Werner Röllinghoff: Geschichte des Tropengenesungsheimes (1981)
...mit Dr. A. van Soest (links)
Dr. Werner Röllinghoff, von 1954-1979 Chefarzt des Tropenheim-Paul-Lechler-Krankenhaus, hat die Geschichte des Difäm anlässlich des 75jährigen Jubiläums 1981 aufgezeichnet. Dieser Bericht erschien in der GELBEN BEILAGE 1981
...beim Missionsfest
Ich möchte versuchen, die 75jährige Geschichte unter dem Gesichtspunkt darzustellen, wie die Vorsitzenden des Vereins im Deutschen Institut für Ärztliche Mission, die Direktoren und die leitenden Mitarbeiter die Aufgaben dieses Werkes gesehen und angepackt haben. In dem kurz vor der Jahrhundertwende gegründeten Stuttgarter Verein für Ärztliche Mission haben der Vorsitzende, Paul Lechler sen. und sein Geschäftsführer, Oberlehrer Immanuel Kammerer, ganze Arbeit geleistet, als es darum ging, ein Deutsches Institut für Ärztliche Mission zu gründen. Oberlehrer Kammerer setzte einen ganzen Jahresurlaub ein, um die in Edinburgh und London bestehenden ärztlichen Missionswerke und Ausbildungsstätten für Missionsärzte als Vorbilder zu studieren. Paul Lechler sen. konnte in jahrelangen Bemühungen eine stattliche Anzahl von Herren von Staat, Kirche, Mission, Universität und Wirtschaft zur Mitarbeit im Verwaltungsrat gewinnen: ein unerhörter, selbstloser, diakonischer Einsatz!
Es ging bei der Gründung des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission darum, ein Studentenheim aufzubauen, in dem Mediziner wohnen, leben und Gemeinschaft pflegen durften, die sich auf den Missionsdienst vorbereiteten und Ausbildungshilfen für den späteren Beruf eines Missionsarztes erhielten. Zum anderen plante man die Einrichtung einer so genannten „Samariterschule", in der medizinische Kurse für Missionare gegeben werden sollten, um diese für den gefahrvollen Aufenthalt in den tropischen Ländern vorzubereiten. Dem ersten Direktor des 1906 gegründeten Instituts, Dr. M. Fiebig, fiel es nicht schwer, nach mehr als 20jähriger Tätigkeit als Militärarzt in Niederländisch Indien einen entsprechenden Lehrplan für eine neunmonatige Ausbildungszeit in der „Samariterschule" auszuarbeiten. Mit Dr. G. Olpp, der 1909 als zweiter in das Institut kam, weitete sich das Lehrprogramm außerordentlich aus. Die tropenmedizinische Ausbildung von Missionsschwestern und Hebammen, die gleichzeitig in der Frauenklinik der Universität ihre Fachausbildung erhielten, wurde aufgenommen. Nach der Habilitation von Dr. G. Olpp 1910 wurden regelmäßige tropenmedizinische Vorlesungen für die Studenten der Universität in den institutseigenen Räumen abgehalten.
Professor Olpp hat in den Jahren vor und nach dem 1. Weltkrieg zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten veröffentlicht und schließlich 1930 ein damals bekanntes Lehrbuch über „Tropenheilkunde" herausgegeben. Er veröffentlichte 1932 ein heute noch gefragtes Buch über „Hervorragende Tropenärzte in Wort und Bild". Nach dem l. Weltkrieg gründete Professor Olpp den beliebten dreiwöchigen „Tübinger Tropenkurs" (Bild) für Ärzte, der jährlich stattfand. 1929 gelang es Professor Olpp (Bild: Rote Markierung links), die Deutsche Tropenmedizinische Gesellschaft unter dem Präsidium von Professor Bernhard Nocht (Bild: Rote Markierung rechts) nach Tübingen einzuladen. Die Verhandlungen fanden im Hörsaal des Instituts statt. Schließlich sei noch erwähnt, dass Professor Olpp in zahlreichen Veröffentlichungen das „Subaquale Darmbad" vielen Ärzten bekannt gemacht hat. Es wurde damals im Tropengenesungsheim zur Nachbehandlung der Amöbenruhr angewandt.
Schon Dr. M. Fiebig begann eine für Unterrichtszwecke notwendige medizinische Lehrmittelsammlung aufzubauen, und es kam zu einem vielseitigen Schriftwechsel mit den europäischen Tropeninstituten und Tropenärzten, die entsprechende Gaben einsandten. Man kann sich lebhaft vorstellen, welcher Arbeit es bedurfte, um eine solche Sammlung zusammenzubringen.
Das DIFÄM lebte damals schon von Spenden. Es mussten für den geplanten Institutsbau in der Nauklerstraße Bauspenden eingesammelt werden; die Personalkosten mussten durch Spenden aufgebracht werden. Auch der 1914 begonnene Bau des Tropengenesungsheims erforderte eine riesige Anstrengung, entsprechende Spendengelder herbeizuschaffen. Man kann in den Akten erkennen, welch zeitraubende Mühe sich der 1.Vorsitzende, Paul Lechler sen., und sein Geschäftsführer, Immanuel Kammerer, seine Freunde (u.a. Kommerzienrat Ernst Fischer-Linder, Reutlingen) und die beiden Institutsdirektoren machen mussten, um Menschen willig zu machen, Gelder für die Arbeit der ärztlichen Mission zu geben. Immanuel Kammerer hat damals weit über 50 Traktate mit Berichten aus der Ärztlichen Mission veröffentlicht und für ihre Verbreitung in den Gemeinden gesorgt und damit einen größeren Spenderkreis geschaffen. Es ist ergreifend zu lesen, wie er eines Tages einer Empfehlung folgte, die deutsche Gemeinde in London auf solche Spenden hin anzusprechen. Er musste jedoch bitter enttäuscht wieder nach Hause zurückkehren, als er erfuhr, dass die Deutschen in London sich schon schwer taten, ihre eigene deutsche Schule zu unterhalten. Er hat aber auch bei seinen verschiedenen Reisen in Deutschland zu bekannten Ärzten und Apothekern manche Absage erhalten. Trotzdem blieb die Mannschaft fröhlich im Dienst und vollbrachte geradezu Wunder, so dass nicht nur das Institut 1909 eingeweiht und aufgebaut, sondern auch das. Tropengenesungsheim 1914-1916 auf der Eberhardshöhe errichtet werden konnte.
Die Verbindung mit der Universität Tübingen und insbesondere mit der Theologischen Fakultät war außerordentlich eng. Professor Wurster war als stellvertretender Vorsitzender sozusagen der Haus- und Sonntagsprediger im Institut. Die evangelischen Gemeinden Tübingens wurden zu Missionsvorträgen ins Institut eingeladen. Der Studentenbund für Mission tagte regelmäßig im Institut. Es kam zu einer lebendigen Gemeinschaft zwischen den im Studentenwohnheim wohnenden Studenten, sowohl Medizinern als auch Mitgliedern anderer Fakultäten, und den in der Samariterschule auszubildenden Missionaren.
Später kamen dann auch noch die aus den Tropen zurückkehrenden Missionsfamilien hinzu.
Man erkannte sehr bald, dass sich nicht genügend Medizinstudenten zum Wohnheim meldeten und dass nicht alle dort durchgehenden Medizinstudenten Missionsärzte wurden. Man nahm deshalb auch Studenten anderer Fakultäten auf und erreichte, wie Professor Olpp später einmal berichtete, dass eine echte christliche Gemeinschaft aufgebaut werden konnte, von deren Erlebnis die Studenten oft lebenslang zehrten.
Durch seine Reisen im In- und Ausland hat Professor Olpp jahrelang die Verbindung zu vielen Freunden der Ärztlichen Mission gehalten. Er hat in zahlreichen Ärztevereinen über die Arbeit der Ärztlichen Mission gesprochen und dafür geworben. Herausragend ist sein Besuch bei der großen Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh, wo er auch als aktives Mitglied einer Ärztekommission gewählt wurde, die sich in mehreren Sitzungen mit der Ausbildung von Missionsärzten und Missionsschwestern in den folgenden Jahren befasste.
Bei allem wissenschaftlichen Engagement, bei allen organisatorischen Aktivitäten und Begabungen wirkte Professor G. Olpp, wie mir von seinen früheren Mitarbeitern geschildert worden ist, vor allem als begnadeter Seelsorger unter seinen Mitarbeitern und den ihm anvertrauten Patienten.
Das vom 1. Vorsitzenden, Paul Lechler sen., dem Verein vorgeschlagene Satzungsstatut beruhte auf der Auffassung, dass der Geschäftsführende Ausschuss das maßgebende, bestimmende Organ des Vereins sein sollte. Der große Kreis des Verwaltungsrates sollte jährlich einmal anstelle einer Mitgliederversammlung die Berichte über die Tätigkeit im Institut für Ärztliche Mission entgegennehmen und die inzwischen gefassten Beschlüsse gutheißen. Es hat, wie ich aus den Akten erkennen konnte, nie besondere Schwierigkeiten gegeben, abgesehen von dem juristischen Einwand bei der Gründungsfeier 1906 in Frankfurt am Main, als auf die Vereinsgesetzgebung hingewiesen wurde, wonach normalerweise die Mitgliederversammlung als letztes bestimmendes Organ vorgesehen ist
Alle Entscheidungen wurden im kleinen Kreis getroffen. Paul Lechler sen. und Professor Olpp verstanden es aber, den großen Verwaltungsrat an der Arbeit des Instituts zu beteiligen. Sie ließen nämlich zu jeder Jahresversammlung, die immer zwei Tage dauerte, etwa fünf Vorträge von Mitgliedern des Verwaltungsrates über Fragen der Ärztlichen Mission halten, so dass ein enger Austausch über die Problematik der Ärztlichen Mission zwischen Verwaltungsrat, Geschäftsführendem Ausschuss und dem Direktor des Werkes bestand.
Während des Krieges und in den Nachkriegsjahren konnten keine großen Reisen durchgeführt werden. Es mussten auch manche Öffentlichkeitsarbeiten eingestellt werden. Anfang der 20er Jahre übernahm der aus Ghana zurückkehrende Missionsarzt Dr. Carl Huppenbauer den tropenärztlichen Dienst im stark belegten Tropengenesungsheim und entlastete Professor Dr. Olpp. Dr. Huppenbauers Verhältnis zur Mission war allerdings damals schon gebrochen. Er hielt, wie er sich später mir gegenüber einmal ausdrückte, nicht viel „von den so häufig tagenden, frommen Kommissionssitzungen im Institut". Er meinte, es käme doch vorwiegend darauf an, solide tropenärztliche Arbeit zu leisten. So sorgte er nicht nur für seine Patienten im Tropengenesungsheim, sondern ließ 1922 im Park auch eine Baracke für die Betreuung von Missionarskindern aufstellen, was für die heimkehrenden Missionsfamilien eine große Entlastung bedeutete.
Im Übrigen versorgte Dr. Huppenbauer alle sechs Stunden seine oben auf dem Dach des Tropengenesungsheims aufgebaute Wetterstation. Nachmittags fuhr er gelegentlich mit seinem einzylindrigen Hanomag-Auto auf die Schwäbische Alb, um dort mit Pinsel und Farbe die Wegweiser der Wanderwege instand zu halten.
Dr. Otto Fischer, der 1931 Dr. Huppenbauer ablöste (er war von einer mehrjährigen Arbeit in Tansania zurückgekehrt), wurde für Professor Olpp eine Enttäuschung. Dr. Fischer hat zwar die tropenmedizinische Arbeit im Tropengenesungsheim mustergültig ausgeführt, machte sich aber in dieser Arbeit immer mehr selbständig. Er habilitierte sich in Tropenmedizin an der Universität Tübingen. Sein Ziel war, einen tropenmedizinischen Lehrstuhl zu gewinnen. Es bestand damals die Gefahr der Verselbständigung der medizinischen stationären Arbeit im Tropengenesungsheim gegenüber der eigentlichen missionsärztlichen Aufgabe im Gesamtwerk. 1937 schied Professor 0. Fischer aus seiner Tätigkeit im Tropengenesungsheim aus.
Im gleichen Jahr trat Dr. Samuel Müller (Bild) sein schweres Amt als dritter Direktor des Instituts an. Er musste die nationalsozialistischen Übergriffe abwehren und war dankbar, dass auf sein Bemühen hin von 1942 ab das Tropengenesungsheim zum Teillazarett der Wehrmacht erklärt wurde. Das half auch über schwierige finanzielle Verhältnisse hinweg. Die deutschen Missionsgesellschaften hatten schon seit 1934 mit der Sperrung von Devisen nach Übersee zu kämpfen. Die Ausbildung von Missionaren im Sinne der 1909 gegründeten „Samariterschule" im Institut ging stark zurück und hörte schließlich auf. Neuaussendungen von Missionaren waren kaum noch möglich. Im Studentenheim sah man immer mehr braune Uniformen. Das Studentenheim wurde mit Beginn des Krieges wegen Beschlagnahmung des Instituts aufgelöst.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde wiederholt von Missionsgesellschalten danach gefragt, ob man nicht die früheren Ausbildungskurse für Missionare wieder aufnehmen könnte. Es fehlte aber an Platz, da das alte Institutsgebäude nach wie vor von der Regierung beschlagnahmt war und benutzt wurde. Inzwischen hatten sich die Verhältnisse auf den Missionsfeldern deutlich gewandelt. Die Versorgung der Missionare und ihrer Familien in Übersee war besser geworden, so dass eine laienmedizinische Ausbildung nicht mehr notwendig war.
Dr. Samuel Müller hat auch die Frage einer Neugründung des Studentenwohnheims aufgegriffen. Beim Rückblick musste er nüchtern feststellen, dass in den letzten Jahren vor dem Kriege die Auswahl der im Wohnheim lebenden Studenten nicht immer sehr glücklich war. Nur einzelne Medizinstudenten wurden Missionsärzte. Meist war das Motiv für den Eintritt in das Wohnheim, eine möglichst billige Wohnung zu erhalten. Dr. Müller wollte sich bewusst auf eine innere Linie konzentrieren, und versuchte, ein neues christliches Studentenheim aufzubauen. Er fand in dem jungen Assistentenpaar im Tropengenesungsheim, Dr. Alex Fritz und Frau, ein Hauselternpaar, das bereit war, ein solches Studentenheim zu führen. 1949 und 1950 gewann man dafür auch drei Medizinstudenten. Aber die Nachkriegsgeneration der Studierenden war stark daran interessiert, möglichst bald das Studium zu beenden. Für das Leben in einem Studentenheim hatte man keine Zeit.
Als dann Dr. Fritz 1953 als Missionsarzt nach Indonesien ausreiste, musste die kaum begonnene Arbeit wieder abgebrochen werden.
Später kam noch einmal die Frage eines Wohnheims auf Dr. Müller zu, als der in Stuttgart stationierte Direktor der ghanaischen Kakao-Verkaufsorganisation, ein Christ, die Aufgabe übernahm, in Tübingen studierende ghanaische Studenten zu betreuen. Er schlug vor, die Studenten in einem Studentenwohnheim des DIFÄM unterzubringen und sie dort zu betreuen. Aber schon bei den vorangehenden Sprachkursen in Sebastiansweiler im Auftrag der Basler Mission kam es zu Schwierigkeiten. Die Studenten wollten frei sein und sich schon gar nicht christlich bemuttern lassen. Die schon entworfenen Baupläne für ein Studentenheim wanderten in die Schublade. Seither ist ein Studentenheim im Sinne der alten Vorstellungen bei der Gründung des Werkes nicht mehr möglich gewesen.
Mit Beginn der französischen Besatzung in Tübingen 1945 war der Verein „Deutsches Institut für Ärztliche Mission" aufgelöst worden. Es bedurfte mehrjähriger Anstrengungen, eine Wiederauflebung des Vereins und die Genehmigung für die weitere Arbeit im Tropengenesungsheim zu erreichen. Dr. Müller hat hier mit großer Hartnäckigkeit, mit vielen Hunderten Formularen in französischer und deutscher Sprache schließlich erreicht, dass am 5. 4. 1949 eine feierliche Gründungsversammlung im Gartensaal des Tropengenesungsheims stattfinden konnte, wobei der alte Verein „Deutsches Institut für Ärztliche Mission" in Tübingen neu gegründet wurde. Man hatte vorher den französischen Behörden die Entnazifizierungsurkunden aller Mitglieder des Verwaltungsrates zusenden müssen. Am 21. 1. 1950 kam dann auch die Bestätigung der neuen Vereinsgründung durch das Innenministerium der Regierung in Stuttgart. An die Stelle des Verwaltungsrates rückte die Mitgliederversammlung. Maßgebendes Organ für alle Entscheidungen blieb der Geschäftsführende Ausschuss, der aber die Zustimmung der Mitgliederversamm-lung zu suchen hatte. Der Vorsitzende, Paul Lechler jun., und der Direktor, Dr. Samuel Müller, leiteten in enger Zusammenarbeit in schwerer Zeit die Geschicke des DIFAM.
Nach der Emeritierung von Professor Olpp konnten keine tropenmedizinischen Vorlesungen mehr gehalten werden. Während des Krieges hat Dr. Samuel Müller zwar privat einzelnen Studenten tropenmedizinischen Unterricht erteilt, aber das Verhältnis zur Medizinischen Fakultät war gespannt, seit 1937 die beantragte Habilitation von Dr. Müller vom zuständigen Dekan im Hinblick auf sein Alter (44 Jahre) abgelehnt worden war. Trotzdem durfte Dr. Samuel Müller durch Fürsprache einzelner wohlgesinnter Professoren der Medizinischen Fakultät bis Ende des Zweiten Weltkrieges etwa 100 Doktorarbeiten von Medizinstudenten betreuen.
Mit der Theologischen Fakultät blieb ein guter Kontakt bestehen, vor allem durch die Verbindung zu dem Missionswissenschaftler Professor Martin Schlunk, der noch bis in die Fünfziger Jahre hinein im Tropengenesungsheim regelmäßig gepredigt hat. Nach dem Krieg kam es noch zu einer besonderen Begegnung mit der Evangelischen Theologischen Fakultät in Tübingen. Dr. Müller erfuhr während seiner Synodalzeit von den Spannungen zwischen dem Evangelischen Oberkirchenrat in Stuttgart und der Theologischen Fakultät in Tübingen und lud schließlich beide Gremien ein, einmal während eines Semesters im Tropenheim gemeinsam zu essen und sich dort auf neutralem Boden zu begegnen. Jahrelang übernahmen der Oberkirchenrat und die Evangelische Theologische Fakultät dafür abwechselnd die Unkosten. Das war ärztliche Mission konkret!
Mit der evangelischen Kirchengemeinde in Tübingen bestand durch all die Jahre hindurch eine gute Verbindung. 1950 begann Dr. Müller, in den Sommermonaten im Park des Instituts auf der Eberhardshöhe das Tübinger Missionsfest zu veranstalten. Missionsärzte, die ausreisten, sagten Grußworte; Rückkehrer und Urlauber berichteten aus ihrer Arbeit in Übersee. Mitglieder der evangelischen Kirchengemeinden besuchen gern dieses Missionsfest, das mit einem Basar und ausgedehntem Kaffeetrinken verbunden ist. Später kamen noch Missionspredigten in den verschiedenen Kirchen in Tübingen am gleichen Tag hinzu. Dieser Tübinger Missionstag besteht bis auf den heutigen Tag und stellt eine lebendige Verbindung zwischen unserer Arbeit im Institut und der Evangelischen Kirchengemeinde dar.
Schon 1946 konnte Dr. Samuel Müller auf Einladung des Internationalen Missionsrates zum ersten Mal nach London reisen und dort alte Missionskontakte aufnehmen. Die Ausreise von Missionsärzten, zunächst meistens im Dienst ausländischer Missionsgesellschaften, kam aber erst 1950. wieder in Gang. Die Zahl der ausreisenden evangelischen Missionsärzte ging in der Folgezeit kaum über 60 hinaus. Der Beitrag deutscher Missionsärzte in Übersee blieb gegenüber den englischen und amerikanischen Zahlen weiterhin relativ bescheiden. 1959 unternahm Dr. Müller eine neunmonatige Reise zu missionsärztlichen Stationen in ganz Afrika, wo er zahlreiche Beziehungen neu knüpfen konnte.
Dr. Samuel Müller hat sich sehr um die in der Frauenklinik untergebrachten Missionsschwestern gekümmert. Während des Krieges wurden die Freistellen für unsere Missionsschwestern den „braunen" Schwestern übertragen. Jedoch schon bald nach Beendigung des Krieges wurde das DIFÄM wieder in die alten Rechte eingesetzt. Die Missionsschwestern verbrachten ihre Freizeit gern im Tropenheim; sie haben oft durch Teilnahme an unseren Festen zur Vertiefung der Arbeit der ärztlichen Mission beigetragen.
Nachdem von den ursprünglichen Aufgaben des Instituts das Studentenheim und die Samariterschule aufgegeben werden mussten, trat die Arbeit im Tropengenesungsheim stärker in den Vordergrund. Dr. Müller schloss 1951 mit der AOK Tübingen einen Vertrag und wandelte das Tropengenesungsheim in ein Krankenhaus um, das dann unter der Leitung von Dr. W. Röllinghoff (Bild rechts zusammen mit Dr. van Soest) zu einem Krankenhaus zur Behandlung von inneren und tropischen Erkrankungen ausgebaut wurde. Dabei stand neben der Behandlung von Tübinger Patienten die Betreuung der ausreisenden. und heimkehrenden Missionare mit ihren Familien im Vordergrund. Das selbständig geführte Tropenheim - Paul-Lechler-Krankenhaus blieb entgegen der Sorge von Dr. Müller eng mit der Institutsarbeit verbunden; Krankenhaus und Institut haben sich gegenseitig unterstützt und gefördert.
Dr. Müller hatte es nicht leicht, mit dem Geschäftsführenden Ausschuss umzugehen, weil er infolge des Krieges und der schwierigen Nachkriegszeit immer in finanziellen Nöten war. Nach der Währungsreform hatte man zu wenig Geld, um in ein Krankenhaus zu gehen und um Spenden für die ärztliche Mission zu geben. Die Umstellung vom Tropenheim - Paul-Lechler-Krankenhaus erforderte mehrere Jahre Zeit, und es blieb also nicht aus, dass der Geschäftsführende Ausschuß sich jahrelange mit roten Zahlen zu beschäftigen hatte. Er tagte oft im Tropenheim und wirkte bis in alle Einzelheiten des Alltagsgeschehens hinein.
Das änderte sich erst, nachdem die Missionstätigkeit wieder auflebte und im Krankenhaus neue Kräfte investiert. werden konnten. Noch in meiner Anfangszeit ergaben sich manche Sitzungen, in denen mehr vom Sparen als vom Unternehmen die Rede war. Der Vorsitzende der Ortskommission beanstandete, wenn man ihm Protokolle oder andere Papiere in neuen Briefumschlägen zustellte, anstatt gebrauchte zu verwenden. Das gespannte Verhältnis zum Geld kam noch in der Sitzung 1956 zum Ausdruck, als der Vorsitzende der Ortskommission, Herr Universitätsrat a.D. Dr. Knapp, mich nach dem vorgesehenen Bauprogramm zu dem geplanten Umbau des Tropenheim - Paul-Lechler-Krankenhauses fragte. Auf meine Frage, wie viel Geld denn überhaupt zum Umbauen zur Verfügung stünde, wurde mir die Antwort zuteil, dass mich das Geld gar nichts anginge. Erst im Laufe der Zeit, vor allem nachdem der vierte Direktor, Herr Pfarrer Dr. Martin Scheel (Bild),
sein Amt übernommen hatte, konnte man im Geschäftsführenden Ausschuss über weitere Planungen im Bereich des Instituts sprechen. Es ergab sich ein vertrauensvolles Miteinander, wobei der Direktor und der Chefarzt des Krankenhauses immer stärker an der Verantwortung für das Geschehen und die notwendigen Entscheidungen vom Geschäftsführenden Ausschuss beteiligt wurden. Der Geschäftsführende Ausschuss hat diese beiden Herren sozusagen an einem langen Zügel, mit großem Vertrauen arbeiten und Wirken lassen. Bei wesentlichen Entscheidungen hat der Vorsitzende des Vereins, D. Paul Lechler jun., die Mitgliederversammlung ausführlich über das Vorhaben und die Pläne des Geschäftsführenden Ausschusses unterrichtet. Meistens ging es dann so aus, dass D. Lechler am Schluss seiner Ausführungen sagen konnte: „Es wurden keine Einwände erhoben. Ich sehe, dass Sie mit uns einig sind. Ich danke Ihnen für Ihr Einverständnis, meine Herren."
Bei dem Direktor des Werkes bestand aber immer ein gewisses ungutes Gefühl in Bezug auf die Tätigkeit und Mitwirkung der Mitgliederversammlung. Er versuchte durch Vorträge am Abend vor der Mitgliederversammlung, die Mitglieder des Vereins an die heutige Problematik der ärztlichen Mission heranzuführen.
Ich möchte noch an zwei Beispielen aus meiner ersten Zeit berichten, wie es mit der Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern des Instituts und des Geschäftsführenden Ausschusses zuging. Als ich eines Tages im Geschäftsführenden Ausschuss beantragte, im Laboratorium eine neue Mitarbeiterin einzustellen, weil die Arbeit größer würde, wurde mir durch den ärztlichen Beirat, Prof. Dr. Karl Römer, Stuttgart, gesagt, dass zu seiner Zeit Laborarbeiten durch die Assistenten des Hauses wahrgenommen worden seien. Schließlich hätte der Tag doch 24 Stunden, und ich sollte dafür sorgen, dass die Kollegen auf den Stationen die Laborarbeiten übernähmen. Es bedurfte langer Ausführungen, um schließlich doch zu meinem Ziel zu kommen. Viel einfacher war es dagegen, wenn man dem Vorsitzenden des Geschäftsführenden Ausschusses, D. Paul Lechler jun., Pläne, z. B. zur Anschaffung eines neuen Röntgenapparates, vorlegen konnte und wenn man auf seine Frage, ob der Ärzteausschuss gefragt wurde und ob das Geld vorhanden sei, mit Ja antworten konnte. Dann war ein solcher Antrag innerhalb von 30 Minuten genehmigt.
In den 50er Jahren nahm das Tropenheim - Paul-Lechler-Krankenhaus im Rahmen des DIFÄM einen immer größeren Raum ein. Durch den Umbau 1957 - 59 konnte das Haus auf 80 Betten erweitert werden. Die Verbindung zum Institut blieb weiterhin sehr eng. Ich will das an einem kleinen Erlebnis erläutern.
Vor einer entscheidenden Bausitzung hatte Direktor Müller mit mir ein eingehendes Gespräch am Abend über die Planung, wie groß das neue Krankenhaus werden sollte. Dr. Müller sah vor allem die neu entstehende große Medizinische Klinik in Tübingen und meinte, wir müssten mindestens auf 120 Betten kommen, vor allem auch aus wirtschaftlichen Überlegungen heraus. Man behauptete damals, je mehr Betten, umso wirtschaftlicher könnte ein Krankenhaus geführt werden. Ich war dagegen der Meinung, dass wir mit 80 Betten bei straffer Führung des Hauses gut zurechtkommen würden. Man würde bei weniger Patienten auch einen besseren Kontakt zu ihnen herstellen können. Wir gingen mit verschiedenen Meinungen auseinander. Am nächsten Morgen vor der Sitzung des Geschäftsführenden Ausschusses kam Dr. Müller zu mir und bat mich in meinem Dienstzimmer, mit ihm zusammen über diese Frage zu beten. Wir konnten dann beide beruhigt in die Sitzung gehen, wo es nach eingehender sachlicher Diskussion zu dem Beschluss kam, dass 80 Betten wohl ausreichen würden.
Als der Anteil der Tropenmedizin im Krankenhaus immer stärker wurde, musste das Laboratorium entsprechend ausgebaut werden. Das kam den zahlreichen Missionsleuten zugute. Aber auch die deutsche Exportindustrie mit ihren zahlreichen nach Übersee reisenden Mitarbeitern profitierte davon.
Im Laufe der Jahre entstand schließlich aus der täglichen Arbeit ein „Merkblatt zur Erhaltung der Gesundheit in den Tropen", das in einer Reihe von Auflagen immer wieder erweitert und verbessert wurde und schließlich in einem Taschenformat etwa 100 Seiten umfasste. Hier wurde den Tropenreisenden ein kleiner Ersatz für die früher bei uns durchgeführten Laien-Tropenkurse an die Hand gegeben.
Dr. Röllinghoff hielt auch die Verbindung zu allen Missionsgesellschaften, vorwiegend durch seinen regelmäßigen Besuch des jährlichen Missionstages, wo er innerhalb der vier Sitzungstage die wesentlichen Vertreter der verschiedenen Missionsgesellschaften sprechen konnte und deren tropenmedizinische Fragen in Bezug auf ihre Mitarbeiter beantwortete. An den Mahlzeiten sah man ihn immer wieder mit einem anderen Vertreter irgendeiner Gesellschaft lebhaft über solche Fragen sprechen. Es ergab sich auch eine aktive Mitarbeit in der Deutschen Tropenmedizinischen Gesellschaft. Wir wurden zunehmend mit tropenfachärztlichen Gutachten von den verschiedenen Versicherungsgesellschaften, Sozialgerichten und Berufsgenossenschaften beauftragt, wodurch sich eine lebhafte fachliche Weiterbildung und Auswirkung über Tübingen hinaus ergab. Wir wurden auch zu zahlreichen Vorträgen gerufen, um unsere tropenärztlichen Erfahrungen weiterzugeben, z.B. im Rahmen des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart.
Der Vorsitzende unseres Werkes, D. Paul Lechler jun., nahm immer sehr lebhaften Anteil an der Entwicklung unseres Hauses. Er ließ sich auf den verschiedenen Sitzungen bis in Einzelheiten über unsere Arbeit berichten und erschien oft sogar als Gast bei den Ortskommissionssitzungen, die sich eigentlich nur mit dem Alltag unseres Hauses befassten. Bei dem großen Umbau hat er sich persönlich beim Verkauf des alten Institutsgebäudes an das Finanzministerium in Stuttgart eingesetzt. Auch die Bauentwicklung hat er im Einzelnen verfolgt.
Ich möchte hier noch eine kleine Anekdote einflechten, um D. Lechlers persönliches Engagement zu kennzeichnen. In den 50er Jahren hatte er eine Gruppe von etwa 40 Damen aus Zürich zur Besichtigung des Tropenheim -Paul-Lechler-Krankenhauses und des Instituts eingeladen. Wenige Tage vorher kam D. Lechler dann nach Tübingen, um mit dem Direktor, Oberschwester Ilse Hohmeier und mir den genauen Ablauf dieser Besichtigung festzulegen. Ich sehe uns noch vorne auf der alten Eingangstreppe stehen, wo er sich mit Schwester Ilse aufstellte und sagte:
„Von hier aus werde ich die Begrüßungsrede an die Damen richten, die hier mit dem „Car" vorfahren werden. Anschließend werden wir in das Lesezimmer geführt werden. Dort wird uns Schwester Ilse wegen der heißen Augusttage eine Eisbouillon servieren lassen, und der Herr Chefarzt wird etwa 10 Minuten über das Tropenheim berichten. Die Besichtigung wird abgeschlossen durch einen Besuch im Institut, wo Herr Direktor Müller dann über das Institut und seine weltweite Arbeit berichten wird." Soweit D. Paul Lechler und seine Führung.
In den 60er und 70er Jahren ergab sich eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem vierten Direktor des Werkes, Pfarrer Dr. Martin Scheel, und mir. Wir haben in zahlreichen Abendgesprächen unter vier Augen oder auch in Gegenwart unserer Frauen die einzelnen Nöte unseres Werkes miteinander besprochen und unsere Ansichten ausgetauscht und einander angeglichen. Es ging dabei vor allem um die große Aufgabe, wie weit das Krankenhaus in Tübingen auch ein Stück ärztliche Mission sein könnte. Es ging um die Abendandachten, die durch die Ärzte gehalten. wurden, es ging um die Sonntagsdienste und um die Gesprächsmöglichkeiten zwischen Schwestern, Ärzten und Patienten.
Schon als ich das Krankenhaus im März 1954 übernahm, war mir klar geworden, dass Dr. Samuel Müller und seine Assistenzärzte, die Kaiserswerther Schwestern und auch andere wichtige Mitarbeiter, auf welcher Ebene auch immer, sich ernstlich darum bemühten, den Patienten im Geiste christlichen Dienstes zu begegnen. Das bestimmte die Atmosphäre im Hause, und es war mein Wunsch, in diesem Sinne mitzuwirken. Ich vergesse nicht meine Überraschung, als ich von schwerkranken Patienten erfuhr, dass man im Tropenheim ruhig sterben könne. Dieses Thema hat uns Arzte und Schwestern später jahrelang beschäftigt. Die innere Verbindung der Krankenhausarbeit mit der ärztlichen Mission wurde auch dadurch verwirklicht, dass im Laufe der Jahre mehrere aus Übersee zurückkehrende erfahrene Missionsärzte als Assistenten für die Mitarbeit im Krankenhaus bis auf den heutigen Tag gewonnen werden konnten.
Der Versuch, einzelne Gemeindeglieder aus der evangelischen Kirchengemeinde in Tübingen für eine freiwillige Mitarbeit im Krankenhaus zu gewinnen, ist über die ersten Anfänge nicht hinausgekommen. Der Schwesternmangel machte sich im Krankenhaus stark bemerkbar, vor allem auch, als Kaiserswerth nicht mehr genügend Schwestern nach Tübingen schicken konnte. Wir hatten intensiv darauf geachtet, dass alle Veranstaltungen im DIFÄM vom Krankenhaus mitgetragen wurden. Dadurch, dass z.B. die Teilnehmer an den einzelnen Seminaren, die im DIFAM abgehalten wurden, im Krankenhaus an den Mahlzeiten teilnahmen, wurden die Patienten auf die Arbeit des DIFÄM aufmerksam gemacht. Andererseits erlebten die Seminarteilnehmer beim Abendessen mit den Patienten und durch die von einem Arzt des Krankenhauses gehaltene Andacht etwas vom Alltag des Krankenhauses. Alle wussten, dass sie in einem Krankenhaus waren, das eng mit der ärztlichen Mission in Übersee verbunden war. Wie ein Patient aus Übersee dieses Krankenhaus in seiner besonderen Art einmal erlebte, will ich mit folgender Begebenheit schildern: Ich hatte eines Abends die Andacht im Speisesaal gehalten und mich während des Essens mit einem neu angekommenen Patienten aus Übersee unterhalten. Bei meiner Verabschiedung sagte ich ihm noch, dass ich ihn am anderen Morgen um 10 Uhr bei der Chefvisite wieder sehen würde. Als der Patient später auf der Station Schwester Frieda Beninga traf, hat sie ihn' noch einmal darauf aufmerksam gemacht, dass früh um 10 Uhr Chefvisite sei, und er möge bitte in seinem Zimmer sein. Der Patient quittierte diese Mitteilung mit den Worten: „Das hat mir der junge Vikar beim Abendessen auch schon gesagt."
Hatte sich bereits unter dem Direktorat von Dr. Samuel Müller eine deutliche Änderung der Aktivitäten im Deutschen Institut für Ärztliche Mission ergeben, so gilt das noch mehr für die Zeit von Dr. Martin Scheel von Juli 1961 an. Es gab kein Studentenheim mehr. Es wurden keine „Samariterkurse" mehr abgehalten. Der Tropenmedizinische Lehrstuhl war inzwischen an das neu gegründete Institut für Tropenmedizin an der Universität übergegangen. Als Folge seiner Studienreise nach Nordamerika im Jahre 1959 begann Dr. M. Scheel mit dem Aufbau von Ärzte- und Schwestern-Seminaren, die zunächst über 3-4 Wochen, später über 8-10 Tage liefen. Im Laufe der Zeit kam es auch zu einer intensiven Zusammenarbeit mit Professor Dr. Urban Rapp vom Katholischen Missionsärztlichen Institut in Würzburg, so dass diese Seminare ökumenischen Charakter gewannen. Die Arbeit in diesen Seminaren stand ganz unter dem Eindruck des Wandels der Zeiten, der Verselbständigung der jungen Kirchen in Übersee sowie der modernen Entwicklung der Medizin und der wachsenden Einsicht in WHO-Kreisen, dass man mit der bisher geübten Krankenhausmedizin nicht mehr weiterkommen könne, da nur ein Bruchteil der Bevölkerung damit erreicht werde. Es kam zu einem lebhaften Austausch zwischen Ärzten, die von draußen zurückkehrten, und solchen, die ausreisten. Man hielt medizinische und theologische Referate und konnte ausführliche Diskussionen anschließen. Man suchte nach neuen Wegen der Arbeit der ärztlichen Mission. Die Ärzte des Krankenhauses beteiligten sich an den Seminaren, soweit es ihre dienstliche Inanspruchnahme zuließ.
Eine der Konsequenzen aus dieser Seminararbeit war z. B., dass man anstelle der früher üblichen tropenmedizinischen Kurse für Ärzte in Hamburg und früher auch in Tübingen neue Kurse schaffte, die bei der Ausbildung sehr viel mehr Rücksicht nahmen auf die neuen und veränderten Verhältnisse in der medizinischen Versorgung in Übersee. Man ging sehr viel mehr ein auf die Fragen nach der medizinischen Grundversorgung, auf Fragen der Primary Health Care. Man stellte nicht mehr die Frage nach einer modernisierten Krankenhausmedizin, sondern man fragte nach der Medizin der Armut und der Medizin der Massen und suchte zugleich die Verbindung mit den christlichen Ortsgemeinden der verschiedenen Kirchen in Übersee.
An dieser Stelle muss ich die verdienstvolle Mitarbeit von Dr. Aart van Soest (Bild oben mit Dr. Röllinghof) erwähnen, der sich sehr für die Ärzte- und Schwesternseminare einsetzte und deshalb seine Arbeit in Holland aufgab, um im DIFAM mitzuarbeiten. Viele Missionsschwestern sind ihm dankbar für die sehr feldbezogene Ausbildung in den Schwesternlaborkursen, wo jeweils acht Schwestern in vier Wochen für ihre Arbeit in Übersee fortgebildet wurden. Die wirklichkeitsbezogene Lehrtätigkeit von Dr. van Soest in den oben besprochenen ärztlichen Tropenkursen wird von den Teilnehmern sehr geschätzt.
Direktor Dr. Scheel wurde Mitglied einer medizinischen Kommissionsarbeit des Weltrats der Kirchen, die sich weltweit mit den erwähnten Grundsatzfragen beschäftigte. Es ging dabei um die Finanzierbarkeit des immer teurer werdenden Gesundheitswesens sowohl in Europa als auch in Übersee, aber auch um die Frage der Beteiligung der zu behandelnden Patienten. Man wollte wegkommen von der Fürsorge für Patienten, hin zu einem eigenständigen, auf eigener Verantwortung basierenden Gesundheitsverständnis und Gesundheitswesen. Zahlreiche Reisen nach Übersee und Erfassung der dortigen Verhältnisse waren notwendig.
Eine der Früchte dieser vielschichtigen Arbeit waren die schon wiederholt besprochenen Tübinger Konsultationen 1964 und 1967, auf denen vor allem die Frage nach dem Sinn der Krankheit und nach der Verantwortung der christlichen Gemeinde für Gesundheit, Heil, Heilung und Wohl der Menschen gestellt wurde.
Infolge der ausgeweiteten enormen Entwicklungshilfe, auch auf dem ärztlichen Sektor, für zahlreiche Länder in Übersee, kam eine große Arbeit auf das Deutsche Institut für Ärztliche Mission zu. Es galt nämlich, zahlreiche Planungen für die Errichtung von Gesundheitsstationen und Gesundheitsorganisationen zu beurteilen und den entsprechenden Geldgebern einen richtigen Rat zu geben. Hier mussten immer wieder alte Vorstellungen vom Ausbau von vorhandenen Krankenhäusern abgewehrt werden. Hier musste in zäher Kleinarbeit die Wandlung der Auffassung im Gesundheitswesen in Verbindung mit den Kirchen sichtbar und verständlich gemacht werden. Dr. Scheel war in diesem Sinne in zahlreichen Gremien tätig, vom Missionsrat über „Dienste in Übersee", „Brot für die Welt" bis hin zur Evangelischen Zentralstelle für Entwicklungshilfe in Bonn. Er war oft mehr auf Reisen als in Tübingen im Institut. Schließlich muss auch darauf hingewiesen werden, dass infolge dieser völlig neuen und veränderten Situation zahlreiche Besucher aus Übersee nach Tübingen kamen und Dr. Scheel eingehende Tages- und Abendgespräche abverlangten.
Die 1960 gegründete Arzneimittelaktion wurde im Laufe der Jahre ausgebaut und stellte für viele missionsärztliche Stationen in Übersee eine wesentliche Hilfe dar. Während in den früheren Zeiten des Instituts die Ausrüstungshilfen für Missionsärzte und -Schwestern mit Medikamenten, Instrumenten und Fachliteratur vorwiegend von den verschiedenen Vereinen der ärztlichen Mission im Rahmen der einzelnen Missionsgesellschaflen geleistet wurden, konnte diese Aufgabe etwa seit 1960 immer stärker und umfassender vom Deutschen Institut für Ärztliche Mission in Tübingen zentral übernommen werden.
Die jährlichen Missionsfeste im Garten des Tropenheim - Paul-Lechler-Krankenhauses fanden weiter guten Zuspruch. Der Vortragsdienst in zahlreichen Gemeinden und Ärztevereinen erforderte sehr viel Zeit und Kraft. Dr. Scheel hat die neuere Entwicklung der ärztlichen Mission in zahlreichen Artikeln in Zeitschriften und Büchern niedergelegt. Es ist zu hoffen, dass er eines Tages die Zeit findet, eine zusammenfassende Darstellung der ärztlichen Mission in der völlig veränderten modernen Welt zu geben.
Paul Lechler jun; (bis 1969), Dr. H. Dipper (1969 bis 1978) und Klaus Lechler (ab 1978) haben als Vorsitzende des Vereins zusammen mit den Migliedern des Verwaltungsrates und der Mitgliederversammlung diese Entwicklung der Arbeit im Deutschen Institut für Ärztliche Mission mit Interesse begleitet und gefördert. Sie sorgten für eine gute Fortführung dieses unabhängigen Werkes der christlichen Liebe und Mission.
Mir liegt noch sehr am Herzen zu schildern, dass das Deutsche Institut für Ärztliche Mission bis auf den heutigen Tag von Spenden lebt, so wie es zu seinen Anfangszeiten darauf angewiesen war. Nicht nur Dr. Fiebig und Dr. Olpp haben sich um Spenden mühen müssen. Auch Dr. Scheel ist heute noch damit beschäftigt, durch entsprechende Publikationen und Kontakthaltung den Spendenfluss zu erhalten. Dabei muss aber mit großem Dank gesagt werden, dass das Spendenaufkommen in den letzten Jahren zugenommen hat.
Natürlich haben wir auch gelegentlich Enttäuschungen erlebt. Als 1959 klar wurde, dass der Umbau des Krankenhauses wesentlich mehr Geld erforderte als wir hatten, gingen Dr. Scheel und ich eines Tages mit einem Empfehlungsschreiben von D. Paul Lechler jun. und der Empfehlung eines mir bekannten Betriebsarztes zu dem Vorstandsmitglied für Finanzen eines bekannten württembergischen Unternehmens in Stuttgart. Nachdem wir unsere Finanznöte dargelegt hatten, kam schließlich die entscheidende Frage, eine wie große Spende wir denn erwarteten. Wir sprachen von etwa 20000.- DM. Nach längeren weiteren Erörterungen der schwierigen wirtschaftlichen Situation wurde uns eine jährliche Spende in Höhe von DM 500.- zugesagt.
Auch das Krankenhaus hat neben der normalen Rechnungslegung Spenden erhalten. Es gab eine Reihe von Patienten, die eigentlich eine ärztliche Liquidation erwarteten, die aber traditionsgemäß im Hause nicht geschrieben wurde. So konnten wir aus einer immer wieder gefüllten Spendenkasse eine Reihe von Menschen bei uns zur Behandlung aufnehmen: aus der DDR, von der Berliner Stadtmission, aber auch nicht versicherte Missionsangehörige. Wir haben davon auch das große Steinmosaik in der Halle der ärztlichen Abteilung mit dem Regenbogenmotiv (Gottes Heilsangebot für alle Menschen) bezahlen können, ebenso das Ölgemälde von der guten Brotfrucht im Speisesaal der Mitarbeiter. Wir haben uns bemüht, mit solchen Spenden sparsam und haushälterisch umzugehen. Sie sind ein wichtiges Kennzeichen unserer Arbeit.
Vorsitzende, Direktoren und leitende Mitarbeiter waren immer wieder zu zahlreichen Reisen gezwungen. Es waren im Lande hin und her Vorträge zu halten, man reiste, um Spenden einzusammeln, um an bedeutenden Missionsveranstaltungen teilzunehmen, um in zahlreichen Gremien im In- und Ausland im Sinne der ärztlichen Mission Rat zu geben. Ich erinnere mich noch gut an den Tag meiner Berufung durch den Geschäftsführenden Ausschuss in Tübingen. D. Paul Lechler jun. eröffnete mir, dass ich wohl bereit sein müsste, etwa alle fünf Jähre für einige Monate nach Übersee zu reisen, um mich über die weitere Entwicklung der Tropenmedizin zu informieren und Kontakte in Übersee aufzunehmen, was dann auch geschehen ist. Er wandte sich damals auch an meine Frau. Das DIFÄM hätte leider nicht genügend Geld, um den Ehefrauen die Reisebegleitung zu ermöglichen. Sie möge doch einverstanden sein, für die Zeit solcher Reisen auf ihren Ehemann zu verzichten. Die Frauen haben auf diese Weise oft die Arbeit im DIFÄM ermöglicht.
Sie werden sicherlich mit mir schmerzlich empfinden, dass ich in meinen Ausführungen nicht eingegangen bin auf die theologische Begründung und Entwicklung der ärztlichen Mission. Das muss einer weiteren Arbeit zusammen mit einem Theologen vorbehalten bleiben.