Gottlieb Olpp: 

"Das Tropengenesungsheim in Tübingen" DMW (1936)

Originaltext                                 Deutsche Medizinische Wochenschrift – Nummer 49 – 4. Dezember 1936

Das Tropengenesungsheim in Tübingen

Von Prof. D. Dr. G. Olpp

Schon bei der ersten Planung des Deutschen Instituts für ärztliche Mission e. V. im Jahre 1906 schwebte dem Gründer desselben, dem königlichen Großkaufmann in Stuttgart, Dr. med. h. c. PAUL v. LECHLER, auch die Errichtung eines Tropenspitals vor Augen, das die aus den Tropen krank zurückgekehrten Missionare und ihre Familien sowie andere Tropenkranke aufnehmen sollte. Tübingen war zum Sitz des Instituts gewählt worden, weil die treibenden Kräfte in Württemberg beheimatet waren; Hamburg hatte damals noch keine Universität, und doch wollte man in erster Linie approbierte Ärzte für die Mission heranbilden, wie man in Berlin Ärzte für das Militär in der Pepinière erzog.

Als im Jahre 1910 die ersten tropenmedizinischen Vorlesungen an der Tübinger Universität im Hörsaal des Institutes abgehalten wurden, kamen von selbst auch schon Tropenkranke, um sich hier behandeln zulassen. Jahrelang wurden sie provisorisch in dem 1910 eröffneten Schwesternheim des Institutes untergebracht, welches schließlich 16 Betten für Tropenkranke hergeben musste. Von Dr. LECHLER war beabsichtigt, im rechten Winkel anschließend an das Missionsärztliche Institut ein Tropenkrankenhaus zu erstellen, so dass alle drei Gebäude von derselben Verwaltung und Küche bedient werden könnten. Vom kaufmännischen Gesichtspunkt aus gesehen, war dies durchaus das Richtige.

Aber bald lehrte die Erfahrung, dass tropenmüde und abgearbeitet in die Heimat zurückkehrende Missionsarbeiter und sonstige Auslanddeutsche in vielen Fällen so geräuschempfindlich geworden sind, dass sie den von einem Studentenheim ausgehenden fröhlichen Lärm nicht vertragen konnten. Einige zogen daher die Konsequenzen und reisten wieder ab. So musste zunächst die Platzfrage anderweitig gelöst werden und der kaufmännische Gesichtspunkt dem ärztlichen weichen.

Bei der Suche nach einem geeigneten Platz fanden wir das 10 Minuten entfernte jetzige Gelände des Tropengenesungsheimes, das auf einer ins Tal vorspringenden Bergzunge der Eberhardshöhe gelegen ist und dem Beschauer ein überaus liebliches Bild auf Stadt und Alb mit ihren mittelalterlichen Burgen, dem Hohenzollern, dem Hohenneuffen, der Teck, ferner der berühmten Wurmlinger Kapelle und dem Bismarckturm darbietet. Das ganze Landschaftsbild eine rechte Augenweide für erholungsbedürftige Menschen. Wiederholt sagten später Kranke des Hauses beim ersten Anblick der Gegend: „So schön ist unser Vaterland? Das haben wir nicht gewusst!"

Große Spenden weitsichtiger Persönlichkeiten und Institutionen und viele kleinere Gaben aus dem ganzen deutschen Vaterlande erbrachten die nötige Bausumme von RM 350 000.- für den 50 Betten fassenden Neubau und weitere RM 70 000.- für die innere Einrichtung. Das Bett kam also ohne die Einrichtung auf RM 7500.- zu stehen. Bei der Beratung der Baupläne wurden wir lebhaft unterstützt von den Ordinarien der Medizinischen Fakultät: V. BRUNS, PERTHES und V. SCHLEICH, die Mitglieder unseres Verwaltungsrats waren. Der Name Tropenklinik wurde abgelehnt, weil dieser Ausdruck für reine Universitätsinstitute vorbehalten bleiben musste. Missionskrankenhaus wollten wir die neue Anstalt nicht nennen, weil wir auch die nicht zur Mission gehörenden Tropenkranken Süddeutschlands, die sich an uns wenden würden, berücksichtigen wollten. So erhielt das neue Haus den Namen „Tropengenesungsheim" mit der Bestimmung, dass es im Sinne und Geiste der Mission geführt werden soll.

Am Himmelfahrtstag 1914 wurde der Grundstein gelegt; 3 Monate später brach der Weltkrieg aus und legte den Bau für einige Monate still. Erst nach 2 ½ Jahren, am 15.11.1916, genau 10 Jahre nach dem Gründungstag des Vereins, konnte das Tropengenesungsheim eröffnet werden. Es ist im Stile eines Korridorpavillons mit 53 m langer Südfront erbaut, an die sich unterkellerte Ost-, West- und Mittelflügel nach Norden anschließen. Bei der freien Höhenlage, 387 m über dem Meere, ist die Besonnung des Hauses ausgiebig und von 1-1½  Stunden längerer Dauer als bei den Gebäuden der Stadt. Die meisten Krankenzimmer liegen nach Süden, einige nach Osten und Westen. Da wir es meist mit Privatpatienten zu tun haben, wurde von Krankensälen abgesehen. 22 der 38 Krankenzimmer führen durch Doppelglastüren auf eine offene Veranda. Das ganze Haus enthält 116 Räume, ist mit allen technischen Errungenschaften der Neuzeit versehen und stellt eine klinisch geleitete Krankenanstalt dar.

Dem Ruhebedürfnis der Patienten dienen 2 große mit Glasfenstern versehene Liegehallen im Osten und Westen des Hauses sowie 2 große offene Terrassen. Ein Licht- und Luftbad für Männer und Frauen liegt in einen Tannenhain eingebettet. Auf die Ausgestaltung der Badeabteilung ist besonders Gewicht gelegt, da Tropenleute täglich ein- bis mehrmals zu baden pflegen. Eine Nebentreppe führt zu allen Stockwerken direkt in die Bäderabteilung, an welche sich ein Bestrahlungsraum und ein Heilgymnastikzimmer anschließen. Der große Garten bietet zahlreiche behagliche Plätze zum Ausruhen. Er beherbergt auch die Stallung für Milchkühe, den Hühnerhof und ausgiebige Gewächshäuser, so dass auch im Winter frisches Gemüse zur Verfügung steht.

Für diagnostische Zwecke sind 3 Laboratorien bestimmt, ferner 1 Röntgenzimmer, 2 Sprechzimmer und 1 Untersuchungsraum für Spezialuntersuchungen. Da bei der Erkennung und fortlaufenden Behandlung Tropenkranker das mikroskopische Blutbild und die Untersuchung von Fäzes und Urin eine besondere Rolle spielen, wird auf diese Laboratoriumsuntersuchungen großes Gewicht gelegt. In dem Hauptlaboratorium sind 20 Arbeitsplätze für Praktikanten vorgesehen, da die theoretischen Vorlesungen aber Tropenheilkunde und Tropenhygiene sowie die jährlich im März und im August stattfindenden Tropenkurse eine Ergänzung durch praktische Übungen im Labor erfordern.

Als im Jahre 1922 gleichzeitig 20 tropenkranke Kinder im Hause waren, welche durch Lärm die erwachsenen Patienten belästigten, sahen wir uns genötigt, von heute auf morgen Abhilfe zu schaffen. Vom Reichsfinanzminister wurde uns eine gut erhaltene große Militärbaracke gegen geringes Entgelt überlassen, welche zu einem Tropenkinderheim für 25 Betten ausgebaut wurde. Sie hat aber den Nachteil, dass sie im Winter nicht heizbar ist. Da nun zahlreiche Familien auch im Winter ihre tropenkranken Kinder bei uns unterbringen wollen, wurde vor kurzem der Entschluss gefasst, statt der Holzbaracke ein massives Gebäude für 28 Kinderbetten zu erstellen. Die Baupläne unterliegen zur Zeit der Prüfung durch die zuständigen Behörden. Zunächst müssen aber noch die nötigen Baugelder beschafft werden, bevor der Neubau in Angriff genommen werden kann.

Bis jetzt sind im Tropengenesungsheim und seiner Kinderabteilung rund 13 000 Patienten aus nahezu 100 überseeischen Ländern aufgenommen und in 260000 Verpflegungstagen behandelt worden. Es ist eine durchaus andere Klientel als die des Hamburger Tropeninstituts, dessen jeweiliger Leiter auch Mitglied unseres Verwaltungsrats ist. Wir sehen hier nie Fälle von klimatischen Bubonen, die bei Seeleuten zahlreich vorkommen, dagegen nehmen wir z. B. oft Spruekranke auf, die in Hamburg weniger häufig zur Beobachtung kommen.

Nach dem Kriege besuchte LETTOW-VORBECK 23 seiner in Süddeutschland beheimateten ostafrikanischen Malariker, die bei uns Aufnahme gefunden hatten. Prof. TAUTE, der bekannte Schlafkrankheitsforscher, Hauptmann TAFEL, G. VON BODELSCHWINGH sind bekannte Namen von Kranken unseres Hauses aus der Nachkriegszeit. Vor einigen Jahren weilte der chinesische Ministerpräsident WANG CHING WAI mit 11 Chinesen 6 Wochen lang unter unserem Dach zur Beobachtung und Behandlung. Die Leitung liegt jetzt in den Händen von Prof. 0. FISCHER.

So handelt es sich bei dem Tropengenesungsheim um ein „Kleinod" des deutschen Volkes, das weit über seinen engeren Wirkungskreis hinaus bekannt geworden ist, weil es das einzige Sanatorium dieser Art auf dem Kontinent ist. Möchte sich das Wort seines Gründers bewahrheiten: „Die Welt achtet oder verachtet das Christentum, je nachdem die Christen es ihr vorleben. Darum soll, wie das Tropengenesungsheim auf sonniger Höhe steht, auch das, was hier geleistet wird, immer im besten Sinne als „auf der Höhe stehend“ sich erweisen!"