürzester Amtszeit bekannt – was in sich bereits ein Paradoxon ist. Rupert Scherfing war nämlich die Inkarnation der Langeweile gewesen, mit Betonung auf lange und Weile. Ruperts politische Laufbahn sollte bereits zu seiner Jugendzeit ihren Ursprung finden. Als Sproß pfälzischer Bauern, genügsamen Leuten, denen es trotz europäischer Agrarwirtschaftspolitik nie gelungen war, besonders arm zu werden, bedingt durch den Umstand, daß es gewisse Zeit in Anspruch nahm, ehe die Weltneuigkeiten den etwas abgeschieden gelegenen Aussiedlerhof erreichten, fiel er während seiner Schulzeit weder besonders auf noch bei Prüfungen durch. Als stiller, stets in sich gekehrter Junge schrieb er schweigend von seinen Klassenkameraden ab, und jeder Lehrer, der je einmal den Fehler begangen hatte, Rupert zu mündlichen Beiträgen aufzufordern, beließ es fürderhin bei diesem einem Mal. Rupert erhielt bereits damals den Spitznamen ‚der Standhafte‘. Er schien wirklich der einzige Mensch gewesen zu sein, der die gesamte Länge seiner Reden und Ansprachen ohne Schlafpausen überdauern konnte.[1]

Nicht, das Rupert je viel an Inhalt oder gar an Worten von sich gegeben hätte. Er nahm sich lediglich Zeit dazu, viel Zeit, ausführlich viel Zeit, die ganze Zeit der Welt, alle Ewigkeiten der bekannten und noch zu entdeckenden Universen zusammengenommen. Ansonsten war Rupert begeisterter Radfahrer, auch wenn er hierin nie besonders viel Talent entwickelt hätte. Doch seine Beharrlichkeit, trotz größerer Stürze, also ungefähr alle hundertfünfzig Meter, klaglos erneut in den Sattel zu steigen, unterstrich nur die Standhaftigkeit von Klein Rupi. Nun ist Standhaftigkeit allein noch keine Auszeichnung für einen Politiker, wie ja auch die lange Amtszeit von Hermann Schluff, dem ‚Seßhaften‘ als Bundeskanzler jedem Andersdenkenden ein mahnendes Beispiel sein sollte. Nein, Ruperts Entschluß, Politiker, insbesondere Verteidigungsminister, werden zu wollen, lag nicht in seiner Standhaftigkeit begründet, vielmehr im pubertären Leichtsinn, nämlich zu jener Zeit, als Ruperts Klassenkameraden allesamt bereits Führerscheine und die dazu adäquaten Fortbewegungsmittel besaßen, während er noch allmorgendlich zur Schule radelte, respektive stürzte.

Irgend eines schönen Morgens war Rupert dann doch des Gespötts seiner Schulkameraden überdrüssig geworden, stahl sich in die Scheune des väterlichen Hofes, entwendete kurzerhand den Traktor und fuhr, vielmehr schlingerte, schleuderte, holperte und blechschadete er bis zur 25 Kilometer entfernten Schule, empfangen vom freudigen Gejohle der Schülerschar. Von seinem Vater, abends dann, empfing er derart eine Tracht Prügel, daß man eher schon von einer Trachtengruppe berichten könnte. Ruperts Vati nahm ihm nicht einmal die Entwendung des Traktors übel, auch die Beulen und platten Reifen des Gefährtes verzieh Scherfing sen. großzügig. Was Ruperts Vater zu äußerst saftigen Ohrfeigen verleitete, war die nicht minder saftige Rechnung der Gemeinde zur Behebung der Straßenschäden, die durch die Pflugschar, die Rupert in seiner standhaften Dusseligkeit hochzuziehen vergessen hatte, entstanden waren. Damals aber schwor sich der über und über mit blauen Flecken, Striemen und Beulen übersäte Rupert, später einmal Verteidigungsminister zu werden. Sollte je wieder jemand ihn verprügeln wollen, würde er seine Armee zu seinem persönlichen Schutz herbeirufen.

Jedoch die Zeit verging, ohne daß Rupert Gelegenheit fand, seinem inneren Ruf zu folgen, wenn ihm auch sein ureigenes Temperament später als Beamter des mittleren Dienstes und Parteigenosse eine standhaft unbeschwerte Karriere beschied. Einzig und allein erregte er etwas öffentliche Anerkennung durch seine beharrliche Teilnahme an Jedermann-Radrennen, bei denen er stets die Trostpreise und -pflaster, bzw. Tapferkeits(sicherheits)nadeln für die häufigsten Stürze abräumte.

Einige Jahre (etwa fünf Rupertsche Satzlängen) später aber wurde ihm dann doch das Glück hold. Jener oben erwähnte Hermann Schluff der Seßhafte hatte seinen Amtsstuhl als Ministerpräsident derart durchgesessen, daß es ihn nach einem bequemeren Thron gelüstete und es ihn ins Kanzleramt zog. Da Hermann Schluff nicht nur aufgrund seiner enormen Leibesfülle durch seinen Weggang ein plötzlich entstehendes enormes Inkompetenzvakuum hinterließ, in das Rupert unweigerlich hineingesogen wurde, kam er seinem Ziel näher, ehe er selbst begriffen hatte, wie ihm geschehen war.

Wiederum einige Jahre später riefen ihn seine Parteigenossen nach Bonn. Es mußte ein Kanzlerkandidat aufgestellt werden, der auch im entferntesten nicht die geringste Chance gehabt hätte, gegen den ‚Seßhaften‘ zu gewinnen. Niemand außer Rupert schien hierfür geeignet zu sein. Denn mit Oppositionsarbeit und Verhinderungen von Gesetzen hatten Ruperts Parteifreunde völlig vergessen, ein eigenes politisches, geschweige denn ein Regierungsprogramm zu entwickeln. Kaum also, daß Rupert es sich entwöhnen konnte, verwirrt suchend hinter sich zu blicken, wenn er mit »Herr Ministerpräsident« angesprochen wurde, fand er sein Konterfei auf Wahlplakaten zur Bundestagswahl wieder.

Und wie große Aufgaben die wahre Größe Derer zeigen, die mit der Aufgabenbewältigung betreut werden, wuchs auch Rupert deutlich über sich hinaus. Er gilt seitdem als Urvater des ‚programmlosen Wahlkampfes‘. Der programmlose Wahlkampf zeichnet sich durch folgende Kriterien aus:

- Der Wahlslogan muß aus drei Silben bestehen

- in diesen drei Silben darf nichts, aber auch gar nichts enthalten sein, was auch nur eine Spur von politischem Inhalt hinterläßt

- außerdem müssen diese drei Silben auch im betrunkenen Zustand noch formuliert werden können, so daß der mündige Wähler diese auch ohne Schwierigkeiten in Wahlkampf-Bierzelten grölend und sich selbst beklatschend intonieren kann

- und irgendwie müssen diese drei Silben so klingen, als hätten die Wähler es schon immer besser gewußt als die Regierung

Ruperts einzige Idee während seiner gesamten politischen und Lebenslaufbahn, war derart genial und gerissen schlau, daß ein derartig tumber Tölpel wie ihr Schöpfer als erster daran scheitern mußte. Ruperts Slogan hatte damals »Jetzt erst recht![2]« gelautet und somit sämtliche Axiome des programmlosen Wahlkampfs bestens erfüllt. Als Rupert jedoch endlich dazu kam, die letzte Silbe seines Wahlkampfes zu formulieren, waren die Wahllokale bereits geschlossen und die Stimmen ausgezählt. »Jetzt erst« waren die Wähler von Rupert bereits bis zum Abwinken gewohnt. Das zündende »recht!« kam für Rupert von ihm selbst zu spät.

Dennoch: Vier Jahre später versuchte es Ruperts Partei mit dem selben Trick. Diesmal lautete der programmlose Wahlkampf »Schluff, hau ab!« Vorsichtshalber hatte man diesmal den Kanzlerkandidaten im Doppelpack angeboten, wobei der eine äußerst schnell- und der andere zudem extremst doppelzüngig[3] war, um diesen Slogan auch rechtzeitig vor Stimmabgabe auszusprechen. Und tatsächlich: das Wahlvolk grölte und schunkelte äußerst bierselig »Schluff, hau ab!«, der Wahlkampf war derart phantastisch programm- und inhaltslos, daß es tatsächlich Schluff, den Seßhaften, fassungslos vom Regierungshocker haute.

Allerdings wurde wiederum nach fünf Jahren ein noch weitaus genialerer Slogan geboren, der die bis dahin völlig unbekannte Eva Meyer-Schludnigg, 35, Hausfrau mit abgebrochener Friseurinnen-Lehre, 317,01-Euro-Job (damals 620 Mark) und 2 Kindern aus dem Stand auf Platz 1 der Grölparolen-Charts katapultierte. Während einer für das Frühstücksfernsehen repräsentativ irrelevanten Umfrage unter Aldi-Kassiererinnen, wie denn nach Meinung der Befragten der neue Wahlkampfslogan lauten könne, antwortete Eva Meyer-Schludnigg völlig überrascht: »Au weia!« Somit wurde Eva Meyer-Schludnigg aus Bochum-Langendreer die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland.[4] Au weia! stellte nicht nur den bisherig kürzesten und eingängigsten Slogan des programmlosen Wahlkampfes dar, Au weia!, war derart multikompatibel zu allem Möglichen, daß mit Au weia! sogar Opposition und derzeitige Regierung einen gemeinsamen Nenner in der Tatsache, vom Wahlvolk völlig ignoriert zu werden, fanden. Au weia! katapultierte Eva Meyer-Schludnigg und ein eilends aus ihrem Bekanntenkreis rekrutiertem Kabinett nicht nur in die höchste bundespolitische Verantwortung, Au weia! besaß überdies den Vorteil, nie als Wahlkampflüge entlarvt und somit gegen die neue Regierung zitiert werden zu können.

Doch wir verlieren uns bereits in Details und schweifen mehr und mehr von Rupert Scherfing ab. Nachdem es seiner Partei tatsächlich gelungen war, mittels Ruperts Erfindung den seßhaften Schluff zu stürzen, fühlte sie sich ihm gegenüber irgendwie zu Dank verpflichtet. Lange wurde also nach einem Posten gesucht, der einerseits etwas darstellen sollte, andererseits aber auch vollkommen irrelevant und harmlos war; ein hübsches, stilles Abstellgleis für einen Ewigen Lahmarsch also. Beim Durchstöbern der Ressorts fand man schließlich ein verstaubtes, etwas antiquiertes, bereits etwas braun angeflecktes und nach Auffassung des Koalitionspartners der Rupert-Partei auch ein auch völlig überflüssiges Ministerium. So wurde Ruperts innigster Traum, sein sehnlichster Jugendwunsch, doch noch wahr. Und sogleich kaufte er sich ein nagelneues Fahrrad, verzichtete seither auf eine Dienstlimousine und radelte, bzw. stürzte, täglich zwischen Verteidigungsministerium und Bundestag hin und her, stets begleitet von einem Sanitätshubschrauber, der eigens für seinen Personenschutz (meist vor seinen eigenen Fahrkünsten) und wie es einem Bundesminister auch zusteht, bereit gestellt wurde.

Und wäre dies jetzt ein amerikanischer Roman, könnten wir daraus eine Fortsetzung von Forrest Gump drehen, und wäre dies keine fiktive Geschichte, wäre das reale Vorbild von Rupert von Robert bei richtigem Namen genannt worden und wir hätten uns die letzten Seiten erspart, da jeder sofort die Pointe verstanden hätte, und würde van Strahlen nicht immer noch ausführlichst die Sicherheitsvorkehrungen auf dem Schwarzweilerterrain der Presse erklären, bräuchten wir nicht auch noch das ruhmlose Ende Ruperts schildern. So werden wir dazu gezwungen, dieser Erklärung einer witzigen Bemerkung einen weiteren Absatz hinzuzufügen.

Rupert Scherfing konnte also durchaus glücklich sein: Niemand traute sich hinfort, ihm einen Satz Ohrfeigen zu verpassen, und sein Hubschrauber war stets sofort zur Stelle, sollte er einmal kopfüber sein Fahrrad verlassen, da das Vorderrad im Kanaldeckel stecken geblieben war, oder er schwungvoll vom Vorplatz des Bundestages abfahren wollte und wieder einmal vergessen hatte, das Fahrradschloß zu öffnen.

Doch Ruperts kleines Glück sollte tragisch und äußerst untypisch für ihn jäh enden. Rupert hatte sich in den Kopf gesetzt, einmal einem Manöver beizuwohnen, ein für Verteidigungsminister nicht gerade abwegiger Wunsch. Doch Rupert wünschte sich, ein Panzerbataillon allein aus einem Geländewagen jagen zu dürfen. (Ursprünglich hatte Rupert ja auch einen Panzer fahren wollen, doch erinnerte er sich rechtzeitig an seinen letzten Fahrradsturz und befürchtete, auch hier könne sein Hosenbein in die Kette geraten.) Vor allem bestand er darauf, den Geländewagen selbst und ohne jeglichen Geleitschutz steuern zu dürfen.

Nach aufreibend langem Hin und Her[5] zwischen ihm und dem Kommandeur des Bataillons wurde seinem Befehl stattgegeben. Rupert bekam einen VW-Kübel gestellt, einen Plan des Manövergebietes in die Hand gedrückt und einen guten Abschuß gewünscht. Der kommandierende Major setzte sich alsdann in seinem Büro an seinen PC und versuchte sich am fünften Level von Tomb Raider II. Die dem Sondereinsatz ‚Faultier jagt Wiesel‘ zugeteilten Soldaten sprangen in ihre Kettenfahrzeuge, gaben ordentlich Gas und rauschten davon, in Höchstgeschwindigkeit der Eurocup-Halbfinale Live-Übertragung Inter Mailand gegen Bayern München entgegen, während Rupert seine Hosenbeine mit Fahrradklammern schürzte.

Nun wäre Rupert ein wirklich inkompetenter Verteidigungsminister gewesen, hätte er, nachdem die Panzer längst außer Sichtweite gerattert waren, nicht seine eigene Verfolgungsstrategie entwickelt. Er folgte raffinierterweise der Kettenspur der Panzer, instinktiv wissend, früher oder später würde sie ihn zur Meute führen. Und der Jagdinstinkt wurde Herr über ihn. Obwohl längst dunkel und allmählich Nacht geworden, jagte Rupert rückwärts fahrend durch Hohlwege, über Sandpisten und Betonplattenstraßen dem Feind hinterher. Diesen Trick kannte er aus alten Western-Filmen. Darin hatten zahlreiche Trapper ihren Pferden die Hufe verkehrt herum beschlagen, um eventuell im Unterholz lauernde Indianer aufgrund der Hufabdrücke in die verkehrte Richtung zu führen. Da aber (wir erinnern uns) sich der Wagenheber des Fahrzeuges bereits im Besitz der RRAG befand und somit ein Reifenwechsel für Rupert unmöglich geworden war, behalf er sich, indem er den Rückwärtsgang wählte. Dumm darf mein sein, man muß sich nur zu helfen wissen ... glauben! Der ‚Feind‘ allerdings hatte an Hinterhalte aufzusuchen und dem Verfolger aufzulauern keinerlei Gedanken verschwendet. Schnurstracks war er im Bogen zur Kaserne zurückgekehrt, hatte zwischendurch an einem Kiosk Halt gemacht und alle bierähnlichen Getränke, die in Blechbehältnissen zu erbeuten waren, gegen Entgelt requiriert und feierte bereits ausgiebig Bayerns Sieg über Inter.

Rupert hatte sich indessen hoffnungslos verfahren. Jeder Kettenspur folgend, der er habhaft werden konnte, schlingerte und holperte er kreuz und quer durchs Übungsgelände, im funzeligen Rotlicht der Rückleuchten alte von neuen Spuren, falls er sie je hätte auseinanderhalten können, nicht mehr unterscheidend. Irgendwann war er dann doch auf eine Hauptspur gestoßen und ließ sich von ihr bis zu einem kleinen Flüßchen leiten, welches mäandernd das Manövergelände durchzog. Rupert stoppte seinen Wagen, stieg aus und betrachtete das Ufer und die Spuren genauer. Kein Zweifel, die Spuren führten geradewegs ins Wasser.

Rupert überlegte. Wenn der Feind mit einem Boot übergesetzt hätte, wäre irgendwo eine Anlegestelle zu sehen gewesen, zumindest diese runden Dinger aus Holz oder Stahl, an denen die Matrosen am Rand eines Gewässers ihre Schiffe festbinden. Als Landratte kannte Rupert die einschlägigen marinen Begriffe hierfür nicht. Das machte auch nichts, denn er konnte keinerlei solche oder ähnliche Gegenstände erkennen. Ob der Feind sich gar auf dem Boden des Flusses versteckt hielt? Rupert war dermaßen landrättisch und in Motivationsanalyse derart unbedarft, daß ihm nicht einmal der Begriff „Grund“ einfiel. Doch dann besann er sich, im Fuhrpark der Kettenfahrzeuge kein einziges U-Boot gesichtet zu haben. Also konnte das nur, mußte eigentlich, sprach alles dafür, nach Abwägung aller Details war nur die eine Möglichkeit, es war geradezu eindeutig, daß . . . jawohl, es handelte sich aller Wahrscheinlichkeit um ein äh, Dingens, ... fort wars von der Zunge ... Fort! Genau das war‘s, wie im Western: Fort Knox, Fort Lauderdaile, Harrison Fort, Fort Coppola .. und durch einen Fort reitet man! Also schwang sich Rupert auf seinen Mustang-Ersatz, stieß ein selbst für seine Verhältnisse erstaunlich kurzes »Yippieh!« minutenlang in die Luft, ließ krachend den Rückwärtsgang einrasten und Rupert ‚Wayne‘ Scherfing stürzte sich standhaft in die seichten Fluten, standhafter als je ein Bundesverteidigungsminister vor oder nach ihm.

Gegen Mitternacht klopfte es an der Bürotür des Majors. Ohne von seinem Vorgesetzten etwas zu hören, trat Panzerkommandant Schroers ins Zimmer. Der Major saß mit versteinertem Gesicht, starr glotzenden Augen und der scheinbar in sich geschrumpften Statur eines sichtlich gebrochenen Mannes vor dem PC seines Schreibtisches.

»Abgesoffen! Einfach abgesoffen!«, stöhnte er.

Der Soldat räusperte sich, die Szene wirkte gespenstisch, er hatte nie geglaubt, einen Mann wie Major Bramme derart am Ende seiner seelischen Kraft sehen zu müssen.

»Major?«

»Abgesoffen! Und dann diese Scheißviecher! Entweder abgesoffen oder gefressen. Haie, überall Haie und Muränen!«

Die Stimme des Majors klang hohl, desillusioniert, brüchig. Erst jetzt schien er die Anwesenheit seines Untergebenen zu bemerken.

»Schroers, wenn Sie dem Schrecken des Todes entgehen wollen, den Qualen des sich immer und immer wiederholenden Sterbens, dann spielen Sie nie Tomb Raider II. Das ist ein Scheißlevel. Seit Stunden komme ich nicht weiter.«

»Major, ich wollte nur fragen, haben Sie schon was vom ‚Faultier‘ gehört?«

»Von wem?«

»Dem Faultier, ich meine: dem Verteidigungsminister?«

»Ach so, der. Nein, wieso?«

»Na, ich meine, die Jungs wollen jetzt dann doch zu Bett, na ja, und weil der Verteidigungsminister noch nicht zurückgekommen ist, da wollte ich mal fragen, ob wir vielleicht nicht einen Suchtrupp ausschicken sollen?«

»Für das Faultier?«, der Major blickte auf seine Armbanduhr, »Wozu? Er ist doch noch voll in seiner Zeit. Lassen Sie unseren Herrn Verteidigungsminister seinen Kampfgeist ruhig austoben. Er wollte ja unbedingt mit uns Cowboy und Indianer spielen. Soll er doch mal sehen, wie das ist. Kann ja nichts passieren, da draußen. Schicken Sie die Jungs zu Bett, irgendwann wird der Trottel auch von selbst auftauchen.«

Dies wäre auch das normal übliche Verhalten von Wasserleichen nach angemessener Gärungszeit gewesen. Ruperts sterbliche Hülle jedoch wurde bereits am darauf folgenden Morgen geborgen. Nachdem Major Bramme wutschnaubend sich durchgerungen hatte, den fünften Level seines Computerspiels durch einen Schummeltrick vorzeitig zu verlassen und Lara Croft heil durchs sechste Level gebracht hatte, fand er nunmehr psychisch gestärkt Zeit genug, sich um den Verbleib des Verteidigungsministers zu kümmern.

Der genaue Hergang von Ruperts Ableben wird wohl stets ein Rätsel bleiben. Festgestellt werden konnte nur, daß Rupert, wahrscheinlich im Glauben, das Fahrzeug wasserdicht verschließen zu können, sich bei dem Versuch, die Verdeckplane des VW-Kübel aufzuspannen, den Kehlkopf zwischen Windschutzscheibe im Nacken und Verdeckbügel unterm Kinn eingedrückt hatte. Weswegen er dies auf dem Fahrersitz gegen Fahrtrichtung kniend in 140 cm Flußtiefe unternommen hatte, anstatt die von etwas Gebüsch verdeckte Holzbrücke zehn Meter weiter westlich der Furt zu nutzen, wird allein nur Rupert in seinem letzten Moment gewußt haben und uns glücklicherweise nie erklären können. (Seither eruieren jedoch namhafte Relativitätstheoretiker und Theologen gemeinsam den Begriff „Ewigkeit“ in wie immer jenseitig gearteten Parallelwelten, die es nach einem Ableben zu erreichen zu vermeiden gilt – um Ruperts eventuellen astralleibigen Erklärungsversuchen tatsächlich für alle Zeiten entgehen zu können)[6]

Nachdem uns Rupert selbst post mortem noch so lang von der eigentlichen Geschichte abgehalten hatte, schwenken wir nunmehr kurz zur Pressekonferenz, um zu erfahren, was sich dort an Erzählenswertem ereignete.

[1] Einige seiner Mitschüler behaupteten jedoch später, Rupert selbst habe lediglich Selbstgespräche im permanent somnambulen Zustand geführt.

[2] Um dem Mißtrauen einer etwaigen Nachwelt vorzubeugen, eine deutsche Partei könne nie und nimmer mit derart inhalts- wie geistlosen Parolen für sich geworben haben und die Phantasie des Autors sei mit ihm völlig durchgegangen, sei festgehalten, daß 1994 die Parole der SPD wörtlich „Jetzt geht’s los!“ und vier Jahre darauf „Kohl muß weg!“ gelautet hatte. Weitere fünf Jahre später gebar dann ein Kanzler den sogenannten „nihilistischen Wahlniederlagenreanimationsslogan“ gemäß der selben Axiome mit „Ich bleibe!“ – allerdings mit dem Halbzeitwert eines jeden übelriechenden Furzes, so daß besagter Herr sich fürderhin konsequent in Sachen Gas engagierte. Weitere drei Jahre später lautete das Wahlversprechen einer hessischen Kandidatin „nicht mit Links“ – um dieses sofort als Zweitplatzierte just mit Links aus dem Gedächtnis zu streichen um dennoch sich eigenmächtig als Siegerin hervorzutun. Seitdem gilt das offenkundige Huren in politischen Lotterbetten als in „in ypsilanti erwischt“.

[3] Der Doppelzüngige lafontainte sich aus der Finanzministerverantwortung, schloß sich mit einem weiteren Manneken Verpiss aus dem Berliner Senat zusammen und wiederbelebte die SED. Er ist somit nicht der erste Saarländer, der statt der Nationalhymne lieber „Die Internationale“ auf Parteitagen grölt. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch er sich einen sächsischen Slang zulegt.

[4] Ich erinnere: Diese Zeilen stammen aus dem Jahr 1999. - Die tatsächliche erste deutsche Kanzlerin äußerte ihr persönliches „Au weia!“ erst im zweiten Jahr ihrer Amtszeit. Aus ihrem Munde klang es jedoch: „Die Situation der Bundesrepublik Deutschland ist besorgniserregend“! Daraus ist zu folgern, daß sogenannte „höhere“ Erkenntnisse lediglich zeitverschoben in den Köpfen der Volksspitze anklopfen, während diese bereits zum allgemeinen Bildungsstand der wählenden Basis gehören. Erkenntnisse müssen eben auch den mühsamen Behördengang nehmen.

[5] Hin: Ich bin der Verteidigungsminister und Ihr habt mir zu gehorchen (7 Stunden, 43 Minuten) und Her: Na schön, aber jetzt müssen wir endlich aufbrechen, unsere Jungs wollten heute abend Fußball gucken. (4 Sekunden)

[6] Da der ratzende Papstinger verbissen darauf beharrt, allein die Katholiken gehörten einer Kirche an (inklusive der eindeutigen Grundbucheintragung für die Hölle) können sich die Protestanten somit sicher wissen, zumindest Rupert Scherfings Langatmigkeit für immer entronnen zu sein.