Platanendom in Welper



Gefällt am 14.10.2021



ALLEE oder nicht Allee

Email der LANUV zum Thema Baumallee


Von: "Hoheisel, Christoph" <Christoph.Hoheisel@lanuv.nrw.de>

Datum: 4. Juni 2021 um 16:05:38 MESZ


Betreff: WG: potenzielle Allee Gartenstadt Hüttenau

Sehr geehrter Herr Feuerstein,

telefonisch hatten Sie das LANUV gebeten, zu prüfen, ob der Schulhof der Gesamtschule in Hattingen-Welper in das Alleenkataster NRW aufzunehmen sei.

Dabei haben Sie auf die Dringlichkeit der Frage aufgrund vorangeschrittener Planungen zur Bebauung eines großen Teils des Schulhofs hingewiesen, da bei deren Umsetzung ein Eingriff in den Baumbestand unvermeidlich würde.

Schutz von Alleen in NRW:

Alleen genießen in NRW gesetzlichen Schutz. Gesetzlich geregelt wird dies durch § 41 Landesnaturschutzgesetz (LNatschG):

Alleen an öffentlichen oder privaten Verkehrsflächen und Wirtschaftswegen sind gesetzlich geschützt.… Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz führt ein landesweites Kataster der nach Absatz 1 gesetzlich geschützten Alleen. …. Der Schutz nach Absatz 1 besteht unabhängig von den Eintragungen im Alleenkataster“

Das Alleenkatasters verfügt somit über deklaratorische Funktion und soll u.a. bei Planungen ein Hilfsmittel sein, um frühzeitig mögliche Betroffenheit geschützter Alleen durch ein Vorhaben zu erkennen und zu vermeiden. Um festzulegen, was genau eine Allee ist, die geschützt und im Alleenkataster aufgeführt werden sollte, wurde seitens des Umweltministeriums NRW per Erlass im November 2008 definiert, wie eine Straße mit Bäumen auszusehen hat, die unter den Schutz des Gesetzes fällt:

Alleen sind beidseitig an Straßen oder Wegen (Verkehrsflächen) auf einer Länge von grundsätzlich mindestens 100 m parallel verlaufende Baumreihen meist einer Baumart. Die einzelnen Bäume haben unter einander in etwa den gleichen Abstand und in der Regel das gleiche Alter.“

Dazu wurden weitere Präzisierungen formuliert, die u.a. bestimmen, dass „Alleen eindeutig dem Weg- oder Straßenraum zuzuordnen“ sein müssen. Bei Alleen handelt es sich ausnahmslos um planvoll angelegte Planzungen. Sie sind landschaftsarchitektonische Gestaltungsmittel, die eine gestalterische Funktion erfüllen. Aus diesem Grund kann auch die Frage der Entstehung bei der Beurteilung einer potenziellen Allee von Belang sein.

Zur Beurteilung, ob der fragliche Schulhof die in den Definitionen geforderten Grundvoraussetzungen als Allee im Sinne des §41 LNatschG erfüllen kann, habe ich diesen bei einem Ortstermin am 27.5. begutachtet.

Zudem wurde als Quelle das Gestaltungshandbuch Gartenstadt Hüttenau / Hattingen-Welper herangezogen (Herausgeber: Stadt Hattingen - FB61, 2016).

Leider kann ich Ihrer Bitte um Eintragung in das Alleenkataster nicht nachkommen. Meine Einschätzung nach kann der Schulhof der Gesamtschule Welper nicht die Kriterien erfüllen, die zur Einstufung als "gesetzlich geschützte Allee“ im Sinne des §41 LNatschG NW notwendige Grundvoraussetzung wären.

Als ausschlaggebend für diese Entscheidung ist anzusehen, dass die für Alleen geforderte unmittelbare Zuordnung der beidseitigen begleitenden Baumreihen zu einer Straßen- oder Wegeverlauf nicht gegeben ist. Bei dem Schulhof handelt es sich um eine platzartige Fläche. Er selber stellt keine Straße / keinen Weg dar.

Die weiteren in der anzuwendenden Alleendefinition angeführten Merkmale, zu denen 100 Meter Mindestlänge, gleiche Baumart und –alter sowie Regelmäßigkeit der Pflanzung gehören, sind demgegenüber nachrangig.

Das wesentliche Merkmal von Alleen liegt darin, den routenhaften Verlauf von Wegeverbindungen zu verdeutlichen. So gibt es axial-gerade, aber auch gebogene/geknickte Alleen bis hin zu Sonderformen, wie ringförmigen Alleen. Allen gemeinsam ist: die Allee folgt dem Straßen- oder Wegeverlauf, sie ist zielgerichtet darauf ausgelegt, diesen zu betonen und zu stärken.

Eine Platzfläche, wie im vorliegenden Fall, ist hingegen aus gestalterischem Standpunkt als punktuelles Element anzusehen was einen deutlichen Unterschied darstellt zu der linearen Zielrichtung, die von Straßen/Wegen ausgeht.

Tatsächlich könnte man im konkreten Fall die direkte Verbindung zwischen dem östlichen und westlichen Platzzugängen sogar als Wegeverbindung ansehen. Dann wiederum verliefe diese zwischen südwestl. Baumreihe und dem zum dem Sportplatz hin angrenzenden Böschungszaun am Rand des Platzes, also gerade nicht unter beiden Baumreihen her.

Nähere Erläuterungen zur Entscheidung:

Die Gesamtschule ("Horstschule") befindet sich in Hattingen an der Straße "Lange Horst" im Stadtteil Welper.

Dieser Teil von Welper ist auch als "Gartenstadt Hüttenau" bekannt, da es sich um eine historische Arbeitersiedlung handelt, welche als "herausragendes Beispiel für die sich wandelnden Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu Beginn des 20 Jahrhunderts anzusehen ist“ * (siehe Gestaltungskonzept Gartenstadt Hüttenau). Sie entstand zwischen den 1910er -1940er in mehreren Bauphasen. Die Schule mit Ihrem Umfeld wurde ab Jahr 1923 erbaut, die Gestaltung von Gebäude und Außenanlage erfolgte in typischen Stil der Zeit.

Das Schulgebäude liegt auf einen Höhenzug, das sie umgebende Grundstück fällt in süd-östlicher Richtung zur Ruhr hin ab, wobei sich Schulhof sich auf einer terrassierten Ebene befindet, welche zwischen Schulgebäude und dem tieferliegendem Sportplatz angelegt ist. Die Höhenunterschiede werden durch Böschungen abgefangen.

Der Schulhof erstreckt sich als rechteckiger Platz parallel zu den beiden Seitenflügeln des Gebäudes, wodurch sich eine verhältnismäßig schmale, langgezogen Form ergibt. Die Länge des Platzes beträgt ca. 120 Meter, die Breite in etwa 20 Meter.

Erschlossen wird der Schulhof vom Schulgebäude aus über drei Treppenanlagen. Weiterer Zugang zum Schulhof ist möglich über zwei Wege, welche jeweils an den Enden der Schmalseiten des Schulhofes anschließen. Ein Queren des Schulhofs als fußläufige Abkürzung ist somit in jegliche Richtung möglich, obwohl der Schulhof kein Teil des Wegekonzeptes des Stadtteil darstellt, wie es im „Gestaltungshandbuch“ dargestellt ist. Nach Auskunft des Planungsdezernenten der Stadt Hattingen ist dies der Fall, da es sich nicht um offiziell gewidmete Wege sondern um Privatwege handelt. Auf ein ansonsten bei Schulhöfen verbreitetes Absperren für öffentliche Zugänglichkeit sei verzichtet worden, da der Schulstandort im Wesentlichen von Oberstufenschülern genutzt werde.

Die Platzfläche ist asphaltiert und ermöglicht die multifunktionale Nutzung, es finden sich Tischtennisplatten sowie randlich ein Basketballfeld. Aufgrund des umgebenden dichten Gehölzbestandes macht der Platz trotz der flächigen Asphaltierung einen recht "grünen" Eindruck.

Besonders prägend zeigt sich vor allem der den Platz umrahmende alte Baumbestand, dessen Kronendach den Platz nahezu vollständig überschirmt. Die Umpflanzung des Schulhofes wird gebildet im Wesentlichen aus zwei Baumreihen, welche sich entlang der Längseiten des Schulhofs erstrecken.

Die schulseitige, nördlich entlang des Platzes verlaufende Baumreihe ist in die Böschung gepflanzt, während die Bäume der südlicheren, zur Seite des Sportplatzes hin befindlichen Bäume in Baumscheiben innerhalb des asphaltierten Plates stehen. Eine weiter Platane in Baumscheibe findet sich an der westlichen Stirnseite des Platzes, womit sich der Schulhof auf drei von vier Seiten mit mächtigen Bäumen umringt zeigt.

Bei dem Großteil der Bäume wird es sich noch um die ursprüngliche Pflanzung von 1923 handeln, in der nördlichen Baumreihe scheinen auch einige etwas jüngere Exemplare vorhanden. Verwendet wurden Kastanien und Platanen sowie ein nachträglich gepflanzter Ahorn.

Die ursprüngliche Gestaltungsabsicht der Anlage ist noch gut ablesbar:

Vier Kastanien bilden als „Baumkarree“ den Mittelpunkt des Platzes, Sie liegen in Flucht einer gedachten zentralen Achse, welche mittig durch das Schulhauptgebäude über die mittlere Treppenanlage im rechten Winkel über den Platz symmetrisch quert.

Längs dazu setzen sich die Pflanzungen als Baumreihen aus Platanen fort. Aufgrund der weit ausladenden Äste der alten Bäume wird der Hof vom deren Kronendach komplett überspannt (Kronenschluss), In Kombination mit der proportional geringen Breite des Platzes entsteht dadurch für den Betrachter eine tatsächlich beinahe alleeartige Raumwirkung. Dies ist jedoch nicht um die architektonisch-gestalterische Intention der Pflanzung; vielmehr bildet sie ein sogenanntes „Baumplateau“, der von Bäumen umgrenzten Platz ist Teil der terrassenförmig abgestuften Raumfolge von Sportplatz über Schulhof zum Schulgebäude, wobei die Baumreihen die Aufgabe übernehmen, die topografischen Höhenlinien der Geländekanten am Böschungshang zu betonen und damit den Rand des Platzes räumlich zu schließen und damit den Platz als solchen zu definieren.

Der hohe stadtökologische Wert des alten Baumbestandes für sein Umfeld steht außer Frage. Auch die architektonisch-gestalterischer Wertigkeit der Außenanlage als zentraler Teil einer Gartenstadtsiedlung ist ein besonderes Herausstellungsmerkmal. Meine Entscheidung gegen eine Eintragung in das Alleenkataster des LANUV ist nach intensiver Auseinandersetzung mit dem speziellen Gegebenheiten dieses Ortes erfolgt. Auch wenn der Platz nicht als Allee konzipiert war, zeigt er dennoch, dass es bereits vor 100 Jahren den damaligen Stadtplanern ein Anliegen war, der Bevölkerung durch ein qualitätvolles, durchgrüntes Freiraumkonzept ein attraktives Wohnumfeld zu schaffen.

Das Leitbild des LANUV lautet „Kompetenz für ein lebenswertes Land“. Auch wenn in diesem Fall die gesetzliche Regelung zum Schutz von Alleen nicht als zutreffend erscheint, möchte ich Ihnen daher dennoch für Ihren intensiven Einsatz für den grünen Freiraum in Ihrem Quartier danken und wünsche Ihnen viel Erfolg dabei, das Bewusstsein für dessen hohen Wert bei allen Beteiligten wachzuhalten.

mit freundlichen Grüßen

i.A. Christoph Hoheisel

Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz NRW

Dipl.-Ing. (FH) Christoph Hoheisel

Landschaftsarchitekt AK NW

Fachbereich 21 - Naturschutzinformationen

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