1961 in Paris


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Paris, 3.9.1961

Mein lieber Paps!

Jetzt komme ich endlich dazu, Dir einen Brief zu schreiben. Ich will ziemlich ausführlich schreiben, du kannst ihn dann der Mutti zeigen. Als nächstes erhält dann Mutti einen langen Brief, den kann sie Dir vorlesen.

Also, nun will ich anfangen.

Valko v. Dietmann hat mich von Bodenteich nach Uelzen gebracht. Da brauchte ich wenigstens nicht den Koffer zu schleppen. Wir haben die Fahrkarte geholt und ab ging's mit dem Eilzug nach Hannover. Da habe ich 1 ½ Stunden Aufenthalt gehabt. Ich habe also meine Sachen bei der Gepäckaufbewahrung abgegeben und bin in Hannover spazieren gegangen. Dann ging's mit dem D-Zug weiter. Wir saßen zu 8 Personen in einem Extra-Kurswagen, der bis Paris eingesetzt war.. Ich stand fast nur am Fenster und sah die flitzenden Städte an.

Wir fuhren über Bielefeld nach Düsseldorf, wo wir noch mal 1 ½ Stunden Aufenthalt hatten. Das habe ich aber erst zu spät gemerkt, als es sich nicht mehr lohnte, wegzugehen. Langsam wurde ich aber lahm auf den Beinen und auch müde im Gesicht. Aber schlafen konnte ich im Sitzen nicht. Wir fuhren dann nach Belgien. Da sehen die Häuser aus wie Puppenstuben, alle aneinandergereiht. Zollkontrolle war überhaupt nicht. Nur nach den Pässen wurde öfter mal gefragt. Langsam wurde es langweilig. Die anderen schlummerten alle, aber ich konnte nicht einschlafen.

Endlich graute der Morgen. Ich ging in den Speisesaal und habe gefrühstückt. Ganz großartig!!

1 Ei, 1 kleine Scheibe Weißbrot, 1 Klacks Marmelade, 1 Klümpchen Butter, 1 Tasse dicker Kaffee, zusammen 3,70 DM + 15 % Bedienung. Na ja, satt war ich zwar nicht, aber ich hatte immerhin etwas im Magen. Und dreckig war ich!!! Vom Aus-dem-Fenster-Gucken!

Als wir morgens um halb 7 Uhr nach Frankreich kamen, lag dicker, grauer Nebel zwischen den Bäumen. Es sah furchtbar nach Regen aus. Ich fragte einen Mann neben mir auf englisch, ob das Wetter hier immer so ist, da sagt der auf deutsch: "Ja, schon seit Wochen!" Der war wütend auf die Deutschen. Er sagte: "In Deutschland nix gut mit Russen". Und dann deutete er an von der Gefangenschaft. Da sagte ich, daß er mir das nicht erzählen soll, ich könne doch da doch nichts zu. Das sah er wohl ein und fing wieder an, vom Wetter zu reden. Ich dachte, na, wäre ich doch lieber in Deutschland geblieben... Aber dieser Nieselpriem hatte mich wohl nicht richtig verstanden, denn Schaefers sagten später, es würde schon seit Wochen die Sonne scheinen. Und so war es dann auch: Als Paris in Sicht kam, fing es an, schön zu werden. Der Nebel liegt jeden Morgen, um so schöner wird es am Tag. Frau Schaefer stand auf dem Bahnhof. Es gab ein großes Hallo. Draußen vor der Sperre stand Herr Schaefer mit der 12jährigen Brigitte aus Stuttgart. Die ist aber Sonntagmittag schon wieder abgereist. Sie war 5 Wochen hier. Wir tranken im Wartesaal Kakao. Das gibt es in kleinen Kännchen und dicken schweren Tassen und ist sehr süß. Im Taxi fuhren wir dann zu Schaefers nach Hause.

Jetzt habe ich noch etwas vergessen: Als wir im Bahnhof die Karten schrieben, sagte Herr Schaefer:" Warum sagst du immer Sie, sag doch lieber Onkel Hermann und Tante Emma, das sagen nämlich alle Gäste zu uns." - Das finde ich ganz toll, so mit dem Du-sagen.

Dann fuhren wir nach Hause. Es ist ein ziemlich alter Häuserblock in der Innenstadt von Paris. Wir fuhren mit dem Fahrstuhl in den 5. Stock (im ganzen sind es 7 Stockwerke).

Die Wohnung ist möbliert gemietet und kostet monatlich umgerechnet 850,- DM.....! Die Stube ist so groß wie unsere mit Speisekammer und Flur zusammen, das Schlafzimmer ist wie Nagels Stube, dazwischen noch ein kleiner Raum, wie wir damals unsere Rauchnische hatten. Winzige Küche, kleiner Flur und Toilette und Balkon. Das ist alles. Onkel Hermann mag die Einrichtung nicht, weil sie ziemlich antik ist, etwa so wie bei Krügers. Er mag lieber moderne, amerikanische Möbel. Aber es ist nun mal so möbliert, da können sie nichts machen.

Ich habe dann die mitgebrachte Flaschen-"Kanone" auf den Tisch gestellt als Gruß aus Deutschland.

(N.S. Das war ein furchtbar teures Mitbringsel: eine Holzkanone als Flaschenträger...)

Sie haben sich beide sehr darüber gefreut, Onkel Hermann sagt, auch der Schnaps sei richtig getroffen, den würden sie immer in Deutschland trinken.

Solche Äffchen, wie wir erst für sie kaufen wollten, (nichts sehen, nichts sagen, nichts hören) haben sie schon, nur etwas größer. Und so ein Bierglas mit Bodenteicher Wappen drauf auch. - Und Heide gibt es hier auch. Gut, daß ich das alles nicht gebracht habe.

Wir haben dann kurz eine kleine Brühe gegessen. Hat Tante Emma gekocht. Dann habe ich mich ein wenig hingelegt und gepennt.

Nachmittags haben wir die erste Stadtrundfahrt gemacht in Onkel Hermanns Straßenkreuzer.

Ich kann Dir sagen: echt amerikanisch! Für die Garage muß er auch noch 350,- DM bezahlen. Kann sein, daß er das von seiner Firma ersetzt kriegt.

So im Vorbeifahren habe ich ziemlich alles Wichtige gesehen: Eiffelturm, Notre Dame, Triumphbogen usw. usw., natürlich nur ganz kurz.

Abends sind wir in einem amerikanischen Offiziershotel essen gegangen, gleich neben dem Wohnsitz von De Gaulle. Das ist vielleicht ein Palast, mit Riesenpark und -zig Leibwachen!

Zuerst haben wir Coca getrunken, dann Tomatensaft, dann kam das Essen. Ich weiß nicht was das war. Nudeln, Fleisch, Soße, Gemüse, danach Eis und Eistee. Ich war vielleicht voll, und ich kann doch nicht einfach im Hotel meinen Rock aufmachen.

Heute morgen sind wir um 8 Uhr aufgestanden. Es war brütend heiß, daß ich bei offenen Balkontüren und ohne Oberbett geschlafen habe.

Stell Dir vor, ich kann jeden Morgen ein Bad nehmen! Ganz großartig!

Dann mußte ich mit Brigitte zum Bäcker gehen und Brötchen und Weißbrot holen. Ich habe mir fast die Zunge abgebrochen, aber mit Händen und Füßen habe ich der Verkäuferin klargemacht, was ich haben wollte, und es ging gut. So lernt man ja am besten.

Dann haben wir großartig gefrühstückt: Ei und Kuchen und Brötchen usw. Vorher bekam jeder eine große Melone. Die schmeckt ganz komisch. Ich finde, das ist ein Zwischending von Pfirsich, Kürbis und Pflaume. Aber eigentlich schmeckt es gut.

Dann haben wir uns in den Straßenkreuzer gesetzt und haben Brigitte zum Flughafen gebracht. Der ist riesig! Von Rußland und Amerika kamen Düsenflugzeuge und kleinere aus allen Ländern. Ich werde vielleicht meine Fahrkarte zurückgeben und mit dem Flugzeug nach Hannover fliegen. Mal sehen. Toll wäre es ja! Wann bietet sich das so schnell noch mal an?!

Ich muß mit einem Aufpreis von ca. 100,- DM rechnen. Mal sehen, wie nach 3 Wochen meine Finanzen stehen...

Mittags haben wir auf dem Flughafen gegessen. Zuerst so eine komische Vorspeise in Muscheln, dann Vorsuppe und dann das Hauptgericht: Lammfleisch( furchtbar schwabbelig!) und Kresse (wie Unkraut), geröstete Kartoffeln und grüne Bohnen. Danach kam der Kellner mit einem großen Tablett mit ca. 15 verschiedenen Sorten von Schnitt- und Schmierkäse. Man konnte aussuchen, was man haben wollte, und dazu gab's Weißbrot und Butter. - Dann konnte man wählen zwischen Eis, Obst oder Kuchen. Als letztes kam ein dicker Mokka, in dem der "Löffel stand". Zum Essen hatten wir Bordeaux-Wein. Außerdem bekommt man, sobald man am Tisch sitzt, automatisch eine große Kanne Eiswasser und Weißbrot, ganz egal ob man sich danach eine Tasse Kakau oder ein ganz großes Menü bestellt. Das ist hier so Sitte.

Um 3 Uhr sind wir nach Hause gefahren. Da wurde aufgeräumt. Hier ist es herrlich ungezwungen in bezug auf das Saubermachen usw. Tante Emma sagt: "Wenn ich Besuch kriege, kommt der nicht, um zu sehen, ob ich die Wohnung geputzt habe, sondern um etwas von Paris zu sehen. Beides kann ich nicht. Und wenn ich Lust habe etwas zu kochen, dann tue ich das, und wenn nicht, dann gehen wir irgendwohin essen. Wem das nicht gefällt, der mag ausziehen." Die hat wenigstens die Ruhe weg in dieser Beziehung! Ist auch ganz richtig so, ich fühle mich jedenfalls wohl hier. Im Augenblick liege ich auf dem Boden und esse Bananen, bis jetzt schon 5 Stück!

Ich habe ganz vergessen zu schreiben, daß außerdem n o c h jemand zur Familie gehört, eine Nichte! Sie heißt Marianne, ist 27 Jahre alt, und ist Fremdsprachenkorrespondentin mit 5 Sprachen. Sie wohnt im Dachgeschoß in einem superwinzigen Zimmerchen. Bezahlt Onkel Hermann mit. Gut was? Die ist auch sehr nett.

So, jetzt muß ich bald Schluß machen, wir fahren gleich zum Bahnhof, um die Großmutter und ein 17jähriges Mädchen aus den USA abzuholen!

Onkel Hermann will auch noch etwas darunterschreiben.

Grüß Mutti bitte schön, und sag, sie soll nicht traurig sein, der nächste Brief kommt dann zu ihr nach Bodenteich. Darum nun tschüs und gute Besserung und alles Gute.

Deine Pariserin

P.S. Habe eben mit Schrecken festgestellt, daß 1 Flugfahrt bis Hannover 180,- DM kostet! Huch, da müßte ich ja 140,- DM zuzahlen! Dann kommt noch die Fahrt von Hannover bis Bodenteich dazu. Da werde ich ja arm. Also geht’s zurück auch mit der Bahn.

Paris, den 5.9.1961

Meine liebe Mami!

Jetzt komme ich dazu, Dir einen Brief zu schreiben. Ich hoffe, du hast den Brief schon gelesen, den ich Vati geschrieben habe, dieses wird nämlich die Fortsetzung:

Am Sonntagabend fuhren wir dann zum Westbahnhof, um die Amerikaner abzuholen. Onkel Hermann fuhr fast eine Stunde vor dem Bahnhof im Kreis herum, um einen Parkplatz zu finden. Endlich konnten wir uns mit unserem Straußenkreuzer irgendwo hineinschlängeln. Wir hatten noch etwas Zeit und gingen in ein elsässisches Café. Die bedienenden Mädchen hatten grüne lange Röcke an, schwarzes Mieder und viel Spitze an der Bluse. Überall trinkt man Coca-Cola, nur sagt man hier "Cok". Die Tische stehen alle auf dem Tretoir und da ist es sehr schmutzig. Aber man gewöhnt sich daran.

Wir warten dann sehr gespannt auf die neuen Gäste. Tante Emma wußte nur, daß das Mädchen 17 ist und sehr groß sein soll. Endlich hatte sie "Tante Frieda" und Karen gefunden. Großartige Begrüßung. Ich stand da und kriegte den Mund nicht zu: Die sollte 17 sein?? Die sah aus wie 25 mit Stöckelschuhen, Hut, Kaugummi und in ihrem weit ausgeschnittenen Kleid weiß gepudert wie eine Leiche. Na ja, da kam ich mir vor wie ein Baby.

Zum Glück kann sie etwas deutsch. Die Oma ist Schwäbin und spricht auch deutsch.

Ich kann Dir sagen, Mutti, das ist ein Kauderwelsch hier in der Gruppe: Deutsch, englisch, französisch, schwäbisch, plattdeutsch und kölsch. Aber ich kann mich prima verständigen. Ich habe nie geglaubt, daß ich so gut englisch sprechen kann! Aber die wurden dann immer schneller im Sprechen, daß ich zu Bett gegangen bin.

Am Montagmorgen standen die beiden Amerikaner erst um 12 Uhr auf. Ich bin eben aufgestanden und habe die englische Morgenzeitung gelesen. Mittags gab's nur eine Nudelsuppe, danach haben wir einen langen Spaziergang durch Paris gemacht. Wir sind wieder in dem US-Hotel gewesen und haben Eis, Eistee und Kuchen "zu uns genommen". Dann sind wir die Champs Elysées entlanggegangen. Das ist die teuerste Prachtstraße von ganz Paris. Wir haben uns in eines der Straßencafés gesetzt und Eis gegessen. Da habe ich dann gleich ein kleines Bierglas "abgestaubt". Wir haben die Vorbeigehenden beobachtet. Alle Nationen sind vertreten! Neger, Chinesen, Amis, Engländer usw. Da fing es plötzlich an zu gießen!

Pfui Teufel, so ein Mistwetter! Wir haben versucht, mit dem Taxi zu fahren. Aber weil es so furchtbar gegossen hat, war keins zu kriegen. So sind wir mit der metro gefahren, das ist die französische U-Bahn. Die hat ein Tempo drauf! Selbst ich habe es mit der Angst gekriegt, weil es ja so unter der Erde ist und dunkel obendrein. Wir fuhren auch hier wieder 1. Klasse!

Wir sind dann in das luxuriöseste Kino vom Champs Elysées gegangen, wo der Eintritt für jeden nach deutschem Geld 12 Mark gekostet hat!!! Der Kinosaal ist grandios, wie in Deutschland die Oper! Alle Sitze von der ersten bis zur letzten Reihe sind grau mit Samt und Schaumgummi gepolstert und an den Wänden sind große Kronleuchter, auf der Bühne ein schwerer, schwarzer Samtvorhang . Als wir reinkamen, lief der Film "Lieben Sie Brahms" mit Ingrid Bergmann bereits seit einer Stunde. Es war alles in englisch gesprochen und in französisch druntergeschrieben. Ich habe aber alles gut verstanden und wundere mich, welche versteckten Fähigkeiten in mir schlummern!! Da wir ja den Anfang nicht gesehen hatten, blieben wir einfach noch bei der 2. Vorstellung so lange sitzen, bis der Teil kam, als wir reinkamen.

Dann sind wir nach Hause gefahren und ganz müde schlafen gegangen.

Heute morgen sind wir wieder mit dem Taxi in die Stadt gefahren. Straßenbahnen gibt es hier gar nicht. Aber die Taxifahrer sind die gefürchtetesten Leute der Fußgänger. Die fahren kreuz und quer, überholen rechts und links, stehen quer, aber sie überfahren niemanden, meint Tante Emma, sie fahren höchstens so dicht heran, daß man vor Schreck einen Schlaganfall kriegen kann.

Wir haben uns ein großes Kaufhaus angesehen, wie in Braunschweig Karstadt oder Neckermann, nur noch 3x größer und nicht so modern. Wir wollten dann im letzten Stock Mittag essen. Das ist nicht so ein kleiner Erfrischungsraum wie bei Karstadt, sondern so groß wie ein Hotel, und trotzdem sind nicht genug Plätze da. Also kriegt jeder eine Nummer und muß sich dann in einer Ecke hinsetzen. Da warteten neben uns noch ca. 50 andere, bis ihre Nummer aufgerufen wurde. Da kann man mal sehen, wie lange eine Viertelstunde dauert, wenn man Hunger hat, und wenn man Pech hat, wartet man eine Stunde! Wenn nämlich vor mir 10 Personen einzeln dran sind, so sind dann immer 10 Tische besetzt, denn es ist hier so Sitte, daß man sich nicht zu einem Fremden an den Tisch setzt.

Wir waren zu viert und hatten einen Tisch für uns. Es wurde bestellt: Vorgericht, dann Kalbfleisch und Bohnen ohne Kartoffeln, danach Käse, Eis, Mokka. Hat bestimmt wieder

60 Mark gekostet, denn es kommt immer noch der Wein dazu!

Es war furchtbar heiß, so daß ich froh war, als wir nach 2 Stunden(!) endlich aufstanden und noch ein wenig im Geschäft herumgingen. Es gibt ja tolle Sachen, aber mindestens doppelt so teuer wie in Deutschland!

Plötzlich hatten wir Tante Emma und Karen verloren. In diesem Gewühl 2 Menschen zu finden, ist gar nicht so einfach. Ich hatte gerade mein Wörterbuch rausgeholt, um eine französische Konversation zu beginnen und den Verkäufer zu bitten, die Namen im Lautsprecher auszurufen, - da kamen die beiden ganz aufgeregt an.

Unterwegs habe ich meinen Film zum Fotografen gebracht. Ich kann Dir sagen, das war eine schwere Geburt: "Bonjour Monsieur!" (Guten Tag!). Dann fing ich an, englisch zu reden, als er mich nicht verstand, sagte ich im Eifer des Gefechts "Nein, nein, keine großen Bilder!"

Da guckte er noch blöder. Die Karen nebenan wollte sich kaputt lachen, als ich dann mit den französischen Phrasen aus dem Wörterbuch herumstotterte. Aber es hat geklappt!

So, jetzt sind wir wieder zu Hause und ich bin zu faul zum Weiterschreiben.

Ich hoffe, Du bist auch zu faul zum Lesen.

Machs gut, Mutti, den nächsten Brief kriegt dann der Vati wieder.

Au revoir/ Deine Ilse.

Paris, den 7.9.1961

Mein lieber Paps!

So Vati, jetzt bekommst Du wieder einen Brief ins Krankenhaus. Am Dienstag sind wir bummeln gegangen in ein noch größeres Kaufhaus. Furchtbare Preise!

Abends saßen wir hier alle in der Stube und haben gequatscht. Ich bin früh zu Bett gegangen, aber ich habe diesmal nachts ziemlich gefroren, weil es hier keine Federbetten gibt, sondern nur eine Wolldecke mit einem glatten Leintuch Drumherum, das ständig verrutscht.

Es ist hier jetzt schon ziemlich herbstlich. Die Blätter fallen von den Bäumen, es ist kalt und neblig. Und doch haben wir gestern einen Kastanienbaum gesehen, der auf der einen Seite abgestorben war und auf der anderen Seite blühte! Tante Emma sagte, es ist kein Wunder, wenn die Natur nun auch schon verrückt spielt.

Heute ist bereits Mittwoch und ich komme bald durcheinander mit den Tagen.

Wir sind mit dem Auto hinausgefahren in einen der vielen Pariser Parks "Bois de Bologne".

Überall schlängelt sich die Seine durch Paris, alles Wasser kommt von der Seine.

Dann fuhren wir zum Eiffelturm. Das ist ein gewaltiges Bauwerk! Man fährt mit drei verschiedenen Fahrstühlen hoch, jeweils 1 Stockwerk. Tante Frieda und Tante Emma blieben unten, weil Tante Frieda Schiss hatte. Karen und ich, wir fuhren so hoch es ging. Da oben ist alles hinter Glas, ziemlich beengend. Da entdeckten wir noch eine weitere Treppe, die bis ganz nach oben ging, wo einem der Wind um die Nase weht. Das war herrlich, kann ich Dir sagen. Man sieht ganz Paris unter sich, alle Straßen, alle Bauwerke. Ich glaube, Paris ist so groß, wie der ganze Kreis Uelzen. Man hört neben sich fast niemanden französisch sprechen, alles sind nur Touristen. ---Wenn die mir alle Ansichtskarten schicken würden...!

Im Restaurant kostete die Coca-Cola 2,80 DM!!! Die sind ja verrückt! Da verdurste ich lieber!

Ich habe ein paar Fotos gemacht, obwohl man mit Ansichtskarten wohl sicher besser bedient ist, wegen der Qualität.

Dann fuhren wir zum Invalidenturm. Dort liegt Napoléon beerdigt und daneben seine Verwandten. Die Kirche hat Napoléon seiner Geliebten Josephine geschenkt!

Herrlicher Altar, sehr bunt, sehr hübsch.

Wir sind dann ins Restaurant "Royal Monceau" gegangen, weil wir solchen Hunger hatten. Da ist die ganze Eßnische verspiegelt und egal, wohin man sieht, man blickt in die eigene Visage.

Das ist ziemlich beklemmend, aber auf diese Weise sehen die Leute an der Theke alles: Ob die Weingläser leer sind, ob jemand zahlen will oder ob sonst etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, ich traute mich noch nicht einmal, einen Bierdeckel mitzunehmen. Aber ansonsten habe ich woanders schon ziemliche Souvenirs abgestaubt: 1 Aschenbecher, 1 Bierglas, etliche Zuckerstücke mit Adressen, und sogar ein origineller Senftopf ist nicht vor mir sicher gewesen. Ich habe ihn mitsamt dem Senf in meiner großen weißen Tasche mitgehen lassen, leider ist der Senf unterwegs ausgelaufen....

Wir haben Steaks mit Pommes Frites gegessen und ich denk, ich krieg einen Schlaganfall, als wir dafür 69 Franc, ds. 65,- DM bezahlen müssen. Stell Dir das vor, 65 DM für ein Abendbrot für 5 Personen!!! Das ist Wahnsinn!

Wenn jemand hierher fährt und alles selbst bezahlen muß, der geht vor die Hunde in Paris!

Wir haben Onkel Hermann und Tante Frieda zu Hause abgeladen, weil die nicht mit auf den Montmartre rauflaufen können. - Oben auf dem Berg steht die berühmte wunderschöne Kirche Sacre Coeur. Ab 9 Uhr abends wird sie angestrahlt. Das ist ein herrlicher Anblick: Oben auf dem Berg die strahlend weiße Kirche und unten die hellerleuchtete glitzernde Stadt. Ich hätte stundenlang stehen bleiben können!

Dann aber kam das Dollste! Der Montmartre! Das ist das bekannteste Vergnügungsviertel von Paris. Überall mehr Deutsche als Franzosen.

Die Lokale sind wüst, aber lustig dekoriert, z.B. hängen in dem einen lauter Geldscheine von der Decke, oder anstatt Tapeten kleben nur Ansichtskarten aus aller Welt an den Wänden,

man singt laut deutsche Wanderlieder, trampelt sich gegenseitig auf den Füßen herum, schiebt sich in der Menschenmasse hin und her, - vorbei an singenden Spaniern, bettelnden Indern und den üblichen "Strichdamen", die auf ihre Freier warten.

Man muß es gesehen haben! Tante Emma sagt, wer Montmartre nicht kennt, kennt Paris nicht.

Um 1Uhr nachts kamen wir todmüde zu Hause an. Es war herrlich!

Inzwischen ist Freitagabend. Gestern, am Donnerstag haben wir eine Bootsfahrt gemacht. Da haben wir wichtige Gebäude von Paris gesehen, die alle an den Ufern der Seine stehen.

Ich wollte immer knipsen, aber entweder war die Sonne weg oder eine Person vor der Linse, aber wie bereits gesagt, ich kaufe lieber Ansichtskarten.

Zu Hause gab es "baked beans", das sind weiße Bohnen in Tomatensoße. Es ist amüsant, wie man das auf dem Teller zurechtmacht: Da sind erst mal die Bohnen, dazu kommen Gewürzgurken, ein Schuß Tomatenketchup, Senf und Würstchen und dazu ißt man das herrliche immer knusprige Weißbrot Baguette! Schmeckt alles ziemlich amerikanisch. Danach gab es Wackelpudding und dann wurde es langweilig. Bis um 10 Uhr saßen wir alle in der Stube und plauderten ... über ...nichts. Ich wäre so gern zu Bett gegangen, aber schließlich bin ich ja Gast!

Heute Freitag ist so allerhand passiert. Was habe ich gelacht!!! Also, ich stand morgens auf. Tante Emma war nicht da. Ich dachte, sie sei wie immer mit Onkel Hermann weggegangen. Aber sie kam und kam nicht wieder. Da stand Tante Frieda auf und sagte, daß Tante Emma zum Friseur sei und wir uns selbst was machen müßten. Ich wollte also Brot holen und wie Tante Frieda meinte, "ein bißchen frischen Kuchen oder Obsttorte". Sie gab mir 2 Franc und ich sagte: "Das ist menge genug!".

Als ich rauswollte, merkte ich, daß Tante Emma bei der Haustür zugeschlossen hatte. Wie sollte ich nun etwas zum Essen holen? Da fiel mir ein, daß irgendwo eine Feuertreppe sein mußte, die wir dann auch fanden. Wir wußten aber nicht, wo das Licht angeht. Na, ich wagte mich aber trotzdem im Dunkeln runter. Unten angekommen, fand ich keinen Ausgang. Alles Kellertüren, Kohlen, Fahrräder usw. Aus dem Heizkeller sah ich einen kleinen Lichtspalt, ich machte die Tür auf und plötzlich sprang mich ein großer Hund an. Durch den Lärm wurde die Hausmeisterin aufmerksam und ich machte ihr mit Händen und Füßen mein Problem klar.

Sie zeigte mir nun, daß man oben in der Wohnung auf einen Knopf drücken kann, damit unten die Haustür aufgeht. Na, das ist ja eine tolle Erfindung!

Ich ging also zum Bäcker, und ließ mir ein Stück Kirschkuchen geben, einen Streuselkuchen,

2 Apfeltaschen, 1 langes Weißbrot und eine Schnecke. Ich hatte nach deutschem Geld geschätzt, daß es etwa 2 Mark kosten würde, aber die Frau wollte 6 Franc, und ich hatte nur zwei. Also deutete ich an, daß sie alles zurücknehmen muß und zeigte ihr meine 2 Francs. Da blieben nur 2 kümmerliche Schnecken übrig und das Brot! So teuer ist es in Frankreich!

Als wir gerade bei unserem "ausgiebigen" Frühstück waren, klingelte das Telefon.

Tante Frieda sagte, ich soll rangehen, sie würde ja doch nichts verstehen. Na, ich doch auch nicht! - Eine Männerstimme schnatterte wie eine Langspielplatte, und als ich fragte "Parlez vous english?" sagte er nur NON und hat aufgelegt.

Nachmittags waren wir im 7. Stock des Kaufhauses Lafayettes Kaffee trinken mit einer herrlichen Aussicht auf Paris.

Tante Emma hat kaltes Roastbeef gegessen, Karen und ich kaltes Huhn mit Kopfsalat und Erbsen in Majonäse. Ich wußte nicht, wie man das ißt und stocherte im Salat herum. Aber Karen wartete wohl auch, um zu sehen, wie ich es anstellen würde. - Also habe ich ganz vornehm angefangen, das Huhn mit Messer und Gabeln von den Knochen zu befreien, was eine Heidenarbeit war, aber es hat gut geschmeckt.

Wir haben meinen Film vom Fotografen geholt. Alle Bilder mit Willy Brandt drauf sind nichts geworden. Trotzdem mußte ich 6.90 Francs dafür bezahlen. In Deutschland kostet das nur die Hälfte!

Wir sind noch auf den Triumphbogen gekrabbelt. Ich hätte nie gedacht, daß der so groß ist.

Zuhause hat Tante Frieda Linsensuppe gekocht. Sie konnte ja nicht mit, wegen ihrer Beine.

Abends haben wir prächtige Dias angesehen von überall auf der Welt, wo Schaefers schon waren.

Ich bin jetzt müde und will Schluß machen.

Ich wünsche Dir gute Besserung, falls diese noch nicht eingetreten sein sollte und

grüß Mutti von mir, wenn sie Dich besucht.

1000 Küsse, Deine Ilse

Paris, den 10.9.1961

Liebe Mutti,

die Zeit vergeht und Du bist mal wieder dran mit einem Brief. Jetzt bin ich schon über eine Woche hier und habe schon so viel gesehen.

Am Sonnabend sind wir um 12 Uhr losgefahren nach Malmaison. Das ist ein wundervolles kleines Schloß, wo Napoléon gewohnt hatte. Im Eßzimmer steht noch das Geschirr auf dem Tisch, alles aus purem Silber und mit echtem Geld vergoldet. Eine Tasse davon würde mir als Souvenir schon genügen...

Wenn man sich so vorstellt, daß in diesen Räumen einst große Verhandlungen stattfanden und die Josephine hier gelebt hat, wird einem richtig feierlich zumute.

Dann fuhren wir zum Schloß Versailles. Da sind wunderbare Gartenanlagen. Onkel Hermann und Tante Frieda wollten draußen bleiben, weil sie nicht so lange gehen können. Aber wir sind zu 3 Polizisten gegangen und haben gefragt, was man da machen könnte. Der eine hat gesagt, daß er mal eine Ausnahme machen werde: er setzte sich in den Straßenkreuzer und fuhr mit ihnen im Park herum, als hätten sie eine eigene Leibwache.

Während ich mit Karen und Marianne spazieren ging, passierte es: Der Stich von Versailles!

Eine Biene hat mich gestochen. Ich bekam einen ganz dicken Arm. - Wo ich doch so ein friedliebender Mensch bin und dem blöden französischen Viech nichts getan habe!!

Um 5 Uhr nachmittags haben wir dann verspätetes Mittagessen eingenommen. Ich hatte warmes Huhn, Tomatensalat, nachher Käse und Pfirsich-Melba-Eis. Hat prima geschmeckt.

Danach fuhren wir nach "Petit Trianon". Das ist auch ein wundervoller Park mit einem Lustschloß, das ganz griechisch aussieht. Da habe ich einen Franc im Sand gefunden! - Als Entschädigung für den Bienenstich!

Paris , den 13.9.1961

Lieber Vati!

Eben habe ich von Mutti einen lieben Brief erhalten. Sage ihr bitte in meinem Namen recht herzlichen Dank dafür. Sie schreibt, daß es Dir einigermaßen gut geht und darüber freue ich mich. Sonst scheint ja wohl auch zu Hause alles zu klappen, daß ich mir also keine Gedanken machen muß.

Hier ist es herrlich! Prima Wetter! Und überhaupt bin ich Euch furchtbar dankbar, daß ich hierher kommen durfte.

Am Dienstag nachmittags haben wir Karen und ihre Oma zum Bahnhof gebracht. Tante Emma ist froh, daß die beiden weg sind. Die waren ihr wohl zu dumm! Mag sein. Jetzt ist hier wieder Ruhe im Hause. Alle Betten sind wieder richtig und Tante Emma hat nicht mehr so viel Arbeit.

Das heißt, sie macht sich einfach keine Arbeit. Was sie heute nicht schafft, das macht sie vielleicht(!) morgen. Ich wollte, Mutti wäre auch so. Es ist hier prima ungezwungen, daß ich jetzt, wo ich so ziemlich alle Sehenswürdigkeiten von Paris gesehen habe, alles so richtig genießen kann. Wir machen Schaufensterbummel oder gehen gemütlich in ein Café. So kann man sehr gut leben.

Gestern habe ich für Tante Emma Gardinen von der Wäscherei geholt. 2 große einfache Baumwollgardinen waschen und plätten kostet 72 Francs, das sind 65,- Mark! Tante Emma hatte mir 50 Francs mitgegeben und geglaubt, ich bringe ihr noch was zurück!

Sie konnte sich gar nicht beruhigen und sagte immer wieder: Paris als Besucher zu erleben ist wunderschön, aber richtig hier zu wohnen, ist eine teure Qual!

Das glaube ich ihr auch. Ich möchte hier auch nicht immer leben. - Kein Wunder, daß es die furchtbaren Armenviertel gibt.

Karen hat furchtbaren Heuschnupfen und ich habe Angst, daß sie mich ansteckt, aber sie meint, das sei nicht möglich.

Wir haben richtig Freundschaft geschlossen und kichern die ganze Zeit, wenn wir uns Witze erzählen. Sie zeigte mir ihre Souvenirs und erzählte mir von New York, wo sie auch eine Jugendgruppe leitet so wie ich in Bodenteich. Schade, daß sie Dienstag schon wieder wegfährt.

Wir werden uns Briefe schreiben, vielleicht lädt sie mich mal ein.

Heute, Sonntag, sind wir früh aufgestanden und um 10 Uhr hinausgefahren nach Chantilly auf dem Land, wo gerade ein Autorennen war. - Das Schloß war noch zu, und so kurvten wir im Straßenkreuzer durch die herrliche Gegend, bis wir irgendwo ein Restaurant fanden fürs Mittagessen. Es gab Kalbsschnitzel mit Pommes gratin (das sind überbackene Kartoffeln mit weißer Soße), danach Himbeereis und natürlich Rotwein dazu. Ich habe bald einen Schlag gekriegt, als ich die Rechnung sah: Das ganze Essen kostete - halt dich fest! - umgerechnet 135,-Mark!!Das war sogar Schaefers zu viel, und die sind schon einiges gewohnt!

Das Schloß ist ein kleiner Louvre. Alles voll Bilder und immer, wenn ich dachte, jetzt ist wohl Schluß, kam noch ein Raum mit noch mehr Bildern. Du glaubst gar nicht, wie anstrengend das auf die Dauer ist, immer so zu tun, als wenn es einen interessiert.... Das ist mir doch ganz egal, wie die Ahnen der adeligen Familien von Paris aussahen! So'n Quatsch. Nach 2 ½ Stunden gingen wir endlich raus und Tante Emma versprach, daß wir uns den Louvre in der nächsten Woche ansehen, und da man das nicht alles an einem Tag schafft, wollen wir 2 oder 3x hingehen. Das wird meine größte Strafe sein, stundenlang diese alten Bilder anzusehen.

Aber es war trotzdem ein wunderschöner Tag, mit Sonnenschein und in meinem neuen hübschen Kleid! Tante Emma wollte gar nicht glauben, dass ich es mir ganz allein genäht habe.

Heute, am Montag, sind wir mit dem Taxi zur "Notre Dame" gefahren. An der Kirche ist 200 Jahre herumgebaut worden, bis sie endlich fertig war. Sie wurde nämlich nur von den Handwerkern der Stadt Paris gebaut.

Habt Ihr eigentlich davon gehört, daß auf De Gaulle ein Attentat verübt worden ist?

Ganz Paris ist aufgeregt.

Wäre es nur nicht so heiß,

würde ich noch mehr Dir schreiben,

doch weil ich auch nichts mehr weiß,

so laß ich's lieber bleiben.

1000 Küsse von Deinem Schnutchen.

So, jetzt ist schon Freitag, 15.9.1961, und der Brief ist noch nicht weg.

Da werde ich schnell noch etwas dazuschreiben.

Wir waren heute in der "Madeleine". Das ist eine große, flache Kirche, die keine Fenster hat. Sie sieht innen ganz hübsch aus, aber sie ist sehr dunkel, weil nur von oben aus zwei winzigen Fenstern Licht hereinkommt. Es ist eben mal was anderes.

Im Café de la Paix haben wir draußen auf dem Fußweg Kaffee getrunken. Das ist das älteste Café von Paris und schon 200 Jahre in einer Familie.

Plötzlich fing es ganz stark an zu gießen. Ich hatte nur mein Kostüm an und das ist pitschenass geworden,- aber noch schlimmer: meine Schuhe sind ganz aus dem Leim gegangen, so daß ich mir neue kaufen mußte. 50 Mark habe ich dafür ausgeben müssen. In Deutschland würde ich 3 Paar dafür kriegen!

Wir haben im Kino einen uralten Film mit Greta Garbo angesehen "Grand Hotel". Wieder alles in englisch, habe gut verstanden. -

Wir wollten eigentlich zu einer Vorstellung der Piaf gehen, deren Lied "Non je ne regrette rien" ich neulich im Radio gehört habe. Da hat Tante Emma gesagt: Es ist abgesagt, weil sie wieder krank ist. Schade.

Gestern, Donnerstag, hat Tante Emma ihren Neffen Hannjo bestellt. Der soll mich in Paris herumführen, damit sie mal was zu Hause machen kann. Sein Vater ist Direktor der französischen Lufthansa, und die sind schon überall gewesen: Afrika, Tokio, Haiti, Amerika usw.

Hannjo ist 17 und will studieren. Der ist furchtbar vornehm und ete-pe-tete- Kann mich ja aufregen so was!

Wir sind mit der metro ganz weit durch die Stadt gefahren zu einer russischen Ausstellung.

Er hat mir die russischen Schilder vorgelesen und mir erzählt, daß er 2 Jahre russisch in der Schule gehabt hat. Mir fiel diese Angeberei auf den Wecker und da habe ich ihm auch mal was auf russisch vorgelesen und übersetzt. Da war er platt!

Dann sind wir auf dem Champs Elysees, der teuersten Straße von Paris, im "Moulin d'Alsac"

Essen gegangen. Als Vorspeise gab es einen ganz besonders guten Salat: Tomaten, Bohnen, Oliven, Paprika, Kartoffeln, Erbsen usw., ich glaube das war Salade Nicoise.

Als Hauptspeise eine Art Steak, ganz zart mit Erbsen und Pommes Frites. Dann Käse und zuletzt eine Tasse Mocca. Ich bin noch nie so gut und groß essen gegangen in meinem Leben wie in dieser Zeit hier in Paris. Das werde ich mir wohl später nie wieder leisten können.

Dann sind wir mit vollem Bauch auf den Turm der Notre Dame gekraxelt und ich habe ganz schön gekeucht. Aber von da oben hat man einen sagenhaften Blick auf die Stadt.

Die große Glocke wird nicht mehr geläutet, weil man Angst hat, daß der Turm dann zusammenfällt.Das St.-Severin- Kapellchen ist die älteste Kirche von Paris, klein und unscheinbar.

Abends war ich hundemüde und meine Füße taten mir weh von dem langen Stadtmarsch.

Morgens genieße ich immer die Zeit, wenn Tante Emma Onkel Hermann zur Arbeit bringt.

Dann bin ich ganz allein in der Wohnung, nehme ein Bad und stelle das Radio an. Nebenbei esse ich Bananen oder Apfelsinen oder Weintrauben und finde das Leben herrlich.

Ich habe dabei überlegt, ob ich nicht schon am Donnerstag oder Freitag kommen soll. Dann könnte ich den Haushalt machen und Mutti könnte sich noch ein paar Tage ausspannen. Besprich das mal mit Mutti. Ich überlege auch noch. Also bis bald Deine Ilse.

Paris, den 17.9.1961

Meine liebe Mutti!

Sicherlich hast Du schon lange auf diesen Brief gewartet, aber ich habe erst mal einen an den Vati geschickt, weil er doch so arm dran ist.

Am Freitag habe ich also vormittags nur herumgedöst und war dann mit Tante Emma bei der amerikanischen Botschaft. Es ist ein tolles Gefühl, in einer Botschaft zu sein, aber arbeiten möchte ich in diesem steifen Laden nicht!

In einem amerikanischen Restaurant haben wir Schokoladenkuchen mit Eis gegessen.

Mich drücken die neuen Schuhe, es waren die billigsten, die es gab, aber trotzdem noch viel zu teuer für mein Einkommen.

Tante Emma hat abends Hühnchen gebraten und ich habe mich herumgequält, das mit Messer und Gabel zu essen. - Wenn wir abends so zusammensitzen und keine richtige Unterhaltung vor Müdigkeit aufkommt, dann möchte ich immer gern ins Bett gehen aber ich traue mich nicht.

Am Sonntag sind wir um 10 Uhr aufgestanden und wieder aufs Land hinausgefahren, nach Fontainebleau. Das ist 59 km von Paris weg. Es war glühend heiß, die Straße war so aufgeweicht, daß meine Absätze drin hängen blieben.

Zum Mittagessen gab es als "Entre" eine Leberpastete, dann gab es Hummer mit grünem Salat und Tomaten. Ich wußte gar nicht, wie man so ein Ding anfaßt und habe erst mal am Salat geknappert, bis ich sah, wie die anderen anfingen. Das Hummerfleisch schmeckt sehr saftig und auch ein bißchen süßlich. -

Ich dachte, das wäre schon das Hauptgericht, aber da stelle ich mit Entsetzen fest, daß noch zwei Hammelkotelett folgen. Dazu Erbsen und eine komische Majonäse-Soße. Hat ja auch gut geschmeckt und komischerweise macht das zwar satt aber nicht voll. Dann gab's Käse oder Eis. Wir haben Eis gegessen, weil uns bei der Hitze der Käse wohl nicht geschmeckt hätte. Dazu gab's wie immer Rotwein, Wasser und Weißbrot. Alles zusammen hat für 4 Personen 102 Mark gekostet.

Die Bedienung wurde noch freundlicher, als Onkel Hermann auch noch ein gutes Trinkgeld gegeben hat. Die geben überall Trinkgeld, im Taxi, dem Kinoverkäufer, im Restaurant, auf der Toilette, in der Kirche oder im Museum bei Führungen, und den Studenten, die auf der Straße Kreidebilder malen. Neulich hat sie sogar Geld aus dem Fenster geworfen, als unten im Hof jemand ganz wunderschön Schifferklavier gespielt hat. - Hier in Frankreich wird nicht so gut für die Armen gesorgt, wie bei uns in Deutschland. Der Staat gibt eine kleine Unterstützung und für den Rest des Lebens haben sie die Genehmigung, an den Ufern der Seine einen Marktstand aufzustellen. Da werden dann die unmöglichsten Sachen verkauft: Bilder, Notenblätter, Bücher, Briefmarken, Kleidung.

Aber jetzt bin ich ganz von unserem Besuch in Fontainebleau abgekommen! Wir haben nachmittags das Schloß besichtigt, aber ich habe langsam genug davon, es sieht ja doch alles gleich aus und außerdem tun mir die Füße weh in den neuen Schuhen.

Ich komme bald! Liebe Grüße Dein Schnutchen

N.S. Liebe Mutti, eben habe ich Deinen zweiten lieben Brief erhalten. Herzlichen Dank.

Die Gardinenpredigt habe ich mir auch zu Herzen genommen, aber die Karte an die Apotheke habe ich schon am vorigen Donnerstag abgeschickt. Tut mir leid, daß ich Euch solche Unannehmlichkeiten gemacht habe. Sei mir bitte nichts mehr böse. Ich komme ja bald nach Hause.

Sonntag, 18.9.1961

Jetzt habe ich fast ein schlechtes Gewissen, weil Dein Brief immer noch nicht im Briefkasten ist. Heute sind wir nach St. -Germain-en Laye gefahren. Es war furchtbar heiß und drückend. Es würde mich nicht wundern, wenn gleich ein Schweißtropfen aufs Papier fällt. Ich mag mich gar nicht rühren, so sehr schwitze ich. - Und die Schuhe drücken so ekelhaft. -Natürlich war auch da wieder ein Schloß, aber zum Glück sind wir nicht reingegangen.

Mittags hat sich Tante Emma Ente bestellt und sich furchtbar aufgeregt, weil man die Ente schon kleingemacht servierte. Sie wollte sie unbedingt selbst von den Knochen abpulen. Jeder bekam nur einen Schenkel. - Da machen die Gastwirte die größte Schiebung, meint sie, weil sie den Rest der Ente für was anderes verwenden. -

Für ein Glas Orangensaft haben wir 6 Mark bezahlt! Ich bin schon froh, bald wieder vernünftige Preise zu bezahlen in Deutschland.

Die Rückfahrt war anstrengend, weil halb Paris aufs Land gefahren war und nun - wie wir - auch wieder zurückmußte. Ich habe noch nie so eine lange stehende Autokolonne gesehen!

Aber Onkel Hermann sagt, das ist normal, wenn man in einer großen Stadt wohnt.

Montag, 18.9.1961

Lieber Vati,

heute nur ein ganz kurzer Brief, um Euch mitzuteilen, daß ich bald zu Hause sein werde.

Muttis Brief kam heute hier an, in dem sie schreibt, daß auf Adenauer auch ein Attentat verübt worden ist, und daß ich so schnell wie möglich nach Hause kommen soll.

Nun ja, Donnerstag, fliege ich heim! Ich komme mit der Boeing Jet 707.

Ich mußte 173 NF zuzahlen, und für die Fahrkarte kriege ich in Deutschland etwas zurück.

Ich weiß nicht, wie ich in Hannover Anschluß habe, ich bin einfach irgendwann bei Euch.

Viele liebe Grüße von Eurer dankbaren Tochter.