Missionsfenster

Das Missionsfenster ist nach Entwürfen des Stuttgarter Künstlers Rudolf Yelin (sen.) von der heute noch bestehenden Glasgemäldewerkstatt V. Saile in Stuttgart geschaffen worden. Es befand sich in den ersten 40 Jahren des 1916 erbauten Tropengenesungsheims in dem im ersten Obergeschoss befindlichen Speisesaal. Nach dem großen Umbau Ende der 50er Jahre fand es für 30 Jahre eine neue Heimat im damaligen Schwesternzimmer. 1990 zog es in das neue Foyer der alten Tropenklinik um und 2019 in das Erdgeschoss im Neubau der Tropenklinik Paul-Lechler-Krankenhaus.

Missionsfenster als Postkartenmotiv 1919

1916 im Speisesaal des Tropenheims

1959 im Schwesternwohnzimmer

2013 am Empfang des Tropenklinik Altbaus

Bildbetrachtung von Walter Jens 1997

Dialektik eines Bildes

Ein Glasfenster aus ferner Zeit, fremd auf den ersten Blick, nicht nur wegen des eher kleinmeisterlich gehandhabten Jugendstils. Die Symbolik wirkt rührend - wer erschräke nicht, wenn er die allzu naturalistische Verwandlung des Rauchs aus dem Schornstein in eine vom Himmel her ausgestreckte Gotteshand gewahrt? Dazu die Mitgift aus martialischer Zeit: ein Kriegsschiff (offenbar vor Unbill bewahrt, solange deutsche Missionare an Bord waren, später, so die Entstehungsgeschichte , eine Beute deutscher U-Boote), dazu ein drastischer Verweis aufs Kreuz, das Glück in blutigen Käpfen verbürgt: In hoc signo vinces ist ein Schlachtzeichen, das Kaiser Konstantin zur Mittagszeit am Himmel erschien, als er sich zum Streit rüstet: aus und vorbei, Maxentius, der Siegeszug der christlichen Staatsreligion ist unaufhaltbar.

Mit einem Satz: Der Krieg, so scheint es, ist Primgeiger auf dem gläsernen Bild - er und der Tod, den kein aus der frommen Moses-Geschichte ("Der Herr sprach zu ihm und erhaschte die Schlange beim Schwanz. Da streckte er seine Hand aus und ergriff sie, und sie wurde zum Stabe in seiner Hand") ins Saekuläre übertragener Aeskulap-Stab aus dem Blickfeld rückt.

Im Gegenteil! Die vermeintliche Idylle am Ende der Bilderreihe trügt. Ob der Künstler von Ludwig Uhlands Beschreibung der Wurmlinger Kapelle, nah bei Tübingen und nah beim Tropengenesungsheim, mehr als die erste Strophe gelesen hat? Ich fürchte nein; das mento mori, wie es am Schluß klingt, könnte ihm entgangen sein, und erst recht die zweite Strophe: „Traurig tönt das Glöcklein nieder, / Schauerlich der Leichenchor; / Stille sind die frommen Lieder, / Und der Knabe lauscht empor."

Das Heim der Gesundung - ein Totenhaus? Kein Zweifel, die Verwunderung des Betrachters wächst und erreicht dort, unten, im Bildzentrum, ihren Höhepunkt, wo Germania ins Blickfeld rückt, eine schlanke und ranke Gestalt, blondbezopft, mit deutscher Wappenspange - eine Frau, die den Söhnen und Töchtern der Mission, den Bekehrenden und Bekehrten, Schutz und Geborgenheit verspricht - zu Füßen der Wartburg, wie sich versteht. Die evangelische Trutzburg, eine gute Wehr und Waffen im Thüringischen, verweist auf den Reformator und mit ihm, im Text und Kontext des Bildes, auf die Einheit von Thron und Altar.

Es hilft nichts: Der Betrachter wendet sich ab, verärgert über die deutsche Missions-Symbolik zur Zeit des ersten Weltkrieges - und täte dennoch gut daran, das Bild, statt sich rasch davonzustehlen, gleichsam „gegen den Strich zu lesen", nach der Art Bertolt Brechts zum Beispiel, und dabei die Zeichen nicht zu übersehen, die sich der raschen, allzu raschen Betrachtung entziehen.

Bestrebt, im Zeitgebundenen und leider immer noch Weiterwirkenden jenes Überzeitliche sichtbar zu machen, das den Entstehungsmoment transzendiert, wird er darangehen, zunächst einmal die Worte zu lesen, die (Hesekiel, Kapitel 34, Vers 16) in der letzten zu Luthers Lebzeiten erschienenen Auflage der "gantzen Heiligen Schrifft" lauten: „Ich will das Verlorene wider suchen und das Verirrete widerbringen und das Verwundte verbinden und des Schwachen warten."

Sanfte und zärtliche Worte, den Mühseligen und Beladenen in aller Welt zugesprochen, als Chiffren einer Gegenrede, die Krieg und Tod durch die Umkehr begegnet: Heilung ist verbürgt, Versöhnung und Trost. Wie anders lesen sich da plötzlich die mirakulösen Himmelsworte aus der Konstantin-Legende! In hoc signo vinces , das kann auch bedeuten: Im Zeichen des Kreuzes werdet ihr, Arme, Leidende, Kranke, den Tod überwinden. (Das lateinische Verbum vincere bedeutet nicht nur strahlend triumphieren, sondern auch Meister werden und eine Gefährdung überstehen.)

Jetzt auf einmal ist der Augenblick gekommen, da der Betrachter sich in der Lage sieht, die Hauptfigur des Bildes, die Heilige Elisabeth von Thüringen, recht zu verstehen - eine Gestalt, auf die das Rosenwunder verweist (ein bißchen unbeholfen gezeichnet, gewiß, aber der Interpret ist mittlerweile nachsichtiger geworden): Elisabeth, die in Werk und Geist Franz von Assisi Geschwisterkind ist, eine Sachverwalterin der Armen und Kranken, der Hungernden und Angefochteten - immer auf der Seite der Schwachen, auch um den Preis des Verzichts auf Ehre und weltlichen Glanz: Was zählten für sie Standesgesetze, wenn es galt, die Kostbarkeiten der Hofküche Märkten und Spitälern zu schenken?

Elisabeth, nicht Germania ist die eigentliche Protagonistin des Bildes: Mag der Künstler - vielleicht! - eine lutherische Huldigung mit der Evokation der Wartburg im Auge gehabt haben (hier Eisenach, die große Protestantenstadt, dort das kleine katholische Wurmlingen, die Antithese mag für ihn apart gewesen sein) - den Betrachter überzeugt diese strikt evangelische Ausdeutung nicht. Er bedenkt vielmehr, daß Elisabeths Hospital, die große Krankenhalle, in der sie die Menschen pflegte, unterhalb der Wartburg lag.

Elisabeth von Thüringen, im Tropengenesungsheim wieder auferstanden in den Dank ihrer Liebe, Opferbereitschaft und Geduld die Hesekiel-Sätze ins Hier und Jetzt übertragenden Kaiserwerther Schwestern - in der Tat, das ist eine Konzeption, im Angesicht des neu gedeuteten Bildes, mit der sich freundlich leben läßt.

Was aber Martin Luther angeht, den anderen Schutzgeist der Wartburg, so sei nicht vergessen, daß der Reformator der Frau, Geliebten und Schwester, verkörpert in seiner Kirche, ein Loblied gesungen hat, das auch jener Figur gelten mag, die für den Betrachter, auf seinem Weg langsamer Einsichtsgewinnung, längst aufgehört hat, eine missionarisch tätige Germania zu sein. Nein, diese Frau steht nicht für die Angehörige einer Nation, son¬dern für die Samariterin, die, woher sie auch stamme, im Hinblick auf die Tag für Tag geleistete praxis pietatis, Luthers Lied von der Heiligen christlichen Kirchen auf sich beziehen darf, irgendwo zwischen Eritrea und Kaiserswerth - überall dort, wo es gilt, des Schwachen zu warten.


Sie ist mir lieb die werde magd

und kann jr nicht vergessen,

Lob ehr und zucht von jr man sagt,

sie hat mein hertz besessen.

Ich bin jr hold,

und wenn ich solt

gros Unglück han,

da liegt nichts an.

Sie wil mich des ergetzen

mit jrer lieb und trew an mir,

die sie zu mir wil setzen

und thun all mein begir.

Walter Jens, Januar 1997

Beschreibung von Gottlieb Olpp 1917:

"Im Mittelfeld begrüsst Deutschland als Mutter mit einem Kranze von Eichenlaub geschmückt, ihre aus den Tropen heimkehrenden Söhne und Töchter. Auf den Stufen vor ihr legt ein Negerjüngling seine Last ab, während im Hintergrund die Wartburg aus “waldgrünem Thüringland” hervorlugt. Der linke Flügel des Bildes zeigt den Palmenstrand der Tropen, mit der “Golconda”, die so manche aus Indien ausgewiesene Deutsche heimbrachte, jetzt aber torpediert auf dem Meeresgrunde ruht. Auf dem rechten Flügel erblicken wir das liebliche Bild der Wurmlinger Kapelle. “Drunten singt bei Wies‘ und Quelle froh und hell der Hirtenknab”. Ueber dieser harmonisch abgestimmten Trilogie bilden die Oberlichtfenster eine kleinere Dreiteilung mit der idealen Gestalt einer pflegenden Jungfrau vor dem Krankenbett als Mittelfeld, so dass die schon beschriebenen Flügelbilder mit ihm zusammengehalten die Auslegung “Tropen-Genesungs-Heimat” ergeben. Rechts und links sind die Symbole der ärztlichen Mission (Kreuz mit Schlange) und der Weltmission (Weltkugel mit Kreuz) dargestellt. Umrahmt ist das Ganze von grünem Eichenlaub, während das Tropenbild Bananen und andere Südfrüchte und die Heimatbilder Aepfel und andere deutsche Früchte aufweisen."