Sex, Drugs & Salvador Allende

Ein chilenischer Sozialdemokrat und seine kruden Thesen

Salvador Allende gilt seit seinem Selbstmord im Angesicht des blutigen Putsches der Militärs unter Augusto Pinochet im Jahr 1973 nicht nur in Lateinamerika sondern weltweit als verehrte Ikone und heroischer Märtyrer der Linken. Als Anfang 2005 durch einen Hinweis von Víctor Farías jene Schrift im Archiv der Psychiatrie der Universidad de Chile gefunden wurde, mit der der Arzt und spätere Präsident Allende 1933 seinen „Dr. med.“ erlangte[1], und als ersterer mit einer Publikation[2] auf den unsäglichen Inhalt dieser Schrift aufmerksam machte, war ein Großteil der Linken samt der in Madrid ansässigen „Stiftung Allende“ in ihrem Element: dumpfe Abwehrreaktionen und denunziatorische Beschimpfungen gegenüber Farías wechselten sich ab mit der ebenfalls widerlichen Hetze gegen Allende von Seiten diverser Nazis und Pinochetverehrern.

Heute, ist es ungenügend vorzubeugen und zu heilen.

Heute, wird geheilt, vorgebeugt und sanktioniert.

Der Infektiöse wird isoliert.

Der seiner Behandlung widerstrebende Kranke wird eingesperrt.

Dem Geisteskranken wird im Namen der Gesellschaft und zu deren Wohlbefinden

ein Großteil seiner Betätigungen verboten.

Die Euthanasie- und Eugenik-Gesetze ersetzten den Tarpeischen Felsen[3]

und beschützen das Individuum vor sich selbst und nur zum Wohle der Gesellschaft.

Salvador Allende, Einleitung seiner Dissertation, S. 7f

Die Gedankenwelt, die uns der Dissertant hier offenbart[4], zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamten 164 Seiten und dies findet seine konsequente Umsetzung sieben Jahre später, in der Gesetzesinitiative von 1940, als der Mediziner zum Gesundheitsminister des Frente Popular aufgestiegen eine Gesetzesinitiative zur Zwangssterilisierung von Geisteskranken einbringt, die jedoch abgeschmettert werden konnte. (Farías 2005: 109 – 151) Dreißig Jahre später, als Allende 1970 den großen Sprung schafft und mit der linken Unidad Popular Präsident des Landes wird, nimmt er den Nazi-Kriegsverbrecher Walter Rauff in Schutz und verweigert seine Deportation in die BRD oder Israel.[5] Doch an dieser Stelle beschäftigen uns zunächst seine wissenschaftlichen Thesen, seine Doktorarbeit, die bis jetzt der Öffentlichkeit nicht zugänglich war. Als junger Medizinstudent und Praktikant der Psychiatrie interessiert Allende der Beitrag, den die Psychohygiene zur „Vorbeugung, Heilung und Bewachung“ jener Delinquenten leisten kann, die aus verschiedenen Gründen Verbrechen begehen, z.B. auf Grund „gewisser chronischer Krankheiten, Vererbung, Traumata, Vergiftungen, Familienleben, Umgebung, rassischen Eigenheiten, usw.“ (Allende 1933:14)

 

 

Jeder Spermatropfen eines Alkoholikers enthält die Samen einer gesamten neuropatischen Familie.“[6]

 

Alkoholkranke Menschen haben es Allende wohl besonders angetan. Sie neigen zu „Exhibitionismus, sexueller Gewalt und damit zur Übertragung von Geschlechtskrankheiten und Vererbung von Krankheiten“ (S.25), unter den manischen Alkoholikern „zerstört das Subjekt, es schlägt und mordet oder begeht Selbstmord“. (S.26) Als erste Maßnahme schlägt der Dissertant Vorbeugung an, bei leichten Alkoholikern Umerziehung und nach einer Zeit der Isolierung eine Reintegration in die Gesellschaft, und für schwere Alkoholkranke sei er „sehr skeptisch bezüglich eines medizinischen Erfolges in der Behandlung dieser Individuen“ (S.30) und „Seine Umerziehung erachten wir als fast unmöglich.“ (S.31) Daraus folge: für immer einsperren, und sollte das Individuum je frei gelassen werden, dann nur unter permanenter Beobachtung, damit seine „antisozialen Züge“ unter Kontrolle blieben.[7] (ibid.)

 

Ein weiteres Kapitel ist der Tuberkulose gewidmet, die Allende zwar als „soziale Krankheit“ erkennt, die „aus der Tatsache“ resultiere, dass es „verschiene Gruppen oder Klassen“ gäbe, und diese sich in Bezug auf die ihnen zur Verfügung stehende Existenzmittel voneinander unterschieden, doch er will die Krankheit nicht mit der Abschaffung eben dieser Klassen bekämpfen, sondern mittels Sozialhygiene bzw. in diesem Fall mit dem Einsatz von Massenhygiene. „Wir stellen also fest, dass die Sozialhygiene in der Angleichung der Klassen bezüglich der Gesundheit besteht.“ (S. 36) Im Kapitel über die legalen Maßnahmen zur Bekämpfung der Tuberkulose wird u.a. (das nationalsozialistische) Deutschland und das (faschistische) Italien in Bezug auf die obligatorische Krankenversicherung gelobt. (S.50) „Denn wer von der Tuberkulose spricht, muss auch von Armut sprechen, und Armut bedeutet Kriminalität, sofern diese von psychopathologischen Bedingungen begleitet wird.“ (ibid) Ebenso wie im folgenden Teil über diverse Geschlechtskrankheiten stellen sich für den Sozialdemokraten als gravierenste Probleme dar: der Verlust - durch Tod oder Krankheit – von Arbeitskraft im Proletariat, was er mit einigen Statistiken und Zahlenmaterial ausführlich belegt, und der Anstieg der Kriminalität. Über „den Drogenabhängigen“ schreibt Allende, er sei „eine schwere Last und ständige Bedrohung für die Familie und die Gesellschaft, da seine Moral verloren und vermindert ist“ und es scheine „dem Kranken, in seinem absoluten Wunsch Drogen zu besorgen, durchaus legitim die extremsten Maßnahmen zu ergreifen, wie etwa Lüge, Betrug oder Verbrechen.“ (S.62) Der Beitrag der Psychohygiene solle v.a. darin bestehen, gesetzliche Grundlagen im Umgang mit Abhängigen und Substanzen zu schaffen, und Klarheit über die „Staatsbürgerrechte der Kranken“ bezüglich „Verkauf von Eigentum, Erbe und Testament“ zu verschaffen. (S.67) Allende bedauert, dass es keine Einrichtungen für Drogenabhängige gäbe, in denen diese zu Zwangsarbeit verpflichtet wären (S. 72) und führt etwa das Beispiel eines „moralisch verrückten Verbrechers“ an. Dieser hatte Rechnungen und Schecks gefälscht, hatte seinen Job verloren und wurde beim Versuch ertappt, einen hochrangigen Diplomaten zu betrügen. „Raucher, Trinker, Morfin- und Kokainabhängiger.(...) In seinem Freundeskreis befinden sich offen deklarierte Homosexuelle.(...)“ Da eine Reintegration in die Gesellschaft zweifelhaft sei, solle „seine Inhaftierung permanent sein.“ (S. 71f) Auch hier wird weder Nicola Pende[8] noch sonst ein Wissenschafter zitiert, wie die heutigen VerteidigerInnen Allendes immer wieder behaupten, es ist Allende selbst, der diesen und viele andere „Fälle“ dokumentiert und in seiner Dissertation auch kommentiert hat. Seine Radikalität und Rigorosität lässt ihn so manchen Faschisten, den er in der Arbeit zustimmend zu Wort kommen lässt, bei weitem überholen.

 

 

„Das Individuum repräsentiert die Gesamtheit der Rasse.“[9]

 

Auf den ersten 14 Seiten dieses Kapitels beschränkt sich Allende auf die Zusammenfassung einiger endokriner Thesen des Faschisten Nicola Pende und des Psychiaters Ernst Kretschmer[10], deren Biologismus und Rassismus er dort übertrifft, wo er aufhört zu zitieren, und eigene Thesen entwirft. So stellt der Dissertant fest, dass die Umgebung und das Klima die Drüsenaktivität enorm beeinflussen und daher „die Süditaliener, v.a. die Sizilianer, im Gegensatz zu jenen im Norden, und die Spanier, zu primitiven und barbarischen Verbrechen aus Leidenschaft neigen“ (S. 89) „Der Engländer“ hingegen verübe solche Verbrechen kaum, usw. Es folgt die Beschreibug eines Experiments von Prof. Wegelin, welches dieser mit diversen Inhaftierten Verbrechern „mit hervorragenden Resultaten“, so Allende, durchgeführt habe, in dem er deren Thymusdrüse teilweise chirurgisch entfernte oder komplett zerstörte. Dies habe den Charakter der Individuen massiv verändert und sie zu moralisch besseren Menschen gemacht.

 

Ein ausgefülltes, also intensives, gar ein gleichgeschlechtliches Sexualleben führt laut Allende direkt zum Anstieg der Kriminalität (S.92) und somit ist auch diesem ein Kapitel gewidmet, in dem es v.a. um weibliche Sexualität und deren Perversion geht. „Im Wechsel sind der Erotismus, der Exhibitionismus, die Kleptomanie und der Drang zum Selbstmord möglich.“ Ähnliches geschehe während der Menstruation: 90 % der Verbrecherinnen begehen ihre Taten zu diesem Zeitpunkt, erzählte ihm (oder schrieb?) ein gewisser Dr. Coutts. (S.93) – so genau kann man das nicht sagen, wissenschaftliche Minimalstandards waren Allende wohl ebenso verhasst wie Drogen, Sex und Homosexualität. Letztere sei eine Kranheit, für die der Betroffene nicht schuldig sei. „Mehr noch, diese Autoren [Steinach, Lipschütz und Pézard] haben es geschafft, einen Homosexuellen zu heilen, der etliche weibliche sekundäre Sexualeigenschaften aufwies und in dessen Familie sich weitere Päderasten befanden, indem sie ihm Hodenstücke in den Unterleib einpflanzten.“ (S.94) Nach der „Operation“ sei aus dem Schwulen ein Heterosexueller geworden. Bravo! Allende führt dieses Beispiel an, ohne dazu Stellung zu beziehen, doch im Kontext seiner Dissertation kann schwerlich bestritten werden, dass er solchen Maßnahmen offen gegenüber steht. Die einzige „Relativierung“ erfolgt im Schlusssatz, wo er für erzieherische Maßnahmen plädiert – dies sei die Aufgabe der Psychohygiene – um über die schadhafte Einwirkung der Drüsenaktivität aufzuklären und somit „Kranke“ (Homosexuelle, Frauen in der Menopause, usw.) zu heilen.

 

 

Über „Juden, Zigeuner, einige Bohemiens“

 

Als dritte Krankheitsursache des Verbrechens definiert Allende „die Umwelt: Klima, Rasse und Gemeinschaftsverbrechen“ (S.111) und zitiert dabei u.a. rassistische und antisemitische Absätze aus dem Werk Lombrosos, jedoch tut er dies lückenhaft und falsch:

Rassen: Lombroso berichtet, dass es Stämme gibt, die mehr oder weniger zum Verbrechen neigen. So haben wir z.B. in Indien den Stamm der Zackakhail, deren Beruf der Diebstahl ist, und bei der Geburt eines Knaben wird er in diesen eingeführt, in dem drei mal gesungen wird: `Sei ein Dieb!´ Unter den Arabern finden wir einige ehrliche und arbeitsame Stämme, aber auch abenteurliche, unkalkulierbare, faule und mit Hang zur Betrügerei. Die Zigeuner bestehen meist aus kriminellen Gruppierungen, wo die Faulheit, die Wut und die Eitelkeit vorherrschen. Morde kommen häufig vor. Die Hebräer charakterisieren sich durch bestimmte Verbrechensformen; Betrug, Falschheit, Verleumndung und v.a. Wucher. Morde und Verbrechen aus Leidenschaft stellen die Ausnahme dar. Diese Tatsachen lassen uns ahnen, dass die Rasse Einfluss auf das Verbrechen hat. Doch es fehlt uns an präzisen Daten um diesen Einfluss auf die zivilisierte Welt zu beweisen.“ [11] (S.115)

 

Das Kapitel über den Zusammenhang von Massenphänomen und Verbrechen ist so konfus wie die gesamte Arbeit. Kurz zusammengefasst: der Kapitalismus habe zu großer Arbeitslosigkeit und verarmten Massen geführt. Zwangsarbeit in Arbeitslagern, um diesen Massen zu helfen, sei zwar begrüßenswert, nur leider ist auch hier eine Brutstätte des Verbrechens gegeben. Es folgt aus (un)erklärlichen Gründen eine „Klinische und psychopatologische Klassifizierung von Vagabunden“, Allende behauptet Prof. M. María Estapé zu zitieren. In der ersten Gruppe: Juden, Zigeuner, einige Bohemiens, in der zweiten Gruppe: Verurteilte, Bettler und Arbeitslose, und die Gruppe besteht aus diversen „Kranken“. (S.118) Nachdem Allende bereits bei Lombroso just jenen Absatz unzitiert beließ, in dem jener sich gegen antisemitische Wahnvorstellungen äußerte, verwundert es kaum noch, dass sich nun herausstellte, das der angeblich zititierte Prof. Estapé in seiner Arbeit niemals von Juden sprach[12]. Wieso hat Allende ersteres weggelassen und zweiteres aus eigener Feder hinzufügt?

 

Auch der folgende Absatz über die Massen ist aufschlussreich: Allende kritisiert dabei den übersteigerten Kampfgeist der Nachkriegszeit, es hätten sich bewaffnete Institutionen gebildet, die den Charakter von politischen Parteien besäßen und sich in verschiedenen Ländern massiv bekämpften. Diese Phänomene von fehlgeleiteten Massen, die einem „geisteskranken Individuum“ folgten, haben sich in der Geschichte immer wieder zugetragen. Jedoch erwähnt er mit keinem Wort Hitler und den Nationalsozialismus[13], auch nicht Mussolini und den Faschismus, sondern ausschließlich die Französische Revolution (sic!). (S.119f)

 

Die letzten 30 Seiten der Dissertation beschäftigen sich konsequenterweise mit der Klassifizierung von Verbrechen und Verbrechern sowie mit der „Wissenschaftlichen Organisation von Strafanstalten“, wiederum begleitet von der ausführlichen Beschreibung und Kommentierung von „Fällen“, wie etwa jenem einer 15-jährigen Prostituierten. Sie wurde von Polizisten in die Anstalt für Geisteskranke gebracht, in der Allende als Medizinstudent praktizierte. Straffällig war sie nie geworden. Ihr Verbrechen: sie hämmert gegen die Wände und ist sehr aufgebracht und verwirrt. Sie weint und lacht abwechselnd. Emotionale Ausbrüche. Man stellt fest, dass sie eine „Drüsenüberfunktion im Bereich des Eierstockes“ habe. Man verabreicht ihr täglich Atropinspritzen und flößt ihr Eierstock-Extrakte ein. „Ihre Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit werden weiterhin bestehen, solange ihre psychomotorischen Krisen auftreten.“ (142ff) Der Dissertant tritt in seiner Diagnose für eine unbegegrenzte Zwangsinternierung des Mädchens in einer Anstalt für Geisteskranke ein.

 

Allende konnte – wenn auch mit schlechter Benotung - mit dieser miserablen und unwissenschaftlich verfassten Arbeit als chirurgischer Arzt promovieren. Seine reaktionären, homophoben, rassistischen und eugenischen Thesen, die Tatsache, dass er  antisemitische Wahnvorstellungen kommentarlos und falsch zitierte, wurden dank der hartnäckigen Recherche des chilenischen Philosophen Víctor Farías nun erstmals der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Was daraus folgen sollte, sind keine peinlichen und dummen Abwehrreaktionen seitens der Linken, sondern eine umfassende und tiefgreifende Beschäftigung mit der Verbreitung und der Verankerung eben jener Ideen in den eigenen Reihen.

von Mary Kreutzer, in: Context XXI

[1] Salvador Allende G.: „Higiene Mental y Delincuencia“. (Psychohygiene und Verbrechen) Dissertation 1933, Universidad de Chile. Die gesamte Dissertation samt vier wütenden und inhaltlich ebenfalls untragbaren Verteidigungsschriften (von Juan Garcés, Juan Carlos Carbonell Mateu, Pablo Oyarzun und Julio Silva Solar)  wurde von der Fundación Allende (Allende Stiftung) im Frühling 2005 für kurze Zeit im Internet zur Verfügung gestellt: http://www.elclarin.cl , und kann seit August 2005 dort gegen Entgeld bestellt werden. Alle Übersetzungen ins Deutsche: Mary Kreutzer.

[2] Víctor Farías: „Salvador Allende: contra los judíos, los homosexuales y otros `degenerados´ “ Ediciones Áltera, Barcelona 2005

[3] Von diesem aus pflegten die Römer Schwerverbrecher und andere Verurteilte, wie etwa Hochverräter und sogenannte Blutschänder, sowie körperlich oder geistig behinderte Menschen in den Tod zu stoßen, Anm. M.K.

[4] Der Rechtsanwalt Julio Silva Solar (siehe FN1:XXXIff) vom chilenischen sozialwissenschaftlichem Institut CESOC geht noch weiter und verteidigt nicht nur Allendes Ansichten, sondern rechtfertigt Euthanasie heute. „Was auch immer man über die Euthanasie denken mag, was Allende hier beschreibt, ist ein zivilisatorischer Schritt, in einem humanistischen Sinn, vom Tarpeischen Felsen (...) hin zu einer modernen wissenschaftlichen Konzeption, die durch die Psychohygiene und ihre Spezialfächer repräsentiert wird. Der Entmythologisierer [er meint damit Dr. Víctor Farías] verwendet das Wort `Euthanasie´ um einerseits einen Skandal heraufzubeschwören und andererseits um Allende in die Nähe dessen zu rücken, was Farías „das Verbrechen der Euthanasie“ Hitlers und der Nazis nennt. Dabei bemerkt er [Farías] nicht, dass das eine Euthanasie ist, und das andere der vom Rassismus verursachte Massenmord.“

[5] Siehe Farías 2005 und Interview in diesem Heft.

[6] Allendes Eingangszitat (von Charcot) im Kapitel „Kampf gegen den Alkoholismus“ (1933:25)

[7] Auch der Vizerektor und Prof. für Strafrecht der Universität Valencia, Juan Carlos Carbonell Mateu, verteidigt heute die kruden Thesen Allendes. Er schreibt auf Seite XVII (siehe FN1), dass heutzutage niemand mehr an den diesen Thesen zweifle, Allende sei seiner Zeit um Jahrzehnte voraus gewesen, und: dieser habe ein wahrhaftes Sozialprogramm [sic!] entwickelt. (siehe FN1, S. XIX)

[8] N. Pende: Italienischer faschistischer Wissenschafter. Siehe dazu Interview mit Dr. Gadebusch-Bondio in diesem Heft.

[9] Siehe Einleitung des 4. Kapitels, “Individuum, die zweite Krankheitsursache des Verbrechens“ (Allende 1933:73) Die erste Ursache des Verbrechens, „Vererbung“, wurde in den vorangegangen Absäzten über Alkoholismus, Drogensucht, Geschlechtskrankheiten, Tuberkulose, usw. beschrieben.

[10] E. Kretschmer (1888-1964) erarbeitete u.a. eine Körperlehre, die die Feststellung von Homosexualität durch den Körperbau proklamierte. („Körperbau und Charakter“, 1920). 1946 – 1959 Vorstand der Psychiatrischen Abteilung der Universität Tübingen.

[11] Cesare Lombroso: Italienischer Kriminologe des 19. Jahrhunderts. Siehe dazu Interview mit Dr. Gadebusch-Bondio in diesem Heft. Auf den letzten Satz haben sich die Verteidiger Allendes (siehe u.a. FN 1) mit besonderem Eifer gestürzt, denn er beweise, dass sich Allende von Lombroso deutlich abgrenzte. Doch wieder hat Allende „vergessen“ zu zitieren und sein Fan-Club hat „vergessen“ zu recherchieren: der Satz stammt in Wirklichkeit ebenfalls von Lombroso.

[12] “Las ideas fascistas de Salvardor Allende”, Víctor Farías im Juli 2005: http://www.metapolitica.com.mx/42/breviario/mundo01.htm

[13] Juán Garcés von der Stiftung Allende, Träger des Alternativen Nobelpreises und eifrigster aller Allende-Verteidiger, behauptet allen Fakten zum Trotz, dass dieser sich auf den NS und Faschismus bezogen habe. Mit seiner Dissertation habe Allende seine Werte überzeugend dargelegt: „Humanismus, sozialer und kultureller Fortschritt, Entwicklung der politischen Demokratie und Wirtschaft.“ (Siehe FN1, S.VIIf) Weiters habe Allende in seiner Disseration „all das abgelehnt, was auf die eine oder andere Art rassendiskriminatorisch oder ant-semitisch sei.“ (sic!) Ein weiterer prominenter Verteidigungs-Schreiberling, der Philosoph und Dekan der Kunstabteilung der Universidad de Chile, Pablo Oyarzun, greift noch eine Schublade tiefer, um Allende vor dem Vorwurf des Antisemitismus zu schützen: dessen zweiter Nachname, Gossens, sei sefardischer Abstammung. Na dann! (ibid: S.XXVI) Juan Garcés macht dasselbe und will uns durch die Nebenbei-Erwähung eines jüdischen Freundes von Allende davon überzeugen, dass dieser somit kein antisemitisches Gedankengut haben konnte. (ibid: S.X)

In der Folge sammelte ich einige der Reaktionen: von Linken, Rechten, Faschisten und Nazis über das Buch von Víctor Farías:

“Das Buch (...) ist von einem “chilenischen” Historiker geschrieben, Herr Víctor Farías, ein bekannter Freund und Schreiberling der jüdischen Gemeinde in Chile und im Ausland. Dass nun die Schreiblinge von Judas versuchen, die unendliche Gutwilligkeit, die die chilenische Militärdiktatur den Juden gegenüber aufbrachte, mit dem Nazismus in Zusammenhang zu bringen, ist wiederum ein Beweis für die unglaubliche verräterische und unehrenhafte Tendenz des Zionismus.“

Chilenische Neonazis, EH (Era Hitleriana), http://personales.com/chile/santiago/AntenAria/propag.html

"Diese Art von Rufmord ähnelt den Kampagnen von Pseudo-Linken gegen  Globalisierungskritiker, Kritiker der Politik Israels, der USA usw. Auch  darin werden die Unterstellungen wie "Antisemitismus", "Rassismus" und  "Antiamerikanismus" und ähnliche als rufmordende Instrumente ge- und  mißbraucht.“

Matthias Reichl, E-Rundbrief des Begegnungszentrums für aktive Gewaltlosigkeit „Rufmordkampagne gegen den früheren chilenischen  Präsidenten Salvador Allende. Verteidigungskampagne.“ 11.7.2005

„Was den Antisemitismus angeht, verschweigt Farías’ Pamphlet konsequent Allendes vollen Familiennamen: Er hieß Salvador Allende Gossens – trug also einen jüdischen Namen. Seine Mutter war jüdischer Herkunft. Farías verschweigt diesen Umstand, weil er seine Unterstellungen in Frage stellen würde.“

Rassenlehre des Präsidenten der Stiftung Allende, Juan Garcés, im Interview mit der Jungen Welt, 28.5.2005

„Die Behauptungen von Victor Farías zum Thema der Dissertation von Dr. Allende sind haltlos, und er wird den Beweis dafür, dass Herr Dr. Allende jemals antisemitische oder naziinfizierte Gedanken vertreten, zu Papier gebracht oder in Politik umgesetzt hat, schuldig bleiben.“

Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika e.V (FDCL), 30. Mai 2005

"Die Behauptung, Allende sei Antisemit gewesen, ist offenkundig falsch!"

Stellvertretender Fraktionsvorsitzende der Grünen Bürgerschaftsfraktion GAL, Willfried Maier, Die Welt, 4.6.2005

„Warnung vor einem diffamierenden Buch von Víctor Farías über Salvador Allende. Ein diffamierendes Pamphlet behauptet, dass der Salvador Allende als Student 1933 rassistische und anti-semitische Konzepte in seiner Dissertation verwendet hätte.“

Presseerklärung Stiftung Allende, 22. Mai 2005

“Herr Farías verschweigt, verändert, verdreht, deformiert, manipuliert. Allende charakterisierte sich durch seine humanistischen Ideen. Er kämpfte für den sozialen und kulturellen Fortschritt, die Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Demokratie, etcétera, etcétera.”

Víctor Pey (Vizepräsident der Stiftung Allende), El Mostrador, 24. Mai 2005

„Allende rehabilitiert. Farías Vorwürfe entkräftet.“

Werner Balsen, Frankfurter Rundschau, 16. Juni 2005

„Victor Farías hat einen guten Riecher für Skandale, und vor allem dafür, wie sie sich weltweit entfachen lassen. Dabei ist der seit 1974 am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin lehrende Exil-Chilene keineswegs bescheiden. Schon 1987 versuchte er als damals 47-jähriger Philosoph eine Ikone seines Fachs, seinen einstigen Lehrer Martin Heidegger, zu demontieren. (...) Ob die Allende-Schmähschrift noch ein juristisches Nachspiel hat, bleibt abzuwarten.“

Freitag 24, 17.6.2005 [Hugo Velarte meint damit nicht die Aberkennung des Dr. Titels Allendes sondern den auch von der nationalbolschewistischen Jungen Welt geforderten Rausschmiss von Víctor Farías aus der Universität]

„In seinem Buch „Salvador Allende – Antisemitismus und Euthanasie“ verdreht Victor Farías infam die historischen Fakten.“

Petra Schlangenhauff, Informationszentrum Lateinamerika (ILA), 286/2005-08-05

„Man gewinnt den Eindruck, dass Farías bewusst versucht, das Bild von Allende zu zerstören.“

"Was Farías mit der Dissertation macht, ist unglaublich. Ich habe in Allendes Arbeit keine Passage entdeckt, mit der man ihn als Rassist festnageln könnte."

Märkische Allgmeine, 8.6.2005 und  Deutsche Welle, 11.5.2005

Politikwissenschaftler Peter Birle vom Berliner Ibero-Amerikanischen Institut

„Warnung vor einer diffamierenden Schmähschrift von Victor Farías, die im Umlauf ist.

Dies geschieht wohl unter dem Motto, dass jeder gegen Linke hetzen darf und schon irgendetwas hängen bleiben wird. Hauptsache man kann eine der letzten integren Persönlichkeiten der chilenischen und internationalen Linken diskreditieren.

Die aufrechten Chilenen, Mitstreiter, Freunde und Familienangehörigen Allendes sollten in Erwägung ziehen, ob man Farías nicht auf Unterlassung verklagen sollte.“

Chile-Freundschaftsgesellschaft “Salvador Allende” e.V., Presseerklärung, Juni 2005

„Das Buch [von Farías] beschmutzt das Bild und den Mythos, den Salvador Allende für die fortschrittlichen Sektoren der gesamten Welt bedeutet.“

La Nación, Mai 2005

Allerdings scheint Allende die Rolle der «Rasse» weiterer Auseinandersetzung gar nicht wert gewesen zu sein: Auf den 156 Seiten der Dissertation beschäftigt er sich mit deren Einfluss auf nicht einmal einer einzigen - während er sich auf den anderen mit Hintergrundfaktoren der Kriminalität auseinandersetzt, die noch heute als relevant gelten: Alkohol, Drogen, Krankheiten, soziales Umfeld.

Kersten Knipp, NZZ, 13. Juni 2005

„Hier sieht man, wie nahe der Sozialismus am Nationalsozialismus war. Die Menschen, die im Gulag waren, wissen das. Farías zeigt uns auf, wie schrecklich es gewesen wäre, wenn Allende eine absolute Macht in Chile gehabt hätte... Was wäre aus Chile geworden, wenn Allende ein Diktator auf Lebenszeit wie Fidel Castro geworden wäre...“

Der spanische Klerikalfschist Cesar Vidal auf Radio Cope im Mai 2005

„Es ist an der Zeit, das vor allem in der Bundesrepublik populäre Chilebild zu korrigieren, das in dem Überwinder Allendes, General Pinochet die Figur eines Verbrechers zeichnet und Allende als eine Lichtgestalt darstellt.“

Was einem Rechtsextremen auffällt: Franz Schönhuber, http://www.schoenhuber-franz.de/fielauf/fielauf_25.htm, 13. 5. 2005

„Salvador Allende war weder Antisemit noch Rassist: Diesbezügliche Behauptungen Víctor Farías' halten einer Überprüfung nicht stand.“

Bernd Pickert,  TAZ , 1.6.2005

"Ich habe das Buch von Farías nicht gelesen. (...)

Wer das Bild von Allende zerstören will, der zerstört den Glauben an eine Utopie, die Hoffnung auf eine gerechtere Gesellschaft"

Isidoro Bustos, ehemalige Ministerialdirektor im Justizministerium der Regierung Allende, Tagesspiegel, 5.8.2005