Mentor

Als Privatgelehrter im Dienste von Institutionen –

Horst Behrens

Tracerkurs in Bochum 2007

Als Privatgelehrter im Dienste von Institutionen –

– eine Paradoxie, die nicht ohne Tragik blieb:

Abschied? Rendez-Vous mit

Horst Behrens

(16.12.1929 – 16.5.2019)

Eine leise Sternstunde angewandter Geowissenschaft zieht in noch stillere Ferne. Man blickt zurück auf Kometenhaftes, das Horst Behrens’ gesamte Biografie durchzieht:

Nach einigen erschütternden Erfahrungen der Kindheit im Dritten Reich in Hannover, Dortmund, Naumburg an der Saale, nach Chemie-Lehrjahren “in der Produktion” der ‘50er bei Jena, Merseburg, Leuna, Halle und durstigem Baden in Weltliteratur dank Leipzigs legendärer Bibliothek zu letzter Freiheitsstunde kurz vor deren ideologischen ‘Säuberung’ – ab 1953 in Westberlin, Chemie-Student an der TU. Seine Diplomarbeit nimmt 1959 vorweg, was später zu einer ganzen Forschungsrichtung wächst: die Bedeutung kolloidaler Transportprozesse in aquatischen Systemen. Und noch als Student prägt er beim WaBoLu apparative Innovationen, die später zum Stand der Technik in der Umweltüberwachung werden.

Ebenso pionierhaft prägt er in den ‘60ern den Aufbau des Instituts für Radiohydrometrie, zunächst nah bei der Münchner LMU-Hydrogeologie (Richard-Wagner- und Luisenstraße), später als Institut für Hydrologie der GSF in Neuherberg, wo er die (damals noch unumgängliche) Aktivierungsanalytik (u. A. für Indium) und die angewandte Spektralfluorimetrie wässriger Lösungen (Synchronscan, pH-Justierungen etc.) für tracerhydrologische Zwecke auf- und ausbaute.
Memorable Fluidmarkierungskampagnen im Raum D-A-CH, erweitert mit dem Karst Sloweniens und Griechenlands (wie in den
Steirischen Beiträgen zur Hydrogeologie, den SUWT Proceedings der Association for Tracer Hydrology (ATH) und in IAEA Reports dokumentiert), mit der tracergestützten Aufschlüsselung der Frankenalb-Hydrogeologie als einer bis heute noch wegweisenden Leistung – alles nur Teil einer Anwendungsvielfalt, die von Gletscherabflussmonitoring in den Alpen, Projektberatung in Israel in flachhydrologischen sowie Tiefenreservoir-Fragen, über Tracertests im Endlager­wesen (NAGRA, PTB) bis hin zu kleineren und größeren Wasserversorgungs- und Zivilbauvorhaben (Talsperren, Pumpspeicherwerke, Kläranlagen in Deutschland und Brasilien, U-Bahnbau, Deponien) reicht.

Die ab 2002 von der Universität Göttingen initiierte tracer­gestützte Charakterisierung tiefer Georeservoire (KTB, Oberrheingraben, Horstberg und Groß Schönebeck im Norddeutschen Sedimentärbecken, u. A.) wäre ohne sein Tracerwissen, ohne seine langwierigen Tag- und Nachtein­sätze im Feld, ohne die von ihm mit über 80 Jahren noch entwickelte Festphasenextraktion und Chromatographie einer Reservoirtracerklasse nicht denkbar gewesen. Dabei war schon in den ‘80-‘90ern sein Indium-EDTA (mit Aktivierungsanalyse) als Tracerkandidat im Stanford Geothermal Program zitiert und erfolgreich angewendet worden.

Einen gewissen Kontrast zur Unrast der Feldarbeiten bildet seine Lehrtätigkeit als ausgewogene Komposition aus Leichtgängigkeit und Ernst – geduldig und empathisch, mit einzigartigem Charme und Tiefgang führte er die Zuhörer durch den unerschöpflichen Erfahrungsschatz seiner Tracer­praxis: im Fortbildungswesen der DVWK, im Umfeld von IAEA und FH-DGG, in Lehraufträgen an der Münchner LMU, Schulungen in Nepal und Ecuador, Sonderkursen für Laborexperten der PetroBras.

Die ATH-Sitzungen im In- und Ausland prägte er einst als ein streitbarer Kollege – man befand, er “gurgle täglich mit Salzsäure”. Wer ihm länger näherstand, nahm solches ‛pH-Geschehen’ anders wahr: ‘Salzsäure’ kam nur etwa monatlich, und hatte eher heilende Wirkung. (Besagte Salzsäure galt übrigens Kunstfehlern, die in der Tracerpraxis heute noch ‘alltäglich’ sind.)

Streitbar war er auch in Fragen der Energiepolitik samt Implikationen für die sog. ‘unterirdische Raumplanung’. Als ehemaliger WaBoLu-er hatte er das Wüten und Walten des heutigen UBA stets scharf im Visier …

Man tut ihm allerdings Unrecht, wenn man ihn auf das Anek­dotische seiner tracerbezogenen Interventionen reduziert – so markant diese im Einzelfall auch gewesen sein mögen, wie etwa das Erkennen der Signale zweier unterschiedlich-retardierten Tracer im vermeintlichen (und bei der hydrogeologischen Mo­dellparametrisierung zugrunde-gelegten) “Doppelpeak” einer Doktorarbeit, oder das Aussprechen der einzig-zielführenden Empfehlungen in Realzeit (und seine anschließend erfolgreiche Traceranalytik), angesichts des vom Tiefbohrplatz gemeldeten “Kein Signal” bei einem politisch-wichtigen Tracertest, den die Projektverantwortlichen sonst vorzeitig abgebrochen hätten.

So spektakulär und kontrastreich seine Traceraktionen auch gewesen sein mögen – er war und blieb ein Forscher der leisen Töne, mit konstant-flüssigem Handwerk und langem Atem bei zähen geowissenschaftlichen Herausforderungen. Es wird die ATH-Community überraschen: Die langjährige Beschäftigung mit Tracerhydrologie empfand er als äußerst unwillkommene ‘Ablenkung’ von seinem eigentlichen Ziel, angesiedelt in der Biogeochemie, eher unspektakulär, still und leise materialisiert in seinem DFG-Projekt mit Publika­tionen zur Speciation of radioiodine in aquatic and terrestrial systems under the influence of biogeochemical processes (1982, 1985), die in den USA und Japan öfter zitiert werden als in der Heimat.

Seine geowissenschaftliche Forschung betrieb er wie jemand, der stets unbegrenzt viel Zeit hat. Ihm wurde dies mitunter zum Verhängnis – uns eher zur Anregung, Inspiration, Herausforderung. Denn die Fragen angewandter Forschung, die ihn beschäftigten, sind heute überaus aktuell – wie auch die Tracerstudie beweist, die er noch sorgfältig begutachtete, zwei Wochen bevor ihn eine schwere Krankheit plötzlich aus dem Leben riss. Abschied? sagen wir vielmehr: ein immer­währendes Rendez-Vous.

Miscellanea:

[2016] Petrothermal and aquifer-based EGS in the Northern-German Sedimentary Basin, investigated by conservative tracers during single-well injection-flowback and production tests. Geothermics, 63: 225-241.

[2015] Planar and non-planar frac structures, seen by conservative/reactive tracers during injection-flowback and production. DGMK-Tagungsberichte (ISSN: 1433-9013), Vol. 2015-1 (ISBN 978-3-941721-55-2), 567-574.

[2015] Hydraulic, thermal and tracer tests at wellbore and reservoir scale. In: Final Report of Geothermal Energy and High-Performance Drilling Collaborative Research Program (gebo). Schriftenreihe des Energie-Forschungszentrums Niedersachsen, Band 30-1, Cuvillier-Verlag Göttingen (ISBN: 978-3-7369-9080-7), 203-225.

Wünschelrute, Steine klopfen – und dann? (dt.) ingenieurspiegel 2011-4 (pdf, 140KB);

Mit beiden sieht man besser (dt.) ingenieurspiegel 2012-4 (pdf, 136KB);

A piece of geothermal art in the Südheide (pdf, 1.2 MB);

Can Peclet nos depend on tracer species? (pdf, 704KB);

Remarks on 'heat exchange area' as a target parameter for SWIW tests (pdf, 804KB);

Matching tracer species to georeservoir type (pdf, 900KB);

CCS site characterization by SW and IW tracer tests (pdf, 433KB);

SW tests: incomplete analysis (pdf, 895KB);

Using tracer reactivity to overcome some dilemmata of single-well tracer test inversion (pdf, 1 MB);

Merging single-well and inter-well tracer tests into one forced-gradient dipole test, at the Heletz site within the MUSTANG project (pdf, 2 MB);

Tracer-based quantification of individual frac discharge in single-well multiple-frac backflow: sensitivity study (pdf, 1 MB);

Some insights gained from tracer tests in geothermal reservoirs in Southern Germany (pdf, 601KB);

Short-term fluid, heat, and solute transport in deep georeservoirs likely to become EGS: some challenges to ICDP hydrogeologists who might like using artificial tracers (pdf, 850KB);

Geothermal Art in the N-German Sedimentary Basin: Grafting EGS with Aquifers (pdf, 900KB);

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