Die Segregation in La Paz, Bolivien, ist ein komplexes Phänomen, das sowohl geografische, wirtschaftliche als auch soziale Aspekte umfasst. La Paz ist eine Stadt, die durch ihre außergewöhnliche geografische Lage geprägt ist, da sie sich in einem Talkessel auf etwa 3.650 Metern über dem Meeresspiegel befindet. Diese topografische Besonderheit spielt eine wesentliche Rolle bei der sozialen und wirtschaftlichen Segregation der Stadt.
La Paz ist in verschiedene Zonen unterteilt, die durch die Höhe, in der sie sich befinden, und die Qualität der Infrastruktur und Dienstleistungen, die sie bieten, charakterisiert sind. Die wohlhabenderen Schichten der Gesellschaft leben in tiefer gelegenen Gebieten, wie der Zona Sur mit den Stadtteilen Obrajes, Calacoto, Irpavi, Achumani, Cota Cota und natürlich San Miguel, das als Stadtteilzentrum mit Geschäften, Bars und Restaurants fungiert.
Av. Ballivian, Calacoto, La Paz
Dort ist das Klima milder und die Infrastruktur besser entwickelt. Diese Gebiete sind geprägt von modernen Wohnanlagen, Einkaufszentren (Irpavi und San Miguel) und einer besseren Anbindung an Dienstleistungen wie Gesundheit und Bildung (z.B. die Universitäten UMSA, Católica und Loyola, aber auch Privatschulen wie die Colegios Alemán (siehe Bilder unten), Franco, San Andrews und Calvert).
Deutsche Schule Mariscal Braun, La Paz
Colegio Alemán Mariscal Braun, La Paz
Im Gegensatz dazu leben ärmere Bevölkerungsgruppen in den höher gelegenen Gebieten, an den Berghängen vor allem zum Übergang nach El Alto und insbesondere in El Alto selbst, einer Stadt, die auf über 4.000 Metern liegt und die seit den 1980er Jahren rasant durch die Land-Stadt-Wanderung gewachsen ist. El Alto hat eine größere indigene Bevölkerung und wird oft als weniger entwickelt und infrastrukturell benachteiligt angesehen. Das kalte Klima, die schlechteren Verkehrsverbindungen und die begrenzte Verfügbarkeit von Dienstleistungen machen das Leben dort härter. Auch die Bausubstanz der Häuser ist weniger europäisch und beschränkt sich weitestgehend auf den Rohbau. Vereinzelt finden sich hier auch noch Gebäude, wie im ländlichen Altiplano, aus Lehmziegeln (Adobe) teilweise in Kombination mit moderneren aber raumklimatisch schlechteren Backsteinziegeln. Die Erkenntnis: je bunter ein Viertel, desto gefährlicher, bestätigt sich in La Paz nicht.
Haus aus Adobe (Lehmziegeln), El Alto
Haus aus Backstein, ohne Putz, ohne Heizung mit einem Beispiel für den informellen Sektor, El Alto
Haus aus Backstein mit einem kleinen Geschäft, El Alto
Aufgewertetes Stadtviertel, Chualluma
Die soziale und wirtschaftliche Segregation in La Paz ist eng mit der Geschichte und den ethnischen Unterschieden in Bolivien verbunden. Die Stadt hat eine lange Geschichte von ethnischen und sozialen Spannungen, die oft entlang der Linien von Indigenität und Klasse verlaufen. Wohlhabendere Schichten in La Paz sind oft europäischstämmig oder Mestizen (im Zentrum, Miraflores (Mittelschicht) und der Zona Sur (Oberschicht)), während die indigene Bevölkerung häufig in den ärmeren Vierteln lebt (Ciudad Satelite, El Alto, Chasquipampa, Villa Fatima u. a.).
Diese Segregation zeigt sich auch in der Bildung und im Zugang zu wirtschaftlichen Möglichkeiten. In den wohlhabenderen Gebieten haben die Menschen in der Regel Zugang zu besseren Schulen (siehe oben) und Arbeitsmöglichkeiten, während die Menschen in den ärmeren Vierteln oft in der informellen Wirtschaft arbeiten (siehe Bild oben) und weniger Chancen auf sozialen Aufstieg haben.
In der Südzone von La Paz (Zona Sur) leben die Menschen nach westlichem Standard. Dabei zeigt sich die Segregation deutlich an der Abgrenzung nach außen. Es gibt sogenannte Urbanisaciones (Barrios cerrados oder gated communities) bei denen die Zufahrt durch Schranken und Tore versperrt ist. Innerhalb dieser geschlossenen Wohnviertel gibt es oft keine hohen Mauern und Zäune mehr und sie erinnern an deutsche Wohnviertel mit schönen Vorgärten (siehe Bilder unten). Der Vorteil dieser Wohnviertel liegt neben der allgemeinen Exklusivität darin, dass sie bei politischen und/oder gesellschaftlichen Unruhen relativ schnell in Festungen verwandelt werden können (siehe Bild unten).
Diejenigen, die nicht in Gated Communities, wie den Urbanisaciones leben, umgeben ihre Häuser mit hohen Mauern und sichern sich mit Alarmanlagen und privaten Sicherheitsdiensten, um sich vor der tatsächlichen oder gefühlten Kriminalität und Unsicherheit zu schützen (siehe Bilder unten).
Urbanisación Gartenstadt (Ciudad Jardín)
Haus in der Ciudad Jardín, Zona Sur
Barrio Cerrado (Gated Community) Pamirpampa
Pamirpampa während der Unruhen im Nov. 2019
Typisches Wohnhaus in Achumani, Zona Sur
Haus in Achumani mit Mauern, Eisenspitzen und Kamera
Haus in Achumani mit einem Posten eines privaten Sicherheitsdienstes, Zona Sur
Typisches Wohnhaus in Achumani, Zona Sur
Eine großflächige Abschottung der Oberschicht in eigenen geschlossenen Städten innerhalb der Stadt mit voller Funktionalität wie es sie in anderen lateinamerikanischen Städten, wie zum Beispiel in Buenos Aires mit dem voll funktionsfähigen Stadtteil Nordelta oder in Santiago de Chile mit Piedras Rojas gibt, existiert in La Paz nicht. Eine Fragmentierung der Stadt, wobei Arm und reich auf kleinstem Raum eng zusammenleben, wie zum Beispiel in Rio de Janairo oder Sao Paulo kann man in La Paz ebenfalls nicht feststellen. In La Paz und el Alto stellt man vielmehr ein klassisches Nord-Süd und ein Zentrum-Peripherie Gefälle fest. Den niedrigsten sozio-ökonomischen Status findet man folglich in der nördlichen Peripherie (von El Alto).
Die neuesten Daten zum Lebensstandard in den einzelnen Stadtviertel liefert der Census 2024: censo.ine.gob.bo/resultados/
Blick von El Alto über La Paz
La Paz mit Sopocachi im Zentrum
Das Leben der Menschen in La Paz segregiert sich jedoch nicht nur sektoral nach Wohnvierteln, sondern auch im gesamten privaten Bereich. Das Freizeitleben der Oberschicht findet ebenfalls geschlossen und exklusviv in sogenannten Clubs, wie dem Club Alemán, Club de Tennis, Club de Petroleo und anderen statt. Auch hier ist der Zugang durch Tore und Schranken aber auch die Mitgliedsgebühren beschränkt.
Zugangskontrolle im Club Alemán, Zona Sur
Tor des Deutschen Klubs, Zona Sur
Club Alemán von oben mit seinen Sportanlagen
Die Unterschicht schottet sich nicht in Gated Communities ab. Sie lässt aber trotzdem keinen Zweifel daran, dass sie wachsam ist, sich schützt und gegebenenfalls mit Selbstjustiz gegen Kriminelle vorgehen. Aufgehängte Strohpuppen und entsprechende Warnungen an Hauswänden sind eindeutige Zeichen und Nachbarschaftswachen.
"Ertappte Diebe werden verbrannt", Achocalla
Strohpuppe zur Abschreckung
La Paz und El Alto haben unterschiedliche politische und kulturelle Identitäten entwickelt. Während La Paz als politisches und administratives Zentrum Boliviens fungiert, ist El Alto zu einem Symbol für indigene Selbstbestimmung und sozialen Widerstand geworden. Die Bevölkerung von El Alto hat in der Vergangenheit eine Schlüsselrolle in politischen Protesten und sozialen Bewegungen gespielt, die oft gegen die Ungleichheit und Ausgrenzung gerichtet waren, die in der bolivianischen Gesellschaft tief verwurzelt sind.
Insgesamt ist die Segregation in La Paz ein vielschichtiges Phänomen, das durch die Wechselwirkung von geografischen, sozialen, wirtschaftlichen und politischen Faktoren geprägt ist. Es spiegelt die tiefen Ungleichheiten wider, die Bolivien historisch erlebt hat und die sich weiterhin auf das tägliche Leben der Menschen in der Stadt auswirken. Diese Ungleichheiten spiegeln sich an vielen verschiedenen Stellen wider: Theater-, Oper-, Konzert- oder Kinobesuch aber auch zum Beispiel beim Essen auf der Straße, einem einfachen Restaurant oder der gehobenen Küche im Gustu oder anderen der Zona Sur.
Nachtisch eines Hotel-Restaurants in San Miguel
Restaurant La Bastille in Achumani, Zona Sur
Straßenküche in El Alto
Anticucho (Rinderherzen) Stand in Sopocachi
Simples traditionelles
bolivianisches Essen
Grundsätzlich gilt jedoch in La Paz und in El Alto, wie in jeder anderen lateinamerikanischen Großstadt, dass Arm und Reich trotz sektoraler Segregation nah beieinader liegen. Erfreulich ist jedoch, dass in den letzten 20 Jahren die Armut im Land insgesamt stark abgenommen hat, die Versorgung mit Elektrizität mitterweile bei 99,9% (2023) liegt und der Anteil der städtischen Bevölkerung in Slums laut Weltbank von 57% im Jahr 2000 bis 2014 auf ca. 47% gefallen ist (Statistik unten).
Bettelndes Kind am Mercado Camacho, Zentrum
"Transformas - Haus", El Alto