Gottlieb Olpp: "Das Tropengenesungsheim in Tübingen" (1917)

Der Arzt Gottlieb Olpp (1872-1950) ging nach einer Spezialausbildung in Tropen- und Infektionskrankheiten 1898 nach China. Im subtropischen Dongguan, einer Stadt mit 250000 Einwohnern in der Nähe von Hongkong, kam er im Missionshospital in Kontakt mit Patienten, die an chronischer Opiumvergiftung litten. Er musste auch feststellen, dass die Pest in diesem Teil der Welt ihren Schrecken noch nicht verloren hatte. Olpp beschäftigte sich intensiv mit chinesischer Medizin. 1907 kehrte er wieder nach Deutschland zurück. und wurde in Tübingen Direktor des Deutschen Instituts für ärztliche Mission (DIFÄM) und des Tübinger Tropengenesungsheims. 

Der folgende Vortrag wurde am 14. Mai 1917 im Naturwissenschaftlich-medizinischen Verein zu Tübingen gehalten. Ausschnitte davon beschreiben das neue Tropengenesungsheim.                       Originaltext 

Das Tropengenesungsheim in Tübingen

Es wird zwar mit Recht behauptet, dass Tübingen nicht im Zentrum Deutschlands liege; dafür ist es von den Mittelmeerhäfen, die den Verkehr nach Ostafrika und Ostasien vermitteln, leicht zu erreichen und hat durch die nur eine Stunde Bahnfahrt entfernte Station Plochingen Anschluss an die Balkanzüge und die Bagdadbahn.

Das Tropengenesungsheim in Tübingen ist 387 m über N.N. erbaut, d. h. 64 m höher als der rechts des Neckars befindliche Hauptbahnhof. Es liegt in vollkommener Abgeschlossenheit und Ruhe auf der linken Neckarseite inmitten eines 3,84 ha messenden Obstgartens an der Nordostecke des Universitätsviertels, 63 m tiefer als die nach Norden vorgelagerte, bewaldete Eberhardshöhe. 

Die Möglichkeit der Beratung durch Spezialisten aus sämtlichen Gebieten der Heilkunde hat sich in vielen Fällen schon recht wertvoll erwiesen. Chirurgische Tropenpatienten konnten schon direkt vom Operationstisch der Klinik aus zur Nachbehandlung ins Tropengenesungsheim gebracht werden. Eine große Annehmlichkeit ist es, dass auch die am weitesten entfernte Universitätsklinik in 20 Minuten bequem zu Fuß erreicht werden kann.

Auf dem Zufahrtswege, der von der Waldhäuserstraße ostwärts sich abzweigt, gelangt man in einer halben Stunde zu Fuß oder in 10 Minuten Autofahrt vom Hauptbahnhof an die Einfahrt, wo sich der von der Stadt direkt aufsteigende Fußweg mit dem Fahrweg zu einem einzigen, leicht übersehbaren Eingang vereinigt.

Bei der freien Höhenlage ist die Besonnung des Hauses ausgiebig und von ein bis anderthalb Stunden längerer Dauer als bei den Gebäuden in der Stadt, an Nebeltagen oft viel länger, weil die aus dem Neckartal aufsteigenden Nebel sich seltener in solche Höhe hinaufziehen. Das ist von großer Bedeutung für Tropenkranke. Denn davon, ob Sonnenschein vorherrscht oder nicht, hängt in weitgehendem Maße die Erholungskraft eines Ortes ab. Zudem kann in der Höhenlage des Tropengenesungsheims die Temperatur namentlich in den Wintermonaten um 3½ °C wärmer sein, als im Neckartal. 

Der in Tübingen vorherrschende Westwind weht den Straßenstaub und Kaminruß nicht über das Grundstück des Tropengenesungsheims, da dieses nicht in derselben Windrichtung mit der Stadt liegt. Zeitweise sind die Westwinde im Neckartal viel kälter und stärker als auf der Höhe, weil sie sich durch die Enge hindurcharbeiten müssen.

Wenn Tropenkranke nach mehrwöchiger Seereise die deutsche Heimaterde betreten, pflegt ihr Leiden schon in das subchronische oder chronische Stadium eingetreten zu sein: man denke nur an Malaria, Filariasis, Amoebenruhr, Sprue und Schlafkrankheit, was natürlich akut oder stürmisch verlaufende Rückfälle nicht ausschließt. Zur Heilung derartig chronisch kranker Fälle haben sich neben dem bewährten Rüstzeug der medikamentösen und serologischen Behandlung die physikalisch-diätetischen Heilmethoden als nutzbringend erwiesen. Sie haben daher bei der Ausarbeitung des ganzen Anlageplans weitgehende Berücksichtigung gefunden. 

Das Gebäude ist nach Ausführung umfangreicher Erdverschiebungen auf einem durchaus gleichmäßigen und in den auftretenden Schichten sehr guten tragfähigen Untergrund als moderner Korridorpavillon durchaus massiv aufgeführt und besteht aus einer 53 m langen Südfront, an die sich unterkellerte Ost-, West- und Mittelflügel nach Norden hin anschließen. Die überbaute Grundfläche beträgt 910 qm. Die Architektur des Tropengenesungsheims erhellt am besten aus den beigegebenen Bildern.


Es erscheint zweckmässig, den Charakter des Hauses bei einem Rundgang auf sich wirken zu lassen, da so der Eindruck des gewonnenen Bildes plastischer wird und eher ein kritisches Urteil gestattet. Dass die systematische Behandlung des Stoffes darunter leidet, müssen wir dabei freilich in Kauf nehmen.

Wir beginnen dort, wo zwei Stockwerke unter ebenem Boden in den Felsen eingehauen die beiden Kessel der Niederdruckdampf-Mildheizungs- und Lüftungsanlage für den Sommer- und Winterbetrieb und für die Warmwasserbereitung der Bäder aufgestellt sind. Gespeist werden sie von oben mit Koks. Der tägliche Koksverbrauch beträgt im Durchschnitt 10, an strengen Wintertagen 20 Ztr. An den Heizraum schließt sich eine Werkstätte an, die mit Hobelbank, Schraubstock, Ambos und Drehbank ausgestattet, auch der Beschäftigungstherapie dient.

Im Erdgeschoss des Mittelbaues finden wir die helle, mit weißem Plättchenbelag an den Wänden versehene Küche, den für Kohlen- und Gasheizung eingerichteten Herd, Backofen und Wärmetisch, den anstoßenden Gemüseputzraum, die durch Glaswände abgetrennte Spülküche und das Gesindezimmer. An die Küche schließen sich einige geräumige Vorratskammern an, die bei Krankenanstalten häufig zu klein ausfallen, weil sie von den Architekten als nebensächliche Dinge behandelt oder aus finanziellen Gründen vernachlässigt werden. Im Kühlraum plätschert das überschüssige Wasser der eigenen, einst mit Hilfe der Wünschelrute entdeckten und zur Brunnenstube ausgebauten Quelle und umspült die in Behältern mit weißglasierten Tonplatten aufgestellten Milch- und Buttergefäße. Das Wasser der Quelle ist nach der im Februar 1917 von JOHN ausgeführten Analyse völlig klar und bleibt auch nach mehrtägigem Stehen klar. Fremder Geschmack ist nicht wahrnehmbar. Ebenso ist das Wasser frei von Farbe; auch der Abdampfrückstand ist von rein weißer Farbe. Das untersuchte Wasser hat eine Gesamthärte von 28,5°, verliert aber beim Kochen nahezu alle Härte, da sie fast ganz aus Bicarbonaten, nämlich 26,2°, besteht. Dass das Quellwasser gut filtriert, beweist der äußerst geringe Kaliumpermanganat-Verbrauch, ferner die Abwesenheit von Ammoniak und Nitriten. Beim Vergleich mit anderen Quellwassern von Tübingen findet sich eine ganz auffallende Uebereinstimmung mit der besten Quelle der Stadt, dem schon seit den 70er Jahren von hiesigen Aerzten empfohlenen Lützelbrunnen, der seit kurzem auch den Nymphenbrunnen speist und durch seinen relativ hohen Magnesiagehalt charakterisiert ist. Bei längerem Gebrauch zu Trinkzwecken üben diese drei Brunnen eine milde abführende Wirkung aus, die für manche tropische Krankheiten nur erwünscht sein kann. Die Wasserfrage war die lebenswichtigste für das Tropengenesungsheim. 

Denn ohne Entdeckung der Quelle hätte dieses an landschaftlichen Schönheiten so reiche Fleckchen Erde nicht erschlossen werden können, da das städtische Wasserleitungsnetz nicht dorthin führt. Jetzt speist die Quelle allein im Haus 204 Kaltwasser-, 85 Warmwasser- und 5 Feuerhahnen. Im Kühlraum lagern auch die Produkte deutscher Eisen-, Stahl- und Kochsalzquellen, sowie alkalische, salinische und indifferente Mineralwässer, endlich die Krankenweine. Der Krieg hat die Veranlassung zur Beschaffung von 5 Simmentaler bezw. Allgäuer Milchkühen gegeben, die wegen ihrer Bestimmung für Tropenkranke auf die Namen der fünf Erdteile hören und in angemessener Entfernung vom Haupthause untergebracht sind. Für Kuren mit kuhwarmer Milch ist in einer Sennhütte Vorsorge getroffen.

Im Ostflügel des Erdgeschosses liegt die Waschküche mit ihrer kombinierten Doppeltrommel-Wasch- und Spülmaschine, nebst Unterbetriebszentrifuge und Trockenapparat. Daran reiht sich der Bügelraum mit der Dampfzylinderplättmangel und dem Gasbügelofen. Ausserdem ist ein Dampfdesinfektionsapparat, ein Wäscheabwurfschacht und ein elektrischer Wäscheaufzug nach dem Trockenboden vorhanden. Auf Schallisolierung durch elastische Lager und möglichst leises Arbeiten der Maschinen wurde besonderes Gewicht gelegt. Tatsächlich hört man auch nur in drei Krankenzimmern das Geräusch der mit 2 x 220 Volt Gleichstrom arbeitenden Motoren. Durch zweckmässige Anordnung und praktische Ausnützung der modernen Technik ist es ausserdem ermöglicht, die gesamte Hauswäsche alle 14 Tage in 2 x 24 Stunden zu erledigen.

Unter den genannten Wirtschaftsräumen lagern die auf dem eigenen Grundstück gewachsenen Gravensteiner Äpfel und sonstiges Obst, sowie die Kriegskartoffeln in getrennten Kellern. Im Westflügel sind auf gleicher Höhe die Wohnungen des Hausdieners und Gartenarbeiters untergebracht. Sie haben, wie alle Nebenabteilungen des Hauses einen besonderen Zugang, so dass die Ruhe des Hauses gewährleistet und alle Störungen den Kranken fern gehalten sind. Von dort aus führt ein unterirdischer Gang den Heizer zu den eben beschriebenen Heizkesseln, so dass sein Tätigkeitsbereich nicht mit den auf der Vorderfront des Erdgeschosses untergebrachten Medizinalbädern für Sole, Fichtennadeln, Kohlensäure, Sauerstoff, den elektrischen Bädern, Brausebad, Ruheraum und der Heilgymnastik in unliebsame Berührung kommt. Auch eine kleine Isolierabteilung, mit eigenem Ausgang ins Freie und den nötigen Nebenräumen findet sich im Erdgeschoss. Sie ist in erster Linie für Farbige bestimmt. Das grosse Eckzimmer im Südosten wurde als Wäsche- und Flickzimmer eingerichtet und dient gleichzeitig als Kinderspielzimmer. 

Aus diesem Grunde ist es mit abwaschbarer Salubratapete versehen. Im Mittelpunkt der Südfront liegt der den Grundstein bergende Gartensaal, der zu Ehren seiner Stifter den Namen “Hohentübingen” erhalten hat. Mit seinen grün gehaltenen Gobelintapeten bildet “Hohentübingen” einen stimmungsvollem Übergang zu den Gartenanlagen, die sich mit ihren geschützten, schattig-lauschigen Plätzen vor dem Gebäude ausdehnen und nur den Kurgästen des Hauses zugängig sind. Der Gartensaal enthält zum Teil Korbmöbel, zum Teil braun gebeizte Möbel, einen Spielschrank und ein Konzertpianino. Da neben diesem Unterhaltungsraum nur Bäder und über ihm wieder ein Gesellschaftsraum liegt, so kann hier von Musikliebhabern ein Kriegs- oder Friedenslied gestimmt werden, ohne dass musikscheue Kranke sich beunruhigt fühlen können.

Begeben wir uns in das I. Stockwerk, so betreten wir über den Wirtschaftsräumen des Mittelbaues die Poliklinik mit dem Hauptportal, zu dem eine Freitreppe hinaufführt. Schon der kunstvoll geformte Türgriff, das Meisterstück eines Tübinger Schlossergesellen, weist mit seinem gewundenen Elefantenrüssel auf die exotische Bestimmung des Hauses hin. Zur Linken des Eingangs befindet sich die Verwaltung mit der Krankenregistratur und die Schreibstube mit Fernsprechzelle, sowie in die Wand eingebauter Briefablage. Hier kann jeder Kurgast vom Gang aus sich überzeugen, ob er Post erhalten hat, ohne dass er die fleißigen Hände in der Schreibstube zu stören braucht mit der unnötigen Frage: “Sind Briefe für mich da?” Auf der Verwaltung wird nach amerikanischer Buchführung — warum sollen wir nicht von Dollarien das Gute, das sein Handelsgeist hervorgebracht hat, zweckentsprechend anwenden? — “Soll und Haben” aufgezeichnet, so dass ohne langwierige Anamnese mit einem Blick der finanzielle Status erhoben werden kann.

Nebenan erfreut uns das kleine geschmackvolle Wartezimmer mit dem prächtigen Bild von Rudolf Schäfers Meisterhand, den Barmherzigen Samariter darstellend, wie er bei Nacht mit dem Verwundeten vor der Herberge eintrifft und ihm von der Haustreppe aus entgegengeleuchtet wird. Im Wartezimmer liegen weder die Woche noch Bäderkataloge auf; vielmehr werden die milde und marode in die Heimat Zurückkehrenden begrüsst von der Märchenwelt ihrer Kindertage durch Moritz von Schwind, von dem Humor Karl Spitzwegs und der Kinderliebe Ludwig Richters. Ein Zimmer für Behandlung mit Massage und Elektrizität, für Sterilisation und Verbandwechsel, sowie eine Hausapotheke schliessen sich an. Gegenüber treten wir durch eine Doppeltüre in das Sprechzimmer, in dem über die Aufnahme der Kranken oder die Tropentauglichkeit von Bewerbern entschieden wird. Ausgestattet ist es mit einem Universal-Untersuchungsdivan, den nötigen Bücher- und Instrumentenschränken, einem Pantostaten, Zeiss-Mikroskop und aseptischem Waschtisch für kaltes und warmes Wasser. Die ärztliche Ausrüstung des Hauses ist im wesentlichen eine Stiftung bekannter Firmen in Tuttlingen, Jena, Wetzlar und Berlin.  

Für Aerzte und ihre Hilfskräfte stehen 8 Arbeitsplätze in einem vorwiegend für protozoologische Untersuchungen eingerichteten Laboratorium zur Verfügung, das mit weissem Plättchenbelag und Glastischen versehen, seine breiten Fensterflügel nach Norden und Westen hin öffnet. Eine verschwenderische Fülle von Licht fällt auf die Leitz-Mikroskope, Brut- und Wärmeschränke, elektrische Zentrifuge usw. Am Fries der Nordwand sind die tropischen Blutparasiten, an der Ostwand die tropischen Helminthen und im Süden die Gifttiere, tropische Insekten und verwandte Gliedertiere in Schwarz-Weiss-Malerei angebracht, so dass sich die Elemente der Tropenhygiene dem Studierenden durch häufiges Betrachten leichter einprägen. Denn wer eins dieser Bilder nicht diagnostizieren kann, würde unrettbar in einem tropenmedizinischen Examen durchfallen. Die auf Antrag der Landesuniversität seit Jahren gewährte staatliche Beihilfe für tropenhygienische Lehr- und Forschungszwecke ist während der Kriegsjahre für die Anschaffungen im Laboratorium verwandt worden. Durch zwei eingebaute Digestorien mit letzterem verbunden ist das Stinkzimmer, Sitzungssaal genannt. Hier finden die Sitzungen statt, die das nötige Material für das Boas‘sche Stuhlsieb liefern. Hier werden zur Freude des Untersuchers bei sinnreich erdachter, mit elektrischem Ventilator und Irisblende versehener Lüftungsanlage tropische Helminthen oder ihre Eier aus verborgener Wirksamkeit rudelweise und häufig in 3 Gattungen zugleich an das Tageslicht befördert. Ein Tierstall, der nur von außen, nicht vom Innern des Hauses aus betreten werden kann, ist vorgesehen, entbehrt aber noch aus weltwirtschaftlichen Gründen der tropischen Giftschlangen, Skorpionen und Moskiten. Meerschweinchen fühlen sich im Digestorium schon sehr wohl. 

Zwei Pendeltüren trennen das aus Kunststein erstellte Treppenhaus und die Kleiderablage von der Poliklinik einerseits und den 38 Krankenzimmern andererseits, von denen 32 nach Süden und nur 6 nach Osten und Westen gelegen sind. Die Zimmer sind auf 3 Stockwerke verteilt, schwimmen gleichsam in einem Meer von Licht und Luft und bieten den herrlichsten Ausblick zur Anregung des Gemüts. Auf Grund einer 5jährigen Erfahrung haben wir von der Erstellung von Krankensälen Abstand genommen und Zimmer von ein bis drei Betten gewählt, so dass 50 Erwachsene und 6 Kinder bequem aufgenommen werden können.

Treten wir durch die Windfangtür des I. Stocks auf den Korridor, so fällt unser Auge auf das in der Mitte der Südfront gelegene Lese- und Schreibzimmer, das von Heilbronnern gestiftet, den Namen dieser Stadt trägt. Mit bequemen Eichenmöbeln, Ledersesseln und Sofas ausgestattet und mit Herren- und Damenschreibtisch, geräumigem Bücherschrank, Zeitungsregal, Globus, Barometer und Blumenständer versehen, bildet es in dem warm gehaltenen Ton einen behaglichen und gern gesuchten Aufenthaltsort für besinnliche Leute. Die Bücherei besteht aus eigens für Kranke ausgesuchten Werken und Schriften; ihre Verwaltung besorgt die Badeschwester. Von diesem Gesellschaftsraum treten wir auf eine Plattform hinaus, die halb als überdachte Veranda, halb als offene Terrasse gebaut ist und schon etwas von der Pracht ahnen lässt, die das Auge oben noch schauen wird. Rechts und links folgen die Krankenzimmer, die alle von Vereinen oder sonstigen Gönnern des Hauses mit ihrer gediegenen Einrichtung gestiftet worden sind und von den Stiftern charakteristische Namen erhalten haben. Die Kranken sollen nicht als Nummern behandelt werden, wenngleich die Zimmernummern aus wirtschaftlichen Gründen nicht entbehrt werden können.

Fast alle Krankenzimmer sind mit eingebautem Waschtisch und eingebauten Kleider- und Wäscheschränken versehen, sowie durch Doppeltüren vom Gang getrennt, um unliebsame Störungen zu vermeiden. Grösse und Form der Zimmer weist eine glückliche Lösung auf; insbesondere ist das schmale tiefe ,Berliner Zimmer‘ vermieden worden. Die Bodenfläche beträgt je nach der Bettenzahl 18,3 bis 25,6 qm, der Luftraum 54,9 bezw. 76,9 cbm. Alle Zimmer haben Doppelfenster mit Kippflügeln, die in jeder beliebigen Lage festgestellt werden können, Rollläden und seitlich zurückziehbare Vorhänge, elektrisches Licht, Linoleumbelag auf Korkolitt und Diara-Estrich, sowie laufendes kaltes, zum Teil auch warmes Wasser. Ausgestattet sind sie ferner mit eichenen Bettstellen, Schreibtisch, gut gepolstertem Ruhebett, rundem Klapptisch und bequemen Sitzgelegenheiten. Sämtliche Möbel sind nach Zeichnungen unseres Verwalters so gebaut, dass keine Staubleisten vorhanden sind. Die über wandständigen Waschtischen angebrachten Glasplatten pflegen sehr hinderlich zu sein und haben schon manche Kopfgeschwulst verursacht. Aus diesem Grunde sind bei den eingebauten Waschtischen in die Seitenwände offene Schränkchen für die Geräte des Reisetäschchens und der weiblichen Haaraufbauten eingelassen.  

22 Zimmer haben eine eigene, vorgebaute Veranda, zu der eine Doppelglastüre hinausführt. Auf den Schmuck der Zimmerwände ist besonderer Wert gelegt worden, um das Gefühl behaglicher Häuslichkeit und heimatlichen Geborgenseins hervorzurufen und durch die Einwirkung auf das Gemütsleben die im tropischen Klima häufig unregelmässig gewordenen oder gehemmten Körperfunktionen günstig zu beeinflussen. Die Wände des Treppenhauses schmücken bildliche Darstellungen aus unseren Kolonien. Die gleichmäßige Wärme auf Gängen, Zimmern und Aborten wird im Winter von unseren aus dem Ausland zurückgekehrten Anämikern besonders angenehm empfunden. Eine sorgfältig abgewogene Hausordnung ist in jedem Krankenzimmer angeheftet und enthält in 12 kurzen Leitsätzen das für die Kurgäste Wissenswerte. Hier interessiert uns nur, dass diese täglich vom Arzt auf ihrem Zimmer besucht werden.

Auf dem I. Stock liegt im Ostflügel die Dienstwohnung des in China in langjährigem Krankenpflegedienst bewährten Hausverwalter-Ehepaars und im Westflügel eine Absonderungsabteilung mit 3 Zimmern, Bad, Teeküche Schwesternzimmer und eigenem Ausgang ins Freie. In dieser Abteilung sind eiserne Bettstellen und Salubratapeten gewählt, während sonst Ölanstrich die Gänge, sowie die Farbigenabteilung und gewöhnliche Tapeten die übrigen Krankenzimmerwände decken.

Auf jedem der drei Stockwerke befindet sich ein Schwesternzimmer, eine Teeküche, mehrere Bäder (im ganzen 12), zwei bis drei Aborte (im ganzen 13) mit freistehendem Fayencebecken, Klappsitz und einer in Zugstange gehenden Wasserreservoirspülung, sowie ein Hydrant für Feuerlöschzwecke und die nötigen Putz- und Geräteräume. An geeigneter Stelle sind Personenwaage, Größenmesser, fahrbare Badewanne und Krankentragstuhl aufgestellt.

Ulmer Bürger stifteten die Einrichtung der grossen Liegehallen an der Ost- und Westecke des II. Stockwerkes, die sinngemäss den Namen “Morgenland” und “Abendfrieden” erhalten haben; sie sind heizbar und mit 5 grossen Schiebefenstern abgeschlossen. Auf diesem Stockwerk finden wir auch zwei abgeschlossene Familienwohnungen mit eigenem Bad, Veranda und den sonstigen Nebenräumen, welche wohlhabenden Kranken zur Verfügung stehen. Zwei kleinere Liegehallen oder Aufenthaltsräume, in denen ebenso wie im Gartensaal geraucht werden darf, “Klause” und “Einsiedel” genannt, sind vom Tübinger Stadtmagistrat gestiftet und mit Worpsweder Bauernmöbeln ausgestattet. 

Über der Poliklinik befindet sich der für 70 Sitzplätze ausreichende Speisesaal nebst Anrichte und elektrischem Speiseaufzug. Er ist mit braungebeizter Eichenvertäfelung versehen und enthält ein stimmungsvolles Glasfenstergemälde, eine Stiftung des leitenden Architekten Bihl und Schöpfung des Stuttgarter Kunstmalers Yelin.  

Neben dem Speisesaal führt ein offener Gang auf die grosse Nordterrasse, die im Sommer einen schattigen Aufenthaltsort für den Nachmittagskaffee bietet. Von hier aus gelangen die Kurgäste des II. Stockwerks auf einer schmalen Brücke ebenen Fußes zum Krocketplatz in den oberen Gartenanlagen, die im Sommer den angenehmsten Erholungsaufenthalt bieten. 3 Gartenhäuschen zum Übernachten im Freien sind vorhanden, Wandelgang und Liegehalle im Freien in Vorbereitung. Durch ausgiebige Anpflanzung verschiedenartiger Fragarien an den Gartenwegen ist für Erdbeerkuren bei tropischen Aphthen ausgiebig gesorgt. 

Zu Terrainkuren für Malaria-Rekonvaleszenten-Herzen bietet das leicht ansteigende Hügelgelände ungesucht günstige Gelegenheit. Zu meteorologischen Beobachtungen und Wetterprognosen steht den Patienten ein Lambrechtscher Wettertelegraph zur Verfügung. Das Wandern wird in fraktionierter Dosierung verordnet nach einer mit vielfarbigen Touren gekennzeichneten Karte. Auch dem Wintersport können die auf der Genesung befindlichen Kurgäste in angemessenem Grade huldigen, da ein Teich auf der nahen Eberhardshöhe zum Schlittschuhlauf einlädt und die Randwege des Schönbuchs zum Rodeln, das abschüssige Wiesengelände zum Skifahren geeignet ist. 

Für medikomechanische Übungen stehen zwei aktiv bewegliche und fünf elektrisch betriebene Apparate zur Verfügung, nämlich ein Velo mit Schrittzähler, ein Ruder- und Zugapparat, je ein Apparat zur Rückenknetung, Bauchmassage und Atmungsübung und zwei Reitapparate, von denen der eine die Bewegungen des Kamels, der andere die des Pferdes im Trab und Galopp ausführt. Letzteres ist eine kurz vor dem Krieg gemachte, sinnreiche Erfindung der Firma Rossel, Schwarz & Co. in Wiesbaden. Außer seinem Heilwert gegen tropische Verdauungsbeschwerden verschiedener Art hat der Zimmergalopp seine besondere Bedeutung für Neurastheniker und Melancholiker, die bald eine heitere Miene zeigen und fröhlich werden können. Zur Nachahmung des Kamelritts reizt ein ägyptisches Wandgemälde mit Kamelreitergruppe, Sphinx und Pyramiden.

Nach dem Preussischen Ministerialerlass vom 8. Juli 1911, der für den sogenannten Einbettenplatz für Krankenanstalten 100 qm Land vorschreibt, würden für unseren Fall 5600 qm genügen. In Wirklichkeit stehen aber 38 400 qm Gartenland, also fast das Siebenfache der vorgeschriebenen zur Verfügung. Die Erwerbung des nötigen Bauplatzes haben wir der Entschlussfreudigkeit eines Reutlinger Freundes zu verdanken, der nach Besichtigung des Geländes die richtige Wahl sofort erkannte und versprach, die nötigen 28 000 M zu sammeln und bis zum 1. Januar 1914 zur Verfügung zu stellen. An diesen Bauplatz schloss sich eine höher gelegene Gartenland-Erwerbung an, die uns durch Berner Freunde ermöglicht wurde, das “Berner Oberland”. Tübinger und andere Gönner brachten dann das Anwesen auf die jetzige Grösse mit einer Kaufsumme von insgesamt 71 000 M. 

Steigen wir in das III. Stockwerk hinauf, das sich schon im Dachraum befindet, so fällt uns auf, dass von dem schrägen Dach nichts bemerkbar ist, da seine schrägen Flächen auf dem Korridor zu Schränken für Krankenpflegeartikel verwendet wurden, während sie in den Krankenzimmern durch vorgebaute Wäsche- und Kleiderschränke für Patienten verborgen werden, so dass auch hier die Zimmerform wiederum einen rechteckigen Raum vortäuscht, eine angenehm berührende Vorspiegelung falscher Tatsachen. Die beidenKrankenzimmer im Südosten und Südwesten dieses Stockwerkes sind es, die das besondere Entzücken der Bewohner hervorrufen. Sie besitzen eine vorzimmerartige Veranda mit halbkreisförmigen Spiegelglasfenstern, deren Wölbung das liebliche Bild der Stadt Tübingen und seines waldreichen Hintergrundes wie ein lachendes Gemälde umrahmt. 

Die Entwässerung erfolgt in zwei Rohrsystemen, von denen das eine zur Aufnahme des Regenwassers dient, das andere die Ableitung der Abgänge aus den Aborten und Isolierabteilungen bis zur Kläranlage vermittelt. Beide Rohrsysteme münden in das städtische Dohlennetz.

Für die Koch-, Wasch- und Teeküchen, das Laboratorium und den Keller, in dem der alkoholfreie Most sterilisiert wird, ist eine Gasleitung eingebaut. Eine Klingelanlage mit 95 Druckknöpfen vermittelt den dienstlichen Verkehr und die Wünsche der Kranken an das Pflegepersonal. Die elektrische Anlage verbindet 368 Lampen und Steckkontakte mit einander und hat 13 Anschlussstellen für Kraftbetrieb.

Der III. Stock birgt ferner im Mittelbau die zweizimmerige Assistentenwohnung, ein Röntgenkabinett und eine Dunkelkammer, im Ostflügel endlich die Wohnung für das Dienstpersonal. Zu dieser Abteilung führt eine Nebentreppe aus Kunststein hinauf, die auch von den Kurgästen benutzt wird, wenn sie die Haupttreppe für ihren Weg zu den Medizinalbädern meiden wollen. Im Ost- und Westflügel finden sich 2 abgetrennte Räume, die nach außen hin als dreiteilige Flügelfenster einen vornehmen Eindruck machen, während sie innen dem weniger idealen Zweck des Kleiderausklopfens dienen. In vielen Sanatorien wird dies Geschäft auf dem Gang absolviert, was der sanitas nicht gerade aufhilft. 

Aber noch höher hinauf geht‘s, an dem geräumigen Speicher vorbei, zu dem Licht-, Luft- und Sonnenbad, mit Matratzen, Turngeräten, kalter und warmer Brause und Ankleideraum; endlich eine letzte Steigung dorthin, wo in der Mitte des Daches die höchste Plattform mit der gleichzeitig als Blitzableiter verwandten Flaggenstange eingebaut und eine Orientierungstafel für die umliegenden Berggipfel mit den eingetragenen Entfernungen angebracht ist. 

Hier schweift der trunkene Blick über das schöne Württemberger Land und die Schwäbische Alb von dem Gipfel der Teck [!] zur Felsenfeste Hohen-Neuffen, von der spitzen Achalm und dem Dreifürstenstein zur Stammburg der Hohenzollern (855 m), vom Kaiser Wilhelmsturm zum Bismarckturm, vom Wackerstein und der Weilerburg bis zur Wurmlinger Kapelle. Im Vordergrund das vielbelagerte Pfalzgrafenschloss, aus dem so oft das Tübinger Fähnlein mit dem Ehrenrecht des Ersten der Ersten in den Kampf hinausgezogen ist; denn Württemberg trug die Reichssturmfahne. In der Mitte der Stadt die altehrwürdige Stiftskirche mit der Fürstengruft des Grafen Eberhard im Bart und des durch Hauffs Lichtenstein so populär gewordenen Herzogs Ulrich. Dann das berühmte Tübinger Stift und das Collegium illustre. 

Kosten und Bestimmung des Tropengenesungsheims

Bevor wir von dem Hause scheiden, wollen wir noch die finanzielle Seite und die Bestimmung des Heims beleuchten.

Die Kosten für den schlüsselfertigen Bau betragen rund 350 000 M und für die innere Einrichtung rund 70 000 M, so dass das Bett einschliesslich Einrichtung 7500 M erfordert. Im Friedensjahr 1912 berechnete BOETHKE den mittleren Satz für ein gut gebautes, den modernen Anforderungen in vollem Masse genügendes Krankenhaus mit 5500-6500 M pro Krankenbett. Aber die früheren Friedenspreise sind unwiederbringlich dahin. In unserem Falle musste auf Lehr- und Forschungszwecke Rücksicht, von grösseren, den Bau wesentlich verbilligenden Krankensälen dagegen Abstand genommen werden. In der genannten Bausumme, die ohne den Krieg erheblich niedriger gewesen wäre, ist die eigene Wasserversorgungsanlage mit Brunnenstube einbegriffen. Ferner sind die Wirtschafts- und Gesellschaftsräume so gross und zahlreich angelegt, dass bei etwaigen Erweiterungen in der Hauptsache nur Krankenräume mit einigen Nebengelassen benötigt werden. Im ganzen enthält das Haus jetzt 113 Zimmer. Wenn man diese Gesichtspunkte berücksichtigt, so wird man die aufgewandten Kosten als durchaus angemessen bezeichnen müssen. Das Baukapital wurde im wesentlichen durch freiwillige Spenden aus ganz Deutschland aufgebracht, vermehrt durch 50 000 M aus der Kaiser-Wilhelm-National-Spende, 25 000 M von der Basler Missionshandlungsgesellschaft, wiederholte namhafte Gaben der Deutschen Kolonialgesellschaft und der deutschen Grossindustrie, z. B. Krupp-Essen. Seiner Majestät König Wilhelm II. von Württemberg verdanken wir die huldvolle Spende von 1000 M, sowie die Verwilligung von 15 000 M Staatsbeitrag. Auch das Reichskolonialamt hat sein lebhaftes Interesse an dem Institut durch den kürzlich erfolgten Besuch des Staatssekretärs Dr. Solf zu besonderem Ausdruck gebracht. Von Rektor und Kanzler der Universität, sowie den medizinischen Professoren unserer Ortskommission empfangen, besichtigte er das neue Heim eingehend und sprach sich nicht nur sehr befriedigt über das Gesehene aus, sondern stellte auch eine staatliche Beihilfe zur Deckung der jährlichen Betriebsunkosten in Aussicht. Das Tropengenesungsheim ist dem Deutschen Institut für ärztliche Mission organisch angegliedert und darauf angewiesen, durch seine Einnahmen sich selbst zu erhalten. Gewinn ist nicht beabsichtigt. Der Tagespreis beträgt für das Zimmer, Verpflegung und ärztliche Behandlung und Trinkgeldablösung 10-15 M; Bäder und Arzneien werden extra berechnet. Angehörige der Deutschen Evangelischen Missionsgesellschaften genießen einen besonders bevorzugten Verpflegungssatz. Aus missionsärztlichen Kreisen sind für sie kleine Freistellenfonds errichtet worden. 14 Missionen sind bisher durch Kranke vertreten. Für sonstige mittellose Auslandsdeutsche hat der Verein für das Deutschtum im Ausland 5000 M zur Verfügung gestellt, die nach Prüfung der Verhältnisse durch eine Kommission zu halben oder ganzen Freistellen verwandt werden. Aus patriotischen Gründen möchte das Tropengenesungsheim während der jetzigen Kriegszeit ferner malariakranken oder mit anderen ausländischen Krankheiten behafteten 0ffizieren des Landheeres, der Marine und der Schutztruppe in besonderer Weise entgegenkommen. Es hat daher dem Sanitätsamt des XIII. (K. W.) Armeekorps ungefähr 20 Betten, je nach dem vorhandenen Platz, zur Verfügung gestellt und dafür den Verpflegungssatz einschließlich ärztlicher Behandlung auf die Hälfte ermäßigt. Als erste deutsche Offiziere sind Malariker von Plewna und vom Sinai in das Tropen-Genesungsheim aufgenommen worden; die ersten Privatpatienten waren ein Fabrikleiter und ein Kaufmann aus Brasilien, die ersten farbigen Landsleute zwei Häuptlingssöhne von Ponape.

Das Betriebs- und Pflegepersonal des Hauses besteht aus 20 Köpfen, deren Gemütsbarometer auf Freundlichkeit und Festigkeit eingestellt ist. Die Krankenschwestern haben ihre Erfahrungen in der Tropenkrankenpflege in Afrika, Indien und China erworben, was von unserem Ueberseedeutschen vollauf gewürdigt wird. Die seelsorgerliche Bedienung der Patienten liegt in den bewährten Händen des Professors der praktischen Theologie D. Dr. von Wurster. Wenn man den leitenden Arzt einrechnet, so sind 5 Angestellte des Hauses in Tropenhospitälern tätig gewesen.

Da ein Teil der ärztlichen Arbeitskraft durch Verwaltungsangelegenheiten in Anspruch genommen wird, und die Assistenzarztstelle während des Krieges nicht besetzt ist, so kann die wissenschaftliche Bearbeitung des Krankenmaterials noch nicht voll ausgenutzt werden. Aus der früheren provisorischen Krankenstation für Tropenpatienten sind zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten hervorgegangen; so ist die Prognose für kommende Zeiten auch in dieser Beziehung nicht als ungünstig zu bezeichnen. Material für Doktorarbeiten ist reichlich vorhanden. Hörsaal mit Projektionsapparat und Kinematograph, wissenschaftliche Fachbibliothek und tropenhygienisches Museum bleiben, ebenso wie das Schwesternheim an ihrem alten Platz.

Das Tropengenesungsheim wurde am 15. November 1916 in aller Stille eröffnet, auf den Tag genau 10 Jahre nach jener Sitzung in Frankfurt a. M., in der die Gründung des deutschen Instituts für ärztliche Mission beschlossen wurde. Von der Einladung zu einer öffentlichen Feier musste leider des Ernstes der Zeit wegen abgesehen werden. Dieser Umstand möge daher die ins einzelne gehende Beschreibung rechtfertigen.

“Wird sich nun auch eine genügende Zahl von Tropenkranken einstellen?” Für den Anfang sind unsere Erwartungen, die sich auf das bisherige Provisorium stützen, nicht getäuscht worden .

Die Zahl der poliklinischen Tropenpatienten war also bei der alten Station in den 5 Jahren ihres Bestehens um 350 %, die der Hauspatienten um 723% gestiegen. Diese Verhältnisse verlangten gebieterisch Abhilfe und rechtfertigten grundsätzlich die Erstellung eines Neubaues.

Bis zum 1. Mai 1917 wurden im neuen Tropengenesungsheim 128 Patienten aufgenommen, die von folgenden deutschen Kolonien: Togo, Kamerun, Süd- und Deutsch-Ostafrika, Neuguinea und den Karolinen, sowie von Britisch-Ostafrika, der Goldküste, Transvaal, Sumatra und Hongkong, Indien und China, Brasilien, Nicaragua, Surinam, Kleinasien, Persien, Palästina und dem Balkan kamen. 30 weitere Anmeldungen liegen vor. Von den Patienten ist bis jetzt keiner gestorben, obgleich schwere Komplikationen vorlagen.

Überblicken wir noch einmal das Gesagte, so finden wir in Tübingen ein Klima, das dem Bedürfnis der Tropenkranken entgegenkommt. Es pflegt ein gesunder Menschenschlag zu sein, der tropentauglich befunden und nach Uebersee geschickt wird. Die Prognose pflegt daher allgemeinhin bei den Zurückkehrenden günstiger zu sein, als bei minderwertigeren Naturen, die tropenuntauglich waren. Denn es ist eine alte Erfahrung, dass die Heilungsaussichten desto besser sind, je mehr die Krankheitszustände aus Überarbeitung, Gemütsbewegung, Unfällen oder erworbenen Krankheiten hervorgegangen sind, und desto geringer, je mehr sie angeboren sind und abnormen Konstitutionen angehören. Die Erfahrung lehrt ferner, dass auf seelisch heruntergewirtschaftete, für alle Reize überempfängliche und zugleich anämische Menschen, wie sie sich häufig unter den Tropenkranken finden, ein reizmildes Klima zuträglicher wirkt, wie das reizstarke des Hochgebirges oder der Seebäder, und die Wissenschaft bietet keinen Anhalt, an der Richtigkeit dieser Tatsache zu zweifeln.

Ähnlich wie mit dem Klima verhält es sich mit der geopsychischen Einwirkung des Tübinger Landschaftscharakters auf den gesunden und kranken Menschen. 

Mit seiner welligen Hügellandschaft, seinem Kontrast von Gebirg und Ebene, dem weiten Fernblick, der Abwechslung von Waldgrün, Anger, Hain und Wiese, der lautlosen Abgeschiedenheit, der mit zarten Wohlgerüchen gefüllten, reinen Luft, der [!] vielfältigen Möglichkeiten der Reizvariation, wie Gehen im Tal oder über Hügel, Aufenthalt im Wald oder im Freien usw. stellt er gleichsam eine von der Natur dargebotene Ausschaltung alles Störenden und eine Zusammenfassung alles Angenehmen, das man wahrnehmen kann, dar. Solch heitere Landschaft spricht am unmittelbarsten zu dem Leidenden, dem das Leben als solches noch einen Wert bedeutet.

In betriebs- und bautechnnisch-hygienischer Beziehung ist eine glückliche Lösung der Raumverteilung gefunden. Die Krankenzimmer liegen alle an der Sonne und sind abgesondert von der Unruhe des äußeren Betriebs. Der Allgemeinheit dienende Räume, wie Lese-, Schreib- und Gesellschaftszimmer, Speisesaal und Poliklinik haben eine zentrale Lage erhalten. Die letzteren beiden sind durch das Treppenhaus wieder abgetrennt von den Krankenzimmern, während die Liegehallen mit den äußeren Enden des Gebäudes untergebracht sind. So ist auch dem Ruhebedürfnis des Einzelnen gebührend Raum gegeben. Für viele Tropenkranke hat aber auch der Kurgebrauch die Psyche in erster Linie im Anspruch zu nehmen, sie zu beschäftigen und aus schädlichen, peinlichen Gedankenkreisen herauszuführen. ...

Der Diagnostik dienen die Einrichtungen von Sprechzimmer, Laboratorien, Stinkzimmer, Röntgenkabinett, sowie die auf Kurvenblättern fixierten täglichen oder wöchentlichen Messungen, Bestimmungen und Wägungen, die eine so grosse Ruhe in das therapeutische Handeln bringen.

Der Therapie bieten sich so viele Möglichkeiten auf engem Raum begrenzt dar, dass es eine Lust für den Tropenarzt ist, nur in das volle Rüstzeug ärztlicher Technik hineingreifen und die Kuren mit überlegter Variation der Kombinationsmöglichkeiten zweckdienlich leiten zu dürfen.