Kapitel Drei

Hubert van Strahlen hatte sich wieder einmal in seinem Element warm geredet. Vor ungefähr vierzig handverlesenen Journalisten und Reportern der größten Tageszeitungen und der wichtigsten überregionalen Rundfunk- und Fernsehanstalten, sowie leitenden Mitarbeitern der ‚Rhein-Ruhr‘, bzw. Vertretern der Subunternehmen erklärte er zum x-ten Male die unter seiner Führung erarbeiteten Sicherheitsvorkehrungen. Sichtlich von seinen eigenen Ideen begeistert, schilderte er der gelangweilten Zuhörerschaft die Absperrung der Zufahrtswege zur V.I.P.-Tribüne, die Lage der Abstellplätze für die Limousinen der Ehrengäste, aufgeteilt in internationale, nationale, regionale und saisonale (Landtagsabgeordnete) Prominenz, sowie der ‚Heli-Porte’ der wirklich wichtigen Gäste, also außer ihm selbst Frau Bundeskanzler Meyer-Schludnigg, sowie eine weitere Prominente, deren Erwähnung insbesondere die männlichen Zuhörer jäh aus ihrer dahindösenden Lethargie riß. Die aus Film und Fernsehen, sowie den Printmedien, die sich speziell auf Höchstglanzfotogeschichten spezialisiert hatten, einschlägig bekannte Lydia Paselowska, umschlägig die erwähnten Hochglanz-Druckerzeugnisse auch als Molly Dusty in sehr sehr naturbelassenem Outfit (ausgenommen die naturidentisch wirken sollenden Ballaststoffe in ihrem oberen Körperdrittel) zierend, sollte mit ihren körpereigenen Erhebungen einen fotogenen Kontrast zur Vertiefung des Sprengloches darstellen.

Sonja warf einen prüfenden Blick auf Robert, inwieweit auch er wie ein Pawlowscher Hund auf den Namen der derzeitigen Porno-Queen Deutschlands reagieren würde. Beruhigt stellte sie fest, daß Robert mit für ihn offensichtlich wichtigeren Dingen beschäftigt war. Zu spät nämlich hatte er festgestellt, daß er sein Händi immer noch in einer seiner zahllosen Westentaschen trug und nun unerreichbar unter den ihm von Sonja zwangsjackenartig übergestreiften Mitarbeiter-Kittel erschien. In wenigen Minuten würde ihn Majo anrufen wollen, und er sah keine Chance, das Gespräch rechtzeitig anzunehmen. Nervös nestelte er an dem Kittel, obwohl er nach außen sichtlich den Eindruck erwecken wollte, als folge er konzentriert den Ausführungen von van Strahlen. Als hätten seine Hände ein von ihm völlig unabhängiges Eigenleben entwickelt, suchten sie zwischen den Kittelknöpfen einen Weg zur Weste, die er so herumzuzerren versuchte, daß er das Händi aus einer der Rückentaschen erreichen konnte. Da er aber selbst auf dem Kittel saß, somit auch die Weste wie eine zweite Haut seinen Körper umspannte, waren alle seine Mühen vergebens.

Stirnrunzelnd beobachtete Sonja, wie Roberts rechter Unterarm in Brusthöhe unter dem Kittel verschwand, während sein linker sich von dessen Unterseite hinternwärts nach oben schob, gleichzeitig von rutschenden Bewegungen seiner Oberschenkel unterstützt und parallel dazu sein Gesichtsausdruck den Eindruck vermitteln wollte, er höre van Strahlens Worten freundlich aufmerksam zu. Sonja fragte sich, was Robert veranlassen könnte, sich scheinbar geistesabwesend im Zeitlupentempo selbst verknoten zu wollen.

Je näher sie Robert kennen gelernt hatte, desto sicherer wurde ihr, daß er dringend ihrer Hilfe bedürfe. Robert erschien ihr als großer weltfremder unschuldiger Junge, der, je mehr er ihr offensichtliches Interesse an ihm zu übersehen schien, desto mehr ihre mütterlichen Instinkte weckte.

Sonja Wolff, 36, zweifache Meisterin im Ehegatten-Vergraulen, besaß für ihre eigenen Begriffe zwei absolute Stärken. Zum einen einen derart ausgeprägt starken Willen, der selbst sturste tobende Nashörner zu niedlich kuschenden Schoßtierchen mutieren ließ, zum anderen das ungeheuerliche Talent des Kümmerns. Sonja Wolff sah alles, richtete alles, verbesserte alles. Alles natürlich nur zum Wohle der anderen, wie sie felsenfest glaubte.

Ihre beiden Ex-Gatten fühlten sich tatsächlich sehr viel wohler, nachdem sie Sonjas Kümmern endlich entkommen konnten. Und doch waren beide durch Sonjas übermütterliche Schule zu Persönlichkeiten gereift, die ihre ganz eigenen Charakterstärken nunmehr ausleben konnten. Ex-Gatte 1 frönte seiner neu entdeckten Vorliebe, Barbiepuppen den Kopf abzubeißen und genüßlich zu zerkauen, fürderhin in einem gemütlich eingerichteten Zimmer einer abgeschiedenen Villa, die recht fürsorgliches Personal aufwies, Nr. 2 hingegen wurde treuer und aufopfernder Lebensgefährte eines 130-Kilo-Metzgers und ließ sich freudig japsend „Pupsibär“ rufen. Und nun wurde es nach Sonjas Überzeugung höchste Zeit, sich ein wenig mehr um Robert zu kümmern. Sein unbekümmertes Junggesellendasein, noch dazu in fast ständiger Umgebung dieses gräßlichen Majo, der die permanente Frechheit besaß, sie nie ausreden zu lassen, gehörte schnellstens beendet. Robert hatte endlich zu einem Mann zu reifen, auf die jede Frau stolz sein konnte, zumindest all jene Frauen, die Sonja Wolff hießen. Und Robert würde es ihr auch eines Tages danken.

Genüßlich leckte sich Sonja ihre Lippen, während Robert neben ihr langsam von dem Stuhl zu rutschen drohte. Doch van Strahlen entführte Sonja und Robert jäh aus ihren eigenen Gedankenwelten.

»Nun bitte ich aber Herrn Raasch, der Presse mitzuteilen, wie die Sprengung morgen im einzelnen verlaufen wird. Sie werden sehen, meine Damen und Herren, auch für die Sprengung hat sich die Rhein-Ruhr AG nur den weltbesten Spezialisten geleistet.«

Aufmunternd lächelte van Strahlen Robert zu, wobei doch das Lächeln schnell an Temperatur verlor, als van Strahlen Robert in eigenartiger Selbstverschlingung und ihn blöde angrinsend, jedoch die Augen auf irgendeinen Punkt hinter ihn gerichtet, auf der Stuhlkante hockend erblickte.

»Herr Diplomingenieur?«

Robert reagierte erst auf Sonjas Ellenbogenstupsen, blickte verwirrt um sich, erfaßte blitzartig die Aufmerksamkeit aller auf ihn gerichteten Augen, errötete, räusperte sich, richtete sich instinktiv seine imaginäre Krawatte, feststellend, daß sich seine Rechte immer noch unter dem Kittel vergraben befand, räusperte sich abermals, setzte ein zwangloses Lächeln auf und nickte verlegen van Strahlen und seinen Sitznachbarn zu, nicht wissend, weswegen er mit einem Mal alle Blicke auf sich gezogen hatte.

Sonja deutete ihm mit einer Kopfbewegung den Weg zum Rednerpult, an dem van Strahlen mit einer einladenden Handbewegung auf ihn wartete. Robert faßte sich, erhob sich aus seinem Stuhl, glättete seinen Kittel, ging auf van Strahlen zu, bezog neben ihm hinter dem Pult Platz und betete innigst, Majo möge sich mit seinem Anruf ein wenig verspäten. Er blickte in die erwartungsvoll wartenden Gesichter seiner Zuhörer, nickte kurz in die vier, fünf Betacams verschiedener Nachrichten-Agenturen und begann seinen Vortrag, wissend, daß der Großteil seines Auditoriums bereits die Einzelheiten seines Sprengvorhabens aus der Pressemappe der RRAG kannte.

»Meine Damen und Herren, ich möchte Sie nicht mit der Erläuterung der technischen Details unserer Sprengung aufhalten. Dennoch möchte ich Ihnen in groben Zügen schildern, was morgen im Verlauf weniger Sekunden geschehen wird. Ihnen dürfte allen bekannt sein, daß ein Bodenloch derartiger Größe bisher noch nicht in einem Zuge durch gezielte Detonationen geschaffen worden ist. Bisher galt für Sprengungen aller Art die Faustregel: Je mehr Sprengstoff, desto größer die Wirkung. Grob gesagt: Ordentlich knallen lassen, um so mehr geht kaputt. In den letzten Jahrzehnten aber konzentrierte sich die Aufgabe von uns Pyrotechnikern mehr und mehr auf die Sprengwirkung und weniger auf die Sprengkraft. Heute ist es geradezu Standard unserer Arbeit, Objekte gezielt zu zerstören ohne anderes Nebenstehende dabei in Mitleidenschaft geraten zu lassen. Sie kennen dies bereits aus Filmdokumentationen gesprengter Gebäude inmitten dicht bebauter Häuserblocks, bei denen die Nachbargebäude unversehrt bleiben.[1] Wir sprechen hierbei von einer sogenannten ‚sauberen Sprengung‘, deren Vorteile Ihnen allen bewußt sein dürften: Minimaler Sprengmitteleinsatz, beste Zerlegbarkeit des zu zerstörenden Objektes, gezielte Anhäufung des Trümmerschutts, geringfügige Lärm- und Staubentwicklung. Summa summarum auch ein kosteneffizienter, durch und durch kontrollierbarer und bis ins Detail planbarer Vorgang. Diese Methode hat sich bereits in den Fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts als Standard für Hochbausprengungen bewährt. Neu hingegen ist die gezielte saubere Sprengung im Tiefbaubereich. Mit einem von unserem Büro neu entwickelten Sprengverfahren sind wir nunmehr in der Lage, direkt unter Ihren Füßen Hohlräume fast beliebigen Ausmaßes zu sprengen, ohne Sie selbst zu gefährden, beziehungsweise Sie es überhaupt großartig spüren zu lassen.«

In Roberts Rücken wurden die Anfangstakte des Gefangenenchors aus Nabucco digital intoniert. Majos Anruf. Zögerndes Lachen im Publikum. Robert griff hinter sich, versuchte, durch Kittel- und Westenstoff hindurch die Austaste seines Händis zu erreichen. Vergeblich. Nach dem dritten Läuten gab er es auf.

»Äh, nun ja. Sie erleben gerade die Tücken unerreichbarer Kleidungstaschen, in denen winzig kleine hoch-technische Apparaturen versteckt sind.«

Robert öffnete seinen Kittel, tastete nach der Westentasche. Es läutete ein viertes, fünftes und sechstes Mal. Als Robert endlich sein Taschentelefon hervorzog, hüllte es sich in Schweigen. Robert blickte verwundert auf den Apparat, das schnelle Auflegen war eher untypisch für Majo. Nun ja, der Anruf war eh zu spät gekommen. Robert hätte sich gern seinen Vortrag erspart, da ihm bewußt war, daß seine weiter entwickelte Technologie keinen seiner Zuhörer wirklich interessierte. Sobald er seine Ausführungen enden würde, würden die Journalisten ihn mit ganz anderen, politisch gefärbten Fragen bestürmen, die nicht seine Sprengung sondern das Projekt Schwarzweiler in Abrede stellen wollten. Majo hatte ihn davor nicht erlösen können. Gleichzeitig aber redete er sich ein, erstmals vor laufender Kamera die Chance zu haben, das Prinzip seiner Technologie erläutern zu können. Der Geschäftsmann und Erfinder in ihm setzte den Vortrag fort.

»Anhand dieses eher unfreiwilligen Beispiels digitaler Technologie, die sich, da klein und effizient, überall verstecken läßt, möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, das Prinzip meiner Sprengtechnologie erläutern. Eine von mir entwickelte Computer-Software macht es nunmehr möglich, Sprengungen aller Art durchzuführen, bei denen die zu zerstörende Materie in feinste Bestandteile aufgelöst wird. Hierbei werden gezielt angebrachte Sprengkörper mit relativ geringem Sprengradius nach einem genau festgelegtem Zeitplan gezündet. Die präzise Zündabfolge und die exakte Positionierung der Sprengkörper zueinander ermöglicht es, die geringe Sprengkraft zu potenzieren und gleichzeitig räumlich exakt abzugrenzen. Banal gesagt, handelt es sich um eine während weniger Augenblicke gezündete Vielfachsprengung, die sich in ihrer Wirkung aufschaukelt, auf den vorher definierten Bereich konzentriert und keinerlei Erschütterungen oder gar Zerstörungen aus diesem Bereich heraus zuläßt. Diese Methode ist nicht nur sicher, da sie vorher exakt am Computer zu simulieren ist, sie ist auch äußerst effizient in ihrer Wirkung. Ich werde Ihnen morgen somit eine riesige Schüssel sprengen können, in der sich leicht in Wasser aufzulösender Schutt befindet, der einfach nur abgesaugt zu werden braucht. Was wir für diese Art der Sprengung lediglich benötigten, sind geologische Daten, das heißt Art der Bodenbeschaffung, wie Gesteinsarten, deren Dicke und Dichte, beziehungsweise, mögliche Verwerfungen. Anhand dieser Daten, die uns dankenswerter Frau Diplomingenieurin Wolff und deren Mitarbeiter-Team zu Verfügung gestellt hat, berechnet meine Software die Positionierung und Größe der Sprengkörper und die Zündfolge. Die Zündung selbst erfolgt ebenfalls computergesteuert, wie auch der Sprengverlauf exakt protokolliert und kontrolliert wird. Sie sehen also, es handelt sich hierbei weniger um eine Sprengung, sondern schon mehr um einen chirurgischen Eingriff in die Erdoberfläche, ähnlich, wie ein Arzt mit seinem Skalpell eine Dornwarze entfernt, ohne die umliegende Haut zu beschädigen. – Ich glaube, mit diesem Bild darf ich Sie entlassen, meine Damen und Herren. Falls Sie jedoch noch Fragen haben sollten, stehe ich gern zu deren Beantwortung zur Verfügung. Wenn auch offen gestanden, meine Zeit sehr beschränkt ist. Ich muß noch die letzten Vorbereitungen überwachen.«

Robert blickte demonstrativ auf seine Armbanduhr. Drei Minuten, nicht schlecht. Er hoffte, die zusammengeschnittenen Fernseh-Aufzeichnungen seines Vortrages würden genug kostenlose Werbezeit für seine Firma ergeben. Zwei der roten Kameraleuchten erloschen, während die anderen Kameras weiter liefen und deren Träger sich jetzt nach vorn zu ihm drängten. Ehe sich Robert auf die bevorstehenden Fragen der Journalisten vorbereiten konnte, sah er bereits eine Perlenkette bunter Mikrofon-Schaumgummischützer vor seinem Gesicht tanzen.

»Wie kommen Sie dazu, von einem chirurgischen Eingriff zu reden, wenn Sie doch genau wissen, daß eine komplette Landschaft den Baggerschaufeln zum Fraß vorgeworfen wird?«

Genau jene Art der Fragen hatte Robert befürchtet. Er sollte wieder einmal den greifbaren Sündenbock spielen.

»Falls ich mich recht erinnere, sprach ich von der Durchführung meiner Sprengung und nicht vom Braunkohle-Tagebau. Ich habe den Entschluß nicht gefaßt, Schwarzweiler durchzuführen.«

»Aber durch Sie wird der Tagebau erst ermöglicht.«

»Durch mich oder den Baggerführer, der in herkömmlicher Weise das erste Loch ausheben würde. Ich bin nicht Auftraggeber des Projekts.«

»Das heißt, Sie entziehen sich jeder Verantwortung gegenüber den vielen tausend Bürgern, die durch Ihr Mithandeln ihre Heimat verlieren. Sie entziehen sich der Verantwortung gegenüber der Natur, die Sie als Erster zu zerstören beginnen?«

Der diese Fragen stellende Reporter grinste lässig kaugummikauend Robert herausfordernd an. Das wieselartige Gesicht und die fettglänzenden schwarzen Haare sowie die bewußt provokative Körperhaltung verrieten den Typus Sensationsreporter, der nicht nur sprichwörtlich über Leichen geht, um alle Schlechtigkeiten dieser Welt anzuprangern, sondern nötigenfalls diese Leichen selbst erst schafft.

»Und wo bleibt Ihre Verantwortung gegenüber einer objektiven Berichterstattung?«

»Es ist Ihnen also egal, was nach Ihrer Sprengung geschieht? Würden Sie auch den Vatikan in die Luft sprengen, wenn Sie ein islamischer Rädelsführer Sie dazu beauftragte?«

Robert erkannte aus den Augenwinkeln, wie sich die Tür zum Konferenzzimmer öffnete und Majo hereingestürzt kam. Robert blickte wieder auf das grinsende kauende Gebiß seines Gegenübers. Er spürte den dringenden Wunsch, dem Reporter den Versuch zu ermöglichen, dessen Kaugummi einmal zahnlos zu lutschen. Auf welcher Schule lernten diese TV-Frechdachse das Assoziieren völlig zusammenhangloser Themen?

»Natürlich, junger Freund, würde ich auch das tun, könnte ich Ihnen so die einmalige Chance bieten, den Papst zu seinen letzten Worten zu befragen.«

Ruckartig hielt das Mahlwerk des grinsenden Gebisses an, erstarrte kurz zu einer schiefen Fratze. Robert blickte in die Augen des Reporters, las die darin abgesandte Botschaft. »Du mich auch« schickte er postwendend per eye-mail zurück. Majo drängelte sich unterdessen durch die Journalisten-Traube auf Robert zu, ihm wild zuwinkend.

»Herr Raasch, könnten Sie bitte noch einmal in allgemein verständlichen Worten den Ablauf ihrer Sprengung erklären. Wie können Sie sicher sein, daß es sich wirklich um eine exakte und saubere Sprengung handelt?«

Robert folgte der Richtung der fragenden Stimme und blickte in das sympathische Gesicht einer etwas untersetzten Blondine, deren hellblaue runde Augen ihn anzulächeln schienen. War das eine Falle, oder interessierte sich diese Journalistin wirklich für seine Technologie? Robert spürte ein leichtes Zupfen an seinem rechten Ärmel. Majo hatte sich bis zu ihm durchgekämpft.

»Hasse mein Anruf nich gekricht? Komm sofort wech hier.«

Robert vermutete, Majo hätte seinen Auftrag, ihn vor der Pressekonferenz zu bewahren, mit seiner eigenen Dramatik etwas zu ernst genommen und gab ihm mit einer kurzen Kopfbewegung zu verstehen, daß er jetzt nicht gestört werden wollte. Er wandte sich wieder der jungen Reporterin zu.

»Stellen Sie sich ein Messerwerk eines Elektro-Mixers vor. Mit zwei gegenläufigen Messern. Unsere Sprengkörper sind in zwei gegenläufigen Spiralen zueinander im Boden versenkt. Durch eine Zündfolge, die jeden einzelnen Sprengsatz wenige Millisekunden nach dem vorhergehenden zündet, entsteht der Effekt, als würden Sie diesen Elektromixer kurz in ein Gefäß voller Nüsse tauchen. Was bleibt, ist Pulver.«

Die Frau schien mit dieser Antwort zufrieden zu sein.

»Komm getz. Et is ganz große Kacke am Dampfen.«

zischelte Majo.

Robert schubste ihn unmerklich zur Seite, nun begann Majo, doch ein wenig zu übertreiben. Das Gesicht der Reporterin begann, Robert zu gefallen.

»Kann ich Ihnen sonst noch behilflich sein?«

»Stimmt es, daß dies Ihre erste Sprengung dieser Größenordnung ist?«

Noch immer schien das Lächeln der Reporterin ein ehrliches zu sein.

»Ja, aber deswegen ist sie nicht unkontrollierbarer als die kleineren Versuche, die wir nach meinem Verfahren bereits erfolgreich abgeschlossen haben. Wir haben am Computer bereits Sprengungen simuliert, die der zehnfachen Größe entsprechen. Auch hier handelte es sich stets um absolut kontrollierbare Vorgänge.«

»Bisse schwerhörich oda watt? Du muss sofort mitkomm.«

Robert lächelte der Reporterin sein bestes Charme-Exemplar Raasch’er Sympathie-Bekundung zu, während er versuchte, Majo hinter seinem Rücken zu verdecken, der nervös hinter ihm tänzelte. Täuschte sich Robert, oder glaubte er tatsächlich, eine Spur scheuer Verlegenheit über die Augen der Reporterin huschen zu sehen?

»Dann eine letzte Frage noch, Herr Raasch.«

»Bitte.«

»Bei einer Sprengung dieser Größe, werden da nicht tektonische Erschütterungen wie bei einem Erdbeben in weitem Umkreis zu spüren sein?«

Robert fühlte sich geschmeichelt, dies war die erste wirklich an seiner Technologie interessierte Frage, die er seitens der Medien gehört hatte. Jetzt endlich hatte er die Gelegenheit des öffentlichen Auftrittes, das wahre Wunder seines pyrotechnischen Könnens zu erklären und noch dazu angesichts einer so attraktiven Gesprächspartnerin. Ihr tief in die hübschen Augen blickend, beugte er sich dem von ihr gehaltenen Mikrofon entgegen.

»Also, sollten Se zufällich ne Curry-Wurst oda ne Gurke einstecken ham, könnse morgen Batterien sparn, wennse bis hundat Meta anne Sprengung breitbeinich rangehn.«

Robert konnte sich nicht mehr erinnern, ob er zuerst Majos markante Nase urplötzlich vor dem Mikrofon auftauchen, das Weichwerden seiner Knie, oder den langsamen Wechsel von fragender Verständnislosigkeit über allmähliches Verstehen hin zu kalter Entrüstung in den Augen der Reporterin wahrgenommen hatte.

Majo, der ihn bereits am Ärmel aus der Tür schleifte, hatte somit der Pressekonferenz ein unvergeßliches Ende gesetzt.

In den Köpfen der in dem Presseraum verbliebenen Protagonisten und Nebenfiguren wurden derweil die unterschiedlichsten Gedanken geboren, die, angesichts der schlagartigen Hektik, die Roberts plötzliche Entführung weg von den Journalisten ausgelöst hatte, ebenso chaotisch etliche Synapsen durcheilten, neue verworrene Fäden sponnen, kreuz und quer provisorische Brücken über die Täler zwischen rechten und linken Hirnhälften schlugen, nach Erklärungen suchten, letztendlich keine fanden und dann erschöpft in sich zusammenbrachen. Gedanken sind eben auch nur Menschen.

Zwei dieser Gedanken sollten jedoch hier literarische Erwähnung finden, als sie dem Autor Gelegenheit bieten, daraus weitere Handlungsstränge zur Fortführung dieser Geschichte zu knüpfen. Der erste, ein recht wieselschneller, allerdings im Stakkato schnell gekauten Kaugummis leichte Sprünge vollziehender Gedanke lautete »Ey, wenn das nicht ne geile Story abgibt: Frauenfeindliche Gesinnung von antichristlich orientierten Sprengstoff-Experten. Löcher aufreißen als Ersatzbefriedigung?« Der Urheber dieses Gedankens hieß seinen Kameramann, gemeinsam mit ihm die weitere verheißungsvolle Fährte nach Raasch und seinem Entführer aufzunehmen. Die Urheberin des zweiten Gedankens verblieb allerdings noch eine Weile in der Pressebaracke.

»WasistdennjetztindiesenMajogefahrenaberichsagejaimmerMännerdarfmannichtalleinlasseneswirdhöchsteZeitmichumRobertzukümmern-hatdersienochalleoderwas?«

[1] Ich weise ausdrücklich darauf hin, daß diese Zeilen zwei Jahre vor dem 11.09.01 entstanden sind!