Majak
Russland, 29. September 1957 (INES: 6)
Majak, zu Sowjet-Zeiten eine geheime Stadt, die auf keiner Landkarte zu finden war, ist heute eine der am stärksten verstrahlten Regionen der Welt. In einem Interview der Frankfurter Rundschau vom 19.11.2010 sagte Herr Slivyak (Umweltorganisation "Ecodefense", Russland, Vorsitzender), damals sei in Majak das Plutonium für das sowjetische Atomwaffenprojekt hergestellt worden. Nach vielen Unfällen sei die Gegend in etwa so verstrahlt, wie die Tschernobyl-Region. Heute werde in der von einer Mauer mit elektronischen Zäunen umgebenen Stadt der Atomschrott der ganzen Welt verarbeitet. Ohne spezielle Zulassung dürfe sie niemand betreten.
Das radioaktive Wasser der veralteten Aufbereitungsanlage werde in den Fluss eingeleitet, der erst 240 Kilometer später in einen See münde. Die an den Ufern lebenden Menschen seien arm und würden auf den verseuchten Feldern ihr Gemüse anbauen. Fast jeder leide unter der Strahlung. Die Menschen hätten Leukämie und verschiedene Krebsarten. In der Sendung des ARD-Magazins "Monitor" vom 18.11.2010 war gar die Rede vom verseuchtesten Ort der Welt. Majak, das sei verseuchte Milch. Das sei ein Fluss, der 1000 mal radioaktiver verstrahlt ist als normal. Genetische Defekte seien 25 mal so häufig und die Krebsrate sei fast viermal höher als im russischen Durchschnitt.
Ein geplanter Atommüll-Export aus Deutschland nach Majak war nach massiven Protesten am 06.12.2010 abgesagt worden.
Der Kyschtym-Unfall
Am 29.09.1957 ereignete sich in der Atomanlage Majak der erst sehr viel später bekannt gewordene "Kyschtym-Unfall", der heute als drittschwerster Unfall in der des Atomzeitalters gilt. Da die radioaktive Kontamination sich regional auf den Ural beschränkte und in Westeuropa keine messbaren Effekte durch radioaktiven Niederschlag feststellbar waren, konnte der Unfall bis in die siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts vertuscht werden.
Erst durch einen Artikel Herrn Medwedews (Sowjetunion, Journalist) in der Zeitung "New Scientist" gelangten 1976 die ersten Informationen außerhalb der Sowjetunion darüber an die Öffentlichkeit. Es dauerte noch 13 weitere Jahre, bevor auch die damalige Führung der Sowjetunion im Jahre 1989 den "Kyschtym-Unfall" endlich offiziell eingestand. Der Unfall wird bei Wikipedia wie folgt geschildert (Zitat):
Die bei der Aufbereitung der abgebrannten Uranbrennstäbe zur Gewinnung des spaltbaren 239Pu*) angefallenen, hochradioaktiven flüssigen Rückstände wurden in großen Tanks gelagert. Diese mussten gekühlt werden, weil durch den radioaktiven Zerfall der Stoffe Nachzerfallswärme entstand. Nachdem im Laufe des Jahres 1956 die Kühlleitungen eines dieser 300 Kubikmeter fassenden Tanks undicht geworden waren und die Kühlung ausfiel, begannen die Inhalte dieses Tanks zu trocknen. Am 29. September 1957 löste der Funke eines internen Kontrollgeräts eine Explosion der auskristallisierten Nitratsalze aus. Es handelte sich um eine chemische (keine nukleare) Explosion, die große Mengen radioaktiver Stoffe freisetzte. Darunter befanden sich langlebige Isotope wie z. B. 90Sr*) (Halbwertszeit 29 Jahre), 137Cs*) (30 Jahre) und 239Pu*) (24.110 Jahre).
Insgesamt wurde durch den Unfall nach Angaben der Produktionsfirma Majak und der Behörden Materie mit einer Radioaktivität von 400 PBq (4 · 1017 Bq) über eine Fläche von etwa 20.000 Quadratkilometern verteilt. Der Unfall ist damit hinsichtlich der Radioaktivität des freigesetzten Materials vergleichbar mit der Tschernobyl-Katastrophe. Andere Quellen sprechen von deutlich höheren Mengen freigesetzter Radioaktivität. Etwa 90 % des radioaktiven Materials verblieben auf dem Betriebsgelände, 10 % wurden durch den Wind bis zu 400 km in nordöstliche Richtung verteilt (Fallout) und bildete die sogenannte Osturalspur.
Das betroffene Gebiet von 20.000 km2 hatte damals etwa 270.000 Einwohner. Ein etwa 1.000 km2 großes Gebiet, das mit mehr als 74 kBq pro Quadratmeter mit 90Sr verstrahlt war, wurde sieben bis zehn Tage später evakuiert. Verschiedene Quellen sprechen von 600 bis 1.200 Betroffenen. Die durchschnittliche Äquivalenzdosis auf das Knochenmark der 1.054 Bewohner der drei am nächsten gelegenen Dörfer betrug etwa 570 Millisievert. Acht Monate darauf wurden weitere 6.500 Personen aufgrund der Kontamination ihrer Nahrung in Sicherheit gebracht. Insgesamt wurden etwa 10.700 Personen umgesiedelt. Ein Großteil dieser Personen wurde nicht gezielt medizinisch überwacht, so dass keine belastbaren Aussagen über gesundheitliche Folgen für Personen aus den evakuierten Gebieten gemacht werden können. ..
.. Im Unterschied zur Katastrophe von Tschernobyl wurde das Material lokal bis regional verteilt. Der heftige Graphitbrand in Tschernobyl beförderte einen Großteil der Radionuklide hoch hinauf in die Atmosphäre, während bei Majak aufgrund geringerer Thermik eine bodennahe Wolke entstand. Die hohe Konzentration der Radioaktivität, mangelnde Aufklärung der Bevölkerung, die nicht flächendeckende Evakuierung der Gegend und unzureichende Dekontamination führten zu hohen Schäden in der betroffenen Region. Eine genaue Opferzahl kann nicht angegeben werden, da keine belastbaren Studien und Untersuchungen vorliegen. Eine Vergleichsrechnung auf Basis der von den Behörden angegebenen radioaktiven Belastung schätzt etwa 1.000 zusätzliche Krebsfälle durch den Unfall.
*) Pu = Plutonium, Sr = Strontium, Cs = Cäsium; die Zahlen vor den radioaktiven Stoffen bezeichnen das Isotop. Bq = Bequerel; die Maßeinheit Bq bezeichnet die mittlere Anzahl der Atomkerne an, die pro Sekunde radioaktiv zerfallen.