12f - Der Alltag des Totengräbers - Der Herr, der hunderte Leute unter sich hat

Der Alltag des Totengräbers – Der Herr, der hunderte Leute unter sich hat.

Diesen Aufsatz habe ich für den Sammelband "Kleine Geheimnisse - Alltagssoziologische Einsichten" (Little Secrets: Everyday Sociological Insights) (Verlag Springer Fachmedien Wiesbaden 2015) auf Einladung der Herausgeber Heinz Bude, Michael Dellwing und Scott Grills (unter Mitarbeit von Maike Simmank) verfasst.

Inhalt: die Arbeit des Totengräbers, als Totengräber in Siebenbürgen - die alte Bauernkultur, das Ritual des Begräbnisses, das Tränenbrot, derTotengräber in einem Gebirgsdorf - Landwirtschaft und Müllabfuhr, Totengräber ist kein schlechtes Geschäft, der konservative Pfarrer als Gegner von Verbrennungen, Arbeit und Alltag des Totengräbers, das falsche Grab, Das Begraben eines Freundes, die Zehrung (Mahl nach dem Begräbnis), Tratsch auf dem Friedhof, Treffen der "vereinigten Totengräber", "Den habe ich eingegraben".

Vorbemerkungen – Gedanken zur Arbeit des Totengräbers

Meine folgenden Überlegungen basieren auf einer Feldforschung in Siebenbürgen, bei der ich mit Studenten als Totengräber und Sargträger wirkte, und auf Beobachtungen auf einem Landfriedhof und dem Gespräch mit dem dortigen Totengräber. Daneben beziehe ich mich auf Filmaufnahmen, die ein Filmteam des Österreichischen Fernsehens auf dem Wiener Zentralfriedhof mit mir für eine kulturwissenschaftliche Sendung drehte. Bei diesen Filmaufnahmen im Frühjahr 2012 agierte für den Film als Totengräber der „Chef“ der dortigen Totengräber, ein Österreicher. Er schaufelte, aber auch ich warf für das Fernsehen einige Ladungen Erde aus dem Grab. Nach den Dreharbeiten stellte sich übrigens heraus, dass unser Totengräber nur für dem Film in der Funktion des hart arbeitenden Totengräbers aufgetreten war. Jene Herren, die tatsächlich täglich diese Arbeit verrichten, waren zwei Türken, die abseits standen, nicht ins Fernsehen kamen und die die begonnene Arbeit ihres Chefs nach den Aufnahmen fortsetzten. Mit diesen beiden Türken sprach ich im Schatten eines Baumes und eines Grabsteines am Wiener Zentralfriedhof. . Die beiden sind biedere Arbeiter, die sich über den Toten, den Tod und die Trauernden keine Gedanken machten. Zu Ihren Pflichten gehört gute Arbeit. So haben sie darauf zu achten, dass sie andere Begräbnisse nicht stören, die Erde sachgemäß ausheben und das Grab entsprechend zuschütten. Knochen von früheren Bestatteten, die mit der Erde zu Tage befördert wurden, müssen taktvoll wieder in das Grab gelegt werden. Zufällig fand ich auf einem Weg zwischen den Grabreihen einen Knochen, es dürfte ein Fußknochen gewesen sein. Ich zeigte diesen triumphierend dem Chef der Totengräber. Dieser erschrak, meinte, so etwas dürfe nicht vorkommen, und steckte den Knochen in einen frischen Grabhügel.

Die Arbeit des Totengräbers muss also so durchgeführt werden, dass weder die „Friedhofsruhe“ durch unnötigen Lärm oder Dreck gestört wird noch die Trauernden und andere Friedhofsbesucher sich belästigt sehen. Typisch für den Totengräber ist, wie ich zeigen werde, dass er zum Ritual des Begräbnisses gehört. Er führt jene Arbeiten durch, die wichtig sind, damit das Ritual des Begräbnisses überhaupt stattfinden kann (Zur Bedeutung von mit dem Begräbnis verbundenen Ritualen siehe mein Buch: Roland Girtler, Die feinen Leute, Wien 2002)..

1. Als Totengräber in Siebenbürgen

Ich fungierte vor ein paar Jahren selbst einmal als Totengräber in Rumänien, und zwar in dem siebenbürgischen Bauerndorf Grosspold (rumänisch Apoldu de Sus) in der Nähe von Hermannstadt (Sibiu). Jährlich fahre ich seit 20 Jahren mit einigen freundlichen Studentinnen und Studenten der Universität Wien nach Grosspold Es sind nur mehr wenige ältere und alte Bäuerinnen und Bauern in Grosspold. Fast alle jungen Leute sind nach Österreich und Deutschland ausgewandert, weil sie meinten, dort wäre das Leben schöner, einfacher und es gäbe bessere Verdienstmöglichkeiten.

Der Untergang der alten Bauernkultur

Die alte bäuerliche Dorfkultur, zu der wesentlich die Institution der Nachbarschaft gehört, ist in den letzten Jahren fast gänzlich verschwunden. Typisch für das soziale Leben im Dorf war es, dass die Nachbarn in vielfältiger Weise sich gegenseitig unterstützten. Es war genau geregelt, was die Nachbarn zu tun hatten. Stirbt jemand, so sind es die Nachbarn und Patenkinder, die sich um das Schaufeln des Grabes und die Durchführung des Begräbnisses zu kümmern hatten. Das Grab wird für gewöhnlich am Tag des Begräbnisses, und zwar am Vormittag, geschaufelt.

Im Jahr 2005, als ich wiederum in Grosspold war, starb ein Bauer, Sam Roth hieß er. Nun fehlte es an den jungen Leuten, die für Grab und Begräbnis zuständig wären. So wurden wir gefragt, ob wir nicht das Grab schaufeln könnten. Mit zwei Studenten, Konrad und Reinhard, und einem jungen Deutschen, der von Berliner Sozialarbeitern für ein Jahr aus disziplinären Gründen hierher geschickt worden war, gehe ich daran, die Erde des Grabes im Freidhof – so nennt man hier den Friedhof- auszuheben. Unter der Anleitung und Mitarbeit von Andreas Sonnleitner, einem Landler um die 64 Jahre alt, beginnen wir zu graben. Mit vier waagrechten Brettern, die sich gegenseitig stützen, wird das Grab , in dem ein Mitglied der Familie Roth bereits 1917 begraben worden war, abgesichert. Abwechselnd graben wir. Der letzte, der in die Grube steigt, bin ich. Da ich Urgeschichte studiert und an einigen Grabungen aktiv teil genommen habe, hatte ich gewisse Voraussetzungen in der Kunst des Schaufelns. Das Grab ist bereits einen Meter achtzig tief. Eine Leiter wird in das Grab gestellt, sie gibt mir die Sicherheit, wieder herauszukommen. Ich finde noch einen Nagel vom letzten Sarg, den ich mir aufhebe. Auf Geheiß von Andreas Sonnleitner, der selbst nicht in das Grab steigt, weil er an Platzangst leidet, wie er erzählt, glätte ich die Wände und den Boden des Grabes. Schließlich verziere ich, wie es üblich ist, den Rand der Grube mit Gartenblumen. Dann will ich aus dem Grab steigen, doch die Leiter fehlt. Sie wurde aus Scherz von Konrad entwendet. Ich bitte höflich um die Leiter. Nun kann ich aus dem Grab steigen, das Leben hat mich wieder. Wir, die Grabmacher, werden nach alter Tradition zu einer heißen Suppe und einem Schluck Wein, die von einer alten Landlerin gebracht werden, in die Friedhofshütte, in der allerhand Werkzeuge und Bretter untergebracht sind, gebeten.

Das Ritual des Begräbnisses

Am Nachmittag suchen wir feierlich gekleidet die gute Stube des Bauernhauses der Familie Roth auf. Der Tote ist den dritten Tag im Sarg aufgebahrt, auch bei uns war es früher so. Die Angehörigen sitzen um den Sarg. Hinter ihnen nehmen wir, die Totengräber und auch Sargträger, Platz. Der Kirchenvater erscheint und sagt in landlerischem Dialekt : „Grüss enk Gott, wir holen jetzt unsern liaben Bruader Sam zum Freidhof.“ (Grüss euch Gott. Wir holen jetzt unseren lieben Bruder Sam zum Friedhof). Die Angehörigen gehen aus der Stube. Nun tragen wir den Sarg in den Hof, wo schon der Pfarrer und die Sänger warten. Nach Gebet und Gesang im Hof vor dem Haus ziehen wir zum Friedhof. Voran geht der Pfarrer mit den Sängern, dann kommen wir mit dem Sarg, uns folgt die Familie und die anderen Trauernden. Leider überrascht uns ein schweres Gewitter, der Regen fällt schwer auf uns herab. Wir lassen den Sarg kurz am Straßenrand stehen und flüchten wie auch der Pfarrer und die anderen in ein an Straße liegendes Bauernhaus. Als der Regen nachlässt, formiert sich der Leichenzug wieder und wir vier tragen den Sarg weiter. Leider ist die ausgehobene Erde beim Grab durch den Regen schwer, lehmig und glitschig. Ich bleibe mit den Schuhen stecken und schlüpfe mit den Socken aus den Schuhen. Mir gelingt s jedoch, gleich wieder in den Schuhen zu stecken.

Wir, die Sargträger, lassen den Sarg auf Seilen in das Grab. Der Pfarrer betet und wünscht eine „fröhliche Wiederauferstehung“. Die Sänger singen Trauerlieder.

Das Tränenbrot

Dann geht es zum so genannten „Tränenbrot“ in das Haus der Roths. Die Familie, die Freunde und die Nachbarn, einige sind aus Deutschland gekommen, nehmen nun beim gemeinsamen Mahl, bei dem Hühnersuppe und guter Wein kredenzt wird, Abschied vom Toten. Die kleine Welt des Dorfes hat sich verändert. Auch für uns Grabmacher ist gedeckt. Wir trinken zur Erinnerungen an den toten Bauern, der allen im Dorf abgehen wird, guten „Grosspolder Wein“. Diese Erfahrung als Totengräber ist wichtig für mich als Kulturwissenschafter, da der Umgang mit dem Tod ein wesentlicher Bereich jeder Kultur ist. Als Totengräber befindet man sich geradezu in direktem Kontakt zu den Ritualen des Todes. Dies wurde mir so richtig bewusst, als ich beim Grabschaufeln auf Schädelknochen von früher hier bestatteten Menschen stieß und diese fein säuberlich zuunterst in die Grube legte.

2. Der Totengräber in einem Gebirgsdorf

Um mich näher mit dem Alltagshandeln und dem Leben eines Totengräbers befassen zu können, nahm ich mit Sepp Rappold, den Totengräber von Windischgarsten im südlichen Oberösterreich, Kontakt auf. Ich kenne ihn schon lange, ich treffe ihn öfter auf dem Friedhof oder wenn er mit der Müllabfuhr unterwegs ist. Er ist nämlich nicht nur Totengräber, sondern er arbeitet auch bei der Müllabfuhr. Mich fasziniert diese Verbindung beider Berufe. Im Gastgarten des Kaffeehauses Kemetmüller in Spital am Pyhrn treffen wir uns zu einem längeren Gespräch, auf das ich mich im folgenden beziehen werde. Zunächst möchte ich auf seine Biographie eingehen. Fies erscheint mir wichtig zu sein, denn der Weg zum Totengräber deutet sich allmählich an.(In meinem Buch „Eigenwillige Karrieren“, Wien 2012, wird die Karriere von Sepp Rappold in etwas anderer Weise als hier dargestellt)

Die Landwirtschaft der Eltern und die Müllabfuhr

Sepp Rappold ist seit über 33 Jahren Totengräber , er ist verheiratet, hat drei Kinder und wohnt in Rading bei Windischgarsten. Er ist aber nicht nur Totengräber, sondern auch arbeitet auch bei der Müllabfuhr. Interessant ist, dass Sepp bei einigen verstorbenen Personen meint, auch diese habe er „eingegraben“ (s.u.) . Er ist geradezu stolz darauf, Totengräber zu sein, eine Person, die zum täglichen Leben gehört. Sepp beginnt zu erzählen: „Geboren bin ich am 10. Dezember 1956 in Dambach in Rosenau beim Hengstpaß, dort hat mein Vater ein kleines Haus gehabt.

Mein Vater hat damals noch in der Danubius, einem Holzwerk, gearbeitet. An der Straße war ein Gasthaus, dessen Wirtin jung gestorben ist und die ich auch eingegraben (!!) habe. Meine Mutter wollte immer Landwirtrschaft betreiben. Daher haben die Eltern das Haus um 50.000 Schilling verkauft und sind zum Koppen in ein Bauernhaus in Richtung Piessling gezogen, wo sie die Landwirtschaft gepachtet haben. … Meine Eltern haben Landwirtschaft mit Milchwirtschaft betrieben. Daher kauften sie einen Motormäher und drei Kühe… Wir waren fünf Kinder. Drei Buben und zwei Madeln. Im Großen und Ganzen verstehen wir uns gut. Beide Eltern leben noch, die Mutter ist 82 und der Vater 79. Die Eltern und ein jüngerer Bruder wohnen noch im Haus am Koppen. Der Bruder, er ist 10 Jahre jünger als ich, hat den Hof übernommen. Wir verstehen uns gut, ja freilich.

Erst habe ich die Volksschule in Piessling besucht und dann die Hauptschule in Windischgarsten und dazu dort noch das Polytechnische. Also 9 Jahre Schule musste ich machen. In der Hauptschule habe ich den Kusché als Lehrer gehabt. Er hat überall geforscht bei den Bauern, über ihre Häuser. Er war ein guter Mann.“ Die Erinnerungen von Sepp an seine Schulzeit dürften trotz der weiten Wege schöne sein. Über die Jahre nach der Schule erzählt Sepp weiter: “Im 72er Jahr bin ich in die Lehre gekommen als Fleischhacker zum Moser. Damals gab es noch drei kleine Fleischhackereien in Windischgarsten: den Moser, den Zöls und den Kapfenberger Heute gibt sie diese nicht mehr, man hat sie ausradiert, so ähnlich wie viele Bauern. Heute muss alles EU-gerecht sein. Die Bauern früher wussten zum Beispiel genau, wie man Schweine gut füttert. Heute dürfen sie nicht mehr so füttern, das will die EU nicht ….Meine Lehrzeit habe ich beim Moser, dem Fleischhacker , in Windischgarsten gemacht. Sieben Jahre war ich dort. Im Jahre 1979 habe ich total den Beruf gewechselt. Die Fleischhackerei ist nicht meine Sache, den ganzen Tag in dieser Wurschtbude, im Schlachthaus, zu stehen, das war mir zu viel. Es ist eine ungesunde Arbeit. .. 1979 habe ich aufgehört mit der Fleischhauerei. Ich wollte etwas anderes machen. Für mich war interessant, dass mein Onkel mit der Müllabfuhr in Windischgarsten und Umgebung 1975 begonnen hat. Er war damals ganz alleine, höchstens Aushilfskräfte unterstützten ihn. Auf die Idee mit der Müllabfuhr ist mein Onkel durch deutsche Gäste gekommen, die mit dem Müll in Deutschland zu tun hatten. Von der Stadt Mannheim hat er 1975 einen Müllwagen gekauft. Damals wusste man noch nicht, was man mit dem Müll machen soll…….1979 hat der Onkel gesagt, er würde jemanden ganztägig einstellen wollen. Vorher hatte der Onkel bloß Tagelöhner hie und da eingesetzt. Er selbst fuhr mit dem Müllwagen , auch seine Frau fuhr damit. Ich war der erste, der ganztägig bei ihm angefangen hat. Er hat für die Müllabfuhr einen Wagen gehabt und einen für den Gruben- und Kanaldienst. Letzteren brauchte er zum Ausheben von Gruben der Klosetts ,der so genannten ‚Häuseln’. Der Onkel hat auch eine kleine Landwirtschaft gehabt. Der Dreck aus den Gruben und den Kanälen ist irgendwo auf die Seite gespritzt worden, auf die Wiesen. Der Onkel selbst hat daheim einen großen Teich angelegt, dort ist alles, auch das aus den Häuseln, hinein gelassen worden. Um den Teich hat er einen großen Erdwall errichtet. Aus dem Teich ist alles versickert. Das war so. Die Behörde war damals froh, dass irgend jemand da war, der so einen Teich gehabt hat. Die Behörde hat ja nicht gewusst, wohin mit dem Dreck aus ‚Häuseln’ und Kanälen. Das Problem sind die Waschmittel. Heute kommt alles, Gott sei Dank, in die Großkläranlage in Rossleithen“. Wir kommen auf seinen Dienst bei der Müllabfuhr heute zu sprechen. Sepp antwortet: „ Einmal in der Woche kommen wir mit dem Müllwagen zum Beispiel nach Spital am Pyhrn, um den gesammelten Müll dort zu holen. Die Säcke, in die man den Müll geben muss, erhalten Leute von den Gemeindeämtern, sie kosten Geld. Wir rechnen mit den Gemeinden ab. Private Säcke dürfen wir nicht annehmen. Ausnahmsweise nehmen wir ein privates Sackerl mit……“. Ich unterbreche Sepp und erzähle, dass ich auch einiges ausgegraben habe während meines Urgeschichtestudiums. Dabei habe ich gesehen, dass man am Müll von Menschen gut erkennen kann, wie diese gelebt haben, was sie gegessen haben und vieles mehr. Ich erzähle auch von einem amerikanischen Professor, der seine Studenten ausgeschickt hat, den Müll in einer Stadt zu untersuchen. Es gab da eine Fragebogenstudie, die Leute wurden gefragt, was sie trinken. Die einen haben gesagt, sie trinken viel Wasser, die anderen Apfelsaft, aber nur selten Bier . Aber in der Müllanlage lagen jede Menge Bierdosen. Es konnte also nicht stimmen, was die Leute erzählt haben. Darauf meint Sepp: „Das ist eh klar, so etwas kann man heraus bekommen. Bei der heutigen Mülltrennung müssen sie die Bierdosen aber extra entsorgen und die Plastiksachen auch…. Es ist ein Wahnsinn, wie viel Müll wir haben, wie viel Müll entsteht. In zwei Wochen kommt man mit einer Tonne nicht aus. Was da alles anfällt! Früher ist man mit seinem Sackerl in das Geschäft gegangen und hat eingekauft. Heute ist alles doppelt und dreifach eingepackt. Früher hat man mit der Kanne die Milch geholt. Heute kauft man sie in Tetrapack. Man darf nicht darüber nachdenken, wie das alles verpackt ist. Gerade als Müllfahrer macht man sich aber darüber Gedanken. Wo das einmal mit den Verpackungen und dem Müll hinführt?!“ Ich meine: „Solang der Müll verwertet wird, ist es in Ordnung. Früher wurde bei den Bauern alles verwertet. Die leeren Gläser wurden zum Beispiel als Marmeladegläser verwendet. Die Bauern haben ja nichts weg geworfen.“ Nun wieder Sepp: „Wenn man denkt, so ein Kilo Müll kostet 50 Cent. Manches Lebensmittel ist nicht so teuer. Aus dem Müll kann man auch Wertvolles heraus holen. So habe ich im Müll zwei Wildererbilder gefunden, die ich euch für das Wilderermuseum geborgt habe und die dort hängen“.

Als ich meine, dass die Arbeit des Totengräbers und die Müllabfuhr sichere Geschäfte seien, bejaht Sepp und meint, dass man mit jedem „Dreck“ heute gutes Geld verdienen könne. Sowohl mit dem Müll als uahc mit toten Menschen.

Der Beginn als Totengräber - kein schlechtes Geschäft

Sepp arbeitet also nicht nur bei der Müllabfuhr, er ist auch Totengräber.

Wie er zum Totengräber wird, erzählt er so: „Am 2. Mai 1979 habe ich bei der Müllabfuhr begonnen. Und am 7. August 1979 habe ich mein erstes Begräbnis gehabt. Da habe ich also als Totengräber angefangen. Durch meinen Chef von der Müllabfuhr , meinen Onkel, hat sich das so ergeben. Er war mit dem Herrn Berner von der Bestattung viel beisammen, sie waren gemeinsam im Windischgarstner Reitverein. Da hat mein Onkel einmal gehört, dass der Berner keinen Totengräber hat, denn der alte Totengräber hat aufgehört. Der Berner, also der Bestatter von Windischgarsten, hat nun selbst zwei Monate hindurch die Gräber geschaufelt. Mein Onkel hat mir das erzählt. Ich habe mir gedacht, dass die Arbeit als Totengräber kein schlechtes Geschäft ist. Damals ist für das Grabschaufeln noch gut gezahlt worden.

Bei der Müllabfuhr habe ich 7.150 Schilling im Monat verdient und für das Schaufeln eines Grab habe ich 1.400 Schilling verdient. Mit 3 Gräbern verdiente ich schon über 4.000 Schilling. Ich bin der einzige Totengräber in der Gegend. In Vorderstoder gibt es noch einen, der springt für mich ein, wenn ich einmal krank bin. Auch mein Bruder hat mir öfter beim Grabschaufeln geholfen, wenn Not am Mann war.

Nun zurück zum Beginn meiner Tätigkeit als Totengräber. Am gleichen Tag, als ich gehört habe, dass der Berner einen Totengräber sucht, bin ich zu ihm auf den Reitplatz gefahren und habe ihm gesagt, dass mich diese Arbeit interessiert. Er hat gleich zu mir gesagt: ‚Du kannst heute schon anfangen auf d`Nacht, denn morgen haben wir ein Begräbnis’. Der Berner ist mit mir gleich zum Friedhof gefahren und ich habe sofort das Grab geschaufelt - mit der Hand mit Krampen und Schaufel. Ohne Maschine und alles mit der Hand. In der ersten Woche habe ich gleich drei Begräbnisse gehabt. Ich habe gedacht, ich komme hinten und vorne nicht zusammen. Am Tag war ich bei der Müllabfuhr von 7 Uhr in der Früh bis 5 Uhr am Abend. Die Zeit haben wir später geändert auf 7 Uhr bis 4 Uhr – normalerweise, denn ich kann nicht um 4 Uhr aufhören, wenn wir noch nicht mit der Müllabfuhr fertig sind. Das Grabschaufeln war eine harte Arbeit. Am Anfang habe ich auf d`Nacht und in der Früh gegraben. Um 5 Uhr in der Früh bin ich oft schnell zum Friedhof gefahren und habe weiter geschaufelt. Ich habe geglaubt am Anfang, ich komme nicht zusammen mit der Arbeit - bei drei Begräbnissen in der Woche, denn ich hatte so etwas vorher nicht getan. Heute ist es nicht mehr so anstrengend. Es hat sich mittlerweile einiges geändert, weil heute viele Tote verbrannt werden. Die Urnenbegräbnisse macht der Bestatter, also der Berner, selber. Das ist eh gut, denn ich bin jetzt auch schon älter. Bei den Urnen braucht man auch weniger Grabpflege, das ist gut für die Jungen, die sich um das Grab kümmern sollen. Die Urne kann man überall hinstellen, in eine Urnennische am Friedhof zum Beispiel.“ Ich erzähle, dass die Asche meines Freundes Wolfbauer Gust aus Spital am Pyhrn, der als Senner in der Nähe der Wurzeralm tödlich abgestürzt ist, in einen Blumentopf in seinem Garten gegeben wurde. Sepp meint: „Das darf man heute. Man muss dazu bei der Gemeinde ansuchen. Man zahlt ein bisserl dafür und kann die Urne bei sich zu Hause hinstellen – wenn es den Angehörigen nichts ausmacht, dass sie die Asche des Toten bei sich in der Wohnung haben.“

Der konservative Pfarrer, der gegen Verbrennungen und LASK-Anhänger ist

Wir sprechen über den Sinn und den Vorteil von Verbrennungen. Früher war die katholische Kirche strikt gegen Verbrennungen und Urnenbestattungen, weil diese eng mit den Freimaurern und den Sozialisten in Verbindung gebracht wurden. Man sah in der katholischen Kirche das Verbrennen des Toten als einen geradezu ketzerischen Akt an. Ich erinnere mich, dass die Patres in der Klosterschule zu Kremsmünster damals in den fünfziger Jahren sich über Verbrennungen und Urnen belustigt haben. So erzählte Pater Altmann diesen Witz. „Eine Dame fährt im Zug, ihr gegenüber sitzt ein Pfarrer. Die Dame kommt ins Gespräch mit ihm und sagt zu ihm provozierend, sie würde sich verbrennen lassen, denn sie sei gegen die Erdbestattung. Darauf sagt der Pfarrer spöttisch: ‚Ich kann mir gut vorstellen, dass dem Teufel eine verbrannte Gans lieber ist als eine verfaulte’.“ Noch an einen anderen Witz desselben Paters erinnere ich mich: „Zwei alte Herren gehen von der Verbrennung der Frau des einen nach Hause. Der Witwer trägt die Urne mit der Asche seiner verbrannten Frau bei sich. Es ist Winter und Glatteis. Die beiden haben Schwierigkeiten, nicht auszurutschen. Da sagt der eine zu dem anderen mit der Urne: ‚Geh, streu dei Alte aus!’“ Er soll also die Asche seiner eben eingeäscherten Frau auf die eisige Straße streuen, damit die beiden ohne Probleme gehen können. Ich erwähne gegenüber Sepp noch, dass einige frühgeschichtliche Kulturen, so die Urnenfelderkultur, ihre Toten verbrannt haben. An den Funden der Urnen, die spezifische Formen haben, kann man die Wanderung der Urnenfelderkultur bzw. ihrer Menschen nachvollziehen. Nachkommen dieser Kultur dürften um 1200 vor Christus in Indien eingefallen sein und die Leichenverbrennung dorthin gebracht haben.

Sepp hört aufmerksam zu und sagt: „Der Pfarrer Wagner von Windischgarsten ist dennoch gegen Verbrennungen. Er ist sehr konservativ. Aber er hat viele Anhänger. Diese halten fest zu ihm. Privat ist er ganz lustig.“ Ich erzähle die Geschichte, wie ich mit dem Herrn Pfarrer, Eva und Manfred Bodingbauer im Gasthaus gesessen bin. Der Pfarrer wies darauf hin, dass er ein treuer Anhänger des LASK , des traditionellen Linzer Fußballvereins, sei. Darauf erwiderte Manfred Bodingbauer , der früherer Direktor des Gymnasiums in Kirchdorf, nicht ohne Stolz, dass er Rapid- Anhänger sei. Wie der Pfarrer dies hörte, ist er aufgestanden , hat Herrn Bodingbauer in gespieltem Ernst angesehen und gefragt: „Ist dies eine Beichte?“ Obwohl der Pfarrer eine gewisse katholische Eigenwlligkeit hat, hat er doch Witz. Sepp meint dazu: „Er ist wie der Papst, er hält sich an die Regeln. Er ist sicher verlässlich.“

Der Totengräber als Gegner der Verbrennungen

Auch für die Totengräber ist die Feuerbestattung ein Problem, wie Sepp lächelnd meint: „Wir als Totengräber haben freilich geschaut, dass sich nicht zu viele Leute verbrennen lassen, damit wir etwas verdienen. Wir haben daher allweil den Leuten erzählt, wenn man sich verbrennen lassen will, muss man einen Zettel holen, auf dem alles steht, was man mitnehmen muss, wenn man einmal verbrannt werden will. Auf dem Zettel steht, dass man drei Tage vor dem Sterben keinen Alkohol. trinken darf wegen der Explosionsgefahr. Man muss ein Reindl für das Schmalz mitnehmen und eines für die Grammeln. Der Hetz halber haben wir das den Leuten gesagt. Manche haben es vielleicht geglaubt. Mit dem Verbrennen habe ich nichts zu tun, obwohl es Totengräber gibt, die auch beim Begräbnis dabei sind, sie tragen die Urne und graben sie ein. Mir fällt auf, dass seit 2008 sich immer mehr Leute verbrennen lassen. Früher waren es vielleicht 10 bis 15 Prozent der Toten, die verbrannt wurden. In der besten (!) Zeit habe ich in einem Jahr 94 Begräbnisse gehabt. Jetzt sind es bloß 40 oder 50. Das ist mir jetzt angenehm, weil ich auch schon älter bin. Man sieht es nicht, aber trotzdem lässt die Kraft des Körpers nach.

Vor Kurzem ist der Jörg, der Sohn von Rosemarie und Sepp Fasching gestorben“. Der Sarg von Jörg wurde in die Kirche getragen, dort aufgebahrt und nach dem Trauergottesdienst mit einem größeren Auto nach Linz zur Verbrennung gebracht. Dazu erzählt Sepp: „. Es dauert für gewöhnlich ein oder zwei Wochen, bis dann die Urne beigesetzt werden kann. Die Urne von Jörg habe ich eingegraben.

Das Loch habe ich gemacht, ca einen halben Meter, so dass man mit der Schaufel hineinkommt. Der Bestatter, der junge Berner, konnte dies nicht, weil er einen Unfall mit dem Pferd hatte. Er hatte sich dabei das Handgelenk, eine Rippe und das Schulterblatt gebrochen hat. So musste ich die Urne – die Beisetzung fand in engstem Familienkreis statt – tragen. Der Bestatter hat aber die Urne in das Loch gegeben und ich bin dann später, wie die Leute bereits weg waren, wieder gekommen, um das Loch zu zugraben. Ich werfe ein, dass ich bei seiner Verabschiedung auf dem Windischgarstner Friedhof dabei war, seine Eltern sind Jugendfreunde von mir.

Der Alltag des Totengräbers

Ich will wissen, wie seine Arbeit am Beginn seiner Tätigkeit als Totengräber war. Sepp führt aus: „Der Berner, der Bestatter, hat mir gezeigt, wie das geht. Mit der Scheibtruhe habe ich die Bretter zum Friedhof geführt und habe zuerst den Grabstein weggegeben, bevor ich zu graben begonnen habe. Das war bei meinem ersten Grab. Das zweite Grab habe ich dann schon alleine gegraben. Alles muss richtig stehen. Man darf nicht zu eng anfangen, damit der Sarg auch hinein passt. Das darf kein Problem sein. Gott sei Dank habe ich bis jetzt noch nie ein Problem gehabt. Ich schau immer, dass das Grab breit genug ist. Wenn dies nicht ist, besteht die Gefahr, dass, wenn die Erde recht drückt, das Grab schmäler wird. 2,20 Meter muss man lang graben.“

Sepp zeigt ein Bild und erklärt: „Dieses Bild zeigt mich, wie ich im Grab stehe, ich beginne da gerade mit dem Graben. Hier wird die Umrandung aufgestellt, die anderen Gräber muss ich abdecken, denn dort kommt die Erde hin. Das Grab hier ist 2 Meter 20 lang und 80 Zentimeter vorne breit und hinten 70 Zentimeter breit. Das Grab ist ein bisserl konisch. Das Tiefgrab hat 1 Meter 80 Tiefe. Man soll graben soweit es geht. Wenn ich auf einen alten Sarg stoße und der nicht ausgegraben werden soll, so lass ich das. Für gewöhnlich muss ich da zuerst ein tiefes Grab machen, dass auch der Partner Platz hat.“ So dürfte das Grab meiner Eltern beschaffen sein, das auch von Sepp gegraben wurde.

Ich meine, dass in einem Grab, in dem schon mehrere bestattet sind, es doch sein kann, dass der zuletzt Begrabene noch nicht ganz verwest ist.“ Sepp nickt und sagt: “Zum Großteil sind die vorher Begrabenen schon verwest, bevor der neue Sarg drauf kommt. Ein großes Problem haben wir in den siebziger Jahren gehabt. Damals hat man die Toten in Plastiksäcken eingepackt. In diesen Säcken verwesen sie sehr lange nicht. Das mit den Plastiksäcken hat sich dann aufgehört. Nur unten im Sarg kommt Plastik, damit nichts ausrinnen kann. Aber oben soll die Luft dazu kommen. Die Verwesungszeit ist mindestens 20 Jahre .in unserer Gegend. Wenn die Leichen verwest sind, kann man weit hinunter. Knochen hat man immer. Die Knochen sind keine Probleme. Sie werden gesammelt und unten hinein getan. Wenn noch Angehörige in das Grab kommen sollen, muss ich ein Tiefgrab machen. Auf drei Friedhöfen grabe ich. Windischgarsten ist der Hauptfriedhof, dann habe ich noch Spital am Pyhrn und St. Pankraz.

In diesen drei Pfarren gibt es ungefähr achttausend Seelen, ein Prozent von diesen stirbt im Jahr.

17 Jahre lang habe ich alles mit der Hand gegraben. Dann habe ich mir einen Friedhofsbagger gekauft. Einen solchen muss man in fünf Teilen zum Grab führen und dann zusammenbauen. Auch das ist viel Arbeit. Die Ölpumpe des Baggers wird elektrisch angetrieben Man braucht mit dem Bagger mehr Platz, damit man sich rühren kann. Mit der Ablagerung der Erde ist es auch nicht so einfach. Die Ölpumpe wird bei dieser Maschine elektrisch angetrieben. Ich grabe trotzdem die Hälfte mit der Hand. Anfangen muss ich ohnehin mit der Hand, damit alles stabilisiert wird, auch wenn ich mit dem Bagger grabe Es ging schon fast schneller mit der Hand, aber man muss sich mehr schinden als mit der Maschine. Die Tiefgräber sind so einen Meter und 80Zentimeter vom Boden weg, wie ich schon gesagt habe. Die Normalgräber sind einen Meter und 40 oder 50Zentimeter tief. Noch bin ich ohne Leiter aus dem Grab gekommen. Ich muss ja unten das Grab auch pölzen, auf dass es nicht zusammenfällt. Es kommt auf das Erdmaterial an. Am Zentralfriedhof, wird nichts gepölzt, weil die Erde fest ist. Da hauen sie Erde nur so hinaus. Wenn die Erde aus zu viel Lehm besteht und es regnet, kann es gefährlich sein. Man muss pölzen, sonst beginnt die Erde zu rutschen. Das Totengraben ist kein schlechtes Geschäft, aber man darf nicht vergessen, Steuern von den Einnahmen zu zahlen.

Im Jahre 1987 bin ich einmal vom Finanzamt ordentlich geschröpft worden. Zuerst ist alles ohne Steuern abgegangen. Auf einmal ist die Steuerprüfung gekommen. Ich musste im Jahr1988 100.000 Schilling nachzahlen. Bis 1984 zurück haben sie geprüft. Ich werde nicht per Stunde bezahlt, sondern es ist eine Pauschale, die ich für das Graben eines Grab erhalte. Ich bin nicht angestellt, ich bin selbständig. Als Totengräber übt man ein freies Gewerbe aus. Man wird pro Grab gezahlt. Jetzt schreibe ich auch selber die Rechnung. Früher ging es über den Bestatter Berner, der hat aber auch keine eigene Rechnung ausgestellt für meine Arbeit, sondern er hat einfach einen Zahlschein für meine Arbeit zur Bestatterrechnung gegeben. So bin ich bezahlt worden. Das war zuerst alles schwarz. 1979 bis 1984 habe ich also schwarz gegraben. Auf einmal ist die Rückzahlung gekommen. Ungefähr 350 Euro bekomme ich für das Schaufeln von einem Grab. 5 Stunden Arbeit rechne ich für ein Grab. Zu meiner Arbeit zählt nicht nur das Aufgraben, sondern auch das Zugraben , das Wegtragen der Kränze und das Nachschaufeln des Hügels. Ich bin oft am Friedhof, um dort zu arbeiten. Ich schau immer wieder, ob alles in Ordnung ist. Mich kontrolliert niemand bei meiner Arbeit. Ich hatte auch nie Probleme. 31 Jahre lang mache ich das Totengraben schon. Ich mache meine Arbeit schön, ich bin sehr verlässlich. Ab und zu helfe ich auch dem Berner, wenn er sonst niemanden hat, beim Abholen der Toten.“

Ich erzähle, dass mir der Berner, der Bestatter, einmal gesagt hat, ihm sei es wichtig, dass der Tote oder die Tote noch eine Zeit im Haus bleibt, damit sich die Angehörigen noch mit dem Toten auseinandersetzen und verabschieden können. Früher war der Tote, wie heute noch in Siebenbürgen, drei Tage aufgebahrt. Man saß am Abend beim Toten, sang Lieder und betete. Nach dem Beten wurden bei uns noch Most und Brot angeboten. In meinem Buch „Aschenlauge“ habe ich dies beschrieben. In Gegenwart des Toten wurde also gegessen und getrunken. Mir wurde auch erzählt, dass manche Beteiligte sich dabei sogar betrunken hätten.

Das falsche Grab

Sepp weist noch einmal darauf hin, dass es vom Bestatter abhängig ist, ob er ein Grab machen darf, denn er ist es offensichtlich, der ihm den Auftrag dazu erteilt. Er weiß auch von Schwierigkeiten zu berichten, die sich aber legten. Es gab Missverständnisse, die schließlich beseitigt wurden. Er dürfte sich gut mit dem Herrn Berner, dem Bestatter, verstehen.

Sepp meint dazu: „Er kann sich voll auf mich verlassen. Ich habe ihm jedes Grab gemacht, das er wollte. Es kann aber auch passieren, dass ein falsches Grab angesagt wird und man ein falsches Grab erwischt. Das ist mir auch ein paar Mal passiert. Im letzten Moment habe ich doch noch das richtige Grab ausgegraben und das andere wieder zugeschaufelt und alles hergerichtet“.

Erlebnisse als Totengräber

Ich frage Sepp nach seinen Gedanken zum Tod, ob er sich solche überhaupt mache. Sepp nickt und sagt: „Man macht sich sicher genug Gedanken. Oder ich frage mich: warum tust du dir diese Arbeit überhaupt an? Es ist doch viel zu tun. Einige Male bin ich bis Mitternacht im Friedhof gestanden. Im Winter ist die Erde oft viele Zentimeter tief gefroren. So ein Winter war im Jahre 1988. Damals war die Erde 70 Zentimeter gefroren. Da musste ich alles mit der Hand machen, mit dem Krampen. Damals war ich noch jünger. Heute schremme ich mit dem elektrischen Schremmhammer die Erde heraus.

Sepp legt mir ein Bild vom Spitaler Friedhof vor. Es ist ein schöner Friedhof mit schönen Grabkreuzen am Fuße des Felsens mit der gotischen Friedhofskirche

Dazu meint Sepp: „In Spital ist es gefährlich neben der Kirche im Winter zu graben, weil der Schnee herunter fallen kann. So eine Dachlawine kann tödlich sein. Einmal ist mir so etwas passiert. Da bin ich nach Spital zum Zugraben gefahren. Wie ich hinkomme, ist gerade der schwere Schnee vom Dach auf das Grab gefallen. Wenn ich etwas früher gekommen wäre, hätte es mich erwischt. Der Schnee war hinein gepresst in das Grab. Mit dem Krampen musst ich ihn rausholen. Wenn der Schnee herunter gekommen wäre, als die Träger den Sarg hinunter lassen, dann hätte es sie alle erwischt. Auf diesem Bild ist der Huemer Franz zu sehen, er ist der Friedhofs-Nachbar in Spital. Er kommt immer nach schauen, wenn ich in Spital zu graben habe.“ Zu einem anderen Bild meint Sepp: „Das ist ein Bild vom Windischgarstner Friedhof vom Frühjahr, da liegt der ganze Dreck da, wenn der Schnee weg geht.

Erleben tut man etwas als Totengräber! Einmal, ich war gerade am Friedhof, hat sich ein junger Bursch gleich bei der Leichenhalle in Windischgarsten erschossen. Er war der Sohn vom G., er war erst 25 Jahre alt. Auf einmal höre ich jemanden schreien. Sein Freund hat nach ihm geschrieen. Ich habe nun ein wenig gehorcht, auf einmal hat man schon einen Schuss gehört. Ich bin dann von der Leichenhalle mit dem Auto weg gefahren. Ich habe nicht gesehen, dass der Bursch in der Wiese liegt. Ich habe auch nicht geschaut. Die Nachbarn haben geschaut, wer da weg gefahren ist. Ich war das, der da gefahren ist. Man hat mich verdächtigt und gefragt, was ich da am Friedhof gemacht habe. Wie ich gesagt habe, ich bin der Totengräber, war alles klar. Der junge Mann hatte sich selbst erschossen.

Das Begraben von Freunden

Auch einen meiner guten Freunde habe ich eingegraben, er ist mit dem Motorrad verunglückt. Baumgartner Anton hat er geheißen. Bei ihm bin ich „ansagen“ gegangen zu den Leuten“. „Ansagen“ nennt man in Oberösterreich die Benachrichtigung der Dorfbewohner durch einen „Ansager“ oder eine „Ansagerin“ vom Tode eines der ihren. Der Ansager geht von Haus zu Haus , oder von Hof zu Hof und teilt den Leuten mit, dass jemand gestorben ist und wann das Begräbnis und die Betstunden für den Toten sind. Sepp erzählt weiter: „Ich habe meinen Freund also eingegraben, er war 27 Jahre alt. Er war so alt wie ich. Ich habe es als Freundschaftsdienst gesehen, ihn einzugraben. Ich habe daher auch nichts für meine Arbeit verlangt. Ich habe mir gedacht, wir waren sehr gut befreundet. Seine Mutter und seine Schwester sind ein paar Tage nach dem Begräbnis zu mir gekommen und haben mir ein paar Geschenke gebracht.

Einige habe ich schon eingegraben, die an einer Krankheit gestorben sind und so alt waren wie ich oder sogar jünger. Das berührt mich schon, überhaupt wenn ich die Angehörigen sehe, wie sie weinen. Andererseits darf man sich auch nicht zu viel denken dabei, es ist eben mein Beruf.

Den Schwiegervater haben wir letztes Jahr eingegraben. Ich habe ihn nicht selbst eingegraben. Das soll man anscheinend nicht, dass man selbst die eigenen Leute aus der Familie eingräbt. Den Freund habe ich eingegraben, aber der gehört nicht zur Familie. Ich weiß zwar nicht, warum man Leute aus der eigenen Familie nicht eingraben soll, auch die Großeltern nicht. Ich habe gehört , dass man das nicht unbedingt tun soll. Einen Onkel habe ich aber eingegraben“.

Das gemeinsame Mal nach dem Begräbnis – die Zehrung

Interessant sind auch Sepps Gedanken zur „Zehrung“, dem klassischen „Leichenschmaus“, wie man dieses Essen nach dem Begräbnis in Österreich meist nennt: „Meistens kommen die Angehörigen nach dem Begräbnis zu mir, hie und da laden sie mich zur Zehrung, zum Essen danach, ein. Es ist aber nicht mehr so wie früher, dass man selbstverständlich zur Zehrung eingeladen wird. Oft denken sie nicht daran. Ich habe mein Gasthaus in Windischgarsten, den Kemmetmüller, wenn dort eine Zehrung ist, schreibt der Wirt schon für mich ein Essen auf. Ich kann jederzeit zur Zehrung hinkommen. Auch die, die nur den Sarg tragen, gehen zu der Zehrung. Die meiste Arbeit habe aber ich. Der Bestatter selber hat es am schwersten. Es ist nicht leicht, die Leiche abzuholen. Wir haben schon einige miteinander geholt. Aber sonst habe ich mit dem nichts zu tun“.

Der Aufenthalt auf dem Friedhof - Tratsch und Arbeit

Ich frage, ob ihm der Aufenthalt auf dem Friedhof hie und da beunruhigt, er ist doch zwischen lauter Toten. Sepp meint: „Überhaupt nicht. Ich habe einmal bei einem Donnerwetter gearbeitet. Was hätte ich machen sollen ? Das Grab musste am nächsten Tag fertig sein ! Trotz des Gewitters habe ich mit Krampen und Schaufel weiter gegraben. Auf einmal drehe ich mich und sehe hinter mir einen Mann mit einem Wildwesthut und mit einem Gummimantel bekleidet. Er hat nur in den Friedhof geschaut, er ist zum Grab seiner Frau gegangen. Da schreckt man sich schon, wenn so einer hinter einem steht.

Man darf sich bei der Arbeit auch nicht vertratschen. Es kommt immer wieder einer daher, um zu tratschen, während ich arbeite. Viele möchten ein wenig reden mit mir. Ich tue dies auch, es ist etwas Abwechslung. Ab und zu muss man ohnehin etwas rasten beim Graben. Aber wenn man zu viel mit den Leuten tratscht, kommt man mit der Arbeit nicht weiter. Ich will doch schnell fertig werden. Am Anfang habe ich nicht einmal ein Licht gehabt beim Grabmachen. Heute mache ich viel bei elektrischem Licht. Ich lege mein Kabel hin und die Lampe dazu. So bin ich an keine Tageszeit gebunden. Am Anfang, als ich meine ersten Gräber hatte, ist es mir öfter finster geworden. Sommerzeit hatten wir damals noch keine. Nun musste ich um 5 Uhr in der Früh wieder zum Friedhof fahren, um schnell das Grab fertig zu graben. Nachher fuhr ich zu meiner Arbeit bei der Müllabfuhr. Und am Tag darauf musste ich das Grab wieder zugraben. Ein anderes ist vielleicht wieder zum Aufgraben. Da hat man es eilig.“

Die Oma, die einen Kopfstand machte

Eine Geschichte fällt Sepp noch ein: „Während des Winters muss ich auch Schnee schaufeln. Oft haben wir zwei Meter Schnee, so dass oft nichts herausschaut, kein Grabkreuz . Da ist mir einmal etwas Blödes passiert. Es hat an diesen Tagen sehr viel geschneit. Der Friedhofsverwalter hat vor einem Begräbnis den Schnee von den Wegen weg geräumt. Er hat nicht aufgepasst, dass ich bereits ein Grab frei geschaufelt habe und hat viel Schnee in das leere Grab gefräst. Meine Bretter zum Pölzen waren noch unten im Grab. Wie ich nun nach dem Begräbnis zum Grab komme, lag der Sarg nicht am Boden des Grabes, sondern auf dem Schnee, der ziemlich hoch war. Ich habe mich gefragt: was tue ich jetzt? Ich bring den Sarg nicht heraus. Jetzt habe ich den Sarg aufgestellt. Dabei habe ich den Sarg an einem Ende mit einem Strick aufgehoben und habe den Schnee darunter etwas weg geputzt, damit ich meine Bretter erwische, also die Schalung, die unten liegt. Während ich so herum werke, kommt eine Enkelin der toten Großmutter, die in dem Sarg war, daher. Jetzt schaut sie, was ich da tue mit dem Sarg. Mir war die Situation peinlich. Ich habe ihr nun erzählt, dass ich meine Bretter, die im Grab sind, brauche. Darauf hat sie gesagt: ‚Das habe ich mir nicht gedacht, dass die Oma noch einen Kopfstand macht.’

Die heiteren Treffen der „vereinigten Totengräber“ Ich frage Sepp, ob es Gruppen von Totengräbern gibt, die sich auch regelmäßig treffen. Er nickt und erzählt: „Es gibt auch bei uns die „Vereinigten Totengräber“. Ich war in Tunesien auf Urlaub. Wie ich mit Mitreisenden ins Reden komme, fragt mich eine Frau, was ich von Beruf bin. Ich habe geantwortet: ‚Ich habe tausend Leute unter mir!’ Sie hat mich darauf sofort gefragt: ‚Bist du vielleicht ein Totengräber ?’ Sage ich: ‚Ja, wie kommst du darauf ?’ Sagt sie: ‚Ja, mein Bruder ist auch Totengräber’. Es hat sich heraus gestellt, dass ihr Bruder der Schriftführer von den ‚Vereinigten Totengräbern Oberösterreichs“. Durch diese Frau bin ich schließlich auf diesen Verein gestoßen und Mitglied in diesem geworden“. Sepp zeigt mir einige Bilder von heiteren Veranstaltungen der „Vereinigten Totengräber“. Er erzählt dazu: „Im Jahre 1998 bin ich das erste Mal bei einem Treffen der ‚Vereinigten Totengräber’ gewesen. Jedes Jahr trifft man sich irgendwo. Dabei werden Meinungen ausgetauscht und Ratschläge gegeben. Bestatter sind nicht dabei, nur wir Totengräber. Am 24. 4. 2005 habe ich selbst ein solches Treffen durchgeführt. Wir haben uns im Gasthaus Sperlhof bei Windischgarsten getroffen“. Er zeigt mir ein Gruppenfoto, das vor der Windischgarstner Kirche aufgenommen wurde. Auf einem Bild sieht man den Windischgarstner Heimatforscher Jörg Strohmann, der die Totengräber durch die Kirche führt. Auf einem anderen Bild, das mir Sepp zeigt, sieht man die Mitglieder des Vereins der Totengräber in heiterer Ausgelassenheit im Gasthaus. Sepp zeigt auf ein Bild und erklärt: „Hier siehst du meinen Bruder mit der Quetschen, der Ziehharmonika“. Auf einem Bild ist eine heitere Dame mit einem komischen Musikinstrument zu sehen, einer Art Trompete. Sepp sagt dazu: „Dese Frau hat nichts mit dem Totengräbern zu tun, sie hat für uns lustige Musik gemacht, wir haben sie nur zum Witze Erzählen eingeladen, Resi hat sie geheißen, sie ist eine Freundin meiner Frau. Sie ist, glaube ich, eine Linzerin, sie hat fest geblasen.“ Zu einem anderen Bild meint Sepp: „Hier ist ein Totengräber von Haag im Hausruck zu sehen. Dieses Bild ist von meinem ersten Treffen der Totengräber. Die Totengraber-Treffen sind immer sehr interessant. Man redet viel über die Arbeit, aber auch über die Klienten.“

Sepp lacht und ergänzt: „Auch Frauen sind dabei. Es gibt Frauen, die mithelfen beim Totengraben. Meine Frau hätte das nie getan. Sie macht das nicht.“ Jedenfalls dürfte das von Sepp organisierte Treffen der „Vereinigten Totengräber“ ein voller Erfolg gewesen sein. Sepp zeigt noch ein weiteres Bild von einem Ausflug der „Vereinigten Totengräber“ nach Tirol, wo sie sich einen prächtigen Friedhof anschauten. Man ist also auch an Weiterbildung interessiert.

Zu einem anderen Bild erklärt Sepp: „Auf diesem Bild sieht man unser Totengräber-Treffen in Schladming. ‚Versenkungsräte’ sagen die Kollegen zu uns Totengräbern.“

Sepp lacht. Ich rede ihn nun mit dem Titel „Versenkungsrat“ an. Dies erheitert ihn. Er erzählt weiter: „Zunächst waren in unserem Verein der ‚Vereinigten Totengräber“ die Totengräber von Salzburg und die von Oberösterreich beisammen. Dann waren wir schon zu viele und trennten uns, jetzt sind wir Oberösterreicher alleine“. Sepp zeigt mir noch ein Bild von einem weiteren lustigen Treffen der Totengräber und sagt: „Hier sind die Oberösterreicher zu sehen. Hier bin ich da. Das war eine Mords Gaudi. Es war auch ein Zauberer dabei. Das war im Herbst auf der Planai in Schladming.“

Die „Vereinigten Totengräber“ sind also heitere Herren, wie diesen Bildern zu entnehmen ist, die durch Witz und Humor mit dem den Menschen bedrückenden Problem des Todes fertig werden und als etwas Alltägliches zu begreifen versuchen.

Dazu gehört auch folgender, nicht ganz taktvoller Witz, den mir Sepp erzählt: Eine sehr alte Frau irrt am Friedhof herum, trifft den Totengräber und fragt ihn:’ Könnten Sie mir das Grab mit der Nummer 110 zeigen.’ Darauf der Totengräber: ‚Warum kletterst du heraus, wenn du nicht mehr nach Hause findest!’“

Ich frage Sepp, wie die Leute reagieren, wenn er ihnen sagt, dass er Totengräber sei. Sepp meint: „Sie schauen überrascht, aber dann finden sie nichts dabei. Hie und da mache ich mir auch einen Spaß damit, dass ich besonders betone, ein Totengräber zu sein. Als Totengräber ist man etwas Besonderes. Sicher ist man interessant. Manche schrecken sich aber, wenn man sagt, dass man Totengräber ist. Meine Frau hätte sich nie gedacht, dass sie einmal mit einem Totengräber verheiratet ist.“ Ich erzähle nun Sepp, dass ich einmal bei einem Fortbildungskurs der Bestatter in Wien in der Goldegggasse dabei war. Es war einer der lustigsten Nachmittage, die ich verbracht habe. Bei diesem Kurs trat ein professioneller Leichenredner auf, der, ohne den Toten zu kennen, auf Grund von Angaben der Angehörigen Lobreden über den Toten hält. Einmal sei es ihm passiert, so erzählte der Mann, dass bei einem Begräbnis eines Mannes auf der Kranzschleife des Kranzes, der direkt auf dem Sarg lag, stand: „Es war zu kurz – dein Spazi!“ Sepp lacht hellauf und sagt dazu: „Für den Leichenredner ist das Leichenreden sein Alltag, der ist ja nicht traurig dabei. Man reißt ja oft einen Schmäh, auch wenn daneben ein Begräbnis ist. Innerlich hat man ja Abstand dazu.“

„Den habe ich eingegraben“

Zwischen dem Totengräber und dem von ihm Beerdigten scheint eine interessante Beziehung zu bestehen. Diese drückt sich darin aus, dass der Totengräber, wenn über einen Verstorbenen, den er begraben hat, gesprochen wird, er zunächst darauf verweist, dass er ihn begraben hat. Dies fällt mir auf, als ich mit ihm über meine Eltern, die auf dem Windischgarstner Friedhof begraben sind, rede. Ich verweise zunächst auf das schöne schmiedeeiserne Grabkreuz von Lindermayr, dem Schmied von Spital am Pyhrn. Sepp erzählt dazu: „Ich kenne das Grab gleich bei der Kapelle. Ich habe ohnehin deine beiden Eltern eingegraben. Damals sind wir beide so richtig zusammen gekommen, wir haben, wie ich das Grab deiner Eltern zugeschaufelt habe, über deine Eltern geredet und über den Tod philosophiert. Deine Eltern, die Girtlers waren beliebt als Ärzte. Den Schmied Lindermayr, der das Kreuz gemacht hat, den habe ich auch eingegraben. Das war mein erstes Begräbnis in Spital am Pyhrn. Der Sohn vom Lindermayr, der Andreas ist mit mir in die Schule gegangen.“

„Jedes Begräbnis“, erzählt Sepp, „ist für die Angehörigen traurig, auch wenn der Verstorbene schon alt war. Ich beginne über das Begräbnis von Edgar Zöls, dem früheren Wirt, zu erzählen. Wie ich den Namen Edgar Zöls ausspreche, fügt Sepp sofort hinzu; „Den habe ich auch eingegraben“. Ich schildere nun: „Ich bin nach dem seinem Begräbnis zu spät zur Zehrung, zum Leichenschmaus, ins Gasthaus gekommen. Da ergab sich eine komische Situation. Die Trauergäste hatten schon angefangen zu essen und zu trinken. Wie ich gekommen bin, waren sie alle schon lustig. Ich habe dem Sohn vom Edgar, dem Gerhard, mein Beileid ausgedrückt. Dieser, er war schon gut aufgelegt, musste nun ernst sein, als ich ihm die Hand gab. Nachher war er wieder lustig, und ich auch, als ich dann aß und trank.“ Sepp ergänzt: „So ein Leichenschmaus ist wichtig, überhaupt, wenn jemand sein Alter erreicht hat. Oft ist mit dem Tod eine Erlösung dabei.“

Der Herr über die Gräber

Sepp meint, er hätte es heute finanziell nicht mehr nötig, als Totengräber zu arbeiten, aber er macht seine Arbeit am Friedhof gerne, ebenso wie die bei der Müllabfuhr. Aber der Friedhof hat eine besondere Faszination für Sepp, denn er hat direkt mit Menschen zu tun, die alle ihre Geschichte haben. So sagt er: „Wenn ich so grabe, lese ich oft die Grabsteine. Ich lese, wie viele junge Leute im Krieg gefallen sind, oft drei bis vier Burschen einer Familie. Oder wie jung manche waren, wie sie gestorben sind. Da mache ich mir meine Gedanken. Bei alten Leuten gehört das Sterben zum Leben!“

Sepp zeigt mir Bilder, die ihn zum Teil mit nacktem Oberkörper beim Grabschaufeln oder am Grab stehend zeigen. Auf einem Bild sieht man Sepp im Schnee am Friedhof im Winter 2005, man sieht nur die Kreuze heraus schauen. Auch die kleine Kapelle sieht man. Dazu fällt Sepp ein: „In dieser Kapelle ist die Gruft für die Windischgarstner Pfarrer. Ich war dabei, wie die Gruft ausgeräumt wurde, in den achtziger Jahren: In dieser waren 3 Pfarrer beerdigt. Die Särge waren schon vermodert. Wir haben alles raus und die Knochen wo anders eingegraben. Die Gruft haben wir sauber gemacht für den Pfarrer Kierner. Der ist dann dort in die Gruft der Kapelle gekommen“.

Ich meine noch, dass jene, die an der Mauer des Friedhofes, wie ich sehe, die feinen Leute des Ortes sind, wie die Gastwirte, die Bäckermeister , die Apotheker und auch die Sensenschmiede. Sepp antwortet: „Normalerweise ist es so, denn ein Grab an der Wand ist teurer.“

Ich weise darauf hin, dass manche Gräber, wie die der Schröckenfux, die als Sensenschmiede echte Herren waren, historisch interessant sind und dass, wenn niemand mehr für diese zahlt, die Gemeinde diese doch erhalten müsste. Sepp gibt mir recht. Ich beklage mich, dass ein Grab der Familie von Frankenstein, die in der Vorkriegszeit in Windischgarsten Grund und Boden hatte und eine Art Herrenschloss, in dem heute die Büros des „Nationalparks Kalkalpen“ untergebracht sind, aufgelöst wurde. Dieses Grab war gleich bei dem meiner Eltern, daher fiel mir das Verschwinden des Grabes der Frankenstein auf. Sepp stimmt meinen Überlegungen zu.

Abschließend meint Sepp : „31 Jahre lang mache ich schon dieses Geschäft.

Ich mache auch selten Urlaub. Es ist so bei dem Geschäft, dass man nicht weiß, wann zu arbeiten ist. Da ist einmal in einer Woche nichts, und dann sind in einer Woche drei zu begraben. Einmal habe ich einen Winter gehabt, das war 2005, da sind in 14 Tagen 13 Leute gestorben. In 14 Tagen waren im Jänner 2005 also 13 Begräbnisse. Zum Schi fahren war da keine Zeit.“

Ich danke Sepp für seine Ausführungen, auch er freut sich, dass er mit mir über seinen Beruf sprechen konnte.

Gedanken zum Alltag des Totengräbers

Der Totengräber , hier ähnelt er seinem Kollegen von der Müllabfuhr, hat die wichtige Aufgabe, die Toten einer Gemeinschaft an einem dafür vorgesehenen Ort, dem Friedhof, so zu „vergraben“, dass sie den Blicken der Menschen entzogen sind. Wesentlich ist, dass mit dem Herstellen des Grabes, der rituellen Beisetzung des Toten und des Errichtens eines Kreuzes oder eines Grabsteines mit dem Namen des Toten und seinen wichtigsten Daten diesem ein Denkmal des Erinnerns gesetzt wird. Der Tote, dies ist gerade in bäuerlichen Kulturen so, ist daher noch weiter Mitglied der Gemeinschaft, den man auch regelmäßig an bestimmten Tagen aufsucht und sein Grab schmückt. Eine besondere Nähe des Toten zu den Lebenden ist oft symbolisch dadurch gegeben, dass der Friedhof unmittelbar bei der Kirche liegt oder diese umgibt. Während die heutigen Totengräber ihre Arbeit als durchaus geachteten Beruf sehen, gehörten ihre Vorläufer im Mittelalter sogenannten „unehrlichen Berufen“ an. In die Literatur fanden Totengräber vor allem Eingang durch das Drama „Hamlet“ von Shakespeare. In diesem treten zwei Totengräber auf, die sich Gedanken auch über ihren Beruf machen. Der eine der beiden bezeichnet den Beruf des Totengräbers als einen uralten „edlen Beruf“. Er sagt nämlich zu seinem Kollegen, mit dem er eben dabei ist, ein Grab zu schaufeln, dies: „ Komm, den Spaten her! Es gibt keine so alten Edelleute als Gärtner, Grabenmacher und Totengräber , sie pflanzen Adams Profession fort.“ Tatsächlich meine ich, im Gespräch mit Sepp einen gewissen Stolz heraus gehört zu haben, schließlich hat er nicht nur mit der Erde, aus der alles Leben entsteht, zu tun, sondern auch mit dem Tod, dem sich alles Lebende zu beugen hat. Insofern sieht sich Sepp, ebenso wie seine Kollegen von den „Vereinigten Totengräbern“, als Herr über Leben und Tod, überhaupt wenn Sepp auf die Frage nach seinem Beruf meint, er habe „tausend Leute unter sich“.

Literatur :

Roland Girtler, Die feinen Leute, Von der vornehmen Art, durch das Leben zu gehen, Wien 2002 (2.Aufl.)

Roland Girtler, Aschenlauge - Die alte Kultur der Bauern, Wien 2012 (2.Aufl.)

Roland Girtler, Eigenwillige Karrieren, Wien 2012