Matthias Weckman: Seine Biographie nach neuestem Forschungsstand

[Matthias Weckman] Seine Biographie nach neuestem Forschungsstand

Ibo Ortgies, 1991

Matthias Weckman wurde, wahrscheinlich 1616, in Niederdorla bei Mühlhausen (Thüringen) geboren. Sein Vater, Jacob Weckman, brachte ihn wahrscheinlich 1628 zu Henrich Schütz**, der Weckman als Chorknaben in die Dresdner Hofkapelle aufnahm. Schütz, den Weckman als seinen Ratgeber und "musikalischen Vater" betrachtete, betreute Weckmans weitere musikalische Ausbildung nach seiner Rückkehr aus Italien, Ende 1629, und Matthias erhielt Unterricht bei Johann Klemm (Orgel) und Caspar Kittel (Gesang).

Ende 1631 lebten beide Eltern Weckmans schon nicht mehr. Am 10. Februar 1631 finden wir ihn als "Discantist" (Sopran) der Dresdner Hofkapelle, die ein großes, repräsentatives Ereignis in Leipzig mit Musik zu versehen hatte. Kurze Zeit später mutierte Weckman jedoch und da sich seine Stimme als zu schwach für eine professionelle Sängerlaufbahn erwies, leitete Schütz in die Wege, daß Weckman auf Kosten des sächsischen Kurfürsten bei dem berühmten Jacob Praetorius d. J. in Hamburg die Orgelkunst erlernen sollte. Schütz, selbst auf dem Weg nach Dänemark, begleitete ihn nach Hamburg, wo Weckman auch den virtuosen Heinrich Scheidemann in der Katharinenkirche hörte, was ihn dazu bewegte, "die praetorianische Ernsthaftigkeit mit einer scheidemannischen Lieblichkeit zu mäßigen; und also viele neue galante Erfindungen einzuführen."

Weckman lernte nicht nur das Orgelspiel und die Kunst der Registrierung, sondern auch Komposition. Als seine dreijährige Studienzeit beendet war, erhielt er einen Auftrag von Schütz, dessen "beste musikalische Sachen", die Schütz bei seinem Aufenthalt in Dänemark dort zurückgelassen hatte, abzuholen und nach Dresden zurückzubringen. Weckman wurde nach seiner Wiederkehr, 1636 oder 1637, als Organist der Hofkapelle und Mitglied der Kurprinzlichen Kapelle, eines kleinen, aber hochqualifizierten Ensembles, bestallt.

Ein Jahr später, 1638, kam Weckmans Bruder Andreas nach Dresden und Matthias machte ihn mit dern Procurator und Hofprediger Matthias Hoe von Hoenegg sowie mit Henrich Schütz, dem Hofkapellmeister, bekannt. Ferner vermittelte er seinem Bruder eine Stelle als Hauslehrer der Kinder eines Adligen.

Das musikalisch-kulturelle Leben Dresdens lag zu dieser Zeit wegen der Folgen des Dreißigjährigen Krieges weitgehend brach, obwohl der Kurprinz Johann Georg II. ein großer Liebhaber der Musik war. So erhielten die Musiker keine Gehälter mehr und es scheint, als ob sie heimlich nach Gelegenheiten suchten, den Hof zu verlassen. 1643, so wurde bislang vermutet, könnte sich Weckman um die freie Organistenstelle am Magdeburger Dom beworben haben. Wahrscheinlich aber begab er sich, wie vor ihm schon Schütz, der einem Ruf des dänischen Kronprinzen Christian V. folgte, unmittelbar nach Nykøbing auf der Insel Falster.

Der Kronprinz, ein Schwager des sächsischen Kurprinzen, war, wie dieser, ein Freund der Musik und baute unter Beratung von Schütz in Nykøbing eine leistungsfähige Hofkapelle auf. Weckman erhielt dort eine vergleichbare Stellung als Hoforganist mit ähnlichen Pflichten. Neben dem täglichen Orgelspiel in Gottesdienst und Konzert leitete er die Continuogruppe und bildete junge Sänger aus, die bei ihm den italienischen Stil lernten. In Nykøbing hatte Weckman auch mit den Chorknaben der Lateinschule zu proben. Diese Schule gehörte zu einem, mit dem Hofe eng verbundenen Kloster, in dessen heute noch erhaltener Kirche Weckman wahrscheinlich die Gottesdienste musikalisch ausgestaltete.

1646 wurde er nach Dresden zurückberufen. Es ist jedoch [nicht] sicher, daß er auf direktem Wege zurückkehrte. 1647 muß er sich im Juni in Hamburg aufgehalten haben und am 31. Juli des folgenden Jahres heiratete er in Lübeck die Tochter eines Ratsmusikanten, Regina Beute. Als Trauzeuge fungierte der berühmte Organist Franz Tunder.

Im Winter 1649-50 war Weckrnan in jedem Fall wieder in Dresden als Johann Jacob Froberger, der bedeutende kaiserliche Cembalist und Organist, die Stadt besuchte. Mattheson berichtet über ein, auf Anregung des Kurfürsten ausgetragenes Wettspiel zwischen Froberger und Weckman, das Letzterer gewann. Froberger entfuhr ein anerkennendes "Dieser ist ein rechter Virtuos!", er erhielt aber doch, zu Ehren seines Herrn, des Kaisers, das übliche, reich verzierte Bildnis des Kurfürsten an einer goldenen Kette. Es blieb eine lebenslange Freundschaft zwischen den beiden bedeutenden Musikern bestehen, die Briefe und Kompositionen austauschten, wodurch Weckman u. a. eine Suite Frobergers erhielt. Dokumentiert wird die Freundschaft durch den "frobergerischen" Stil Weckmanscher Kompositionen in dem sog. "Lüneburger Clavierbüchlein" und vor allem durch das "Hintze"-Manuskript, das einige Werke Frobergers in Weckmans eigener Hand überliefert.

Weckman erhielt weitere Gelegenheit sich im italienischen Stil zu vervollkommnen. Als er nach Dresden zurückkehrte, fand er in der Hofkapelle zahlreiche italienische Musiker vor. Diese bewunderten ihrerseits Weckmans hohe Kunst und schätzten insbesondere seine außerordentlichen Fähigkeiten im Orgelspiel. Italienisch beeinflußt waren auch die spektakulären Hoffeste z. B. anläßlich von Taufen oder Heiraten am Hofe, die Weckman als Continuospieler mitgestaltete. Die aufwendigen Veranstaltungen gipfelten in sechs- bis achtstündigen Aufführungen von Opern, allegorischen Spielen und Balletten.

1655 wurde Weckman, inzwischen Familienvater mit zwei Söhnen und wahrscheinlich einer Tochter, aufgefordert, sich um die Organistenstelle der Jacobikirche in Hamburg zu bewerben. Die Kirche gehörte zum damals größten Kirchspiel Hamburgs und besaß eine berühmte Orgel, die auf Betreiben Weckmans 1657 repariert und vermutlich ein wenig erweitert wurde. Zunächst jedoch absolvierte Weckman ein glänzendes Probespiel, so daß er als Organist und ~ Kirchenschreiber" (eine Form des Buchhalters) der Jacobikirche und der Gertrudenkapelle bestallt wurde. Er erhielt die Erlaubnis des Kurfürsten, Dresden zu verlassen, und die Familie siedelte, vermutlich im Winter 1655-56, nach Hamburg über. Weckmans Hamburger Zeit war musikalisch äußerst fruchtbar und ein großer Teil der erhaltenen, überlieferten Werke stammt aus dieser Phase seines Lebens.

Die Jacobikirche scheint ein reiches musikalisches Leben besessen zu haben, das bereits durch Weckmans Vorgänger auf ein hohes Niveau gehoben worden war. Ihre größte Blütezeit erlebte die Musikpflege in Jacobi jedoch unter Matthias Weckman.

In den Jahren 1657, 1658 und 1660 vergrößerte sich die Familie Weckman um drei Töchter. Weckman erwarb 1660 das hamburgische Bürgerrecht und gründete noch im selben Jahr ein "Collegium Musicum", das sich wöchentlich im Remter (Refectorium) des Domes zusammenfand, um die "besten Sachen aus Venedig, Rom, Wien, München, Dresden,"... etc. zu proben und aufzuführen. Zu diesem Zweck versammelten sich bis zu 50 Musiker und Musikliebhaber, und dieses "Collegium Musicum" erwarb so großen Ruhm, daß "die grössten Componisten ihre Namen demselben einzuverleiben suchten."

1662 starb Weckmans Bruder Andreas und im folgenden Jahr, als sich die Pest in Hamburg ausbreitete, riß der Tod schmerzliche Lücken in Weckmans Freundes- und Bekanntenkreis. Am 8. April 1664 kaufte er, im Gedanken an den eigenen, möglicherweise unmittelbar bevorstehenden Tod, ein Familiengrab in der Jacobikirche, unter dem linken Pedalturm der von ihm gespielten Orgel.

1663 wurde, nach dem Tod des Kantors Thomas Seile, Weckmans "HertzensFreundt" der Dresdner Jahre, Christoph Bernhard, als dessen Nachfolger berufen. Er wohnte während des Umbaus des Kantorhauses im Hause Weckmans. Der Kurfürst hatte Bernhard nur freigegeben, falls ihm die Hamburger das Recht zubilligten, ihn jederzeit zurückfordern zu können.

Am 13. Juli 1665 starb Regina Weckman und hinterließ ihrem Gatten acht Kinder, darunter das Jüngste, gerade erst sechs Monate alt. Daher sorgte Weckman in den weiteren Jahren [vermehrt] für eine sichere Zukunft seiner Familie. Bereits ab 1666 erhielt er über sein Gehalt hinaus regelmäßige Sonderzahlungen. Zur selben Zeit hielt sich ein junger Sänger, Frans de Minde, im Hause Weckman auf, der wohl die Erziehung der Söhne übernahm.

1667 (oder möglicherweise nicht lange nach dem Tode Regina Weckmans 1665) reiste Weckman nach Dresden, wo er dem Kurfürsten einen in Gold gebundenen Band mit eigenen Werken schenkte und ihm daraus vorspielte. Der Fürst honorierte diese Ehrenbezeigung u.a. mit dem Versprechen für die Erziehung der Söhne, Jacob und Hans Georg, aufzukommen. Aus dem Jahr 1667 datiert auch das Autograph "Gelobet seystu Jesu Christ" mit der Beischrift "Unser Gott hilfs und wende meinem thun zum Gutten Ende".

Zwei Jahre später, am 14. Februar 1669, wurde das Aufgebot für Matthias Weckman und Catharina Roland, die zweite Ehefrau, abgekündigt. Die einzigen bekannten Kompositionen Weckmans aus dieser Zeit sind einige Liedvertonungen auf Texte Philip von Zesens, die 1668 bzw. 1670 veröffentlicht wurden. Im Januar 1670 wurde den Weckmans eine Tochter geboren und 1671 sogar Zwillingstochter.

Zu dieser Zeit wurde Weckman von seinen Pflichten als Kirchenschreiber entbunden, "weil sein Gedächtnis, nicht wegen Alters, sondern von den Studiren und tieffen Nachsinnen, so er in der Music von Jugend auff getrieben und seine Lebens-Geister geschwächet", jedoch erhielt er weiterhin das dem Kirchenschreiber zustehende Gehalt.

Weckman starb am 24. Februar 1674 und wurde am 1. März des Jahres unter dem Geläut der "besten" Glocken in der Jacobikirche begraben. Sein Freund Bernhard leitete dabei eine Aufführung Weckmans eigener Komposition "In te Domine speravi" (Auf dich habe ich gehoffet, Herr).

Weckmans Schüler und Chronist, Johan Kortkamp, berichtet über den Abschied Bernhards von Hamburg:

[Bernhard:] "Ich solte meinen Hertzens-Freundt Weckman woll eine Trauer-Music machen, allein ich würde so glücklich nicht sein, wie er selbst sein Trauerstück im Leben selbst gemacht und zeigte mir zugleich 'In te Domine Speravi' welches er [Weckman] gemacht Anno 1663, wie er zu der Zeit an sein sehliges Ende gedachte. Nun weiß Gott, daß man sich des Weinens nicht enthalten könte, wenn man auß den Worten des Stückes observirte, wie krefftig er die Worte der Music einverleibet: 'in manus tuas commendo spiritum meum: redemisti me Dominus Deus veritatis.' [In Deine Hände befehle ich meinen Geist: Du hast mich erlöst, Herr, Gott der Wahrheit.]