Kapitel Fünf

Trotz abgebrochener Friseurinnen-Lehre war Frau Bundeskanzlerin brünett und ihr Gatte fuhr kein fuchsbeschwanztes Potenzsurrogat. Insofern hob sie sich doch schon etwas von der Masse ab. Daß sie überdies bereits gelernt hatte, anderen Leuten die Köpfe zu waschen, beziehungsweise zu stutzen, konnte für ihre politische Laufbahn nur förderlich sein. Was sie aber wirklich zur höchsten Frau im Staate prädestinierte und sie von all ihren Vorgängern abhob: Als Aldi-Kassiererin wußte sie um die tatsächlichen Lebenshaltungskosten des kleinen Mannes. Als Mutter von zwei heranwachsenden Kindern verfügte sie über die alltägliche Routine im Umgang mit schwierigen Situationen, wie sie als Kind des Ruhrpottes auch kein Blatt vor den Mund nahm, um Tacheles zu reden. Da sie sich überdies keinesfalls zu fein war, in ihrem Büro des Kanzleramtes den Staubsauger selbst in die Hand zu nehmen, konnte sie auch jene Notiz unter dem Teppich finden, die sie zu ihrem Au weia! geführt hatte.

Ein schon reichlich vergilbter, aber dennoch von all ihren Vorgängern mit Kenntnisnahme gezeichneter Zettel enthielt sozusagen die Essenz deutscher Politik der Nachkriegszeit. Genauer gesagt handelte es sich hierbei um das Blatt eines Abreißkalenders aus den Fünfziger Jahren, auf dessen Rückseite der Kalenderspruch ‚Dummheit regiert die Welt‘ prangte. Unter, neben und über diesem Spruch fanden sich hierzu notierte Kommentare aller Kanzler deutscher Nation, die je nach Charakter und politischer Schule unterschiedlich ausfielen. So fand sich auf diesem Kalenderblatt quasi die gesamte bundesdeutsche Regierungsmaxime wieder. Begonnen mit dem Kommentar ‚Juter Jedanke, warum bin isch nidd selbs drop jekomme?‘ über ‚Au ja!‘, weiterführend mit ‚Chancengleichheit für alle, Dummheit für Regierung und Volk‘, ‚Nennen wir es Sondermodell Deutschland?‘ respektive ‚Das ist DIE geistig-moralischer Wende‘ bis hin zur letzten Kenntnisnahme, die allerdings in der Form eines schnell dahingekritzelten Cartoons leicht pornographischen Inhalts ausfiel, der wohl einen zigarrerauchenden Weiberhelden, umringt von vier entblößten Frauenkörpern, darstellen sollte. Ob dieses einmaligen geschichtsträchtigen Zeit- und Zeitgeistdokumentes in ihrer Hand, war Frau Bundeskanzlerin spontan geneigt, sich ebenfalls mit ihrem Au weia! auf diesem Kalenderblatt zu verewigen, entschied dann jedoch anders. Sie rahmte dieses Kalenderblatt in einem Standfotorahmnen, den sie günstig in einer Filiale ihre ehemaligen Arbeitgebers erstanden hatte, ein und stellte es als alternativlos mahnendes Bedenkmal auf ihren Schreibtisch.[1]

Gemeinsam mit Eva Meyer-Schludnigg zog ein völlig neuer Geist ins Kanzleramt, der gute Geist der Hausfrau, der Putzgeist. Eva Meyer-Schludnigg hatte sich vorgenommen, zuallererst einen kräftigen Frühjahrsputz zu veranstalten, all jene verstaubten Ecken, die im Laufe der Jahre übersehen worden waren, und in deren Staub sich bereits eigene sich selbständig organisierende Biotopen wie Verwaltungs-Schwämme und Amtsschimmel gebildet hatten, zu reinigen, auszubürsten und zu durchlüften. Gleichzeitig wollte sie einen Kassensturz veranstalten und eine Reihe der sich automatisch verlängernden Dauer-Abonnements wie Wiedergutmachung, Sozialhilfe, Asylantenbeiträge, etc., die dereinst von vorherigen Regierungen an der Haustür abgeschlossen worden waren, um endlich die lästigen Klinkenputzer los zu werden, kündigen.

Bei ihren Vorhaben wurde sie auch zunächst vollmundig von jedermann unterstützt, schließlich habe man das ja selbst schon immer vorgehabt, leider aber nie die richtige Zeit dafür gefunden, prinzipiell sei man auch der selben Auffassung, derlei Courage verdiene allerhöchste Anerkennung und es sei schon grundsätzlich richtig, daß endlich jemand auf den Putz haue. All diesen verbalen Zustimmungen folgten jedoch bald jene vier Buchstaben, die den Fortschritt eines jeden Unternehmens schlagartig in einen Rückschritt verwandeln können: A, B, E, R. Und jeder Einzelne dieser Buchstaben beinhaltet wiederum eine immense Fülle an Argumenten, die abzuwägen, anzuhören, zu berücksichtigen, mit einzubeziehen und in Arbeitsgruppen, Unterausschüssen, sowie Fachgremien auszuloten und zu diskutieren sowie anschließend rechtlich zu prüfen, inwieweit sie reformtauglich sind. Oder, simpler gesagt, wäre der Schöpfungsakt durch die prüfenden Hände deutscher Funktionärs-Gründlichkeit gegangen, hätte Gott trotz termingerechten Einreichens sämtlicher genehmigungspflichtiger Unterlagen bis jetzt nicht einmal das Licht einschalten dürfen, geschweige denn, ein Patent hierfür erhalten.[2][3] Doch Eva Meyer-Schludnigg besaß jene charmante kohlenpötterische Resolutheit, mit der sie dieses Aber noch hätte aus dem Weg räumen können. Was ihr wirklich im Weg stand, war ihre eigene Biologie. Wenn es auch die vorherrschende Meinung war, eine Bundeskanzlerin sei im Zuge der Gleichberechtigung endlich notwendig gewesen, so manifest blieb die Ansicht, die erste Kanzlerin hätte, damit sich das Volk allmählich daran gewöhnen könnte, nicht unbedingt gleich eine Frau sein müssen.[4]

Kurz gesagt, Eva Meyer-Schludnigg hatte keinen leichten Stand als erste Kanzlerin der Bundesrepublik. Nicht nur, daß sie als Frau weitaus eher aufgefordert war, ihre Qualitäten unter Beweis zu stellen, sie hatte überdies ein äußerst schweres Erbe angetreten.

Fast genau mit dem Eintreten des Jahres der dominierenden Nullen hatte ein erdrutschgleicher politischer Skandal den tiefen Sumpf nachkriegsdeutscher Politik frei gelegt. Jäh mußte der eh schon politikverdrossene Bürger erkennen, daß führende wählerverdrossene Politiker ihres Landes mittlerweile schon derart verblödet waren, sich beim Führen von Schwarzkassen und Entgegennahme von Gefälligkeiten und Schmiergeldern erwischen zu lassen. Jeglicher Glaube in die Werte der Demokratie war mit einem Schlag zunichte gemacht worden. Wohin sollte das ohnehin schon durch eine Flut von Gesetzen, Bestimmungen, Erlassen, Sonderregelungen, Geschwindigkeitsbegrenzungen bis zur Manövrierunfähigkeit überspülte Land noch treiben können, wenn selbst deren Steuermänner nicht mehr die notwendige Gerissenheit aufwiesen, sich unentdeckt kaufen zu lassen? Was sollte der kleine Bürger, der sämtliche Tricks kannte, Einkünfte an der Einkommenssteuererklärung vorbei zu mogeln, was sollte der Durchschnitts-Schwarzarbeiter, der neben seinem Arbeitslosengeld mindestens zwei andere lukrative Einnahmequellen anzapfte, was der Wirtschafts-Asylant, der alle seine Rechte, auf Kosten der Allgemeinheit leben zu können, auswendig im Schlaf herunter beten konnte, was der Fernsehmoderator, der Tennisstar und Fußballer, die offen und ehrlich Steuerflucht ins Ausland begangen hatten, von ihren regierenden Fürsten halten, die nicht einmal läppische Millionenbeträge ordentlich verstecken konnten?[5] Solch mangelnder Weitsicht war einfach nicht mehr zu trauen. Daß das eigene politische Desinteresse des Wählers derart schäbig profan ausgenutzt wurde, darin waren sich alle in ihrer Ehre als Nullbockler zutiefst getroffenen Bürger einig, entsprach allergrößtem Dilettantismus, den man bestenfalls einem Schwellenstaat des mittleren Himalayas oder einem Zuluhäuptling zugetraut hätte. – Wobei Letztgenannte bei einem Stammestreffen im besten Eaton-, bzw. Harvard-Englisch untereinander ihre Witze darüber rissen, daß Schwarzkassen wertloses totes Kapital darstellen, solange sie unbeweglich auf Konten herumlungern, statt sie in lukrative Aktienpakete zu investieren. Das wisse doch bereits jedes kleine Negerkind im abgelegensten Kral. Diese weißen Männer dachten tatsächlich noch in der mittelalterlichen Weltordnung der industriellen Revolution vor Erfindung der Laptops und i-phones.[6][7]

Es war jedoch keinesfalls ein leichter Weg, einem Volk der einstigen Dichter und Denker, Besserwisser und Lehrmeister, Wirtschaftswunderkinder und Väter der sozialen Marktwirtschaft solche Tugenden wie Fleiß, Qualitätsarbeit, Ehrlichkeit, Allgemeinbildung, Eigenverantwortung und fußballerisches Talent auszutreiben. Es benötigte immerhin vier Jahrzehnte, um den neu erblühten Stern des Automobilbaus von Flügeltüren zum Rausfliegen aus Kurven[8] zu bewegen, Schülern statt einem guten Lehrabschluß einen freien Abschuß der Lehrkörper bieten zu können, aus der Rechtschreibung eine Gerichtsschreibung zu gestalten und die wenig Unverbesserlichen, die noch brav täglich zur Arbeit fuhren, dermaßen mit Benzinsteuern zu belasten, daß diese sich ihre Fahrt zur Arbeit gar nicht mehr leisten konnten, sondern freiwillig weitaus günstigere Billigflugangebote zu mallorcinischen Saufgelagen in Anspruch nahmen. Die einstigen aufbauwilligen Bewohner Trizonesiens wurden im eigenen Land nach dem sich schnell geistig abbauenden Dekadenzien insofern umgesiedelt, als ihnen der bürgerliche Teppich des Maßhaltens unter den Füßen weggezogen und durch die billige Ausleg- und Ausrutschware dünnbrettiger Richtlinien ersetzt wurde. Alles in allem war es eine beachtliche Leistung, denn es bedurfte eines immensen Verwaltungsapparates gelangweilter Staatsdiener, die ob ihrer Überflüssigkeit plötzlich so lustige Bestimmungen ersannen, daß die wettbewerbsfähige Salatgurke einen bestimmtem Krümmungsgrad nicht überschreiten dürfe, ein Häuslebesitzer nach 25 Jahren zum Denkmalspfleger, der sein eigen Hab und Gut nicht mehr verändern durfte, ernannt wurde, daß die im Supermarkt erstandene Tube Alleskleber nach Gefahrgut-Transportbestimmung nur mit Sonderfahrerlaubnis zum Führen von Spezialfahrzeugen mit diesen auf extra zugelassenen Straßen ins denkmalgeschützte Eigenheim zu befördern sei und Schlaglöcher in Straßen nicht mehr zugeteert dürfen, da sie fortan als Behältnisse für witterungsabhängig lokal entstehende Kurzzeitkleinst-Feuchtbiotopen gelten.

Mit der selben deutschsturen Gründlichkeit, wie dem Bürger durch Bestimmungen, Verordnungen, Erlasse, Normen, Vorschriften und Gesetzen nur noch ein pro-Kopf zugeteiltes Volumen an Luft zum Atmen blieb, hatte dieser davon gründlichst satt. Denken, und der daraus resultierende Erkennungsprozeß, der wiederum die Behebung von Mängeln oder gar Verbesserung von Umständen in Gang setzen könnte, ward nirgends mehr gefragt oder mit einem solch ellenlangen Rattenschwanz an Behördengängen und Genehmigungen versehen worden, daß jeglicher Funken des Aufruhrs bereits im Keim erstickt wurde. Nicht unbedingt Dummheit, aber Tumbheit, also jenes geistige und körperliche Taubheitsgefühl, das sich mit leicht über die müde durchhängende Unterlippe herausragender Zunge ausgiebig in ‚Ääh!‘ artikuliert, hatte die Regierungsgeschäfte Deutschlands übernommen und lenkte nach diktatorisch-feudalistischer Manier den Staat zurück ins Mittelalter des Raubrittertums, jedoch mit dem einzigen Fortschritt verbunden, daß die Untertanen nicht mehr mit einem Zehent der Einkünfte, sondern mindestens einem Drittel belehnt wurde. Wobei die steigende Analphabetenquote durchaus hoffen ließ, daß auch dies das Volk nachzurechnen kaum noch in der Lage sei.

In diesen Sumpf also war Eva Meyer-Schludnigg durch ihr Au weia! geraten. Solange sie noch als Wahlkandidatin gehandelt wurde, galt sie in den Augen der Wähler als eine der ihren und wurde dementsprechend favorisiert, kaum aber hatte sie ihren Eid auf ihren neuen Job geschworen, gehörte sie bereits aus der Sicht ihrer Wähler zu denen ‚da oben‘, denen eh stets zu mißtrauen ist. So allein, wie sie zuvor wie jeder Bürger vom Staat gelassen wurde, so einsam stand sie nun an dessen Spitze, vielmehr im Mastkorb des im Morast der untersten Mittelmäßigkeit versinkenden einst stolzen Staatsschiffes.

Wie diese Nation je in diesen Sumpf hatte geraten können, wird detailliert nachzuvollziehen kaum jemand noch in der Lage sein. Hatte diese Gesellschaft denn nicht alle Vorteile einer westlich zivilisierten modernen Welt genossen? Waren denn die Kinder denn nicht vom harten Schulpaukalltag verschont geblieben, durften sie denn nicht so überflüssige Fächer wie die eigene Muttersprache und Mathematik zur Hochschulreife abwählen? Hatte man denn nicht dem Arbeiter von unnötigen Fachkenntnissen in Punktschweißen, Drehen, Fräsen und dergleichen mehr entlastet und diese Tätigkeiten Maschinen überlassen? Hatte man den Büroangestellten nicht den verwirrenden Überblick kompletter Betriebsabläufe entschärft und sie zu Sachbearbeitern für die Kundennamen K-M qualifiziert? Ja, hatte man ihnen nicht sogar das öde Totschlagen der Zeit mit Hausmusik, Lesen, Basteln und Werken abgenommen und ihnen dafür eine reichhaltige Auswahl an Unterhaltungsprogrammen geboten, mehr noch: ihnen darüber hinaus die Zeit des lästigen Geldverdienens bei vollem Lohnausgleich drastisch verkürzt? Waren denn nicht, wie es einer freien Gesellschaft geziemt, die Beschaffungswege zu Drogen aller Art erleichtert worden, konnten sich denn nicht sogar Straftäter bei deren Verurteilung des Mitleides der Richter um das verkorkste soziale Umfeld während der Kindheit sicher sein? Durfte denn nicht jeder seine Meinung frei äußern und sich seiner Veranlagung gemäß frei entfalten? Wo blieb die Dankbarkeit des Volkes für antiautoritäre Erziehung, freien Zugang zu Hochschulen, die Möglichkeit des Prozessierens durch sämtliche Instanzen, wenn die Nase des Nachbarn einem nicht gefiel, ja sogar der strafrechtlich zwar milde getadelten aber ansonsten freien Waffennutzung, wenn sich jemand zu Unrecht auf der Autobahn überholt fühlte? Unverständlich, wie sich dieser bunte, lustige, lärmende Freizeitpark je in ein schwarzes, nebulöses Moor verwandeln konnte ... zumindest unverständlich für jene herangewachsene Generation, die vom Lesen in Geschichtsbüchern verschont geblieben ist, jene verheißungsvolle Jungmanager- und Führungskräftegeneration also, die bei dem Stichwort ‚Roma‘ auf ihre allgemeine gute Bildung vertrauend sofort richtig auf die Nummer 12 einer Pizzeria-Speisenkarte tippen konnte und nicht im Entferntesten den Zerfall eines Imperiums in die Dekadenz assoziierte.

Nachdem Eva Meyer-Schludnigg sich die Mühe gemacht hatte, sich zunächst einmal ein Bild über dringend anstehende Regierungsgeschäfte zu schaffen und einen Blick auf die kommenden Repräsentationstermine geworfen hatte, war ihr als erstes die Sprengung des Schwarzweiler-Loches aufgestoßen. Als Kohlenpötterin, die schon etliche Kumpel an Steinstaublunge hatte dahinsiechen sehen, als Ruhrgebiets-Hausfrau, die im Freien zum Trocknen aufgehängte Wäsche schneller ergrauen sah als nach mehrwöchigem Gebrauch, wie auch als Bochumerin, die es einfach satt hatte, ihr Haus über den Balkon des ehemals ersten Stockwerkes betreten zu müssen, da ein Stolleneinbruch einer ehemaligen Zeche ohne jegliche Umbaugenehmigung einzuholen aus einer Häuserzeile kurzfristig zweigeschossige Kellergebäude geschaffen hatte, aber auch als Menschin gesund gebliebenen Verstandes, die es von Klein auf gewohnt war, sparsam mit Vorräten gleich welcher Art umzusehen, sah sie in dem Schwarzweiler-Projekt einen gewaltigen, nicht zu verantwortenden Eingriff in die Natur, wie auch in die Infrastruktur der Region rund um den ausgewiesenen Tagebau.[9]

Schnell machte sie sich Kenntnisse der Energiegewinnung zu eigen, die eindeutig belegten, daß bestenfalls Kameldung eine noch schlechtere Energieausbeutung als Braunkohle während des Verbrennungsprozesses versprach. Kameldung jedoch bot den eindeutigen Vorteil gegenüber der Braunkohle, sozusagen eine, wenn auch dahinplätschernde, so doch stets nachwachsende Energiequelle zu sein.

Ausgerechnet der ökologische Gedanke hatte dazu geführt, zunächst und somit rechtzeitig auf alternative Energien zu verzichten. Der zahlenmäßig unbedeutend kleine, aber als Mehrheitsbeschaffer der Regierungen Nordrhein-Westfalens und des Bundes unverzichtbare Koalitionspartner hatte folgende Überlegungen angestellt: Solange die Entsorgung von Atommüll nicht hundertprozentig sicher gewährleistet ist, stellt Atomstrom eine zu hohe Gefährdung der Umwelt dar. Alternative Windkraftanlagen in Form von riesigen Rotoren beeinflussen zu sehr die Singstimmen durchziehender Zugvögel. Ornithologen hatten festgestellt, daß insbesondere der Gesang des südwestskandinavischen getupft kreuzschwänzigen Haubenkopfschnäblers, der meist zwischen dritter und vierter Oktoberwoche Flugpause in Deutschland einlegt, bevor er seinen Winterurlaub auf der Ostseite des Insel Réunion verbringt, in der Nähe eines Windrades 5 % mehr Anteil an Moll-Intonationen aufweist als vergleichsweise auf einem biologisch angebauten Kartoffelacker. Da die Weltpopulation besagten Vogels nur noch 32 Exemplare betrug und daher eklatant vom Aussterben bedroht war, mußte die verstärkte Nutzung der natürlichen Windkraft zur Energiegewinnung mit Rücksicht auf die Natur eingedämmt werden. Ebenfalls war die Nutzung von Photovoltaik-Anlagen, die das Sonnenlicht in Energie umwandeln, auszuschließen, da bei der Herstellung der Fotozellen das umweltgefährdende Element Chlor ein hundertstel Prozent der Rohstoffe ausmachte, ganz zu schweigen davon, daß zuviel Sonnenbestrahlung nachgewiesenermaßen ungesund ist. Auch die Nutzung der Wasserkraft war aufgrund der für einige Fische unüberwindbaren Wehre von vornherein indiskutabel. Ebenfalls war der Wattwurm nicht aus seiner angestammten Heimat zu vertreiben, so daß auch Gezeiten-Kraftwerke an Deutschlands Küsten ein unverzeihlicher Frevel gegenüber diesem niedliche spiralförmige Sandköttel drehenden Wattbewohner darstellte.

Es sei hierbei am Rande nur erwähnt, daß während eines Fluges einer Umweltbeauftragten-Delegation der Öko-Partei zum australischen Symposium „Gefährdung der Wüstenheuschrecke durch genmanipulierte Zimmerpetunien“ die eigens hierfür gechartete Maschine die zufällig vorbeiziehende Weltpopulation des südwestskandinavischen getupften kreuzschwänzigen Haubenkopfschnäblers im Sog der Düsen kurzbriet.[10] Die selbe Maschine beregnete sanft und gleichmäßig zahlreiche niedliche Sandköttel mit abgelassenem, überflüssigen Kerosin während des Landeanfluges auf Hamburg. Immerhin, die in diesem Flugzeug sitzende Delegation feierte ausgelassen die von ihr auf dem Symposium eingebrachte Forderung eines weltweit sofortigen Zuchtverbotes genmanipulierter Zimmerpetunien, mit Rücksicht auf jene Wüstenheuschrecken, die sich mit Vorliebe in deutschen Wohnzimmern aufhalten.[11]

Insofern kam das Schwarzweiler-Projekt als Kuhhandel zwischen den regierenden Koalitionspartnern zustande. Gegen ökologische Bedenken wurden letztendlich ökonomische Vorteile aufgerechnet: Der Machterhalt der Regierung. Denn mit Schwarzweiler schuf man neue Arbeitsplätze und lockte die Wähler somit ans richtige Feld der Stimmabgabe. Der Einwand der Opposition, Schwarzweiler zerstöre eine infrastrukturell intakte Region des mittelständischen Handwerks, des florierenden Einzelhandels sowie noch gesunder Landwirtschaft und böte außer einer Handvoll Baggerführern und Muldenkipperfahrern niemand anderen neue Arbeitsplätze, wurde als kleinkrämerische Korinthenkackerei abgetan, die keinem anderen Zweck diene, als die Regierung madig zu machen, statt sich mit dem kleinen Mann zu solidarisieren, der nicht wolle, daß ihm morgen das Licht ausgehe[12].

Die erste Bundeskanzlerin deutscher Nation sah sich vollendeten Tatsachen gegenüber. Das Gelände für das Projekt war bereits aufgekauft, die ersten Dörfer waren evakuiert, die Braunkohlekraftwerke errichtet worden, bevor sie ans Regieren kam. Einzig und allein die Sprengung des Öffnungsloches stand noch aus, aber auch nur deshalb, weil es einige Koordinationsschwierigkeiten zwischen den ausgebuchten Drehtagen Molly Dustys und den Golfstunden des Kölner Bischofs, der das Loch segnen, weihen und beweihräuchern sollte, gab. Nicht jeder Kirchenvater wirft allein wegen großer Glocken sein aufopferndes Handicap durcheinander. So wurde wegen der unabdingbaren Präsenz geistlicher wie weltlicher Prominenz der Sprengtermin auf einen Tag verschoben, der bereits in Eva Meyer-Schludniggs Amtszeit fiel.

Und was machen Staatsoberhäupter, die das Beste für ihr Volk wollen, sich aber aufgrund der äußeren Umstände außer Stande sehen, in aller Öffentlichkeit ein drohendes Unheil zu verhindern? Richtig, sie greifen zum Mittel der Vetternwirtschaft. Da war Bundeskanzlerin Meyer-Schludnigg auch nicht anders als ihre Vor- und Nachgänger. So lud sie ihren Cousin Willy[13], von ihr ernannter Verteidigungsminister, zum Waffelessen eines Sonnnachmittages zu sich nach Hause ein.

Hätte ein unbeteiligter Spaziergänger durch die ehemals im ersten Stock befindliche Balkontür des Meyer-Schludniggschen Hauses geschaut, hätte er der Szenerie keine weitere Aufmerksamkeit geschenkt, außer vielleicht des leichten Verwunderns, daß in dieser Häuserzeile einige Zipfelmützenspitzen der Vorgartenzwerge die Dachfirste überragten. Da saßen eine typisch blau bekittelte und filzbepantoffelte kohlenpötterische Jedermanns-Schludnigg und ein typischer, leicht bierbäuchiger, dünn-haariger Revier-Willy in Clamotten-Anton-Jogging-Anzug beisammen, tranken Kaffee und aßen Waffeln aus bergischem Zwiebelmuster-Servih.[14] Selbst ein auf unverdächtig wirkende Situationen geschulter Paparazzo hätte hinter dieser Idylle keinen konspirativen Staatsstreich vermutet.

»Willy, ma ganz ehrlich, watt hältse von dem Schwattweila-Projekt?«

Der angesprochene Verteidigungsminister mümmelte an drei Waffelherzen, die er, Sahneklatsch und eingeweckte Kirschen auf das mittlere Herz, die beiden anderen an ihrer verbindenden Falz, links klapp, rechts klapp, darübergefaltet, gemeinsam in den Mund geschoben hatte.

»Datt iff ne Fauerei, fenne miff fon fo fragf. Iff hoffe, Du machff fatt dagegen.«

»Wenn ich nur wüßte, watt. Wie iss datt mitte Sprengung? Iss datt Dünnamitt nich fonne Bundeswehr? Kannze da nich irgendwatt deichseln?«

»Datt Zeuch, watt se bekomm, is kein Pfiffaling wert, hat jahrelang inne Baracke gelegen, wo datt Dach undicht war.«[15]

Willy faltete zwei weitere Herzen zusammen, darüber sinnierend, weswegen Waffelherzen zu fünf Stück statt zu sechsen zusammengebacken werden.

»Datt heiß, die Sprengung wird nix? – Willze noch nen Kaffe?“

Willy nickte, erneut kauend.

»Datt iff nichff gefachfft. Daff Zeuchf kann hochfgehen oda uchf nichf. Fielleichft hamfe Glück.«

»Ham we

»Ham fe«

Willy spülte eilends seinen Mund mit Kaffee leer.

»Ham se, mein ich. Deine Waffeln sinnt lecka, daf ich noch eine?«

»Willy nimm nur, is reichlich da. Watt wird passieren, wenne Sprengung nich hinhaut?«

»Dann wernsen Bagga nehm, dauert zwar länga, ändat aba nix.«

Eva Meyer-Schluddnigg trank einen langen nachdenklichen Schluck.

»Und wenn datt Gegenteil passiert?«

»Wie, datt Gegenteil?«

»Gibbet denn nich untaschiedlich starken Sprengstoff?«

Die Bundeskanzlerin schaute ihren Verteidigungsminister mit einem tiefen familiären Blick an, der unmißverständlich zum Inhalt hatte, daß Blut dicker als Wasser ist. Was die Familienbande der Meyer-Schludniggs betraf, so waren sie eindeutig dicker als nur ein Bindestrich zwischen den Familiennamen, und schon manche Schlacht hatten sie gemeinsam geschlagen. Willy Meyer verstand die Mission, die seine Cousine ihm nonverbal mit diesem eindeutigen Blick mitgeteilt hatte.

»Ma kucken, watt sich da machen läßt.«

Mit der festen Entschlossenheit eines Standbildes von Mann im schlabbrigen Jogging-Anzug, das weiß, wann die Glocken was geschlagen haben, griff Willy Meyer eisern zu den Waffeln.

Diese Episode belegt wieder einmal, daß die Menschen aus dem Ruhrgebiet die hohe Kunst des Tacheles zu reden beherrschen, womit sie kargen Worten mitunter arge Taten folgen lassen können.

Zwei Tage später erhielt das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz unerwartet hohen Besuch. Der Verteidigungsminister persönlich inspizierte unangemeldet das Amt, gab sich aber insgesamt recht freundlich und führte mit dem Dienststellenleiter ein angeregtes Vier-Augen-Gespräch gar nicht einmal so langer Dauer. Diese Unterhaltung plätscherte recht belanglos dahin, wobei der Verteidigungsminister den bisher recht formellen Formularweg innerhalb der Bundeswehr ansprach. Ob denn die Mitarbeiter des Bundesamtes nicht auch seiner Ansicht wären, daß das Image der Bundeswehr insbesondere bei den zivilen Herstellerfirmen aber auch bei der Bevölkerung nicht einen kleinen Tick aufgebessert werden könne? Eine Armee, die bis auf das Austesten neuer Waffengattungen in touristischen Krisengebieten ja wohl nie mehr ernsthaft in einen Krieg marschieren würde und mehr und mehr ihre Dienste in zivile Bereiche stellte, könne doch nur an Image, Zukunft und Daseinsberechtigung gewinnen, in dem sie sich als dynamisches Service-Unternehmen zeige. Warum denn nicht mal Chili con carne aus der Gulaschkanone bei Volksfesten, oder einen Kampfhubschrauber-Taxi-dienst für Krisenmanager der Wirtschaft einrichten? Er selbst sei ja gern bereit, nötige Investitionen nach Absprache mit seinem Neffen vierten Grades, dem Bundesfinanzminister, durch Erhöhung des Wehretats zu ermöglichen. Es könne ja nicht angehen, daß Ausschreibungsformulare zur Beschaffung von Ersatzteilen nach wie vor mit zentnerschweren natogrünen Schreibmaschinen und vier Durchschlägen getippt werden müßten.

Derlei viel Verständnis von einem Verteidigungsminister war der Dienststellenleiter, der selbst liebend gern während der dahinschleppenden Dienstzeit einmal ein Internet-Ballerspiel am dringend notwendigen PC probiert hätte, gar nicht gewohnt. Aufgrund der in Aussicht gestellten abwechslungsreichen Bürostunden war er dementsprechend nur allzu bereit, die quasi im Nebensatz vom Verteidigungsminister als Idee formulierte erste good-will-Aktion gegenüber dem im zivilen Bereich nicht gerade ohne gesellschaftlichen Einfluß stehenden Geschäftspartner Rhein und Ruhr Energieversorgung AG zu unterstützen, in dem man sie für die Sprengung des Tagebaus mit exzellent frischem und sehr durchschlagskräftigem TNT versorgte. Eine solch zuvorkommende Dienstleistung könne sich doch schon recht bald als ein imagefördernder Knalleffekt erweisen. Und da dieses Gespräch unter wahren Männern geführt wurde, bedurfte es keiner weiteren Gesprächsnotiz, die ja nur einen Verfall zurück in den alten Aktentrott bedeutet hätte.

[1] Von mir nun eine Erklärung zu erwarten, wie dieses Kalenderblatt den Umzug von Bonn nach Berlin überdauern konnte, ist a) ein Staatsgeheimnis, b) eine Mißachtung der kreativen Phantasie des Lesers und wird c) eh irgendwann von „Galileo-Mysteriös“ in einer Exklusivsendung aufgedeckt.

[2] Aus zuverlässigen Kreisen (diese Kreise sind immer zuverlässig dann in Erscheinung tretend, wenn in den Medien zitiert zu werden sich niemand anders findet – sozusagen das stille Reserverad journalistischer Verlautbarung) stammt die Behauptung, tatsächlich befände sich die ganze Angelegenheit noch in der Testphase, die aus tierschützerischen Gründen erstmals an menschlichen Testsubjekten ausprobiert, bevor das Patent freigegeben werde. Angeblich überböten sich bereits ein Filmproduzent, die Drogen-Mafia und ein nicht genannt sein wollender Sammler skurriler Ideen aus Dubai im Kaufpreis der Alleinnutzungsrechte.

[3] Aus noch besser informierten Quellen stammt die Verlautbarung, das Ganze entspräche nicht dem Quallitätsmanagement nach EN 9002, sei somit nicht wettbewerbsfähig und werde daher nicht vom TÜV zertifiziert.- Dies allerdings wird vehement vom Dachverband transozeanischer Kopffüßler dementiert. Die Quallität sei im wesentlichen schon okay, man fordere lediglich einige weniger von Quatropoden verseuchte Strände, die mit ihren ungelenk knöchernen Gliedmaßen in geradezu lächerlicher Anzahl eh zum Aussterben prädestiniert seien.

[4] Tatsächlich versuchten es einige Parteien mit Kompromißlösungen, indem sie zunächst Homosexuelle in führende Positionen hievten. Die PDS ging sogar so weit, einen Bürgermeister aus ihren Reihen zur Frau geschlechtsumwandeln zu lassen, und dies alles nur, da sie nach wie vor den biologisch natürlichen Genen einer Frau mißtraute. Nach dem Motto ‚es ist gut so’ wurde Schwulsein derart populär, daß per Greencard angelockte Heterosexuelle aus fruchtbaren Dritte-Welt-Ländern geworben werden mußten, um den Erhalt einer Bevölkerung über die kommenden Generationen hinaus gewährleisten zu können.

[5] Die einzige Ausnahme hierfür bildete ein Parteischatzmeister der CDU, der auf seinem eigenen Konto eine Million DEM derart gut versteckt hatte, daß er sich selbst nicht mehr daran erinnern konnte, wie sie dorthin geraten war.

[6] Etwas cleverer sein wollende Steuerhinterzieher versteckten ihre Gelder unter einem liechten Stein, der jedoch von einem kriminellem Denunzianten umgekickt wurde, niemand – schon gar nicht die ermittelnden Behörden oder Regierenden – nahm daran Anstoß, daß das Denunzieren aus zwielichtiger Quelle in Deutschland wieder in Mode kam.

[7] Um sich Abfolge englischer Pronomina besser merken zu können, erfand die Industrie dazu passende Produkte: I phone, you tube, he man, she anzug, it girl, we ii, they gemehl.

[8] Seither beten die deutschen Automobilkonstrukteure, daß dieser bittre Elch an ihnen vorbeizöge.

[9] Dies ist die Stelle, an der dieses Buch die Grenze der Realität zur Fiktion hin überschreitet: Die echte Kanzlerin hatte bereits Braunkohlestaub sozusagen mit der Muttermilch aufgesogen, während im „Revier“ Geborenen nichts über ihre Steinkohle geht.

[10] Inwieweit mit zwischen dem Verschwinden dieser Vogelart und dem danach plötzlich einsetzendem Bau-Boom von Windkraftanlagen ein Zusammenhang besteht, ist dem Autor unbekannt. Dahingegen weiß dieser, daß die zu erwartenden stärkeren Windböen aufgrund des Klimawandels zwangsläufig zur Stillegung dieser Kraftwerke führen, da diese eher für laue Lüftchen konzipiert wurden.

[11] In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, daß die im selben Verlag wie dieser Roman erschienenen Kochbücher garantiert nicht aus Papier von genmanipulierten Bäumen hergestellt werden und somit keinerlei Gefahr für den Verzehr der daraus nachempfundenen Gerichte besteht.

[12] Nichts fürchtet der Bundesdeutsche mehr, als das Licht ausgehen könne. Daß ihm ein Licht aufgehen könne, wird er kaum zu fürchten haben, eher fällt ihm der Himmel auf den Kopf als dieser in himmlische Erleuchtung.

[13] Obwohl sich Etliches seit Manuskript-Erstellung retrospektiv gesehen bewahrheitet hatte, eine derartige Abstrusität wie eine Große Koalition erschien dem Autor doch zu weit hergeholt. Merkel: Die Wirklichkeit schreibt eben doch die wilderen Satiren..

[14] Nicht zu verwechseln mit dem Service. Erst recht nicht mit jenem im Deutschen schon immer sehr klein geschriebenen service der Dienstverweigerung. Auch nicht mit dem britischen Hotelier Sir Whizz, der für seine luxuriös eingerichteten Suiten bekannt ist, die u. a. auch angewärmte Handtuchhalter als selbstverständliche Annehmbarkeit aufweisen. (Angewärmte Handtuchhalter sind Hotelpagen leicht homophiler Ausprägung, die diskret in Hotelbadezimmern mit ausgestrecktem rechten Arm vor sich hin stehen. Diese Geste wird häufig von unerfahrenen Kontinental-Touristen als Aufforderung mißverstanden, dem Pagen ein Geldstück zu reichen, seinen Arm herunterzudrücken und abzuwarten, daß dieser mit den Augen rollt, Klingelgeräusche von sich gibt und Münzen ausspuckt. - Dies konnte in rotweinseliger Runde mit einigen Testlesern dieser Satire festgestellt werden. An dieser Stelle ein Gruß an Susanna, die ihre Kenntnisse Brightonscher Hotelgastfreundschaft als erheiternden Beitrag hier einfließen ließ.) Das typische Kohlenpott-Servih kommt nur zu besonderen Anlässen feier- und sonntags aus dem noch vollmassiv auf Eiche getrimmten Buchenschrank gelsenkirchen-buirschen Barocks auf den sehr kompliziert zu bedienenden Auszieh- und höhenverstellbaren Wohnzimmertisch aus den fünfziger Jahren, um den sich dann, die extrem angewinkelten Kniee in Ohrenhöhe gebracht, in äußerst schwere Sprungfedersessel sehr gedeckter Farbe, spindelgedürrten Beinchen und frottierten Stoffbezuges gehockt wird. Das Servih zeichnet sich insbesondere dadurch aus, daß es gemäß seiner Aussprache nie komplett ist. Irgend ein Teil fehlt immer und wird kurzerhand durch das farblich unpassendste Ersatzteil eines weiteren Servih (nein, ein Servih besitzt keinen Genitiv, der ist wahrscheinlich zusammen mit dem Deckel der Zuckerdose verloren gegangen) ersetzt. Servih (einen Plural kennen sie ebensowenig, wozu auch, im ‚Pott’ ist das Servih eh allgegenwärtig) behausen im übrigen den verglasten Mittelteil besagter Schränke und bieten oftmals Postkarten mit mediterranen Motiven aus den 60er Jahren Asyl, mit denen sie in einträchtiger Symbiose wohl auch das kommende Jahrtausend überstehen werden.

[15] Während der präschludniggschen Regierung, also zu Ruperts Zeit als Verteidigungsminister, waren sich beide Koalitionspartner äußerst uneinig über den Erhalt der Bundeswehr gewesen. Während der größere Partner unbedingt Wert darauf legte, daß einer ihrer Parteigenossen – und sei es selbst der langsame Rupert – einen Ministerposten ... hm, was denn eigentlich: bewohnte, ausfüllte, leitete, auskleidete? ... beschlief!, lehnte die kleinere Regierungsfraktion den Weitererhalt einer Verteidigungsarmee kategorisch ab. Als Kompromiß wurden dann am standhaften Rupert vorbei etliche Milliarden an Verteidigungsetat gekürzt und den Soldaten nahegelegt, in Manövern laut „Peng“ zu rufen, da auch Munition nicht weiter beschafft wurde. Einer derartigen Schattenarmee sich zu stellen, fanden dann auch die potenziellsten Feindstaaten weit unter ihrer Würde.Selbst NATO-Verbündete lehnten mehrmaliges Betteln Ruperts, sich an einem Krieg beteiligen zu dürfen, zunächst kategorisch ab. Erst nachdem feststand, daß alle Generäle außer Rupert wußten, daß die Bundeswehr weder materiell noch personell in der Lage war, sich in Kriegsgeschehnisse einzumischen, wurde Ruperts Drängen nachgegeben. - Nunmehr auch ohne Feindbild, gab es auch keine weitere Existenzberechtigung für die Bundeswehr. Um aber dennoch Ruperts Ruhekissen zu erhalten, wurde kurzerhand den bis dato ausschließlich männlichen Soldaten deren biologischer Erbfeind ins eigene Lager geschleust. Eine durchaus geniale Kriegsstrategie, denn der Umgang mit Spielzeugpistolen und das Nachjagen des jeweils anderen Geschlechtes war den Rekruten noch bestens aus Kinderzeiten vertraut, so daß sich dadurch auch die Kosten einer entsprechenden Grundausbildung weiterhin drastisch senken ließen. – Aufgrund dieser Sparmaßnahmen nimmt es nicht Wunder, daß auch das Inventar der Bundeswehr einem Zustand entsprach, als habe es bereits einen Krieg verloren.