BM a. Dr.in Helga Konrad
Head of „Regional Implementation Initiative on Preventing &Combating Human Trafficking"
2000-2004 Vorsitzende des EU-Stabilitätspaktes Task Force gegen Menschenhandel für Südosteuropa und erste Sonderbeauftragte der OSZE
Menschenhandel hat viele unterschiedliche Gesichter. Immer aber zielt er auf die Ausbeutung von Menschen ab, oft begleitet von Gewalt gegen die Betroffenen. Die Opfer (vielfach Frauen und Kinder, aber auch Männer) werden sexuell ausgebeutet oder in Haushalten wie Sklav:innen gehalten; sie werden aber auch zum Zwecke der Ausbeutung ihrer Arbeitskraft in die Zwangsarbeit und Schuldknechtschaft gehandelt und verkauft. Besonders alarmierend ist die Tatsache, dass die Opfer immer jünger werden. Zunehmend werden Kinder und Jugendliche in die Porno-Industrie gehandelt und missbraucht, in die illegale Adoption verkauft, zwangsverheiratet oder zu Bettelei und Diebstahl genötigt bzw. zu verschiedenen kleinkriminellen Handlungen gezwungen.
Obwohl Menschenhandel in den vergangenen Jahren viel diskutiert wurde, werden gewisse Probleme im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Menschenhandel immer noch unter den Tisch gekehrt; etliche Probleme werden im Ping Pong zwischen Institutionen, Politikbereichen und/oder Ländern und Behörden hin und her geschoben; immer noch existieren verworrene Auffassungen und unklare Abgrenzungen zwischen Menschenhandel und damit verbundenen Bereichen wie Migration, Prostitution, Schleuser/ Schleppertätigkeit etc. Es gibt nach wie vor keine nachhaltigen länderübergreifenden Implementierungsstrategien gegen Menschenhandel, vielmehr oft nur eine Anzahl (unkoordinierter) Aktivitäten und Projekte.
In unserem diesjährigen Think Tank-Event Anfang Oktober wollen wir uns deshalb schwerpunktmäßig mit den „toxischen Schnittstellen“ zwischen Migration, den verschiedenen Formen von Menschen-/ Frauen-/Kinderhandel und der damit im Zusammenhang stehenden Ausbeutung auseinandersetzen und einerseits die kursierenden, oft irreführenden, Annahmen und Stereotypen hinterfragen, und andererseits Überlegungen anstellen, wie sichergestellt werden kann, dass jede/r einzelne von Menschenhandel Betroffene Aufmerksamkeit und den richtigen Schutz erhält.
Werden die Opfer von Menschenhandel angesichts der von manchen Politiker:innen in Europa geschürten Feindseligkeit gegenüber Flüchtlingen und Migrant:innen absichtlich übersehen und als „illegale Einwanderer“ behandelt? Oder dienen die Maßnahmen zur Unterbindung der (irregulären) Migration und zur Abschiebung von Migrant:innen als gut gemeinte Maßnahmen zur „Rettung“ von Menschen vor Menschenhandel und „moderner Sklaverei“? Wer von den Migrant:innen, die Opfer von Menschenhandel werden, „rutscht durch das Netz“ und erhält keinen angemessenen Schutz? Hat es sich als hilfreich erwiesen, Menschenhandel und irreguläre Migration mit organisierter Kriminalität gleichzusetzen und von der Strafjustiz Lösungen zu erwarten? Und schließlich: Gibt es Beispiele für koordinierte Maßnahmen, an denen sowohl staatliche Behörden als auch die Zivilgesellschaft beteiligt sind, die als „bewährte Verfahren“ (good practice) betrachtet werden sollten? Österreichische und internationale Expert:innen werden die derzeitigen Ansätze und Modelle von „Migrationsmanagement“, die sich in erster Linie auf die Verhinderung irregulärer Migration durch verstärkte Grenzkontrollen konzentrieren, hinterfragen und Einblicke in die derzeitige Realität der Schnittstellen zwischen Menschenhandel, Schleuserkriminalität und Migration geben.