Krieg, Kriegslasten und Kriegsgerät
... im Herzogtum Holstein
und in der Landschaft Stapelholm
Spektakulärer Fund in der „Landschaft Stapelholm“: Bei Süderstapel wurde jüngst eine 12-Pfünder-Kanonenkugel wiederentdeckt die aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Bestand der Armee des schwedischen Generalissimus‘ Lennart Torstensson stammt!
Eiserne 12-Pfünder Kanonenkugel (5,7 kg, Ø: 11,45 cm), Fundort: Süderstapel/S. Peters (2024); (Foto © / Sammlung: N. Hinrichsen)
Doch der Reihe nach: Nach dem blitzartigen Überfall Holsteins im Winter 1643/44 waren in nur ganz kurzer Zeit die Herzogtümer und Jütland von schwedischer Soldateska überrannt: Nach dem Einfall von 16.000 Berittenen bei Trittau am 12. Dezember 1643 beherrschte der schwedische Feldherr Lennart Torstensson am 17. Dezember bereits die Linie Itzehoe-Kiel (mit Ausnahme der Festungsstädte Krempe und Glückstadt) und ließ am Tag darauf auch die Festung Christianpries an der Kieler Förde stürmen; am Weihnachtsabend kapitulierte die Grenzfestung Rendsburg und schwedische Truppen konnten auch in das Herzogtum Schleswig bis weit nach Jütland einfallen, während der Reitergeneral sein Hauptquartier in Hardersleben aufgeschlagen hatte. Auf einen Widerstand stießen die Schweden erst bei Kolding ab 9. Januar 1644, sodass ein Übersetzen nach Fünen sich zunächst als schwierig und nach der dänischen Rückeroberung Koldings am 1. Mai 1644 und ohne weitere Flottenunterstützung als unmöglich herausstellt.
Holstein und Schleswig unter schwedischer und kaiserlicher Besatzung 1643 bis 1644; (Karte: © N. Hinrichsen)
Mittlerweile nahte Entlastung: Im Frühjahr 1644 war ebenfalls von Süden kommend der kaiserliche Generalleutnant Matthias Gallas mit rund 12.000 Mann in Holstein eingerückt, verstärkte bei Oldesloe seine Truppen am 19. Juli um weitere 4500 dänisch gesinnte Holsteiner aus der Festung Glückstadt und konnte so am 3. August Kiel zurückerobern. Diese kaiserliche Armee sowie die Übermacht der dänischen Flotte vor der Kieler Förde („Seeschlacht auf der Kolberger Heide“) zwangen Torstensson dazu, alle Pläne zum Einmarsch auf Fünen und Seeland aufzugeben. Der Generalissimus zog das Gros seiner Truppen zwischen Schleswig und Rendsburg wieder zusammen und marschierte am 5. August bei Rendsburg über die Eider und über Nortorf, Neumünster und Segeberg (wo er am 12. August das Segeberger Schloss in die Luft sprengte) weiter über Oldesloe nach Boizenburg ab. Nur über die Trave hinüber lieferten sich die Schweden und die Kaiserlichen noch einmal eine kurze Kanonade, eine offene Schlacht jedoch wurde von Gallas tunlichst vermieden. Zurück blieben auf Jütland und in Schleswig (in Vorgård, Ålborg, Ripen, Hadersleben und in einem Feldlager bei Århus) sowie in Holstein (vorrangig in der Festung Christianpries, auf der Breitenburg, in Pinneberg und in Trittau) nur einzelne schwedische Verbände zurück. – Mit Torstenssons abermaligen Entsendung von 5600 Mann unter Oberst Helmut Wrangel am 3. September 1644 trat der Krieg dann in seine zweite Phase, die sich in den Herzogtümern und auf Jütland mit heftigen Belagerungen und Entsatz-Gefechten wiederum vor etlichen Städten und Festungen und mit den befürchteten Überfällen von Schnapphähnen aus dem Hinterhalt noch bis zum Friedensschluss am 13. Oktober 1645 hinzogen.
Schwedisches 24-Pfund Kanonenrohr, Fundort: Holmer Schanze bei Wohlde (1990 bei Bauarbeiten); L: 202 cm, Ø: 32 cm. (Landesmuseen SH / Schloss Gottorf, Foto: © N. Hinrichsen.)
Unter den durchziehenden Kriegsvölkern und Einquartierungen hatte die Bevölkerung – wie gleichwohl unter einzelnen marodierenden Söldnerhaufen – stets am meisten zu leiden und insbesondere die Bauern mussten die Last von Plünderungen und schwer zu tragenden Requirierungen sowie eine weitgehende Machtlosigkeit gegenüber der Besatzungsobrigkeit erfahren, denn nach Schillers Wallenstein „ernährte der Krieg den Krieg“, d. h., die riesigen Heere mussten sich jeweils aus dem Land versorgen, in dem sie gerade operierten. Dabei galt das aufstrebende Schweden in militärischer Hinsicht als „gut gerüstet“: Unter König Gustav II. Adolf wurde in der Bevölkerung Schweden-Finnlands ein Militärsystem eingeführt, das jeden männlichen Einwohner ab 15 Jahren für grundsätzlich wehrpflichtig erklärte: Die konkrete Wehrpflicht erfasste dabei jeden zehnten Mann eines Wehrbezirks. Auch die Ausrüstung in der Infanterie und der Kavallerie wurde modernisiert: Spätestens ab 1632 nutzten die Söldner nun zunehmend die leichteren Musketen, die ohne Auflagegabel verwendet werden konnten, während Kavallerie und insbesondere Dragoner zunehmend mit Reiterpistolen und Musketen ausgerüstet wurden. Auch die schwedische Artillerie erfuhr in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts einen Aufschwung: Wenngleich die berüchtigte aber untaugliche „Lederkanone“ seit 1629 keinen Einsatz mehr fand und vollständig von der „Regimentskanone“ ersetzt wurde, produzierte Schweden in der seit 1580 betriebenen Kanonengießerei Finspång zunehmend eigene „Stücke“ sowie Eisenkugeln; dabei wurde die bereits reduzierte Anzahl der Kaliber unter Gustav II. Adolf auf nur noch drei beschränkt: 24-, 12- und 3-Pfünder genügten vollauf den militärischen Anforderungen der schwedischen Armee.
Schwedische Kanonengießerei Finspång, Anfang 17. Jahrhundert; (Fotos: © N. Hinrichsen)
Den Wert der Artillerie erkannte insbesondere der schwedische Feldherr Lennart Torstensson, der diese Waffengattung bei seinen Märschen durch das Heilige Römische Reich revolutionierte und in einem bisher unbekannten Ausmaß äußerst erfolgreich als Feldartillerie einsetzte. Bereits in den Schlachten von Breitenfeld (1631) und bei Rain am Lech (1632) hatte er seit 1629 im Rang eines Oberstleutnants (seit 1630 Oberst) erfolgreich die komplette schwedische Artillerie kommandiert und war dafür 1632 gar zum General aufgestiegen. Nach einer einjährigen Gefangenschaft im Reich konnte Torstensson seine militärische und politische Karriere fortsetzen, marschierte durch Brandenburg und fiel 1642 überraschend – nunmehr als Feldmarschall und Generalissimus – in Schlesien und Mähren ein, bezwang danach in der zweiten Schlacht bei Breitenfeld die kaiserlich-sächsische Armee und marschierte mit seinen Truppen erneut nach Mähren. Hier erreichte ihn dann am 23. September der Angriffsbefehl über Holstein nach Dänemark, dem er ab dem 11. November 1643 nachkam, indem er sich mit den besagten 16.000 Reitern von der kaiserlichen Armee des Generalleutnants Gallas nach Norden hin absetzte. Mit dem Großteil seiner Armee erreichte er nach dem Überfall in Holstein und Schleswig 1644 und nach weiteren erfolgreichen Schlachten gegen kaiserliche Heere 1645 über Böhmen das offenliegende Niederösterreich, musste aber vor Wien letztlich doch noch kapitulieren und kehrte im Dezember 1645 schwerkrank nach Schweden zurück wo er zum Grafen erhoben und zum Generalgouverneur ernannt wurde und 1651 verstarb.
Schwedische Kavallerie- und Dragoner-Regimenter unter General Lennart Torstensson; (Foto: © N. Hinrichsen)
Die Folgen des schwedischen Feldzugs Torstenssons durch Holstein mit den schnellen Reitertruppen und der effektiven Artillerie waren unerbittlich und die Spuren nachhaltig: In allen Landschaften hatte insbesondere die Landbevölkerung zu leiden. So beklagte z. B. auch der Landvogt von Stapelholm, Jodocus Varenholtz, bereits am 16. April 1644, dass in Heide 4000 Mann königlich-dänische Fußtruppen und 2000 Reiter auf dem Weg in das herzoglich-gottorfische Stapelholm wären. Am 4. August 1644 waren dann etliche tausend Schweden über Meggersee und die Stapelholmer Au auch durch die Landschaft Stapelholm gezogen und hatten die Bevölkerung der umliegenden Dörfer massiv drangsaliert und ruinös beraubt. Am 17. August bestürmten wiederum königlich-dänische Truppen die Holmer Schanze, die einst der Gottorfer Herzog Friedrich III. 1626 zum Schutz seiner Festung Tönning nördlich Wohlde erbauen lassen hatte und in der sich nun zurückgelassene schwedische Besatzer verschanzt hatten. Mit welch massivem Gerät diese Eroberung bzw. die Abwehr stattgefunden hatte, wurde noch 1990 deutlich, als bei Erdarbeiten im Bereich der Schanze eine gusseiserne 24-Pfund-Kanone schwedischer Herkunft aus dem 17. Jahrhundert ausgegraben worden ist. Da liegt es nur nahe, dass aus dieser kriegerischen Zeit auch weiteres Material vor Ort verblieben ist und z. B. Kanonenkugeln, wie die jüngst aufgetauchte 12-Pfündige, die nachfolgende Jahrhunderte in nützlicher Zweckentfremdung (z. B. als Blumentopfbeschwerung!) in der Landschaft Stapelholm überdauert haben. Die einsetzende übergroße Not nötigte die Stapelholmer noch am 30. September d. J. zu einer Beschwerde über die untragbare Last zum unterhalt der Holmer Schanze, denn die Heerscharen der schwedischen Söldner hätten – so ihre Klage – sämtliches noch soeben eingebrachtes Getreide vernichtet und das auf den Feldern Zurückgelassene mit Pferden zertrampelt. Neben den Vorräten hätten die Schweden auch alle Tiere samt Pferde abgeführt und neben dem Umleitungsdeich auch den Eiderdeich zum Schaden der Häuser und Mühlen durchstochen, so dass die Einwohner nun völlig verarmt und mittellos wären. Die bitteren Zustände, unter denen die Stapelholmer Bevölkerung unter der königlich-dänischen Besatzung der Holmer Schanze und Friedrichstadts zu leiden hatten, erstreckte sich noch weit in das Jahr 1645 hinein und gab Anlass zu etlichen Bittschriften um Lebensmittelgaben beim Landesherrn, dem Gottorfer Herzog Friedrich III.
"Special-Karte über die Landschaft Stapelholm im Herzogtum Schleswig im Jahre 1776 verfertigt von Joh. Andr. Bolten"; (Faksimile 1950; im Kreis: die Holmer Schanze zwischen Thiesburg und Wohlde)
Mit dem erneuten Einmarsch schwedischer Verbände unter Oberst Karl Gustav Wrangel nach Holstein Anfang September 1645 und Belagerungen u. a. Rendsburgs, Itzehoes und Husums mit einem weiteren Vormarsch auf Stapelholm zu verschärfte sich die Gewaltspirale abermals, sodass die Not der Bevölkerung schier kein Ende nehmen wollte. Erst mit dem Friedensschluss von Brömsebro im Oktober 1645 endeten die Kriegslasten – bis im Jahre 1657 der nächste Krieg zwischen Dänemark und Schweden ausbrach und auch auf holsteinischem Boden ausgefochten wurde ...
3-Pfünder-"Regimentskanone" mit verkürztem Bronze-Rohr (138 kg), in der schwedischen Infanterie ab 1629 eingesetzt; (Foto: © N. Hinrichsen)