Lobbys, Multis, Technokraten

(Aufsatz 1980 von Alois Reutterer)

Zweifelsohne ist die Bevölkerungsexplosion in der Dritten Welt bedrohlich für die gesamte Biosphäre der Erde. Die größten Umweltprobleme aber finden sich nicht durchwegs in Ländern mit Spitzenwerten von Bevölkerungsdichte oder -wachstum, sondern in jenen mit dem höchsten Lebensstandard. Würden wir unsere technische Zivilisation auf alle Menschen ausdehnen, so wären wir bereits allesamt an den Folgen zugrunde gegangen. Um den Völkern der Dritten Welt, die ein Wirtschaftswachstum brauchen, Spielraum zu geben, müssen wir zurückstecken, damit die gesamte Umweltbelastung nicht noch katastrophaler wird als sie ohnedies schon ist.

Die in der Ideologie eines ständigen quantitativen Wachstums befangenen Technokraten messen den Wohlstand eines Volkes an seinem Brutto-Sozial-Produkt. Die Wachstumsideologen sind schwer von der selbstmörderischen Tendenz ihres Systems zu überzeugen. Treffend formulierte Horst Stern: „Es ist sinnlos mit Technokraten zu streiten, die kennen den Preis von allem und den Wert von nichts.“

Man muss wissen, dass das Brutto-Sozial-Produkt auch dann steigt, wenn die Zahl der Verkehrsunfälle, der Drogenheilanstalten und Krankenhäuser, die Zahl der Krebspatienten oder der Pillenkonsum zunehmen. Was wir aber benötigen, ist ein qualitatives Wachstum. Dies bedeutet ein verstärktes Angebot jener Güter, die das Leben lebenswerter, menschlicher machen und die in der Gesundheit eines Volkes, in seinem Gemeinschaftssinn und in seinem Bildungsstand ihren Ausdruck finden.

Der Übergang zu einer qualitativen Entwicklung erfordert eine grundsätzliche Umstellung der Denkweise, die man als Übergang vom Erwerbs- oder Gewinnprinzip zum Haushalts- oder Sparprinzip bezeichnen könnte. Gerade daran aber sind die wirklich Maßgebenden nicht interessiert. Diese wirklich Mächtigen unserer Erde sind nicht so sehr Politiker, sondern verschiedene Interessensgesellschaften.

Gegen die Manipulation, Diktatur und scheinbare Allmacht der Energielobbys, Chemiemultis und ökologisch ungebildeten Technokraten müssen wir uns wehren. Denn so ohnmächtig wie wir es uns selbst einreden – aus Bequemlichkeit oder um keine Scherereien zu haben – sind wir nicht.

Es gilt zu durchschauen, dass Macht nur bestehen kann, wenn genug Leute da sind, die von der Wirksamkeit dieser Macht überzeugt sind: Macht ist im Grunde immer nur geglaubte Macht.

Von den egoistisch-utilitaristischen Technokraten dürfen wir uns die Rettung der Erde und der Menschheit nicht erwarten. Sie handeln in Unkenntnis ökonomisch-ökologischer Zusammenhänge oder sehen die bedrohte Umwelt mit den Scheuklappen des Profits und

Wirtschaftswachstums und ignorieren berechtigte Bedenken verantwortungsvoll denkender Menschen gegen ihre gigantomanischen, landschaftszerstörenden und umweltfeindlichen Technologien und Projekte.

Eher dürfen wir uns von kleinen Alternativgruppen etwas erwarten, die sich überall auf der Welt formieren und den Aufstand gegen die alles Leben überwuchernde Technik proben. Es gilt dabei nicht, die Technik als solche abzuschaffen – sie ist Ausdruck des schöpferischen Menschen –, wohl aber müssen ihre Auswüchse und Fehlentwicklungen zurückgestutzt werden. Wir alle können sehr wohl etwas dazu beitragen, den machthungrigen, umweltzerstörenden Größenwahn der nur scheinbar Allmächtigen einzubremsen. Aufklärung der Bevölkerung, Bürgerinitiativen, Konsumverweigerung gegenüber ökologisch schädlichen Produkten, Protestaktionen gegen die Ausrottung von Tiergruppen (Wale), die Zerstörung der Landschaft und riesiger Waldgebiete der Tropen oder gegen die Verpestung der Meere sind nur einige Aktionsmöglichkeiten, die immer häufiger zielführend sein werden und so mithelfen können, unsere Welt entgegen den kurzsichtigen Interessen der Technokraten lebenswerter zu gestalten und die bedrohte Biosphäre zu retten.