Gott oder Kosmos?

(aus Alois Reutterer: „An den Grenzen menschlichen Wissens“)

Die alte Frage der Philosophie „Warum ist nicht nichts?“ wird für uns Menschen letztlich und trotz aller Spekulationen und Theorien über ein Multiversum wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Eine solche Frage ist schon deshalb nicht wissenschaftlich beantwortbar, weil die Antwort eine Erklärung der Form „Weil dies und das der Fall ist“ fordert. Da jede wissenschaftliche Erklärung empirische Prämissen erheischt, die bei dieser Letztfrage aber nicht mehr zur Verfügung stehen, ist die Frage nach der Herkunft unserer Welt oder gar des dahinterstehenden Multiversums wissenschaftlich nicht nur nicht zu beantworten, sondern sinnvollerweise gar nicht stellbar. Eine Erklärung, die alles erklärt, aber empirisch nichts voraussetzt, ist in der Wissenschaft unmöglich.

Der Kosmologe und Wissenschaftsphilosoph Bernulf Kanitscheider (2007) sieht in der Frage nach dem Nichts ein Pseudofrage: „Die These der christlichen Metaphysik setzt voraus, dass beim Fehlen einer äußeren Ursache der spontane natürliche Zustand aller Dinge das kontingente Nichts ist. Nur wenn man die natürliche Primordialität des Nichts voraussetzt, macht es Sinn, eine kreative Gottheit zu fordern. Nur unter der Voraussetzung der ontologischen Spontaneität des Nichts braucht man einen externen Grund, eine ratio essendi für das Vorhandensein von Etwas, einen Grund für die Existenz der Welt. …Da für die seltsame Hypothese der Vorrangigkeit des Nichtseins kein vernünftiger Grund spricht, verliert das gesamte Unternehmen, die Existenz der Welt zu erklären, sein Ziel. …Aristoteles wäre nicht auf die Idee gekommen, dass die reine Existenz der Welt etwas Bemerkenswertes wäre… So enthüllt sich die so gespenstisch abgründig klingende Frage, warum überhaupt etwas sei und nicht vielmehr nichts, als eine Pseudofrage, die man besser gar nicht in Angriff nimmt, weil sie nirgendwo hinführt.“

Die zahlreichen Religionen, welche die Menschen im Laufe der Jahrtausende ihrer Geschichte entwickelt haben, wissen im mythologischen Kontext eine Antwort auf die Frage nach dem Woher und Wohin der Welt. Intellektuell befriedigen diese Antworten freilich in keiner Weise, setzen sie doch allesamt einen sehr menschlich gedachten Schöpfer voraus.

Die Beweislast für eine Behauptung liegt nach den Regeln der Logik übrigens nicht bei dem der diese bestreitet, sondern bei dem der sie aufstellt, also nicht beim Ungläubigen, sondern beim Gläubigen.

„Dass man Gottes Nichtexistenz nicht beweisen kann, ist eine allgemein anerkannte, triviale Erkenntnis, und sei es auch nur in dem Sinn, dass man die Nichtexistenz von irgendetwas niemals absolut beweisen kann. Entscheidend ist nicht, ob Gottes Existenz widerlegbar ist (das ist sie nicht), sondern ob sie wahrscheinlich ist“ (Dawkins 20078).

Die Gotteshypothese ist nach Dawkins auch „in all ihren Formen überflüssig. Außerdem wird sie durch die Gesetze der Wahrscheinlichkeit nahezu ausgeschlossen.“

Die Gotteshypothese lautet nach Dawkins wie folgt: Es gibt eine übermenschliche, übernatürliche Intelligenz, die das Universum und alles, was darin ist, einschließlich unserer selbst, absichtlich gestaltet und erschaffen hat.

Dawkins vertritt eine ganz andere Ansicht: „Jede kreative Intelligenz, die ausreichend komplex ist, um irgendetwas zu gestalten, entsteht ausschließlich als Endprodukt eines langen Prozesses der allmählichen Evolution. Da kreative Intelligenz durch Evolution entstanden ist, tritt sie im Universum zwangsläufig erst sehr spät in Erscheinung. Sie kann das Universum deshalb nicht entworfen haben. Gott im eben definierten Sinn ist eine Illusion – und zwar… eine gefährliche Illusion.“

Im Weiteren argumentiert Dawkins, „dass jeder Gott, der ein sorgfältig, weitsichtig abgestimmtes Universum gestalten kann und so die Voraussetzung für unsere Evolution schafft, ein höchst komplexes, unwahrscheinliches Etwas sein muss und demnach noch schwieriger zu erklären ist als die Dinge, für die er eine Erklärung sein soll.

Gott hat vielleicht weder ein Gehirn aus Nervenzellen noch einen Prozessor aus Silizium, aber wenn er über die Fähigkeiten verfügt, die ihm zugeschrieben werden, muss er etwas weitaus Raffinierteres und nicht zufällig Konstruiertes besitzen als das größte Gehirn oder die größten Computer, die wir kennen.“

In seinem Buch „Schöpfung ohne Schöpfer“ hat Peter W. Atkins (1984) zu zeigen versucht, „dass die Entstehung des Universum einer… Intervention nicht bedurfte“ (vgl. 1.1).

In der Hypothese vom „unendlich faulen Schöpfer“ vertritt er „die Auffassung, dass der Urstoff des Universums von äußerster Einfachheit sein muss und dass die wahrgenommene Komplexität und Vielfalt durch das Zusammentreten primitivster Dinge entstehen, ... dass im Schöpfungsprozess nur sehr einfache Dinge entstehen konnten und dass infolgedessen die Aufgabe irgendeines Schöpfers leicht gewesen sein mag. Mehr noch,... dass die einzig mögliche Erklärung der Schöpfung der Nachweis ist, dass dem Schöpfer überhaupt nichts zu tun blieb und dass die Schöpfung deshalb ebenso gut auch ohne Schöpfer ausgekommen sein kann.“ Und so vollzog sich nach Atkins die „Schöpfung“: „Zuerst ist der Anfang. Am Anfang war das Nichts. … Es gab keinen Raum und keine Zeit, denn es war vor der Zeit. …Aus dem absoluten Nichts und ohne die geringste Intervention entwickelte sich rudimentäre Existenz.“

Sehr befriedigend erscheint diese Beschreibung der „Schöpfung“ nicht. Unwillkürlich fragt man sich, bedarf es nicht doch eines Anstoßes, einer ersten Ursache, damit „aus nichts“ etwas werden kann? Diese erste Ursache, diesen Initiator aber, nennen die Religionen „Gott“. Selbst wenn wir annehmen, dass unser Kosmos sein Dasein einer „Auskondensation“ aus einem Hyperkosmos verdankt, ist damit die Frage nach einer ersten Ursache nur verschoben. Die Frage nach einer

allerersten Ursache allen Seins scheint unausweichlich und die Frage nach dem Warum eines Anfangs nur durch die Annahme eines Initiators plausibel beantwortbar. Konsequenterweise freilich müsste man dann aber weiter fragen, wem denn nun der Schöpfer unseres Alls, eines Überkosmos oder des Multiversums seine Existenz verdankt. Die Antwort der Religionen lautet, dass Gott unerschaffen und ewig sei. Unser menschlicher Verstand aber, der sich so etwas nicht vorstellen kann, sagt uns: Wenn Gott ohne Ursache existieren kann, also „notwendig“ ist, so kann auch die Welt ohne Ursache existieren. Es bedeutet nämlich einen willkürlichen Abbruch der Kausalkette, wenn man eine letzte Ursache der Welt postuliert, zumal der Ursache-Begriff nur innerweltlich angewendet werden darf und der Ausdruck „notwendig“ niemals einem Ding oder Wesen zugeschrieben werden kann.

Die Behauptung, dass es einen außerweltlichen intelligenten Verursacher des Kosmos und seiner Ordnung gebe, widerspricht zwar keiner wissenschaftlichen Theorie, ist aber weder erfahrungswissenschaftlich prüfbar noch logisch beweisbar. Der Mensch hat jedoch ein metaphysisches Bedürfnis, wie schon Immanuel Kant feststellte: „Dass der Geist des Menschen metaphysische Untersuchungen einmal gänzlich aufgeben werde, ist ebenso wenig zu erwarten, als dass wir, um nicht immer unreine Luft zu schöpfen, das Atemholen einmal lieber ganz und gar einstellen würden.“

Der forschende Mensch will wissen, was jenseits der Physik, jenseits der ihm mit Sinnesorganen und Instrumenten zugänglichen Natur liegt. Wir wollen uns „die Welt rund machen“; indes: wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass die Welt, die wir wahrnehmen, nicht alles sein kann, was es gibt. Zumindest ist es für uns unbefriedigend, anzunehmen, dass unser Weltall alles ist und dass dieses aus absolut nichts und ohne Ur-Sache entstanden sein soll. Einen Ausweg aus dieser Situation böte die Hypothese, dass unser Kosmos in einer höheren Dimension eingebettet liegt oder aus einem Hyperkosmos oder Multiversum entsprungen ist, wobei freilich sofort die Frage nach deren Ursprung auftaucht.

Akzeptiert man die Hypothese von einer höheren unerfahrbaren Dimension, so ist diese sicher nicht identisch mit jenem absoluten Wesen, das die Religionen als Gott verehren. Aussagen über einen als „Person“ gedachten Gott sind notwendig anthropomorph (vermenschlichend). Die Annahme eines gehirnlosen(!) aber dennoch intelligenzbegabten Geistwesens ist eine Hypothese, die einem rationalen Wesen wie dem Menschen eigentlich nicht zugemutet werden sollte.

Dass der Mensch das Bedürfnis nach Übersinnlichem in sich trägt und dass es im menschlichen Gehirn Regionen gibt, die mit mystischem Erleben und einem Gefühl der Nähe zu einem Gott zusammenhängen, ist natürlich kein Beweis für die tatsächliche Existenz einer übernatürlichen Macht.

Kann man Gott denken?

(aus Kanitscheider, Bernulf: Die Materie und ihre Schatten.

Naturalistische Wissenschaftsphilosophie.

Aschaffenburg 2007)

Es leuchtet ein, dass man nichts Unlogisches denken kann, weil wir sonst unlogisch denken müssten, ebenso wenig kann man etwas der Logik Widersprechendes in der Sprache ausdrücken. Damit sind auch theologische Fluchtwege verbaut, Gott selbst irgendwo in einem ontologischen Reich der Unmöglichkeit anzusiedeln, d.h. deutlicher gesagt, wenn der Gottesbegriff widersprüchlich sein sollte, existiert dieses Wesen apriori nicht. Erst wenn er widerspruchsfrei gedacht werden kann, lassen sich gute Gründe für die Existenz Gottes suchen, was nicht bedeutet, dass man diese Gründe auch finden wird.

Da die Logik keine ontologischen Voraussetzungen besitzt, gilt sie auch für transzendente Wesen. Sind diese durch inkonsistente Beschreibungen charakterisiert, lassen sie sich definitiv ausschließen. Angewendet auf das im christlichen Kulturkreis am meisten verehrte numinose Wesen bedeutet dies, dass im Fall eines inneren Widerspruches der göttlichen Alleigenschaften Güte, Weisheit, Gerechtigkeit, Macht dessen Nichtexistenz unausweichlich ist. Da die Theologen aber tausendundeine Methoden gefunden haben, die Qualitäten des höchsten transzendenten Wesens zu vernebeln, lässt sich nur von der fehlenden Stützung oder falsifikatorisch gesprochen, von der nicht vorhandenen Widerlegungsmöglichkeit her argumentieren. Da jegliche Indizien empirischer und indirekt theoretischer Art für die Existenz dieses Wesens fehlen, ja niemand genau die Anwendungsbedingungen für diese Begriffsmolluske kennt, spricht in dieser epistemischen Situation alles für die Nichtexistenz.

Übrigens mutet es ja grundsätzlich seltsam an, dass alle Verteidiger von außerweltlicher Fremdorganisation, von Platon mit seinem Demiurg bis zu den christlichen Theisten, sich immer völlig sicher waren, dass ein und nur ein Ordner am Werk war. Selbst wenn der Analogieschluss von der Existenz von Ordnung auf die intelligente Ursache ein gültiges Argument wäre, hätte doch auch eine ganze Mannschaft von supernaturalen Wesen mit funktionaler Arbeitsteilung an der Konstruktion des Universums beteiligt sein können. Auch an dieser Vieldeutigkeit sieht man bereits die anthropomorphe Hinfälligkeit der ganzen Idee einer intelligenten Fremdorganisation. Sie krankt sowohl an innerer Vieldeutigkeit wie auch an äußerer Unplausibilität.