Montevideo

Monte Video? Mortevideo!Oder was ?

Begonnen hat alles im Juni 1997, als wir für unser Ferienhaus in der steirischen Waldheimat einen ganz einfachen Video-Rekorder kaufen wollten und nach unserer Odysee durch den Dschungel der Elektronikriesen bei einem äußerst netten Verkäufer landeten.

Er empfahl uns sofort das benutzerfreundlichste Gerät, das zur Zeit auf dem Markt sei. Husch, husch hatte er es im Verkaufsraum angeschlossen und zum Leben erweckt.

Super, alles schien kinderleicht und daher für uns, die wir nicht dem Tekno-Zeitalter angehören, sondern eher der Elvis-Presley-Ära, anscheinend gerade richtig. Mein Mann meinte dann ganz begeistert, dass wir uns eigentlich auch einen neuen Fernseher kaufen sollten. Man leistet sich sonst ja nichts, und das wäre dann eine Anschaffung für den Rest des Lebens. Hoch erfreut machte uns der beflissene freundliche Verkäufer ein sensationelles Set-Angebot und versichterte uns, als er den Betrag in die Kasse tippte, dass wir damit die einmalige Chance hätten, beide Geräte, die durch die neueste Megalogic-Funktion sozusagen wie eineiige Zwillinge zusammengehörten, optimal zu benützen.

Der alte Fernsehapparat wurde mit ein paar tröstlichen Worten in den Keller verfrachtet und dann das neue Gefährt an die Steckdose angeschlossen, ebenso auch das neue Videogerät. Mein Mann holte gleich die Videocassette, die uns unsere Tochter aus dem weiten Schwarzwald zur Begutachtung der süßen Enkel-Zwillinge geschickt hatte.

Wußten wir eigentlich vor Jahrzehnten die Glückseligkeit zu schätzen, einen neuen Fernseher ins Wohnzimmer zu tragen, an einem bestimmten Knopf so lange zu drehen, bis man das Testbild hatte (ja,ja, gut so, - nein! - zurück, ja, ja, laß es, laß es, prima!) und dann nach Fixieren dieser Position immer wieder diesen Sender anschauen konnte?

Diese glorreichen Zeiten waren endgültig in den Keller getragen. Übrig blieb ein total veralteter trauriger Satelliten-Receiver und ein jungfräuliches Fernsehgerät der neuesten Hochtechnologie, wenngleich wir nicht wußten, was man mit den Vokabeln wie ATS plus, Descrambler, Weißbalance, Perfect clear, NTSC-Aufzeichnungen, Tint-Korrektur, Decoderton digital und anlog programmplatzbezogen und manuell, Top und Flop und vielem mehr in der Gebrauchsanweisung eigentlich meinte.

Da wir aber - obwohl nicht mehr ganz jung - wissen, dass man unter einem Menü nicht nur etwas zum Essen versteht, zu einem Dialog zwei gehören und ein Center nicht nur mit Einkaufen zu tun hat, gingen wir optimistisch und zuversichtlich daran, unseren Sommerurlaub nicht mit Wandern, Schwammerln und Beeren suchen zu verbringen, sondern schalteten, kabelten, wechselten aus, blätterten, telefonierten, notierten, machten rückgängig und versuchten von vorn. Gegessen wurde nur noch nebenbei, in der einen Hand die Gebrauchsanweisung, in der anderen eine belegte Semmel. Als wir endlich wenigstens andeutungsweise ein ORF-Flimmerbild und etwas Ton dazu erhielten, war für meinen Mann der Gipfel des Olymp erreicht: er gab sich bescheiden damit zufrieden, endlich zum Ende des Urlaubs wenigstens ein einziges Mal nach tagelangen Bemühungen ZIB 2 zu sehen und stellte fest, dass die Sprecher in dieser Zeit - im Vergleich zu uns - nicht im gleichen Maße gealtert waren.

Der Tragödie zweiter Teil begann, als ich im Herbsturlaub versuchte, den vorhandenen Satelliten-Receiver und den neuen Video-Rekorder anzuschließen. natürlich nicht ohne vorheriges Studium der 23-seitigen Gebrauchsanweisung. Ich hielt mich an alles, was darin so stand: stellte den Rekorder nicht auf Deckchen oder ähnliches, deckte Luftschlitze nicht durch Zeitungen oder Programmzeitschriften ab, hielt ihn von Magnetfeldern fern und nahm mir auch für die Zukunft fest vor, keine mit Flüssigkeit gefüllten Gefäße, wie Vasen usw. auf das Gerät zu stellen, bei Gewitter den Netzstecker zu ziehen und keine Fremdkörper in den Cassettenschacht zu stecken.

Nun konnte eigentlich nichts mehr schief gehen. Spätestens am Abend würden wir uns die erste Cassette mit unseren Zwillingsenkeln endlich ansehen können...

Bei herrlichem Herbstwanderwetter vor meine Audio-Video-Ecke verbannt, war ich immer weniger davon überzeugt, dass es eine gute Sache war, das Beste vom Besten zu kaufen:

Download und Megalogic versprachen zwar, "easy to handle" zu sein, für mich wurde es der reinste Horror! Hatte ich es endlich geschafft, alle drei Geräte gleich einer Intensiv-Station zu verkabeln, hieß das noch lange nicht, dass ich auch wirklich immer das sah, was ich sehen wollte und schon gar nicht, dass das, was ich aufnehmen wollte, dann auch tatsächlich zur rechten Zeit und vom richtigen Kanal eingespielt wurde, ... wenn überhaupt! Meistens produzierte ich ein lila-rotes Flimmerbild auf den Fernsehschirm, das sich aus unerklärlichen Gründen mal mit mehr roten als lila Punkten und mal umgekehrt darbot.

Hatte ich manchmal eine besondere Verbindung zu himmlischen Mächten, wenn ab und zu alles funktionierte? Hatte das zeitweilige Herumrücken oder vielleicht das Staubwischen dazu beigetragen, dass Wackelkontakte hin und wieder funktionstüchtig wurden?

Wurde ich von eben diesen himmlischen Mächten gestraft oder zumindest geneckt, wenn nichts, aber auch wirklich nichts so tat, wie ich es wollte? War der Video-Rekorder kaputt oder der Fernseher, der Satelliten-Empfänger, eine der drei Fernbedienungen, eine der 8 Batterien oder ein Verbindungskabel??

Oder war die Technologie einfach zu hoch für Normalverbraucher, wie wir es sind. Wir wollten doch nur ein Gerät, mit dem man aufnehmen und abspielen kann und nicht eines, für das man erst ein Technik-Semester bei der Universität belegen muss!

Dann kam unser Weihnachtsurlaub und viel Besuch!

Ich wollte in der allgemeinen Hektik unbedingt den Film "Das Haus in Montevideo" mit unserem Lieblingschauspieler Heinz Rühmann aufnehmen. Das Auswendiggelernte hatte ich längst wieder vergessen und zum "Einlesen" nahm ich mir nicht die Zeit.

Nachdem ich es immerhin geschafft hatte, die Uhr wieder neu einzuprogrammieren, wagte ich mich an das Einspeichern der gewünschten Sendung. Weil ich als gebranntes Kind mißtrauisch war, blieb ich davor sitzen, um den Ablauf zu verfolgen, aber es tat sich überhaupt nichts!

(Un)-sinnigerweise ist die Uhr am Gerät nicht mehr sichtbar, sobald etwas eingespeichert ist, somit kam mir die Wartezeit unendlich lang vor ...

Irgendwann griff ich zur Selbsthilfe und versuchte es mit "Sofort-Aufnahme", worauf alles seinen schrecklichen Lauf nahm:

Es knackste, leuchtete, der Rekorder begann seinen Dialog mit mir, und ich versuchte verzweifelt, das zu tun, was er von mir erwartete, indem ich sämtliche Knöpfe drückte, die verfügbar waren:

Ich set/checkte, clearte, on/offte, stoppte mit der einen und dann mit der zweiten Möglichkeit, startete erneut, sah auf dem Fernsehschirm Menü-Pläne, Curser, Filmfetzen, das verhaßte blau-rote Flimmerbild, und dann fing auch noch der Timer wie wild zu blinken an, um mich daran zu erinnern, dass er jetzt endlich etwas aufnehmen wollte.

Schweißgebadet schaltete ich den Rekorder aus...

Der Timer blinkte weiter!

Ich zog den Stecker aus der Dose.

Der Timer überlebte dank Batterie und hörte nicht auf zu blinken!

Ich riß sämtliche Nabelschnüre ab, die den Rekorder mit Fernseher und Sat-Receiver verbanden und setzte ihn erneut unter Strom:

Der Timer blinkblinkblinkblinkte...

Ich stieß einen meiner wildesten - von Kindern und Ehemann gefürchteten - Urtöne aus und warf den Video-Rekorder in hohem Bogen aus dem Fenster, -

glücklicherweise nicht, ohne es vorher zu öffnen!

Als hätte ich es genauestens berechnet, landete er direkt in unserem Biotop und das Blinken des Timers durchdrang hartnäckig die Wasserlinsen-Decke ...

Mir wurde nun bewußt, dass ich soeben einen Netto-Monatslohn versenkt hatte,

und ging hinaus, um mir im Biotop das Leben zu nehmen ...

Das helle Stimmchen meines 3-jährigen Enkels Christoph hielt mich von diesem letzten entscheidenden Schritt zurück: "Omi, Omi, wach auf! Der Timer plinkt, muttu eine Kassette reinlegen!"

Er tat es für mich, aber wir haben diesen Film nie angesehen.

Das Christkind brachte zu Weihnachten den alten Fernseher zurück und einen dicken Briefumschlag mit Fotos von den Zwillings-Enkeln.

Die neue Technik-Kombination wurde trotz VPS/PDC, OSD, ATTS und Studioquality ohne ein paar tröstliche Worte in der dunkelsten Ecke des Kellers versenkt.

Vielleicht wird eines Tages Christoph mit seinen Kindern davorstehen und wehmütig schwärmen:

"Schaut mal, das waren noch ganz einfache Elektronikgeräte damals,

den Video-Rekorder konnte ich schon mit 3 Jahren bedienen!"

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Es war doch schon immer das gleiche Problem…


11.10.1958

Nachmittags gab's wieder Stunk mit Mutti wegen dem Scheiß-Fernsehapparat und Kino. Gott, hat die gewettert. Ach was, sie hat gar nicht gewettert, ich habe gewettert und sie schwieg. Die denkt sich nur, sie würde klug sein, wenn sie schweigt. Jedenfalls habe ich gesagt, daß für das Geld, was ein Fernsehapparat kostet, die ganze Familie 10 Jahre jede Woche einmal ins Kino gehen kann. Und daß der Blitz in den Apparat hauen kann und dann das ganze Geld futsch ist. Und daß es ungesund sein kann, wegen der Strahlen usw. Naja, wie gesagt, sie schwieg mit einem Riesenflunsch. Aber ich glaube, Vati will auch einen Fernsehapparat, weil das bequemer ist als ins Kino zu gehen. Macht doch, was ihr wollt!

Als Vati und Mutti abends mit Waldi raus waren, habe ich mich schnell in der Küche gewaschen und bin dann gleich in mein Zimmer gegangen, als ich sie zurückkommen hörte. Mutti kam und sagte: "Was ist denn mit dir los? Es ist doch erst halb acht!" - "Wenn ich doch so müde bin". "Ja, ja, du wirst schon wurmsteks" sagte sie und noch etwas, was ich nicht verstand. Als ich nochmal fragte, was sie gerade gesagt hatte, brüllte sie:

"Ach, hau ab, los!" Ja, und so haute ich ab.

Als ich ungefähr 10 Minuten im Bett war, und gerade in mein Tagebuch schreiben wollte, kam sie herein und schimpfte, daß ich schon wieder das Radio verstellt habe und sie könnte den Sender "Frankfurt" nicht finden.

Ich hab ihr das schon so oft erklärt, daß sie immer erst die "M"-Taste drücken muß, weil ich meistens auf Kurzwelle höre. Ich mußte ihr einen Zettel schreiben, was sie genau machen muß, weil sie es immer wieder vergißt, also "Anmachen - M drücken - so lange zwischen r und n von Radio Frankfurt drehen, bis guter Empfang da ist." Das ist doch so leicht! Mutti sagt, sie kommt mit der neumodischen Technik nicht zurecht...

Wenn die dann gedacht haben, ich würde noch länger aufbleiben, hatten sie sich geirrt. Ich ging sofort wieder ins Bett und heulte. Ich muß immer an Frl.v.Behr denken...

"Petticoat und Pferdeschwanz – Bodenteicher Tagebücher 1956-1964" S. 72