Mag. Armin Puller
ist Lektor an der Universität Wien und Vorsitzender der Gesellschaft für Geistes- und Sozialwissenschaften im BSA.
Am 18. März 2024 diskutierte er zu diesem Thema beim BSA Niederösterreich.
Die Bestimmung, was heute links ist, scheint schwieriger geworden. Die Weltlage ist turbulent und von imperialen Spannungen geprägt, das sozialdemokratische Jahrhundert ein Relikt der Geschichtsbücher, und das politische Spektrum hat sich nach rechts verschoben. Auf viele Probleme wie die Globalisierung des Kapitalismus, die wachsende soziale Schieflage und Parteienverdrossenheit fehlen der Linken häufig Antworten.
Glaubt man dem Zeitgeist, so sind der Linken alle stabilen Fundamente weggebrochen. Die Arbeiter von früher gibt es nicht mehr, die Jobs der großen Fabriken ebenso und das Kapital sei eine internationalisierte Macht, die dem Druck auf nationaler Ebene jederzeit entfliehen könne. Wenngleich diese Argumente völlig überzeichnet werden, weisen sie bestimmt auch ein Körnchen Wahrheit auf. Grundfalsch ist dennoch die Annahme, dass es zuerst passende und außerpolitisch stabile Fundamente benötigen würde, bevor man linke Politik formulieren könne. Die Bedeutung des Gegensatzes von links und rechts ist eine politische Konstante – zumindest solange die soziale Frage nicht gelöst ist – und die Notwendigkeit einer Linken ist größer denn je.
Linke Politik ist zuvorderst das Ergebnis von Organisierung und war es immer schon. Die österreichische Sozialdemokratie war lange Zeit die starke Organisation einer politisch stark vereinheitlichten Arbeiter:innenbewegung und verstand es, deren Interessen zu monopolisieren. Dies war aber nicht zuvorderst das Ergebnis genialer Politiker:innen wie Viktor Adler, Adelheid Popp oder Otto Bauer, die einer bereits vereinheitlichten Arbeiter:innenschaft ihre Stimmen gegeben hätten. Es war das Ergebnis von Organisierungsarbeit in der Fläche der Arbeitsstätten und der Wohngebiete quer über das Land und der Verankerung in den Lebenswelten der arbeitenden Bevölkerung. Dabei wurde die soziale Basis der Partei geformt, als kollektive Intelligenz und politische Kraft.
Die Sozialdemokratie Europas funktioniert heute vielfach anders. Sie ist zuvorderst von Debatten über politische Taktiken gezeichnet, die von Professionist:innen in Politikberatung, Medien und Marktforschung angeführt werden. Ein Ausfluss davon sind Kontroversen, ob das Modell Dänemark unter Frederiksen, das Modell Frankreich unter Macron, das Modell Deutschland unter Scholz, das Modell Großbritannien unter Starmer oder das Modell USA unter Kamala Harris besser funktionieren. Dabei wird erörtert, welche genaue Mischung von linken, rechten, progressiven, konservativen, kommunitaristischen, feministischen, radikalen usw. Politiken und Slogans die Sozialdemokratie kommunizieren soll. Vielfach wird heute Politik so gedacht, dass es darum ginge, Individuen von oben mit bestimmten Inputs anzusprechen und an ihre bereits vorhandenen politischen Identitäten zu appellieren. In modernen Wahlkämpfen ist dies sicherlich nicht grundfalsch. Das alleine schafft aber keine stabilen politischen Identitäten und Kräfte, sondern bestenfalls und bloß kurzfristige Koalitionen an Wähler:innen. Eine stabile soziale Basis und belastbare Beziehungen der politischen Repräsentation sind dagegen etwas völlig anderes. Sie beruhen auf der Verankerung einer Partei in der Lebensrealität ihrer sozialen Basis und schaffen dauerhafte Verbindungen.
Die Sozialdemokratie ist historisch aus der politischen Organisierung derjenigen entstanden, die von Ausbeutung, Unterdrückung und Abwertung betroffen waren. Die Organisierungsarbeit war hart und nahm viele Jahre in Anspruch, musste bürgerliche und reaktionäre Ideologien zurückkämpfen und ausgehend von den Erfahrungen der Organisierten Perspektiven bündeln. Dieses Rezept war die historische Grundlage des Erfolgs der Linken. Es gibt keinen Grund, warum es nicht heute wiederholt werden könnte. Die Alternative, die Linke auf dem Reißbrett zu entwerfen, etwa unter Fantasien über die Schlagkraft vermeintlich ewiger philosophischer Werte oder durch Annäherung an die Rechte, wird dagegen notwendig scheitern. Die Schlagkraft der Linken war immer schon abhängig von ihrer organisatorischen Größe, Einheit und Ambition und ihrer Kapazität, Perspektiven für eine soziale Veränderung zu formulieren. Die furchtlose Sozialdemokratie mit Herz und Hirn ist ein erster Schritt in diese Richtung.