7. Instabilität des Lenker bei kleinen Geschwindigkeiten

Bei sehr kleinen Geschwindigkeiten ist die Verkippung von Rahmen und Schwerpunkt beinahe gleich Null. Das muss auch so sein, denn die Zentrifugalkraft nimmt mit dem Quadrat der Geschwindigkeit ab und hat ihre stabilisierende Wirkung weitgehend verloren. An ihre Stelle tritt die Knickkraft, die allerdings keine statische Stabilität gewährleisten kann. Stabilität gegen Kippen erfordert laufend Korrekturbewegungen des Lenkers.

Genau so, wie bei höheren Geschwindigkeiten der Fahrer durch das innere Regelsystem unterstützt wird, das basierend auf einer stabilen und vom Fahrer beeinflussbaren Gleichgewichtslage des Lenkers Freihandfahren erlaubt, wünscht man sich im Knickkraft- Bereich eine Instabilität mit dem für eine Korrekturbewegung erforderlichen Vorzeichen. Tatsächlich führt die Normalkraft zu einem geschwindigkeitsunabhängigen Drehmoment, das bei einer Verkippung nach rechts den Lenker nach rechts ausdreht. Es hat die Form:

(Δ = Nachlauf, L = Radstand, A = horizontaler Abstand Schwerpunkt - Hinterradnabe, Φ = Steuerrohrwinkel, ms = totale Masse, g = Erdbeschleunigung, θr = Rahmenverkippung)

Das Drehmoment ist recht kräftig und beträgt typisch -0.27 Nm pro Grad Rahmenverkippung.

Bild 8: Gleichgewichtsausdrehung des Lenkers als Funktion der Rahmenverkippung für verschiedene Geschwindigkeiten. Ein vernünftiger quasilinearer Bereich ist erst oberhalb etwa 10 km/h vorhanden. Unterhalb vcrit existieren keine stabilen Kleinwinkel-Lösungen.

Wie in Bild 8 gezeigt, liegt bei kleinen Geschwindigkeiten sogar bei senkrechtem Rahmen die Gleichgewichtsausdrehung nicht bei 0°. Sie ist zunächst durch Nachlauf = 0 (wie beim stehenden Fahrrad) festgelegt, beginnt dann bei etwa 4 km/h zu sinken und erreicht bei vcrit den Wert Null.

Um in jedem Geschwindigkeitsbereich eine optimale Unterstützung des Fahrers zu haben, wünscht man sich, dass die maximale Instabilität der Null Grad Ausdrehung für Θr = 0 im Knickkraft Bereich auftritt. Im Übergangsbereich zur Zentrifugalkraft soll die Instabilität abnehmen und schliesslich im Zentrifugalkraft Bereich einer Stabilität Platz machen. Mit einer maximalen Instabilität unterhalb 4 km/h und Stabilität oberhalb vcrit von 6 - 7 km/h ist das recht gut erfüllt.

Der Steuerrohrwinkel von rund 70° von modernen Fahrrädern, der im wesentlichen vcrit bestimmt, führt zum gewünschten Geschwindigkeitsbereich der Instabilität. Die für das Fahrverhalten wichtigsten frei wählbaren Geometrieparamter, die Kröpfung kr und der Steuerrohrwinkel Φ, sind offenbar durch empirische Weiterentwicklung auf optimale Werte gebracht worden.