Brief an
Dr. Carsten Linnemann MdB
Guten Tag Herr Linnemann,
mit Verwunderung las ich am Donnerstag letzter Woche in der Neuen Westfälischen ihre Äußerungen und die Ihres Bundestagskollegen Frank Schäffler (FDP) zu den Forderungen des Audi-Chefs Markus Duesmann nach autofreien Tagen und einem Tempolimit auf deutschen Autobahnen. Sofort fühlte ich mich an den Titel Ihres jüngst erschienenen Buches „Die ticken doch nicht richtig“ erinnert. Ich muss gestehen, dass sich auch mir nach der Lektüre des NW- Artikels der Eindruck aufdrängte, dass Sie und der Kollege Schäffler, verzeihen Sie den herben Ausdruck, aber er passt so schön, nicht mehr alle Nadeln auf der Tanne haben.
Leider ist letzteres auch bei vielen Nadelbäumen um meine Heimatstadt Nieheim der Fall und das ist die Folge des vom Menschen ausgelösten Klimawandels. Letzterer wird befeuert von einem viel zu hohen Ausstoß an CO2. Dankenswerter Weise hat die NW im Artikel die dazu vom Umweltbundesamt ermittelten Zahlen gleich mitgeliefert. Die sollten Sie interessieren, denn ein Tempolimit von 120 km/h auf Autobahnen würde den CO2-Ausstoß um 2,6 Millionen Tonnen jährlich. Das wäre alles andere als, wie Herr Schäffler behauptet, umweltpolitischer Unsinn, das wäre ein schnell umsetzbarer Schritt in Richtung der Erreichung unserer Klima-Ziele.
Hier könnten Sie, Herr Linnemann, wie Sie im Text zu Ihrem Buch auf Ihrer Webseite so schön schreiben, mal mehr Mut beweisen und „einfach mal machen“. Oder hält Sie die Auto-Lobby davon ab?
Noch mehr verwundert hat mich allerdings Ihre Äußerung „Ich kenne niemanden, der Sonntagnachmittags bei diesen Spritpreisen aus Spaß durch die Gegend fährt.“
Tja, Herr Linnemann, es mag Sie verwundern, aber ich kenne da verdammt viele und die tun das nicht nur Sonntagnachmittags. Genau genommen fahren diese Herrschaften auch nicht hier durch die Gegend, sondern in unserer Gegend im Kreis, nämlich am Bilster Berg. Sie können sich gar nicht vorstellen, Herr Linnemann, wie viele Menschen auch bei diesen Spritpreisen auf dieser vermeintlichen Test- und Präsentationsstrecke zum Spaß im Kreis herum fahren.
Die folgenden Zahlen stammen aus dem mir vorliegenden Messbericht Nr. 551020MB09- September 2022 der BeSB GmbH Berlin, dem Schalltechnischen Büro, welches das Schallmonitoring am Bilster Berg übernimmt.
Laut diesem Messbericht kommt man beim Bilster Berg Drive Resort im September auf insgesamt auf 25 Betriebstage mit zusammengerechnet 250 Betriebsstunden auf der sogenannten Teststrecke, dem Geländeparcours und der Dynamikfläche. Das heißt im Schnitt 10 Betriebsstunden pro Betriebstag.
An diesen 25 Betriebstagen waren sage und schreibe insgesamt 1294 Fahrzeuge auf der Strecke unterwegs. Wer hätte das gedacht, so viele!
Und, Herr Linnemann, diese Fahrzeuge sind dort nicht zu irgendeinem sachlich einleuchtendem Zweck unterwegs. Hier fährt niemand zur Arbeit oder seine Kinder zur Schule und es werden auch nicht Waren von A nach B transportiert. Nein, hier setzt man sich auf oder in sein Fahrzeug, um herauszufinden wie schnell man im Kreis fahren kann, ohne dabei zu verunfallen. Ein Blick in den Veranstaltungskalender auf der Webseite des Bilster Berg Drive Resorts für den Monat September genügt. Für was bitte braucht man denn ein PKW Racetrack Training (So. 11.09.2022), ein After Work Fahrtraining (14.09.2022) oder gar ein Sportfahrertraining fürs Motorrad (12. und 13.09.2022)? Bei letzterer Veranstaltung tummelten sich laut Messbericht an diesen zwei Tagen zusammengerechnet 259 Motorräder auf der Strecke und das von morgens 9:00 bis abends 17:00 Uhr. Und nicht zu einem logisch begründbaren Zweck sondern, wie wir Ostwestfalen sagen, nur aus Spaß an der Freud.
Kommen wir nun zum Energieverbrauch dieses fragwürdigen Freizeitvergnügens. Der vom Umweltbundesamt ermittelte durchschnittliche Kraftstoffverbrauch für einen Mittelklasse-Benziner liegt heute bei 7,7 Litern auf 100 Kilometer, bei moderater Fahrweise. Bei Motorrädern kann dieser zwischen 4,0 bis 8,2 Litern je 100 Kilometer liegen.
Bei sportlichen Fahrzeugen liegt der Verbrauch naturgemäß deutlich höher. So gibt die Zeitschrift MOTORRAD, die einen Verbrauchs-Vergleich zwischen Autos und Motorrädern durchgeführt hat (https://www.motorradonline.de/ratgeber/spritverbrauch-wer-ist-sparsamer-unterwegs-motorrad- oder-auto-repub/) für einen Porsche 718 Cayman einen durchschnittlichen Verbrauch von 9,7 Litern bei moderater Fahrweise an. Für das Sportmotorrad Yamaha YZF-R1 werden bei gleicher Fahrweise 5,7 Liter gemessen.
Echtes Rennfeeling mit dem das Bilster Berg Drive Resort auf seiner Web-Seite ja so gerne wirbt, ist bei moderater Fahrweise natürlich nicht zu haben. Bei sportlicher Fahrweise mit Geschwindigkeiten jenseits von 160 km/h nimmt der Kraftstoffverbrauch um bis zu zwei Drittel zu, was z.B. beim Porsche einen Verbrauch von über 16 Litern bedeutet. Pro Liter Benzin werden dann übrigens laut Helmholtz-Institut 2,37 kg CO2 in die Atmosphäre ausgestoßen.
Wenn also jedes der genannten 1294 Fahrzeuge auch nur 5 Liter Benzin auf der Strecke verbraucht hätte, wären das immerhin 6470 Liter Benzin in einem Monat und damit gerundet 15,3 Tonnen ausgestoßenes CO2! Anfahrt und Rückreise kommen da noch oben drauf. Dass viele der dort betriebenen PS-Boliden eigens auf einem, von einem zweiten Verbrenner gezogenen, Hänger aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland zum Bilster Berg gekarrt werden, macht die Klimabilanz dieses aus der Zeit gefallenen Freizeitvergnügens noch desaströser.
Diese angenommenen 6470 Liter Treibstoff kosten beim heutigen Preis von 1,95€/Liter für Super 12.616,50 €. Von diesem Geld könnte man bei tagesaktuellem Heizölpreis (1,52€ für Premium) 8300 Liter Heizöl Premium kaufen, was gleichbedeutend mit (1 Liter Heizöl = 10 kWh Erdgas) mit 83.000 kWh Gas wäre.
Letztere wären aber teurer als das Öl, für Neukunden aktuell 0,222 € pro 1 kWh. Immerhin bekäme Otto Normalverbraucher für di 12.616,50 € noch stolze 56.831 kWh Gas.
Nur mal so, die Herrschaften da oben vom Berg würden ihre Edelboliden wahrscheinlich nicht mit schnödem Super betanken. Da darf es gern das gute Super Plus sein.
Das wären dann 13.134,10 € für Sprit, wofür man 8640 Liter Heizöl oder 59.162 kWh Erdgas bekäme. Wie lange, Herr Linnemann, könnte man damit wohl eine kommunale KiTa, eine Schule oder gar ein Schwimmbad in diesem Winter beheizen?
Bei einem realistischer gerechnetem Verbrauch für diese PS-Monster, sagen wir mal freundlich 9 Liter je Fahrzeug, wären wir bei 23.441,38 € für Super Plus, was für 15.553 Liter Heizöl und 105.591 kWh Gas reichen würden. Bei einem CO2-Ausstoß von 27,6 Tonnen im September, ganz nebenbei.
Es werden Schwimmbäder geschlossen bzw. die Wassertemperaturen gesenkt. Sporthallen werden die Heizung und das Warmwasser abgedreht. In öffentlichen Gebäuden, auch Schulen, werden die Raumtemperaturen gesenkt und vielerorts soll bereits um 20:00 Uhr die Straßenbeleuchtung ausgehen und all das, während am Bilster Berg fossile Brennstoffe in einer exorbitanten Menge einfach so für Jux und Dollerei verballert werden.
Den Menschen, die in diesem Winter in ihren Wohnungen die Thermostatventile runterdrehen sollen, um den Gasverbrauch zu senken, ist ein derart dekadentes Freizeitverhalten wohl kaum zu vermitteln. Vielmehr kann man daran die ignorant-verstiegene Geisteshaltung der Betreiber des Bilster Berges und ihrer Klientel erkennen. Denen scheint all das wurscht zu sein. Der Sprit ist offensichtlich noch nicht teuer genug und unserem Planeten geht es noch nicht dreckig genug, damit sie zur Einsicht kommen. In ihrer Realitätsferne gleichen sie einem Raucher, der sich bereits schwer lungenkrank mit der Sauerstoffflasche am Rollator zum nächsten Automaten schleppt, um die nächste Schachtel Kippen zu kaufen. Mit Vollgas in den Untergang!
Und nachdem wir einen sehr lauten Oktober in Nieheim hinter uns haben, in dem uns laut Veranstaltungskalender dieser Krachschleife allein 9 solcher Motorsport-Spaß-Veranstaltungen beschallt haben, dürfen wir uns bereits am kommenden Sonntag, den 06. November auf die Beschallung durch ein PKW Racetrack Training freuen. Erstaunlich, wie viele Zeitgenossen noch bei diesen Spritpreisen sonntags zum Spaß durch die Gegend fahren, oder, Herr Linnemann?
Ja, ich könnte mich tatsächlich für ein Sonntagfahrverbot erwärmen, zumindest für eines am Bilster Berg. Da könnte man das doch mal testen. Ist schließlich eine Teststrecke. Also, Herr Linnemann, warum nicht einfach mal machen?
Uli Emskötter