Als „Unruhestifter“ in Archäologen-Kreisen wies ich im folgenden Beitrag in Megalithos 1/2002, S. 34 ff auf die in einer späthellenistischen Stadtanlage (Paläo Paläros) an der NW-Küste Griechenlands erhalten gebliebenen Reste einer viel älteren, mykenischen Toranlage hin – seitherige Ausgrabungen dauern noch an :
Das Geheimnis Kechropoula – der wahren Heimat des Odysseus
auf der Spur ?
( in Auszügen ): … Nur ein aufmerksamer Reisender wird ein leicht zu übersehendes Hinweisschild auf mykenische Ruinen an der Küstenstraße nahe Paläros in NW-Griechenland entdecken. Folgt er diesem in abenteuerlicher Fahrt über Feldwege in eine abgelegene Bergregion, wird er schließlich überrascht vor einem „zweiten Mykene“ stehen : Eine mit dem weltberühmten „Löwentor“ der wohl ältesten europäischen Burg neben Tiryns fast identische, wenn auch kleinere und bescheidenere Toranlage versteckt sich hinter chaotisch verstreuten cyclopischen, polygonalen und quaderförmigen Kalksteinblöcken, die eine Auffahrt-Rampe zum Tor weitgehend verschüttet haben. Ein gewaltiger Tor-Sturzstein, in jüngster Zeit notdürftig gesichert, hat die Jahrtausende an ursprünglichem Platz überdauert. Alles einstige Mauerwerk darüber ist herabgestürzt.
Mykene, Reisenden-Zeichnung Anfang 19.Jhd.
Kechropoula heute, gesehen aus entsprechender Perspektive
Es bietet sich ein Bild, verblüffend ähnlich den Ruinen von Mykene aus der Zeit, bevor Schliemann dort den Spaten ansetzte und bevor Rekonstruktionen vorgenommen wurden (Abbildungen). In Anlehnung an die gut erforschten Burgen von Tiryns und Mykene lassen sich am Tor von Kechropoula unschwer drei Bauphasen erkennen und grob datieren :
Zu unterst „cyklopisches“ Mauerwerk ( mittelhelladisch bis frühmykenisch, um 1500 v. Chr. oder früher), darüber polygonales Mauerwerk ( hochmykenisch, um 1250 v.Chr. ) und am Tor selbst und der flankierenden Bastion Pseudo- und reines Quadermauerwerk ( spätmykenisch, ca 1200 v.Chr.): Damit dürften die ältesten Teile schon lange vor dem Trojanischen Krieg (um 1250 v.Chr.) entstanden sein, die jüngsten kurz vor dem Untergang der mykenischen Welt :
Kechropoula : Unten "cyclopisches", darüber polygonales Mauerwerk , rechts Quader der Tor-Front
Mykene, Bastion außen. Hintergrund: Polygonales und im Vordergrund: Spätzeit-Pseudo-Quader-Mauerwerk
Diese Burganlage liegt auf einer Halbinsel, die den Übergang vom akarnanischen Festland nach der Insel Lefkas bildet. Von dieser strategisch sehr günstigen Lage aus konnte der Zugang zu den mittleren Ionischen Inseln, die nach Homer das Reich des Odysseus bildeten, bestens kontrolliert werden.
Es erscheint höchst verwunderlich, dass kein Reiseführer und ebenso keines der gängigen archäologischen Werke auf Kechropoula hinweisen. Warum aber hält die Fachwelt anscheinend Hinweise auf diesen Platz zurück, der doch einzigartig ist im Bereich des Ionischen Meeres ? Zumal sich unwillkürlich der Gedanke an Homers „Odyssee“ und an deren bisher nicht lokalisierten Palast des Helden auf Ithaka aufdrängt !
Aber wo dürften wir Hinweise auf solche Zusammenhänge erwarten ? Der renommierte deutsche Archäologe Wilhelm Dörpfeld sollte den Platz gekannt haben. Aber offenbar verheimlichte er ihn. Warum? Seine letzten Jahre auf Lefkas widmete er der Suche nach Beweisen für seine im Alter ebenso eigenwillig wie vehement vorgetragene These, dort sei das homerische Ithaka zu suchen. Eine große mykenische Burganlage in der Nähe aber hätte seine "Lefkas-Altithaka-Theorie" zu Fall gebracht. … Offensichtlich hat die Verschleierungstaktik Dörpfelds beispielsweise in seinem Buch „Alt-Ithaka“ erfolgreich dazu geführt, dass Kechropoula der Fachwelt weitgehend verborgen blieb.
Abgesehen davon, dass Kechropoula die einzige bekannt gewordene mykenische Burganlage im Bereich des Ionischen Meeres ist – wie lässt sie sich gedanklich mit dem lange vergeblich gesuchten Herrschersitz eines Odysseus verknüpfen ?
Homer legte offensichtlich beim Konzipieren seiner großen Epen besonderen Wert auf zutreffende topographische Beschreibungen, um seine Glaubwürdigkeit bei den Zuhörern zu steigern : Die Troas und das „Heilige Ilion“ kannte er sicherlich von eigenem Besuch her. Dort befand sich zu seinen Lebzeiten eine kleine griechische Kolonie mit städtischer Siedlungskontinuität.
Hier hatte sich 5 Jahrhunderte zuvor (!) etwas nur mündlich Überliefertes abgespielt, das er nun dichterisch zu einem „historischen Roman“ gestalten wollte. Folglich finden wir in der „Ilias“ auch eine exakte Topographie, die schließlich Schliemann zu seinem großen Erfolg bei der Lokalisation des alten Troja verhalf.
Wie aber werden die Probleme um die Topographie der von ihm später verfassten „Odyssee“ verständlich ? Warum ließ sich trotz der Suche durch namhafte Archäologen auf Ithaka keine Spur eines Odysseus-Palastes finden ?
Bekanntlich wurden die mykenischen Burgen und Siedlungen um 1150 v.Chr., also etwa 400 Jahre vor Homers Tagen, möglicherweise von vordringenden dorischen Einwanderern verwüstet und die Bevölkerung dezimiert. Nur Reste siedelten in Rückzugsgebieten wie dem heute noch so genannten Achaea auf dem nordwestlichen Peloponnes oder auf schwer zugänglichen Inseln.
Macht man sich den langen Zeitraum bewusst, der zwischen dem Untergang jener frühgriechischen Kultur und dem Auftreten Homers um 750 v.Chr. verstrich, dann dürften meine folgenden Überlegungen nicht allzu spekulativ erscheinen:
Die Bevölkerung um jene Achaeer-Burg mit dem an die mythische Vorzeitgestalt Kekrops, des Ahnherrn des mykene-zeitlichen Herrscherhauses von Athen, erinnernden Namen („ Kekrops Stadt“, entsprechend „Peloponnes“ = „Pelops Insel“) zog sich auf die Ionischen Inseln zurück. Dort hielt sich lange in Bardengesängen die Erinnerung an einen Vorzeit-Fürsten aus deren Volksgruppe mit dem heute weltberühmten Namen, während die Erinnerung an jene abgelegene und verfallene Burg verloren ging. Dort wurden erst deutlich nach Homers Lebzeiten wieder Reparaturversuche und Erweiterungen möglicherweise durch athenische Kolonisten vorgenommen, die dann in klassischer und hellenistischer Zeit die Gesamtanlage überformten, ausgenommen die beschriebene Toranlage aus früherer Zeit.
Aber zurück in die „Dunkle Epoche“ nach dem Untergang der mykenischen Welt seit etwa 1150 v.Chr.:
Früher Lokalpatriotismus und Freude an märchenhaften Erzählungen, einstmals wie heute Kennzeichen griechischen Wesens, dürften reale Ereignisse aus mykenischer Zeit mit auf die Inseln übertragen haben:
So könnten einem Besucher namens Homer, der gerade sein zweites großes Epos konzipierte, von den damaligen Einwohnern Ithakas eifrigst vermeintliche Lebens-Stationen des alten Helden gezeigt worden sein: „Da liegt die Phorkys-Bucht, wo die Phaiaken den schlafenden Odysseus an Land brachten, hier die Nymphen-Grotte, wo er zunächst die Geschenke seines Gastgebers Alkinoos versteckte, dort der Rabenfelsen und dort die Arethusa-Quelle, wo sein treuer Schweinehirt Eumaios hauste …“, so klingt es fast wörtlich an in den Gesängen über die Ankunft des Helden auf Ithaka und unschwer lassen sich auch heute noch diese Plätze auf der Insel erkennen.
Interessanterweise wurde ihm offenbar auch an der Polis-Bucht eine Grotte gezeigt, die Stätte eines Odysseus-Heroenkults war: Hier standen, vermutlich als Weihegaben, 13 bronzene Dreifüße, deren Reste bei archäologischen Untersuchungen zu Tage kamen, nachdem offenbar schon in der Antike ein Erdbeben die Grotte hatte einstürzen lassen.
Zwar können diese Weihegaben zu Homers Lebzeiten allenfalls 100 Jahre alt gewesen sein, aber bemerkenswerter Weise erscheinen in der ein halbes Jahrtausend davor spielenden „Odyssee“ 13 Dreifüße als Gastgeschenke des Alkinoos und der Phaiaken ! Abgesehen von dem uns heute offenkundigen Anachronismus: Sicher kein bloßer Zufall, sondern ein „Hineinverweben“ einer konkreten Beobachtung in das Epos!
Demgegenüber aber erscheinen nun die Beschreibungen des „Odysseus-Palastes“ als nur sehr schemenhaft –- ein weiteres Indiz dafür, dass dem Besucher Homer nichts Entsprechendes gezeigt werden konnte und dass die einzige mykenische Burganlage in der Region zu seinen Lebzeiten längst in Vergessenheit geraten war.
Einerseits hat der Dichter offensichtlich die sich ihm darbietende Topographie Ithakas als Szenerie für Teile seines neuen Epos übernommen und hat so Ithaka zu unsterblichem literarischem Ruhm verholfen.
Andererseits wird hieraus nun verständlich, dass die Archäologie seit Schliemanns ersten Versuchen bis zu jüngsten Grabungskampagnen keinen Erfolg haben konnte bei der Suche nach einem „Odysseus-Palast“ auf Ithaka: Die realen Wurzeln der Sagen um den Volkshelden dürften in und um Kechropoula zu suchen sein …
Lage von Kechropoula / Paläo-Paläros :
Erreichbar über die Westküstenstraße
am Ionischen Meer,
z.B. von Igoumenitsa nach Süden
über
Prevezza und Vonitza bis Paläros,
dort vor Ortseingang
Abzweigung nach rechts.