Kapitel Sieben

Wer im Deutschland der Jahrtausendwende noch ernsthaft glaubte, Politik und Wirtschaft bestimmten das tägliche gesellschaftliche Leben, gehörte bereits wegen seiner unschuldigen Naivität in eine geschlossene Anstalt, um vor weiterem Unbill geschützt zu werden, oder gar in die Raritätensammlung eines auf exotische Tierarten spezialisierten Zoos. Längst hatten die Rundfunkanstalten und an deren Spitze zwei sich gegenseitig bekriegende Medienmogule das Schalten und Walten, oder besser gesagt das Zappen und Surfen des Landes übernommen. Die Medien bestimmten mittlerweile über Auf- und Abstieg von einzelnen Politikern aber gegebenenfalls auch Parteien und konnten mit lanciertem Journalismus selbst die Wirtschaftlichkeit ganzer Konzerne bestimmen. Broker lasen im DAX längst die Meldungen des Vorabends wie andere im Kaffeesatz die Zukunft, ohne je einen Blick in eine Zeitung geworfen oder gar Nachrichten gehört zu haben. Umgekehrt konnte sich selbst der Kleinaktionär darauf verlassen, daß, wenn ein bestimmter Tatort-Kommissar seinen Fall relativ leicht gelöst hatte, sich die Telekom-Aktien am kommenden Tag mit Gewinn verkaufen ließen[1]. Längst war der Spieß umgedreht, in den Medien waren nicht mehr fürderhin Geschichten, die das Leben schrieb, nachzuvollziehen, das Leben richtete sich nach den jeweiligen Trends und Meinungen, welche die Medien vorgaben. Überfielen Rundfunk- und Fernsehanstalten unangemeldet bereits bisher unbescholtene Bürger, drangen bis in deren Schlafzimmer und gar versteckte Seelennischen vor, um sie einer amüsierten Zuschauerschaft bis hin zur Verblödung zu entblößen, so geschah es immer häufiger, daß Menschen, die seit Jahren in Mietshäusern friedlich und anonym aneinander vorbei lebten, sich plötzlich in der selben Talkshow an die Hälse gerieten in der Grundsatzdiskussion darüber, ob die Banane nun krumm oder gelb sei, wobei beide Parteien anschließend als Talkgäste zu weiteren Shows eingeladen wurden, um ausführlich über die Gewaltzunahme durch die Medien zu streiten um weitergehend in Boulevard-Magazinen als Fallbeispiele für zerstrittene Mieterparteien zitiert zu werden und um später dann als Hauptfiguren als Täter und Opfer eines Mordanschlages durch die Nachrichten zu geistern. So sehr nahmen die Medien mittlerweile Anteil am gesellschaftlichen Leben, daß, wenn einem Passanten ein die Fernsehruhe der Eltern störendes Kleinkind aus dem Fenster eines zehnten Stockwerkes entsorgt auf den Kopf fiel, die unmittelbaren Zeugen erst einmal Ausschau nach der versteckten Kamera hielten, jederzeit bereit, ernsthaft zu versichern, sie verstünden doch jeglichen Spaß. Vom Frühstücksfernsehen für Vegetarier über das Mittagsmagazin für verschiedene Mitesser bei Bundespräsidentsgattinen bis hin zum Gute-Nacht-Kuß & Kotz für Bulämie-Erkrankte verfolgten die Medien den Bürger rund um die Uhr, sahen alles, wußten alles, lenkten alles. Mittlerweile brauchte in den Verkehrsnachrichten kaum ein Stau gemeldet zu sein, schon fuhren genügend Verkehrsteilnehmer sofort zur besagten Stelle, um der Nachricht auch Folge zu leisten.

Nur eine einzige winzig kleine Nische, ein Schlupflöchlein vor der Allgegenwärtigkeit der Reporter und Journalisten, ein Spalt ein Riß, ein Schmiß in der buntschillernden Dolby-Surround-Fassade war übersehen worden: Der Filz der Studentenverbindungen und Burschenschaften. Hatte man jene schlagenden und nicht schlagenden Bundesbrüder längst als lebenden Anachronismus belächelt und in die Schublade des öffentlichen Vergessens abgelegt, so erwies sich der Corpsgeist dennoch überlebensfähiger als hundert Zeitgeiste zusammen genommen. Und was die linksdrehende Bakterie den Joghurt-Nachtisch erst verdaulich macht, das macht der rechtsdrehende Burschenschaftler vertraulich untereinander an den Tischen der Macht aus, um an der Öffentlichkeit vorbei noch jene Fäden zu ziehen, die selbst die Medien nachzuvollziehen oder gar zu erkennen kaum in der Lage sind. Hubert van Strahlen, Vorstandsvorsitzender der Rhein und Ruhr Energieversorgung AG, ist ein solcher Burschenschafter.

Was die Studentenverbindungen untereinander aber auch mit den Gewerkschaften gemein haben, ist deren historische politische Bedeutung zur Zeit ihrer Gründungen, die seinerzeit auch gesellschaftlich notwendige Strukturwandel nach sich gezogen hatte, wie aber auch ihre mittlerweile absolute Überholtheit in einem Gesellschaftsgefüge, das kaum mehr dem des 19. Jahrhunderts glich. So existieren beide mittlerweile fossilierten Instanzen, Burschen- wie Gewerkschaften, eigentlich nur noch aus alten Traditionen heraus, die ungefähr auf das Selbe herauslaufen: Heißt bei den Korporierten die Devise ‚Saufen statt Studieren‘, so lautet es bei dem Gewerkschafter ‚Mehr Gehalt für weniger Leistung‘.

Innerhalb der studentischen Verbindungen unterscheidet man in zwei Lager: das erste, die Schlagenden, halten es für eine besondere mannhafte Ehre, sich gegenseitig mit Hiebwaffen die Gesichter zu verunstalten, während im zweiten Lager der Nichtschlagenden die Meinung vorherrscht, ritualisiertes Sich-gegeneinander-unter-den-Tisch-Saufen beim Absingen eines schlüpfrigen bis hin zu sumpfig-braunen großdeutschen Liedergutes sei bereits ausreichend der eigenen Würde entsprechend. Während das akademische Wangenzerhacken der Burschenschaften gesetzlich verboten ist, kann sich der nichtakademische Pöbel ähnliche Verunstaltungen ungestraft bei jedem Piercing-Studio einkaufen, und gilt Trunkenheit in geschlossenen Gesellschaften, die sich in einem Küchenlatein gegenseitig anlallen, als reaktionär, gehört der öffentliche Alkoholismus mit unflätigen Beschimpfungen zur allabendlichen Zeremonie innerhalb jeder gut besuchten Gaststätte und wird allsommerlich in ausladenen Prozessionen zu einer balearischen Insel als Ausdruck typisch deutscher Kultur gefeiert. Aber nicht allein der Umstand, vom Großteil der Gesellschaft verpönt zu sein, schließt ein festes Band um die Enkel jener gedanklichen Väter eines liberalen Deutschlands, die dereinst eine freie Republik forderten; es ist vielmehr das gemeinsame Erleben und Zusammenhalten in jenen allzu menschlich schwachen Momenten, in denen auch die Doktorwürde unter den Tisch fällt und man(n) so sich gehen lassen darf, wie man(n) ist, ohne dafür geächtet zu werden. Sprich: wer einmal im gemeinsam Erbrochenem gelegen hat, wird auch fürderhin die Lanze füreinander brechen.

Trotz oder vielleicht auch gerade wegen des erheblichen Alkoholkonsums erlangen doch erstaunlich viel Korporierte akademische Grade und darüber hinaus auch auf lukrative Sessel in Direktoren- und Aufsichtsratsbüros, wenn sie nicht ausgerechnet die Kanzeln von Kirchen und Gerichtsbarkeit besetzen. Hierbei jedoch zu vermuten, die Korporierten hälfen sich gegenseitig in die Sättel der Macht, wäre doch zu arg an jenem Band herbeigezogen, daß diese Bundesbrüder einst für sich erkoren hatten. Sagen wir eher so: das Farbenband einer studentischen Verbindung dient zwar gut als Ariadnefaden im gesellschaftlichen Labyrinth der Chefetagen-Korridore, doch nicht zwangsläufig als Abschleppseil zur beruflichen Hebebühne. Da aber die Korporierten außer zu ihren Gründungsfesten, zu denen sie in grölenden Horden torkelnd bis dato verschlafene Kleinstädte überfallen, so gut wie gar nicht von der Öffentlichkeit wahr genommen werden, können sie auch völlig unbesehen ihre Bande festigen und so manches interessante Päckchen damit schnüren, das mit einem Mal wie eine Postwurfsendung mit anonymen Absender im Briefkasten der Öffentlichkeit auftaucht.

War die Paketschnur in diesem Fall das Farbenband der Burschenschaft Rhenania Colonia, der van Strahlen seit seinem Studienbeginn der Betriebswissenschaften angehörte, so bestand das Packpapier aus van Strahlens energiepolitischer Überzeugung, die einwandfrei den Atomstrom ohne Wenn und Aber favorisierte. Nach den Gründen befragt, wieso Hubert van Strahlen der nuklearen Energiegewinnung gegenüber der herkömmlichen den Vorzug gab, führte er offiziell stets das Argument der beschränkten Ressourcen fossiler Brennstoffe an. Inoffiziell aber, und für ihn selbst der weitaus überzeugendere Aspekt, gab er allein der Architektur von Atommeilern den Vorzug. Auf ihn hatten die Kuppelbauten der Reaktorhüllen, die schlanken Schornsteine, wie auch die taillierten Kühltürme stets eine erotisierende Ausstrahlung ausgeübt. In ihnen sah er die kühle und schlichte Ästhetik symbolhafter Formen, die derart aus sich selbst sprachen, daß es selbst van Strahlens nicht gerade schillerndster Phantasie gelang, nebst Phallus und Mammae insbesondere den korsettierten Rumpf seiner Lieblingsdomina in den AKW-Bauten wieder zu entdecken.

Spätestens seit Siegmund Freud war die Industrie ja bemüht, der von ihm entdeckten erotischen Symbolik Rechnung zu tragen, indem sie den Designern empfahl, möglichst eindeutige Formen den herzustellenden Produkten zu verleihen, um dadurch den Absatz von schwer verkäuflichen und auch eher kantig ausfallenden Gegenständen, wie zum Beispiel Eiffeltürme, zu verbessern. Ohne die bahnbrechende analytische Betrachtungsweise jenes Wiener Begründers eines höchst voyeuristischen wie auch gleichermaßen écoutistischen[2] Berufszweiges wäre die Menschheit kaum auf die Idee gekommen, Trägerraketen zu entwickeln, U-Bahn-Tunnel zu bauen, Lippenstifte aus ihren Behältern wachsen zu lassen, Eis am Stiel zu schlecken oder gar Schalthebel für PC-Spiele ‚Joystick‘ zu nennen. Allein die Tatsache, daß es vor Freud weder Spritzschlagsahne aus der Dose noch Cocktail-Shaker[3], geschweige denn Fischstäbchen oder Fischer-Dübel gab, mag dem staunenden Leser vor Augen führen, welche Fülle an Inspirationen diese neue Sichtweise hervorgerufen hatte. Hätte Freud seinerzeit nicht derart lange die beim Kochen aufgeplatzte Wiener Wurst angestarrt, sondern statt dessen eher sinnierend in eine Tasse Melange gestiert, während er schüchtern sein erstes Rendezvous in einem Heurigen absolvierte, verzweifelt nach Worten ringend, wie er seiner damalig Angebeteten seine geheimsten Träume verrate sollte, wer weiß, wie sich statt dessen das Industriedesign entwickelt hätte? Andererseits, wie hätte Freuds damalige Freundin auf eine verschüttete Tasse Milchkaffee auf ihre keusch hochgeschnürtes und dennoch stattlich gefülltes Biedermeier-Mieder reagiert? Die ihr sanft und zärtlich von Siegmund in die Hand gedrückte Bockwurst hingegen hatte sie auch ohne jeglichen verbalen Senf dazu als sofort Zeichen Freud'schen Verlangens erkannt und spontan gewußt: Dieser Mann war reif für die Couch!

So aber löste die Freudsche Formenlehre jenes oben beschriebene Entzücken bei einigen Betrachtern von Kernkraftwerken aus.

Und da Hubert van Strahlen sich selbst als Ästhet höchsten Grades verstand, der sauberen Strom liefern wollte, ging ihm dieser Schwarzweiler-Deal zwischen damaligen Politikern und seinem Konzern persönlich gewaltig gegen den Strich. Er haßte die Hitze und den Kohlenstaub, bzw. den öligen Geruch von herkömmlichen Kraftwerken, ebenso, wie er den Gestank von Müllverbrennungsanlagen abscheulich fand. Wie sauber und rein dagegen erschien ihm der atomare Strom. Von ihm sah, hörte, schmeckte, roch man nichts. Und wären nach seiner Auffassung die Politiker nicht so verdammt bürgernah gewesen, jedem Atomkraftwerksgegner bereits Wochen voraus die exakte Route von Atommülltransporten mitzuteilen, wären weder diese, die sich zu Massen entlang der Gleise protestierend postiert, noch die zahllosen Sicherheitskräfte, welche die Transporte vor den Gegnern zu schützen hatten, je auch nur in die Nähe einer vielleicht geringfügigen Strahlungsdosis gekommen. Wie unkomplizierter, so dachte van Strahlen, handelten doch seine französischen Wettbewerber, die Nacht und Nebel nutzten, ohne größeres öffentliches Aufsehen ihren nuklearen Müll über das Bahnnetz zu entsorgen. Wenn nicht gerade ein unvorsichtiger Gleisarbeiter von einem derartigen Zug überrollt wurde, kümmerte es die französische Bevölkerung herzlich wenig, welche Opfer Atomstrom fordern könnte.

Nun war Hubert van Strahlen nicht nur Ästhet und Vorstandsvorsitzender des größten Energiekonzerns Europas, sondern eben auch Bundesbruder jenes seßhaften Schluff, der immerhin schon über fünf Legislaturperioden den Kanzlerstuhl breit gesessen hatte. Und solange Schluff saß, konnte sich van Strahlen sicher sein, würde die Bundesregierung entgegen der nordrhein-westfälischen Landesregierung Schwarzweiler nicht befürworten. Dafür hatten er und Schluff bereits vorgesorgt. Denn so träge und gewichtig Schluff nach außen wirkte, so tricky und gewieft war er dennoch, seinen Kanzlerjob nach und nach in eine Monarchie eigener Gnaden umzuwandeln. Und so sorgte Schluff durch wahrhaft königliche Geschenke an Wirtschaft und Industrie dafür, daß sich diese wiederum durch großzügige Parteispenden bedankten, die Schluff dazu einsetzte, sich einen Hofstaat untertänigster Vasallen und Landgrafen zu finanzieren. Und da es nicht gerade billig ist, aufstrebende Fürsten bei Laune zu halten, hatten er und van Strahlen folgenden Plan ausgeheckt: Frankreichs Energieversorgungskonzern bekommt ein marodes Petrochemiewerk geschenkt, dafür erhält Bundesbruder ‚Hubertus‘ freien Zugang zu drei französischen Atommeilern, die den Rest Deutschlands weiterhin mit gelbem Strom versorgen, während das nordrheinwestfälische Rotgrün mal zusehen sollte, wie sie den teuren Braunkohlestrom an den kleinen Mann verkaufen kann. Irgendwann würde dieses wohl schon aufgegeben werden, und er König Schluff, der Seßhafte, könne dann aus dem Tagebau eine weitere blühende Neubiotopenlandschaft zaubern. Hubertus bedankte sich ebenso großherzig bei seinem Bundesbruder, wie auch Frankreich einen wahrlich fürstlich-großherzoglichen Scheck an Schluffs Partei ausstellte.

Niemand aber hatte wirklich damit gerechnet, daß Schluff zu Lebzeiten seinem Thron verlassen könnte, nicht einmal jene Wähler, die gegen ihn gestimmt hatten. Bereits direkt nach der Wahl konnten sie sich schon nicht mehr daran erinnern, ihr Kreuz dem Gegenkandidaten geschenkt zu haben. Schluff hatte sich aufgrund seiner langen Amtszeit derart fest im Bewußtsein der Bevölkerung eingesessen, daß man sich eine Zukunft ohne ihn kaum mehr vorstellen konnte. Selbst Schluffs Nachfolger wußten nach einem Jahr ihres Wahlsieges immer noch nicht, wie sie denn eigentlich regieren sollten, da Schluff achtzehn Jahre zuvor alles selbst in die Hand genommen hatte. Erst als die neuen Regierenden auf die Idee kamen, sich doch einmal das Erfolgsrezept ihres Vorgängers abzuschreiben, stießen sie auf einige Schatznebenkammern des einstigen Königs. Und laut aufjaulend vor lauter Neid, daß Schluff weitaus großzügigere Geschenke erhalten hatte, während sie selbst nur gerade mal mit einem kleinen Flugzeug einer kleinen Landesbank abgespeist worden waren, was sich im Vergleich zu Schluffs Vergünstigungen eher wie Billigstflüge ausnahm, gingen sie damit an die Öffentlichkeit, in der Hoffnung, diese würde nicht merken, daß sie immer noch nicht aus dem Schatten von Schluff heraus das Regieren erlernt hatten. Hatte im ersten Jahr Deutschlands übereilte Teilnahme an einem schnell konstruierten Krieg über das Regierungsvakuum hinwegsehen lassen, überschattete im zweiten Jahr die Schluff-Affäre das Nichtvorhandensein einer erkennbaren Regierung. Mehr noch, Schluff, der Gestürzte stand in weitaus strahlenderem Rampenlicht als zu seinen bes(essen)sten Thronzeiten. Im dritten Jahr wurden jedoch interessante Nebenschauplätze dünn, auf denen man sich hätte austoben können, ohne gefragt zu werden, was die Regierenden denn sonst noch so täten, außer sich aus der Verantwortung zu stehlen. Da besann man sich flugs des längst in Vergessenheit geratenen Schwarzweiler-Projektes und hoffte, mit dem Adjektiv ‚weltgrößter‘ dem Volk bei der Umsetzung des Tagebaues imponieren zu können, wobei man durch kräftiges Anziehen der Mineralösteuerschraube zugleich den Nutzen der Braunkohle als Energiequelle als vergleichsweise billiges Geschenk anpries.

Bis dato hatte sich Hubert van Strahlen noch damit abfinden können, daß Schluffs hartnäckiges Schweigen über die Quellen der Spendengelder Garant genug war, daß er dereinst unbehelligt die französischen Atommeiler anzapfen könne, wenn der Betrieb der deutschen Kernkraftwerke eingestellt werden würde. Daß jetzt auch nunmehr die neue Bundesregierung die Verbrennung von Braunkohle favorisierte, schmeckte van Strahlen überhaupt nicht. Zwar hatte er, tüchtiger Geschäftsmann, der er nun einmal war, immerhin dafür sorgen können, daß dieses Projekt allein aus Steuergeldern finanziert werden sollte, aber der rußige Geschmack blieb dennoch.

Selbst auf die Demonstranten und Tagebaugegner war nicht allzu viel Verlaß. Bereits die erste zaghafte Berührung, quasi das erste schüchterne Kennenlernen eines Gummiknüppels oder eines Gummiprojektils, ließ viele der Demonstrierenden umkehren. Da nutzten auch keine Anreize wie das Zahlen großzügiger Schmerzensgelder, um die Tagebaugegner weiter bei demonstrierender Laune zu halten.

Hubert van Strahlen dachte in solchen Momenten, in denen Wasserwerfer erfolgreich Schneisen in Demonstrantenzüge, welche die Zufahrtswege zum Tagebau behindern wollten, schlagen konnten, wehmütig an alte Zeiten der ersten Studentenkrawalle zurück. Das waren halt noch Kämpen von altem Schrot und Korn gewesen, nicht solche Weicheier wie heute, die sich ängstlich wimmernd bei der ersten MG-Salve der Sicherheitsbediensteten auf den Boden schmissen. Zwar vermochte van Strahlen nicht mehr, sich an Maschinenpistolen in den Händen der Polizisten während der damaligen Demonstrationen erinnern zu können, wie ihn ebenso sein Gedächtnis darüber im Unklaren ließ, wann er denn selbst je an einer Demo teilgenommen hatte[4], aber sicher war: im Gegensatz zu den heutigen Warmduschern hätte er damals jedem eisigen Wasserwerfer gegenüber Stand gehalten und zurückgepinkelt.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als weiterhin Umweltschutzorganisationen, Bürgerinitiativen und autonome Gruppen ebenso wie Skinheads mit Spenden zu unterstützen und gleichzeitig die Absperrungsmaßnahmen gegen diese gekauften Demonstranten derart zu verschärfen, stets darauf hoffend, die Stimmung möge derart eskalieren, daß endlich die Öffentlichkeit aufhorchen und die Stillegung des Projektes Schwarzweiler fordern und die Regierung es dann durchsetzen werde. Doch nichts Dergleichen geschah. Im Gegenteil. Je mehr die Medien die Unsinnigkeit dieses Projektes hochkochten, desto unnachgiebiger reagierten die regierenden Köpfe. Endlich fühlten sich diese als wahrhaft Regierende bestätigt, die unbestechlich ihr Programm durchziehen wollten. Hubert van Strahlen sah kaum eine Chance mehr, sich erfolgreich dem Tagebau entziehen zu können.

So lag er auch eines Nachmittages eher lustlos auf der Matratze eines rostigen Eisengitterbettes mit den Handschellen an dessen Kopfende gefesselt, während Lady Lu, seine langjährige Erzieherin, im enggeschnürten schwarzen Korsett breitgesäßig auf seinem Bauch hockte und ihm die Brusthaare einzeln mit einer Pinzette ausriß. Vergebens versuchte van Strahlen, sich zwei üppig aus dem Kühlturmform des Korsetts quellende Reaktorkuppeln vorzustellen, so lange seinem Schornstein zu Wachsen an diesem Tage offenbar die rechte Laune fehlte. Selbst Lady Lus Zofe Bettina hatte nicht vermocht, van Strahlens Männlichkeit Leben einzuhauchen.

Lady Lu, mit bürgerlichem Namen Erna Pütz, machte sich in letzter Zeit ernste Sorgen um ihren Hauptkunden. Hatte sie dereinst all ihre Verführungskünste und ein wahres Waffenarsenal mittelalterlicher Ketten- und Riemenwerkzeuge benötigt, um ihrem Hubilein jene Lust zu verschaffen, die für ihn gleichsam doppelte Erlösung aus Qual und Triebstau bedeutete, wie es auch sie mit genugtuender Befriedigung erfüllte, einen von Deutschlands Top-Managern zu einem winselnden und auf allen Vieren kriechenden, willenlos sabbernden, sich allein ihrem Körper hingebenden Hündchen zu dressieren, so bedurfte es nicht einmal mehr des Öffnens ihrer Korsage, um Hubilein zu einem willenlosen Niemand zu machen, er betrat bereits winselnd und sich selbst bemitleidend ihr Studio. Seufzend blickte sie hinter sich auf das schrumplige saftlose Würstchen, das Bettina resignierend sich selbst überlassen hatte, bevor sie sich entschloß, noch ein wenig für ihre morgige Ethik-Klausur ihres Philosophiestudiums zu lernen. Kaum vorstellbar, daß dieses schlabberige Etwas jemals Lady Lu hatte zu spitzen Schreien, wollüstigem Stöhnen und schier nie enden wollenden Orgasmen treiben können. Nicht einmal Hubilein selbst reagierte auf das Auszupfen seiner Haare.

»Hubilein, wenn du nicht bald zumindest autsch sagst, macht es keinen Spaß mehr mit dir.«

»Ach quäl mich nicht, ich habe andere Sorgen.«

»Willst du meinen Ruf gefährden?«

»Mach, was du willst, ich bin heute nicht in Stimmung.«

Lady Lu setzte einen Schmollmund auf. Nicht, daß sie van Strahlen gern Schmerzen zugefügt hätte, denn im Grunde genommen verabscheute sie körperliche Gewalt, aber da sie selbst Lust nach Sex verspürte, mißfiel ihr das offensichtliche Desinteresse ihres Hubileins.

»Du könntest zumindest so tun, als täte es dir weh.«

Van Strahlen seufzte.

»Na gut ... Aua.«

Wütend über van Strahlens Teilnahmslosigkeit, riß Lady Erna ihm ein ganzes Büschel Brusthaare heraus.

»Ist das alles, was du zu bieten hast? Ein einziges müdes Aua?«

In diesem Moment intonierte van Strahlens Händi die Anfangstakte von ‚Nicht der Pflicht nur zur Genüge‘, das seinen Besitzer nicht nur an seine aktive Burschenschaftszeit erinnerte, sondern ihm auch eine Stange Geld gekostet hatte, es eigens für ihn digital einzuspeichern.

»Anruf für mich.«, antwortete van Strahlen, ungerührt der winzigen Bluttröpfchen, die aus den Wurzellöchern von Ernas Haarrodung stammten.

»Du willst doch nicht etwa jetzt telefonieren?«

»Doch, es könnte was Wichtiges sein.«

»Was sollte für dich Lahmarsch schon wichtig sein?«

»Lu, mach schon, reich mir das Händi.«

Erna sah ihre Chance, womöglich doch noch auf ihre Kosten zu kommen. Da van Strahlen an das Bett gefesselt war, konnte er unmöglich selbst das Händi ergreifen, das in der Westentasche seines über eine Stuhllehne geworfenen Jackets steckte.

»Nur, wenn du lieb bist.«

»Meinetwegen: Aua, aua – und jetzt gib schon das Händi.«

»So nicht. Ich meine richtig lieb.«

»Ja, ja, ich werde lieb sein. Aber jetzt gib mir endlich das Ding, verdammt.«

Erna lächelte, Hubilein schien wirklich eine leicht wütende Energie zu entwickeln, die sich unter Umständen ausnutzen ließ.

»Du wirst tun, was ich von dir verlange, wenn ich dich telefonieren lasse?«

»Ja verflixt – und jetzt reich mir endlich das Händi.«

Erna erhob sich, ging zum Stuhl, fischte das melodiös piepende Funktelefon aus dem Jackett und betätigte die Ruftaste.

»Sekretariat van Strahlen.«, flötete sie in das Gerät.

Van Strahlen knirschte wütend mit den falschen Zähnen.

»Ich weiß nicht, ob Herr Direktor van Strahlen zur Zeit abkömmlich ist.«

»Was soll der Quatsch? Gib mir endlich das Händi.«

zischelte Hubilein. Erna grinste ihn überlegen an.

»Ach so, Herr Doktor Schmidt-Bielefeld möchte ihn sprechen. – Einen Moment, ich schaue nach, ob Herr Direktor im Hause ist.«

Lu verdeckte das Mikrofon des Händis mit der Hand.

„Ein Herr Doktor Schmidt-Bielefeld von der Dynamit Nobel möchte dich sprechen. Bist du da?«

»Verdammt, das ist der Direktor dieser Firma. Gib schon her das Gespräch. Und mach mich von den Handfesseln los.«

Erna steigerte ihr Grinsen zur Breitwandsüffisanz femininer Machtauskostung, fingerte an ihrem Halskettchen, an dem der Schlüssel für die Handschellen hing.

»Eine Hand nur.«

»Ja, ja. Mach schon!«, wand sich van Strahlen ungeduldig.

Er fragte sich bereits, was seinen ehemaligen Studienkollegen, Conphilister und Hersteller von Sprengstoffen veranlaßt haben mochte, ihn unter seiner streng vertraulichen Geschäftsnummer anzuwählen. Seine momentane Situation war ihm spontan äußerst peinlich geworden. Nur gut, daß Erna so überzeugend die Sekretärinnen-Rolle gespielt hatte.

»Wie ich höre, ist Herr van Strahlen erreichbar. Ich werde Sie gleich verbinden können.«, säuselte Erna erneut ins Händi, »Es dauert nur einen Augenblick.«

Sie öffnete die Handschelle, die van Strahlens linkes Handgelenk ans Bett gefesselt hatte. Sofort versuchte van Strahlen, Erna das Händi zu entreißen, doch sie reagierte schneller, hielt das Gerät weit von sich.

»Hubilein, du wolltest doch lieb sein!«, schalt sie ihn.

Sie setzte sich erneut auf seinen Bauch, führte seine Hand an ihren bloßen Schoß.

»Du darfst nur telefonieren, wenn du jetzt ganz lieb zu mir bist.«

Van Strahlen versuchte, das Gefühl feuchten, warmen Puddings zu ignorieren, in das seine Finger getaucht wurden.

»So ist brav. – Ja Sie können Herrn Doktor Schmidt-Bielefeld schon auf die Leitung legen, Herr van Strahlen kommt gerade im Moment herein.«

Um ihren Worten auch die wahrhaftige Tiefe zu verleihen, schob sie van Strahlens Finger etwas nach, während Hubilein sie wütend anstarrte.

»Hallo Jürgen, du altes Sackgesicht, welch ein Zufall! Ich bins, deine liebe Lulumusch.«, säuselte Erna unbeirrt weiter ins Händi.

Van Strahlen zuckte bis in die Fingerspitzen wie von einer jähen atmosphärischen Spannungsentladung getroffen zusammen, was Erna mit einem unterdrückten wohligen Seufzer quittierte.

»Ja, der ist hier. ... Kannst du mal sehen, habt Ihr den selben Geschmack ... ja, ich gebe ihn dir, laß dich mal bald wieder f ... blicken, Bussi.«

Erna legte van Strahlen das Händi derart an den krebsrot angelaufenen Kopf, daß er frei sprechen konnte, während sie weiterhin dessen freien Hand ihren Vorstellungen entsprechend führte. Van Strahlen blieb nichts anderes übrig, als dem Geschehen freien Lauf zu lassen. Während seine Rechte weiterhin ans Bettgestell und seine Aufmerksamkeit an das Telefongespräch gefesselt waren, versuchte er zu ignorieren, was Erna mit seiner Linken anstellte, bzw. das leise schmatzende Geräusch, das er vernahm, sich als Störung in der Leitung vorzustellen. Vorsichtshalber hielt er die Augen geschlossen, um nicht doch noch an heißlaufende Atomkraftwerke oder gar eine Kernschmelze erinnert zu werden, schienen doch Lady Lus Reaktorkuppeln bedrohlich mächtig aus dem spitzenbesetzten Kühlturm zu quellen. So bemühte er all seine Konzentration auf das Telefongespräch.

»Conphilister Schmidt-Bielefeld, einen Rhenaniagruß zuvor. Was verschafft mir die Ehre deines Anrufes?«

Schmatz, schmatz, schmatz.

Da die Funknetz-Übertragung zu Lady Lus im ehemaligen Öltankraum eines auf Gasheizung umgestellten Einfamilienhauses befindlichen Etablissements nicht abgehört wurde, wird Schmidt-Bielefelds Erwiderung uns für ewig vorbehalten bleiben. Auch Erna überhörte ganz ladylike und dezent das Geschäftsgespräch zwischen den alten Studienkollegen, zumal sie sich allein auf Hubileins Fingerfertigkeit konzentrierte, die sie ihrerseits mit kundiger Hand unterstützend führte. Wir sind also allein auf van Strahlens Äußerungen und Reaktionen angewiesen, uns unseren Reim auf den Inhalt dieses Telefonates zu machen.

»Danke der Nachfrage. Und selbst?«

Schmatz, schmatz, schmatz.

»Freut mich zu hören. – Das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung? So so.«

Schmatz, schmatz, seufz, schmatz.

»Nein, ich habe nicht ... ach, das klingt interessant.«

Van Strahlens Augen öffneten sich schlagartig. Jedoch schienen sie Ernas leicht rotwangig gewordenes Gesicht, deren halbgeschlossene Lider, wie auch das aus geöffnetem Mund hechelnde Atmen keinesfalls wahrzunehmen. Eher schienen sie sich auf Schmidt-Bielefelds Worte zu konzentrieren, als könnten sie die akustische Wahrnehmung unterstützen.

»Nein, von unserem Hause hat niemand interveniert. – Und du bist sicher, daß diese Bestellung für Schwarzweiler geordert ist?«

Schmatz, seufz, schmatz, seufz.

»Besondere Sprengkraft, sagst du? Interessant, sehr interessant!«

Van Strahlen schien völlig seine Umgebung vergessen zu haben. Mit allen Sinnen lauschte er seinem Bundesbruder, schien soeben eine Vision zu entwickeln. Auch Lady Lus gesteigertes Tempo seiner Handführung, wie ein sanftes Quietschen der Metallfedern unter der Matratze, die Ernas leichtes Wippen ihres Körpers dämpften, entgingen ihm völlig.

»Nein, keinesfalls ignorieren, keine Verzögerung.«

Hubert van Strahlens Augen bekamen jenes innere Leuchten, daß mit freudiger Erregung einhergeht. Die Lady quittierte dies wiederum als Bestätigung ihrer Bemühungen, dem alten Herrn unter sich doch noch etwas Aufmerksamkeit abgerungen zu haben.

Schmatz, seufz, quietsch, schmatz, seufz, quietsch.

»Nein, ich bin nach wie vor dagegen. Doch doch, aber könntet Ihr nicht, ich meine versehentlich, eine ganz besondere Mischung ... verstehst du?«

Schmatz, seufz, quietsch.

»Hör mir doch zu, ich will ganz besonders dicke Dinger.«

An Lady Lus Ohren klangen Wortlaute, die sie nicht länger weghören lassen konnte.

»Ja Hubilein. Ja, nimm sie.«

Schmatz schmatz quietsch quietsch.

»Ja Jürgen, volle Latte, Spezialstangen, das Dickste, was es gibt.«

Das unerwartete Telefonat weckte van Strahlens Energie, die ihn in sichtlich körperliche Erregung versetzte. Lady Lu währenddessen wunderte sich keinesfalls über das offensichtliche Thema der beiden Männer. Ihr waren im Laufe der Jahre schon allerhand Stimulierungsmethoden der unterschiedlichsten Art untergekommen, daß sie es nicht weiter verwunderte, wenn van Stahlen neuerdings einen soufflierenden Freund benötigte, wenn es nur zu ihrer Zufriedenheit geschah.

»Ja volle Ladung, volles Rohr.«, begeisterte er sich in die Sprechmuschel. Lady Lus prüfender Blick hinter sich bestätigte ihr, daß Hubilein es anscheinend ernst meinte. Aus Klein Huby war unwillkürlich ein kräftiger Hub geworden.

»Kapierst Du denn nicht, ich will das größte Kaliber.«, erregte sich mittlerweile van Strahlen lauter in die Muschel sprechend. Und als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen, gab er seiner Hand völlig unkontrolliert einen kräftigen Schub.

»Ooooh. Jaaaa.«

Stöhn, schmatz, schmatz, quietsch, quietsch, stöhn.

»Verdammt, ich will ein Loch, ein riesiges Loch, das größte Loch aller Zeiten!«, brüllte van Strahlen in sein Händi.

»Jaaaa, jaaaaa, nimm es, ooooooouuuuuuuuh!«

»Ich will es aufreißen, wegblasen, hochgehen lassen, zerfetzen ...«

Van Strahlen unterstrich unbewußt jede einzelne seiner unter verzückt-verkrampfter Grimasse herausgekeuchten Silben mit ekstatischen Armbewegungen, ballte instinktiv die freie Hand zur Faust, völlig ignorierend wo, respektive worin sie sich momentan befand..

Schmatz, schmatz, schmatz, quietsch, quietsch, quietsch.

»Uuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuuu.«

Bettina, aufgrund dieser in letzter Zeit selten gehörten Akustik während van Strahlens Besuchen von ihrer Literatur abgelenkt, spähte neugierig durch den Türspalt ins Studio. Sie sah in wildem Ritt der Ladys Hinterteil auf und ab wippen, während aus ihrer Perspektive van Strahlens Phallus ungenutzt wie eine unfällbare aber unbeachtete einsame Eiche vor Ernas alabastern dampframmenden Riesenbrötchen stählern stand. Da Bettina es als ethisch untragbar empfand, ihr aufgebessertes Studiengeld ohne erbrachte Dienstleistung zu erhalten, wie es auch ihr Mitleid erregte, diese einsame Standhaftigkeit, deren Besitzer doch eindeutig nach Erlösung schrie, ungenutzt zu sehen, entschloß sie sich, van Strahlen zu geben, wonach er verlangte.

»Ein Loch, ein Superloch, das ist die Rettung! Ein Megagigahyperloch!«, geiferte van Strahlen in sein Händi, während Bettina ihm zumindest mit ihrem anatomischen Maximum aushalf.

Nunmehr waren die Geräuschquellen kaum noch voneinander zu unterscheiden.

Schmietsch, quöhn, stietsch, Lotz, schmön, schmotz, quoch, quatz, lietsch, keuch.

Es gellte, jaaahte, uuuhhte und oooohhte, das Metallbettgestell klepperte, es floß, tropfte, ergoß, schwitzte, dampfte, Lady und Zofe nahmen willig und wild van Strahlens Bereitschaft auf, volle Power zu verlangen, wie er unablässig in sein Funktelefon brüllte, gaben und taten sich ihr jeweils Bestes, ihre Becken kreisen lassend, ihre Oberkörper ausladend seitlich bewegend, eng aneinander geschmiegt, Bettinas Busen an Ernas Rücken reibend, während sie selbst begierig Lady Lus ausladende Oberweite walkte, ihre Köpfe wild schüttelnd vor Lust. Irgendwann fanden beide Frauenkörper den selben Rhythmus, kreisten synchron, immer größer werdende, tranceartige, trotz animalischer Ekstase anmutige Radien beschreibend, mehr wimmernd denn stöhnend, weit über die Bettkante hinaus ihre üppigen Schwerpunkte verlagernd. Wie bei einem in sturmgepeitschter See krängendem Zweimaster schienen sie beinahe den Kiel aus der Wasserlinie zu heben.

KRRRREEEENNNNNNGGGG!

Schweißtriefend, dampfend und mit gleichzeitig verwirrtem wie auch erlöst lächelndem Gesichtsausdruck krochen Lady und Zofe unter dem umgestürzten Bettgestell hervor. Van Strahlen, dessen Mimik ganz und gar seinem Namen gerecht wurde, betätigte die Stummtaste seines Händis.

»Woher kennst du eigentlich Schmidt-Bielefeld?«

Er fühlte sich rundum wohl, verjüngt und seelisch gesundet. Seit seiner aktiven Burschenzeit war dies der gelungenste Streich, den sich Bundesbruder Schmidt-Bielefeld und er geleistet hatten. Die Raasch-Pyrotechnik GmbH sollte das Zehnfache an Sprengkraft dessen erhalten, was sie geordert hatte. Ein Hoch auf den beliebigen Austausch der Etikette!

Es gibt Menschen, die ihr Leben lang niemandem groß auffallen, die eigentlich bereits von Geburt an keine andere Wahl haben, als auf ihrem dereinstigen Grabstein ihrem Namen ein Todesdatum hinzuzufügen, während sie ihr Gastspiel auf Erden damit verbringen, jedermann zu versichern, sie seien eigentlich völlig verkannte Genies. Diese Menschen machen den überwiegenden Teil ihrer Spezies aus, so ziemlich genau 99,9 %, die sogenannten Lotterielos-Ausfüller, kurz: die Loser

Dann gibt es Menschen, die es aufgrund ihrer eigenen persönlichen Begabung schaffen, Aufmerksamkeit zu erregen und sogar kurzfristig berühmt zu werden, sei es durch den Erhalt eines Nobelpreises, einen Amoklauf mit 15 Opfern oder Brustimplantate. Dies sind so ziemlich genau 0,09 % der Menschheit. Das sind die, die im Lokalteil einer regionalen Tageszeitung namentlich erwähnt werden.

Dann gibt es Menschen, die aufgrund ihres persönlichen Charismas, ihres zähen Willens, Durchhaltevermögens, ihrer Diszipliniertheit, Schönheitsoperationen und ausgefallenen Sexualpraktiken bereits zu Lebzeiten zu Legenden werden. Diese Menschen leben entweder in Kalifornien oder im Weißen Haus, sind also eigentlich allein nur erreichbar für Ihresgleichen und Praktikantinnen. Deren Namen findet man im Sportteil, gelegentlich auch auf Seite 2 einer renommierten Tageszeitung und machen exakt 0,009 % der Erdbevölkerung aus.

Dann gibt es noch Menschen, welche die Titelblätter der großen Magazine beharrlich bevölkern, solange deren Oberweiten noch den Bleistifttest bestehen, bzw. der Retuscheur keine unverschämten Überstunden in Rechnung stellt. Mit 0,0009 % steuern sie ihren Anteil an aufrecht gehenden blonden Langzweibeinern auf Laufstegen bei und pflanzen sich vorwiegend durch Casting-Shows fort.

Darüber hinaus existieren noch Menschen, von denen eigentlich niemand weiß, weswegen sie nicht endlich aus dem Blickfeld des öffentlichen Interesses verschwinden, zumal sie zu ihren stets in den Medien verfolgbaren peinlichen Auftritten weder großartiges Talent, noch überragende Intelligenz und erst recht keine Schönheit vorzuweisen haben. Diese sogenannten verkannten Loser leben sehr sehr verstreut in einem Nischen-Biotop von 0,00009 %, bestünden nicht einmal einen Bleigewicht-Test, tragen austauschbare Allerweltsnamen wie Iris Bohlen, Dieter Lafontaine oder Oskar Berben und werden bevorzugt zu low-budget-Shows als billige Interviewpartner oder Pausenclowns zwischen zwei Werbeblöcken eingeladen.

Und dann gibt es noch Wesen, die sich einen Dreck um die oben aufgeführte Selektion scheren, ihre ureigenen Lebensrichtlinien und Wahrheiten entwickeln und es trotz ihrer Weltentrücktheit immer wieder schaffen, als ewige Dauerbrenner Gesprächsthema der Loser zu bleiben, weil sie einfach allgegenwärtig SIND. Doch den Autor dieses Romans läßt der permanente FAZ-Leserbriefschreiber, dessen ausgeschriebener Name ihn selbst um Haupteslänge überragt, relativ kalt, da es sich hierbei um Satire handelt, er somit eh an der Lektüre dieses Literaturkritikers vorbei schreibt. Und Harald Schmidt eigens zu erwähnen wurde hiermit Genüge getan. Wir wollen uns ja nicht über Gebühr mit außerirdischen giftgrünen Männlein und Trollen der Scheibenwelt[5] beschäftigen.

Eigentlich wollten wir uns ein wenig auf Majo fokussieren. Wie bereits erwähnt, hatten sich Robert Raasch und Thomas Majewske bei ihrem gemeinsamen vorigen Arbeitgeber kennen gelernt. Robert war gerade mit taufrischem Diplom in das Sprengunternehmen gekommen, während Majo in diesem Betrieb seinen Sprengmeister gemacht hatte. Mit der für viele Examinierte typischen Arroganz hatte Robert als technischer Leiter dieses Betriebes versucht, Majo als einfachen Handlanger ohne akademische Grade herum zu kommandieren. Majo hatte Robert daraufhin schlicht und ergreifend auflaufen lassen, denn die Arbeiter des Betriebes folgten bereitwilligst einem Meister, der sein Handwerk aus dem Effeff verstand und keinem Ingenieur die Füße leckte, der zwar die chemischen Zusammensetzungen aller Sprengstoffe auswendig kannte, jedoch fluchtartig in Deckung ging, sobald die Zündschnur einer Dynamitstange gezündet war, anstatt sich in aller Seelenruhe damit noch einen Zigarillo anzuzünden, mit dieser Stange und zwei Handgraten ein wenig zu jonglieren, bevor die Zündschnur in aller Gemächlichkeit aus der Stange gezogen wurde. - Majo war Psychologe genug, seinen Auftritten jene gewisse Dramatik zu verleihen, die anderen unmißverständlich die Botschaft vermittelte: Leg Dich nicht mit Thomas Majewske an, es sei denn, Du willst unbedingt bestätigt haben, daß Du zu den Losern gehörst. Und Thomas Majewske war ebenso Schauspieler genug, mit tauben Granaten und Dynamitstangen zu pokern und andere - in diesem Fall Robert - damit erheblich ins Schwitzen zu bringen. Nach dieser kleinen Vorführung aus Majos Trickkiste, deren Lektion Robert sofort begriffen hatte, waren sich die beiden Männer allmählich näher gekommen. Besser gesagt, Robert begann in Majo den Menschen zu sehen, der er eigentlich selbst gern sein würde: Respektlos, auf vielen Gebieten bewandert, ein Original, schlagfertig und gleichzeitig der lonesome Rider mit einer Aura des Mysteriösen umgeben. Dabei war das einzig mysteriös Erscheinende an Majo dessen Durchblick. Was auch immer geschah, in welcher Situation er sich gerade befand, über welches Thema auch im Moment gesprochen wurde, Majo schien sich in allem auszukennen, wußte Bescheid, konnte mitreden oder kannte die Lösung eines Problems. Es war geradezu unheimlich, Majo, wenn man ihn einmal näher kennen gelernt hatte, paßte in keine einzige Schublade. Im Gegenteil, eher steckte er jeden anderen locker in seine Tasche. Und so hatte Robert im Laufe der Zeit erfahren, daß Majo bereits in früher Kindheit sich von nichts imponieren lassen sondern stets hinterfragt hatte. Bevor Andere seines Alters brav die Erklärung ‚Es ist eben so‘ schluckten, war er den Dingen selbst auf den Grund gegangen, hatte diese entweder bis in ihre kleinsten Bestandteile zerlegt oder derart sezierend analysiert, bis sein ewig bohrendes ‚Warum‘ endlich eine zufriedenstellende und vernünftige Antwort erhalten hatte. Diese Neugierde eröffnete Majo bereits frühzeitig die Welt, wie er sich ihr auch im selben Maße entzog, da seine Forschungen und Erkundungen wie auch frappierenden Erkenntnisse ihm jene Zeit entzogen, die andere Kinder seines Alters damit verbrachten, Fußball zu spielen, Klingeljagden zu veranstalten, heimlich die elterlichen Videocassetten anzuschauen, Ziegelsteine von Autobahnbrücken zu werfen oder ihre Nachbarn zu erschießen. Majo hatte so schnell gelernt, daß sich hinter manch schillernder Fassade nichts als heiße Luft verbarg, wie aber auch viel unscheinbar Anmutendes eine eigene interessante Welt beherbergte, die ihn weitaus mehr faszinieren konnte als das schrille Jahrmarkttreiben des menschlichen Mittelmaßes. So hatte er sich im Laufe der Jahre mehr und mehr in seine eigene Welt der stillen Beobachtungen und persönlichen Erkenntnisse zurück gezogen, und, um ganz sicher zu gehen, daß ihn niemand dabei störte, hatte er sich das Image des rüden Kohlenpötters zugelegt, der Dinge in einer Weise aussprach, die andere nicht einmal zu denken wagten. Majo hatte sogar einmal Geisteswissenschaften studiert, schnell aber festgestellt, daß ihm nichts Neues an Wissen zuteil werden konnte und vor lauter Langeweile begonnen, als Ghostwriter Examens-, Diplom- und Doktorarbeiten für zahlungskräftige aber ansonsten faule oder zu dämliche Kommilitonen zu verfassen[6]. Nicht, daß dies ungewöhnlich gewesen wäre, in jeder Universitätsstadt gibt es eine gute Handvoll dieser Doktorschreiber, aber Majo konnte für jede seiner Auftragsarbeiten zumindest eine Zwei garantieren. Eine Eins, bzw. summa cum laude, kostete bei ihm einen Aufschlag von 5000 DEM. Dies hatte ihm lukrative Nebeneinkünfte erbracht, wie auch Einblicke in weitere wissenschaftliche Disziplinen, deren Fakultäten bereits derart überlaufen waren, daß wirklich eklatant neue Erkenntnisse in den jeweiligen Bereichen kaum zu erwarten waren. So hatte Majo schnell begriffen, daß er für seine Auftragsarbeiten lediglich nur andere Veröffentlichungen zu zitieren brauchte, hier einen Punkt etwas theoretisch vertiefen, dort etwas Zweifel anmelden und insgesamt nur der Meinung des jeweiligen Doktorvaters zu folgen hatte, um zumindest im schriftlichen Teil seinen Auftraggeber glänzen zu lassen. Dieses Fassadenspiel hatte ihm sogar in gewisser Weise Spaß bereitet, bewies es ihm doch, daß er binnen weniger Semester mehrere Dutzend Examina bestanden und sich knapp 20 verschiedener Doktor- und Diplomtitel in Bereichen, die ihn nicht mal im Entferntesten interessierten, als würdig erwiesen hatte. Als es er dann aber in seinem eigenen Studiengang Romanistik für seine Magisterprüfung das Thema ‚Die Bedeutung des Begriffes hein?![7] in den Maigret-Romanen von Georges Simenon in seiner Prä-68er-Schaffensphase‘ vorgeschlagen bekam, hatte Majo spontan und für immer seine Alma mater verlassen, nunmehr überzeugt, sein Leben mit sinnvolleren Beschäftigungen auszufüllen als akademische Was-wäre-wenn-Spiele zu betreiben, welche die Spezies homo sapiens sapiens als einzig existierende Lebensform allein in ihrer selbst geschaffenen Illusion überleben ließ, sie sei lebensfähig, obwohl sie in einer realen Welt sofort gescheitert wäre. Als einzig folgerichtiger Beruf seiner Lebenserkenntnis blieb also nur der des Sprengmeisters übrig, konnte er doch darin immer wieder aufs Neue unter Beweis stellen, daß nichts menschlich Erschaffenes auf Dauer Bestand hat und letztendlich nur aus Schutt, Staub und Asche besteht. Bereits in recht jungen Jahren hatte Majo begriffen, daß die Menschheit die äußerst ulkig anmutende Mutation eines Versuches darstellte, im Universum dreidimensionale Comic-Figuren zu schaffen, die, aus welchem Grunde auch immer, der festen Überzeugung war, sich selbst animieren zu können und ihrerseits lediglich keine andere Spuren hinterließ, als überall Comic-Figuren hinzumalen. Majos einziger Überlebens-wille bestand lediglich darin, noch mit erleben zu können, bis die Menschheit dies selbst begreifen würde.[8] Auf die dann zu erwartenden dummen Gesichtsausdrücke freute er sich geradezu kindisch. So wartete er ruhig in seinen drei zu einer Wohnung umgebauten Waggons der ehemaligen Reichsbahn[9], die er in einer Schrebergartensiedlung hatte abstellen lassen, jenen Augenblick ab und schätzte sich glücklich, daß er im Gegensatz zu Diogenes in seinem Faß immerhin die in seinen Augen einzig geniale menschliche schöpferische Metallkonstruktion bespielen konnte und blies den melancholisch-einsamen Blues des Wissenden an stillen Abenden in sein Alt-Saxophon statt in eine Panflöte, wie es wohl dereinst sein antiker Bruder im Geiste gemacht haben mochte.

So hatte sich Majo im Laufe der Zeit allmählich in sein eigenes Universum zurückgezogen, es aufgegeben, gegen die menschliche Dummheit anzukämpfen und ließ diese sich von sich selbst blind voreingenommenen Zweibeiner tun, was immer sie auch gerade als ungemein wichtig glaubten, tun zu müssen. In seinem Innersten hegte Majo den stillen Verdacht, er sei kurz nach seiner Geburt verwechselt worden und man habe ihn einen falschen Planeten zugewiesen. Während also rings um ihn alle Welt nach ewiger Jugend, Schönheit, Geld und sexuellen Grenzerfahrungen strebte, lechzte und sich gegenseitig prostituierte, während überall sich Unflätigkeit, Dreistigkeit, Gewalt und Unverstand durchsetzten, um so mehr fühlte sich Majo weit dieser Welt erhaben und seines Verdachtes der Verwechslung bestätigt. Und so war er auch mittlerweile zur festen Überzeugung gelangt, daß es eigentlich die Normalen waren, die hinter hohen Hecken und Zäunen parkähnlicher Anwesen, die nach irgendwelchen Doktoren als Institute bezeichnet wurden, von der Welt geschützt lebten, während die Verrückten draußen frei umher liefen.

Um eben nicht selbst verrückt zu werden, hatte er seine frühzeitigen Bemühungen, seine Mitmenschen über deren wahnsinniges Tun, sich selbst als Krönung der Schöpfung zu glauben und sich dementsprechend rücksichtslos gegenüber allem zu verhalten, aufzuklären, eingestellt, zumal ihm ja doch niemand zuhören wollte. Und obwohl er all das irdische Geschehen mittlerweile aus einer göttlichen Perspektive betrachtete, gönnte er sich selbst allein nur die göttliche Gelassenheit, die Menschheit tun zu lassen, was sie wollte, solange sie nicht die Kreise seiner Sonne störte. Zumindest bemühte er sich weiterhin, seinen Anspruch an Vernunft, Herz und Bildung auch zu erfüllen. Er wußte, es lag an ihm, aus seinem Elfenbeinturm hinabzusteigen und sich in das laute Narrentum der anderen zu begeben, um nicht länger allein zu bleiben. Doch die Einöde bot ihm selbst weitaus mehr als die Anöde. Wenn er auch in jüngeren Jahren sexuellen Abenteuern und Flirts keinesfalls abgeneigt war, so folgten doch immer wieder selbst nach den lustvollsten Stunden die Ernüchterungen, mit keiner der zahlreichen Frauen sich auch nur annähernd intensiv über philosophische Themen unterhalten zu können, ohne sich dabei den momentanen zänkischen Mißmut der Partnerin über deren Vorgesetzten, Kollegen, gestiegene Schuhpreise und angeblich unpassendes Besteck zur Tischdekoration anhören zu müssen. So wurden auch seine Kontakte zum anderen Geschlecht im Laufe der Jahre immer seltener, wobei er ebenfalls feststellen mußte, daß es kaum eine Frau mehr gab, die ohne gepiercte Geschlechtsmerkmale, Tätowierungen, Erniedrigungen, Seile, Handschellen oder abgefahrene Sexualpraktiken im Bett auskam. Nachdem selbst in der intimsten zwischenmenschlichen Zweisamkeit für Majo jegliches gesunde Maß verloren gegangen schien, hatte er auch seine stille Hoffnung, je eine adäquate Partnerin zu finden, ebenfalls aufgegeben. Und um allein seine sexuellen Bedürfnisse an Frauen zu befriedigen, dazu schätzte er diese, wenn er selbst auch nicht genau wußte, wieso eigentlich, zu sehr. Wahrscheinlich, weil er sie in der Summe für etwas geringer dumm hielt als seine eigenen Geschlechtsgenossen, zumindest der weiblichen Intuition konnte er noch etwas Faszinierendes abgewinnen.

Mit dieser Einstellung hatte Majo die letzten fünfzehn Jahre seines bisher vierzigjährigen Lebens mehr oder minder als Neutrum verbracht. Alle modischen Zeitgeistströmungen waren wirkungslos an ihm abgeprallt wie auch zahlreiche Versuche des weiblichen Geschlechtes, ihn an sich zu binden. Denn zu den auffälligsten seiner Eigenarten gehörten Majos stets jugendliches Aussehen, wie ein ebenso jungenhafter, spitzbübischer Humor und ein geradezu entwaffnender ehrlicher Charme frei jeglichen Macho-Gehabes. So hatte es ihn selbst am meisten verblüfft, daß Desideria Alphonsina Celestes tiefer Blick in derart verwirrt hatte. Das letzte Mal, daß er sich schamhaft von Frauenaugen abgewendet hatte, war in der Grundschule gewesen, als seine Lehrerin ihn während einer Pause im Klassenzimmer Stinkbomben werfend erwischt hatte. Seitdem hatte er bisher jedem Gegenüber klar zurück ins Gesicht schauen können. Irgend etwas in oder an Desideria war außergewöhnlich genug, um selbst Majos Abgeklärtheit kurzfristig zu erschüttern. Sie hatte es immerhin geschafft, die Absperrung des Geländes und die Sicherheitsposten zu umgehen. Dann war sie wie aus dem Nichts auf dem Sprengfeld aufgetaucht. Dort hatte sie eine schwer begreifliche Vorstellung abgegeben, während dieser, so schien es, sie selbst sich ihrer Umgebung nicht bewußt gewesen war. Des weiteren mußte sie bereits vorher von der Reaktion ihres Drahtbügels gewußt haben, sonst wäre sie kaum mit ihm an diesem Platz aufgetaucht. Majo selbst hatte sich ja mit eben jenem Draht von der elektrostatischen Aufladung der Zündkabel überzeugen können. Und dann hatte sie noch vor der Sprengung gewarnt, etwas von verborgenen Geheimnissen gefaselt und Majo eben diesen mysteriös tiefen Blick dabei zugeworfen, fast so, als sei er ihr Mitverschworener. Genau, während Majo all diese Gedanken auflistete, wurde ihm bewußt, daß dieser Blick ein unendlich tiefes Vertrauen in ihn beinhaltete. So tief, daß es ihn selbst erschüttert hatte. Es half alles nichts, Majo mußte diesen Dingen auf den Grund gehen. So war es schon immer, Majo würde nur dann seine innerliche Ruhe wieder finden, bis sein bohrendes ‚Warum‘ auf eine zufriedenstellende Antwort stieß. Und nur Desideria allein konnte ihm diese Antwort liefern. Nur deshalb mußte er sie unbedingt noch vor der Sprengung aufsuchen ... und wegen ihrer verdammt verführerischen festen fleischigen Rundungen.

Noch in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als zwei deutsche TV-Anstalten jeweils höchstens acht Stunden täglich ihr Programm ausstrahlten und bestenfalls ein Dutzend Illustrierte alles Wissenswerte der Welt wöchentlich ihrer Leserschaft mitteilte, war sich jeder Journalist der Tatsache bewußt, daß nur ein äußerst geringer Prozentsatz aller Nachrichten je den interessierten Bürger erreichte. Es galt als ungeschriebenes Gesetz, daß nur ein Prozent aller Geschehnisse überhaupt von Menschen wahrgenommen wurde. Nur ein Prozent des Wahrgenommenen erreichte je eine Nachrichtenagentur. Von allen Meldungen, die eine Nachrichtenagentur erreichte, verdiente wiederum nur ein Hundertstel Anerkennung der Agentur-Redakteure, die diese dann an die veröffentlichenden Medien weiterleiteten. Erneut nur 1 % aller Agenturmeldungen wurde von den Medien dann auch tatsächlich veröffentlicht. Von diesen Nachrichten bekam dann auch nur der hunderste Teil der Bevölkerung etwas mit. Das war noch zu jener Zeit, als gute Allgemeinbildung und fehlerfreies Beherrschen der Muttersprache selbst bei Volksschulabsolventen gang und gäbe waren.

Dann begann das Zeitalter der Informationsgesellschaft. Nicht das Vermitteln von Wissen, sondern der Austausch von Informationen beseelte nunmehr den Sendungsdrang der plötzlich neuen Radio- und TV-Anstalten und täglich neu hinzukommenden Illustrierten. Als dann auch noch das Internet die Menschen zu beherrschen begann, schien das weltumspannende Netz, das den Zugang zu allen Nachrichtenquellen für Jedermann erlaubte, perfekt zu sein. Waren vormals Nachrichten erst nach mehrmaliger Durchsicht und Filterung durch verantwortliche und vor allem intelligente Köpfe an die Öffentlichkeit gelangt, so fühlten sich nunmehr Exfrauen von Zweiton-Musikern geradezu verpflichtet, Banalitäten in einer Sprache zu vermitteln, die in keiner Weise der telegenen Gehobenheit ihrer wabbeligen Oberweiten entsprach. Obwohl kaum noch zu beweisen, muß irgendwann während einer Aufsichtsratsdiskussion einer TV-Sendeanstalt in der Diskussion darüber, wie komplexe Informationen verständlich an den Zuschauer gebracht werden, folgendes Gespräch stattgefunden haben:

Intendant: Aufgrund der wachsenden Konkurrenz in den Unterhaltungsmedien müssen wir dringende Schritte unternehmen, unser Programm für den Zuschauer attraktiver zu gestalten.

Ressortleiterin Kultur: Gut, daß Sie es ansprechen, ich habe schon immer darauf hingewiesen, daß der Anteil an wissenschaftlichen Sendungen einen bedenklich niedrigen Anteil an unserer Sendezeit ausmacht.

Ressortleiter Unterhaltung: Ich bitte Sie, werte Frau Kollegin, der Anteil unserer Zuschauer, der ernsthaft daran interessiert ist, sich während des Feierabends weiter zu bilden, ist ebenfalls äußerst gering. Wozu gibt es Volkshochschulen und Lexikons?

Ressortleiterin Kultur: LexiKA! – Es müssen ja nicht unbedingt hochkomplex wissenschaftliche Themen angerissen werden. Mir schwebt da eher eine Kulturreise-Reportage durch unsere Nachbarländer vor, gerade im Zuge des europäischen Zusammenwachsens könnte dadurch der Zuschauer mehr von unseren Nachbarn ...

Ressortleiter Unterhaltung: Welche Sau interessiert das schon? Sollen die sich Atlasse kaufen! Die Hauptgruppe unserer Zuschauer möchte einfach nach einem Arbeitstag entspannen und nicht auch noch denken müssen. Unsere Zielgruppe ist die Einschaltquote!

Buchhalter: Außerdem sind derartige Kultursendungen nicht gerade billig zu produzieren. Ich bitte auch Rücksicht darauf zu nehmen, daß kaum eine Firma damit einverstanden wäre, ihren Werbespot im Anschluß an eine Sendung gekoppelt zu sehen, die kaum beachtet wird.

Hauptaktionär: Ich wäre ja gerne bereit, um der Forderung nach mehr Kultur nachzukommen, Werbespots zu dem neuen zweibändigen illustrierten Universallexikon unseres Hauses exklusiv in ihrem Sender zu schalten. – Im Rahmen einer neuen Talkshow, für die ich eine Kaufoption gesichert habe.

Ressortleiterin Kultur (entsetzt): Ein zweibändiges Uni-ver-sal-lexikon? Das ist nicht Ihr Ernst?

Hauptaktionär (stolz): Doch, alles Wissenswerte der Welt, auf zweimal 500 Seiten mit über 1500 Illustrationen! Sie machen allein schon die Hälfte des Werkes aus.

Intendant: Welche Art von Talkshow ist es denn?

Hauptaktionär: Ein Knüller sage ich Ihnen! In den Staaten bereits ein voller Erfolg! Eine Mischung aus ‚Was bin ich?‘ und ‚Pro und Contra‘. Vier ausgewählte Kandidaten befragen einen Todeskandidaten auf dem elektrischen Stuhl nach seinem letzten Wunsch. Das Frageteam sitzt ebenfalls auf ähnlichen Stühlen. Für jede falsch geratene Antwort bekommt der Frager einen leichten Stromstoß und der Todeskandidat eine Stunde mehr an Lebenszeit gut geschrieben. Wird der Wunsch nach zehn Runden nicht erraten, dürfen Staatsanwaltschaft und Verteidigung in je Drei-Minuten-Statements ihre Argumente für und gegen die Verurteilung vorbringen. Nach einer kurzen Showeinlage und zehnminütigem Werbeblock werden Angehörige des Todeskandidaten wie Angehörige seiner Opfer in einer Diskussionsrunde befragt. Nach einem weiteren Werbeblock entscheidet dann das Studio-Publikum letztendlich per Abstimmungszähler über Vollstreckung des Urteils oder dessen Minderung in 15 Jahre Haft.

Kirchenvertreter (entrüstet): Dagegen sprechen eindeutige moralische Bedenken! Es ist ethisch in keiner Weise vertretbar, daß derart spielerisch mit dem Tod umgegangen wird. Wir haben das Leben – und den vom Leben nicht zu trennenden Tod - eines jeden Individuums zu schützen! Wo kämen wir dahin, wenn mit einem Mal Menschen in Gottes Urteil mitzureden versuchten?

Intendant: Sie übersehen dabei, daß wir in unserem Land keine Todesstrafe haben.

Politischer Vertreter (bedauernd): Noch nicht.[10]

Ressortleiter Unterhaltung: Eine derartige Sendung könnte aber unsere Zuschauer dafür empfänglich machen. Auch im Hinblick auf die Annäherung an unsere amerikanische Leitkultur (grinsend), nicht wahr, Frau Kollegin?

Ressortleiterin Kultur: Gerade hierin sehe ich die Schwierigkeit, ich gehe davon aus, daß es kaum Todeskandidaten gibt, die unserer Sprache mächtig sind, geschweige denn die Angehörigen. Die komplette Show müßte simultan übersetzt werden, wo bleibt dann noch die lockere Unterhaltung, Herr Kollege?

Intendant: Auch wüßte ich keinen Moderator, der die englische Sprache fließend beherrscht. – Dennoch ist der Grundgedanke dieser Show überzeugend und brächte uns in der Einschaltquote nach vorne.

Buchhalter: Und wenn wir nur ein wenig abspecken? Statt Todeskandidaten Lebenslängliche nähmen? Das sparte auch Stromkosten für den elektrischen Stuhl ein.

Kirchlicher Vertreter: Mit diesem Gedanken kann ich mich schon eher anfreunden. Immerhin wird hierbei nicht mit der göttlich vorgegebenen Lebenszeit eines Kandidaten herumexperimentiert.

Ressortleiterin Kultur: Dann bleibt immer noch das Problem der Moderation. Selbst bei nur Lebenslänglichen bewegen wir uns auf einem hochkomplizierten Balanceakt zwischen Ethik, öffentlicher Moral und allgemeiner Rechtssprechung. Überdies erfordert eine Gesprächsführung mit den Angehörigen ein gewisses Maß an Einfühlungsvermögen. Dies ist einer großen Zuschauerschaft möglichst verständlich näher zu bringen.

Politischer Vertreter: Hä?

Ressortleiter Unterhaltung: Na, dann nehmen wir halt einen Dummen!

Ressortleiterin Kultur: Wie bitte?!

Ressortleiter Unterhaltung: Je simpler ein Geist, desto eher wird er verstanden. Immerhin wollen wir doch die Bevölkerungsschicht ansprechen, die auch die Lexiköner unseres Hauptaktionäres kauft, es muß zu den Werbeblöcken passen.

Ressortleiterin Kultur: Lexi-KA!

Hauptaktionär: Nein! A bis M und N bis Z, nur zwei Bände, dafür aber universal mit vielen Illustrationen.

Kirchlicher Vertreter: Aber K wie Kirche ist doch drin?

Hauptaktionär: Ja, zwischen King und Konsalik, unseren bestverkauften Autoren.

Politischer Vertreter: Kommunismus auch?

Hauptaktionär: Nein, es ist ein modernes Universallexikon, schon mit nachreformierter Rechtschreibung: Kaos, Kamäleon, Kristus, Krüsanteme, alles drin und illustriert.

Intendant: Wir schweifen ab. Wer also könnte diese Sendung moderieren?

Buchhalter: Wir haben eine recht süß aussehende Telefonistin in unserer Beschwerdeanruf-Abteilung. Ihr Vater war sogar Chauffeur des Kulturattachés in Bukina Faso. Die hat ein angeborenes Quasseltalent.

Intendant: Spricht sie gut deutsch?

Buchhalter: Na ja, besser als sie schreibt.

Intendant: Wir sind beim TV. Da liest keiner die Orthographie. Also, bis zum nächsten Mal will ich ein sendefähiges Konzept dieser Show auf dem Tisch haben! – Sonst noch jemand Fragen?

Politischer Vertreter: Äh, ja: Muß sich jetzt meine Partei in KSU umbenennen?

Es sei nochmals betont, daß für das tatsächliche Geschehen dieses Gespräches keinerlei Beweise existieren. Daß dennoch in jüngster Vergangenheit eine Show das Licht der TV-Welt erblickte, in der lebenslänglich mit Blödheit Gestrafte per enormer Zuschauerbeteilung aus ihrer Blechcontainerhaft entlassen werden können, was von wechselnden Aushilfskräften radebrechend moderiert wird, läßt allerdings die starke Vermutung aufkommen, daß oben geschildertes Gespräch irgendwann einmal stattgefunden haben muß.

Aufgrund der rasanten Entwicklung der Informationsmedien wurden quasi alle Geschehnisse gleich welcher Art sofort in bewegten Bildern festgehalten, kommentiert, ausdiskutiert und notfalls derart aufbereitet, daß sie einen Hauch von Wichtigkeit bekamen. Nicht, daß aufgrund des weltumspannenden Informationsnetzes mit einem Mal auch mehr geschehen wäre, nur bekamen schlagartig Dinge und Begebenheiten, die sich bisher ihrer eigenen Belanglosigkeit schämend in die letzten Winkel des Übersehens verkrochen hatten, die volle Aufmerksamkeit von Reporten und Journalisten geschenkt, denen es weniger um diese Dinge selbst ging, sondern einzig ihre eigene Karriere im Auge hatten. Nach dem Motto: ‚Masse geht vor Klasse’, blähten sie jeden noch so kleinen Pups im Darm des Verdauens alltäglicher Randerscheinungen zu einem tösenden Orkan stark manipulierender Winde auf, wobei ihre eigene Anrüchigkeit dem Ganzen ein übles Odeur verlieh. Einer dieser Windmacher war Rolf Bisam, unter Kollegenkreisen auch ‚die Ratte’ genannt, wobei weniger dessen nagetierartigen Gesichtszüge, sondern mehr dessen Charakter zu diesem Spitznamen beitrug. Bisams Reportagen waren nie auch nur in das entfernteste Orbit einer journalistischen Auszeichnung geraten, doch allein Bisams Talent, seine eigenen Charakterschwächen in die von ihm recherchierten Begebenheiten zu projizieren, machten seine Berichte für alle jene sehenswert, die nie genug an nackten Busen, von Unfällen zergliederten Leichen und gewaltstrotzenden Bilden zu sehen bekamen. Kurzum, Rolf Bisam nährte als typischer Sensationsreporter den typischen Voyeurismus des typischen Gaffers. Oder noch kurzümster: Bisam brachte hohe Einschaltquoten. - Und das war den Nachrichtenagenturen weit mehr wert als ein Pulitzer-Preis.

Rolf Bisam war mit seiner Ausbeute mehr als zufrieden. Nachdem Desideria Alphonsina Celeste Kniepkötter sich derart wirkungsvoll vor der laufenden Kamera gewunden hatte, benötigte es kaum noch vieler kommentierender Worte, den am kommenden Tage beginnenden Braunkohletageabbau in ein neues skandalöses Licht zu rücken. Bisam war intelligent genug, zu wissen, daß das Projekt Schwarzweiler nicht mehr zu stoppen war, aber auch gerissen genug, daraus sein eigenes Kapital zu schlagen. Zumindest als ständiger Mahner, sozusagen als Hüter der öffentlichen Moral, würde er nicht ruhen, alles, aber auch ALLES[11] im Zusammenhang mit diesem Projekt ins Zwielicht der TV-Kameraleuchten zu stellen. So nutzte er denn auch auf dem Weg zu seinem Sender kurz noch die Kulisse der Demonstranten vor dem Sicherheitszaun, der er mit Hilfe einiger belebender Geldscheine mehr Dramatik verlieh, setzte sich selbst davor mit Mikrofon in der Hand, ganz seriöser Berichterstatter, in Pose und sprach im besten Wissen um das bereits aufgenommene Filmmaterial seine Erläuterungen, vertraute er doch weniger der Volksweisheit ‚Bilder sagen mehr als tausend Worte’ sondern eher der journalistischen Maxime ‚richtiger Schnitt und passender Kommentar machen aus jeder langweiligen Aufnahme einen Reißer’.

Bereits eine Dreiviertelstunde später betrachtete er zusammen mit seinem Kameramann und der Cutterin eines mehrheitlich im Privatbesitz befindlichen Kölner Senders das Ergebnis ihrer gemeinsamen Arbeit. Die nur anderthalb Minuten währende Bilddokumentation erwies sich dann auch als psychologisches Meisterwerk genialer Schnittkunst, das aus vermeintlich unzusammenhängenden Sequenzen ein offensichtliches Gesamtbild skandalösen Geschehens innerhalb des Schwarzweiler-Geländes schuf.

Wie allgemein bekannt ist, erregen Bilder mehr denn Fakten das Gemüt sensationslüsterner aber sonst geistig müder Fernsehnationen. Ein Politiker, der jeden seiner One-night-stands heiratet, wird beispielsweise solange gewählt, wie darüber keine Fotos existieren,[12] wohingegen eine Nachrichtensprecherin, deren Bauchnabel schemenhaft in einem Männermagazin abgelichtet ist, sofort ins gesellschaftliche Aus verwiesen wird – wenn auch erst dann, wenn per Sonderhinweisen auf diese Fotos die ganze Nation darüber in Kenntnis gesetzt worden ist.

Rolf Bisams Dokumentation erwies als ein äußerst wirksamer Rattenköder aus gekonnt ausgesuchten Essenzen der bereits hier geschilderten Vorfälle. Vor dem Hintergrund einer sich munter produzierenden Demonstranten-Komparserie fragt ein ausnahmsweise nicht kaugummikauernder und gekonnt besorgt dreinblickender Bisam nach der Seriösität des Schwarzweiler-Projektes, da dessen Mitarbeiter und Verantwortliche in unverantwortlicher Weise ihren sexuellen und terroristischen Neigungen nachgingen. – Cut – Sodann ist Robert Braasch’s Statement zur Vatikan-Sprengung zu hören - Cut – Es folgt nunmehr ein kaum wahrnehmbarer weicher Übergang aus Majos Vorschlag zur Verwendbarkeit länglicher runder Lebensmittel und van Strahlens sprechbehinderter Einladung zu einem ‚harmlochen Fickchnickch’ – Cut – Alsdann präsentiert sich dem so bereits in freudige Erwartung vesetzten TV-Zuschauer die folgerichtige Sequenz einer nackten Vollbusigen, die sich zwischen einem sie an den Armen haltenden schwitzenden uniformierten Soldaten und dem potentiellen Papstmörder zwischen den geöffneten Schenkeln rhythmisch windet – Cut – Erneut Bisams Betroffenheitsblick und der Kommentar, diesen Bildern sei wohl nichts mehr hinzuzufügen, jeder Bürger gesunder Moral wisse nun wohl, daß das Schwarzweiler-Projekt eine Ausgeburt kranker Phantasien und der, wenn auch vergebliche, Mut der Demonstranten im Hintergrund nur zu unterstützen sei. – Die letzte Einstellung mußte allerdings nachträglich digital retuschiert werden, da einige der Demonstranten, ob ihrer Gage noch mutiger geworden, furchtlos grinsend in die Kamera gewunken hatten und sogar zwei gespreizte Finger in V-Stellung hinter Bisams Kopf hochgewachsen waren. Dieses Meisterwerk journalistischer Rattenfängerarbeit, das amerikanischen Enthüllungsjournalismus eher wie einen müden Sturm im Watergateglas erscheinen ließ, wurde alsdann in Windeseile an alle TV-Nachrichtenredaktionen rund um den Globus via Satellit gefunkt, während Cutterin, Ratte Bisam und der Kameramann ob der Spannung ihres gemeinsam entlarvten Sexskandals ihren von der Verantwortung der übermittelten Enthüllungen schwer gebeutelten Psychen in ihren kleiderenthüllten Körpern gemeinsam im Dunkel des Schneideraumes die gegenseitig befriedigende Erlösung eines flotten Dreiers schenkten.

Wie alle Nachrichten, erreichen auch Fernsehmeldungen nur Diejenigen, die eine naturgemäße Neugierde am Weltgeschehen zeigen. Da nicht jeder die Zeit aufwendet, nachmittags um zwei Uhr seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem TV-Gerät zu widmen, sei es aufgrund allgemeinen Desinteresses oder der profanen Ablenkung durch Erwerbstätigkeit, erreichte Rolf Bisams enthüllende Reportage zunächst bügelnde Hausfrauen, hausaufgabenschwänzende Schüler, Kleinkinder, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger und den ein oder anderen Studenten, der sich in seiner Nachtruhe durch das Geplärre des TV-Gerätes, das er auszuschalten vergessen hatte, gestört fühlte, wie auch etliche Rentner, die soeben ihr Verdauungsschläfchen hinter sich gebracht hatten. So nimmt es kaum Wunder, daß die Hauptakteure dieser Reportage weiterhin ahnungslos ihren jeweiligen Beschäftigungen nachgingen, während rings um sie herum die allnachmittäglichen Fernsehzuschauer aus ihrer sonstigen Lethargie gerissen wurden: Eine in Aussicht gestellte Orgie am kommenden Tag! Das durfte, konnte, wollte kaum jemand live verpassen!

[1] Daraus entstand im Volksmund die Weisheit: Der Krug telekommt solange zum Brunnen, bis es crasht.

[2] Aufgrund einer lapidaren Verwechslung gleichlautender Begriffe entstand später der bei intimen Gesprächen in der Öffentlichkeit als Warnung dienende Spruch ‚enemie écoute‘ (Feind hört mit), wo es doch ursprünglich ‚Freud hört mit‘ (envie écoute) hieß und in der Bedeutung so viel aussagte wie ‚Ey Leute, jetzt wird's interessant!‘.

In diesem Zusammenhang sei der Leser aufgefordert, sich seine eigenen Gedanken über das Design von Mikrofonen zu machen, die vielleicht das ekstatische Entzücken, begleitet von hohen Kieksern und lustvollem Gestöhn mancher Popstars auf der Bühne erklären könnten.

[3] Na, wenn dieser Begriff in der wortwörtlichen Übersetzung nicht für sich selbst spricht, welcher dann sonst?

[4] Hierbei sei ausdrücklich erwähnt, daß Hubert van Strahlen nicht unter dem Morbus Alzheimer-Fischerii litt, der ähnlich wie bei einigen Kriegsveteranen die eigene gewalttätige Vergangenheit ebenso erfolgreich vergessen läßt, wie sie ihren anschließenden politischen Machterhalt verteidigen.

[5] Nicht zu verwechseln mit den Stollentrollen Zamoniens, die in Aussehen, Charakter und Lachen eher eine Verwandtschaft zu besagtem Literaturkritiker vermuten lassen ... kähähä!, wohingegen der Troll der Scheibenwelt insbesondere durch Größe und Steinewerfen auffällt.!

[6] Die besonders Dämlichen sind clever genug, die Kosten des Ghostwriters einzusparen, schreiben daher einfach ab und vergessen, einen Quellennachweis zu erbringen, irgend eine Partei wird sie dennoch in angestammte Positionen hieven..

[7] gleichbedeutend mit: hä?!

[8] Derzeit laufen Pilotprojekte im Fernsehen, die dem Zuschauer begreiflich machen wollen, daß sie entweder Bart Simpson heißen oder in Park Side wohnhaft sind.

[9] Hierbei handelt es sich um einen sogenannten ‚Hechtwagen‘ der Deutschen Reichsbahn vor Kriegsende, nicht jener späteren kleinrepublikanischen Eisenbahngesellschaft, die mit ihrem Namen den Reisenden vorgaukeln wollte, sie beführe bereits die globusumspannenden Gleise einer sozialistischen Weltrevolution.

[10] Acht Jahre nach Schreiben dieser Zeilen sinniert immerhin niemand Geringerer als der Bundesinnenminister über diese Option. – Sollte dieser Herr damals über meine Schultern gesch ... äublet haben?

[11] Aus Lapidarem launig erfundene Schlüpfrigkeiten

[12] Hier sei an einen Verteidigungsminister erinnert, der aufgrund veröffentlichter Flirt-Fotos bereits kurz vor dem poltischen Aus stand und sich allein dadurch retten konnte, nachdem er sich nach aufdringlichem Betteln und mehrmaligem Abweisen endlich an einem Krieg beteiligten durfte. Seitdem gilt „make love AND war“ als neue politische Maxime, gemäß derer über feindlichem Gebiet gleichzeitig Bomben UND Feldlazarettbetten abzuwerfen sind, beide ohne Fallschirm, sind die Betten immerhin gefedert. Eine Methode, die auch als „humane Kriegsführung“ einen Stammplatz der allgemeinen Sprachverwirrung eingenommen hat.