Genau wie beim Thema Verhütung haben viele Frauen auch in Bezug auf die Menopause den Wunsch, alles möglichst natürlich zu erleben. Was bedeutet dies im Hinblick auf die Wechseljahre? Es bedeutet, dass wir damit leben müssen, auf unsere Sexualsteroide zu verzichten. Während Männern ihre Testosteronproduktion bis ins hohe Alter erhalten bleibt, hört bei Frauen die Hormonsynthese mit Mitte 50 auf. Das heißt, dass wir ohne unser Östrogen leben müssen, und das für Jahrzehnte.
Warum ist das eigentlich so? Warum hört die Hormonproduktion auf? Das Östrogen wird im Eierstock produziert und ist eng gekoppelt an die Funktion der Eireifung. Bei den Männern ist die Testosteronproduktion eng an die Spermienbildung im Hoden gekoppelt. Aber während Männern auch das 15. gezeugte Kind nichts ausmacht, bedeuten viele Schwangerschaften für Frauen ein gesundheitliches Risiko. Deshalb hat es sich im Lauf der Evolution so entwickelt, dass die Fortpflanzung bei uns irgendwann aufhört. Zum Glück! Die meisten von uns wollen mit 50 kein Kind mehr kriegen. Das Problem ist nur, dass wir damit auch gezwungen sind, ohne unsere Steroide, unsere Sexualhormone zu leben. Ein Fehler im Design?
In der Steinzeit war es nicht so schlimm. Viele Frauen sind nach den ganzen Schwangerschaften und Geburten sowieso früh gestorben. Aber wir modernen Frauen möchten auch die Zeit ab 50 genießen, und zwar ohne brüchige Knochen, schwache Muskulatur, schmerzende Gelenke und dünne Schleimhäute. All das kann der Östrogenmangel nämlich verursachen. Viele von uns bemerken auch einen Abfall der Konzentrations- und Merkfähigkeit. Von den Veränderungen auf Sexualität und Libido ganz zu schweigen.
Am Schlimmsten erleben viele Frauen die Perimenopause, vor allem die 5-10 Jahre vor der letzten Menstruation. Da kommt dann nämlich oft noch ein Blutungschaos und extreme Stimmungsschwankungen dazu. Das Östrogen kann an manchen Tagen sehr hoch sein und ein paar Tage später in den Keller fallen und uns reizbar und genervt machen. Oder traurig und ängstlich. Denn nicht nur in den Knochen und Muskeln sind Östrogenrezeptoren, sondern auch im Gehirn. Wer das nicht als unangenehm erlebt, hat Glück. Wird aber trotzdem davon betroffen sein, dass sich ohne Östrogen das Kalzium leichter aus den Knochen löst und sich dann gerne in Blutgefäßen ablagert. Deshalb leiden Frauen mit Östrogenmangel dann irgendwann auch häufiger an Atherosklerose, also Gefäßverkalkung. Das erhöht dann das Risiko für Demenz, Schlaganfall und Herzinfarkte.
Warum bekommen also nicht alle Frauen naturidentisches Östrogen (+Gestagen), um den Mangel auszugleichen? Das liegt daran, dass der Hormonmangel auch etwas Positives hat. Er schützt uns vor Brustkrebs. Je weniger wir im Leben den Östrogenen ausgesetzt sind, desto geringer ist unser Risiko, Brustkrebs zu bekommen. So wie bei anderen Säugetieren führt auch bei uns Menschen die Sterilisation mit Entfernung der Eierstöcke zu einem deutlich geringeren Brustkrebsrisiko. Dennoch werden nicht allen Frauen aus Vorsorgezwecken die Eierstöcke entfernt. Denn gut funktionierende Muskeln, Knochen, Blutgefäße, unser Gehirn und unsere Sexualität sind auch wichtig für ein langes, erfülltes Leben.
Es ist ein Dilemma. Es gibt viele Studien mit Zigtausenden von Frauen, die über Jahrzehnte beobachtet wurden, um rauszufinden, welche Frauen länger leben: Die mit oder die ohne Hormontherapie. Im Hinblick auf das Wohlbefinden ist die Statistik eindeutig: Da zeigt die Hormontherapie für die überragende Mehrheit deutliche Vorteile. Aber wenn es um die Langlebigkeit geht, ist es unklar. In Ländern, in denen Frauen eher an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben, profitieren Frauen von der Hormontherapie, sie leben im Schnitt Jahre länger. Aber in Ländern mit hoher Brustkrebssterblichkeit sieht es anders aus.
Was sollte jede Frau für sich entscheiden: Möchte ich die zweite Lebenshälfte möglichst natürlich, d.h. ohne Sexualhormone erleben, mein Brustkrebsrisiko damit nicht erhöhen, aber dafür mit Abnahme von Knochendichte, Muskelmasse und kognitiver Fähigkeiten leben? Oder möchte ich Hormone nehmen, die gut für meine körperliche und geistige Fitness sind, aber mein Brustkrebsrisiko erhöhen? Es ist keine leichte Entscheidung. Hilfreich ist es, das individuelle Risikoprofil zu beachten. Habe ich ein familiäres Risiko für Brustkrebs? Oder eher für Herz-Kreislauf-Erkrankungen?
Wer sich für die Hormontherapie entscheidet, sollte regelmäßige Brustkrebsfrüherkennung machen. Zusätzlich zur Mammographie empfehlen wir 1-2 x im Jahr eine vorsorgliche Ultraschalluntersuchung. Denn wenn Brustkrebs früh erkannt wird, ist er meist heilbar!
Außerdem sollte die Entscheidung möglichst früh getroffen werden. Wenn die Blutgefäße nämlich schon durch den Hormonmangel an Elastizität verloren haben, erhöht die Hormontherapie das Risiko für Schlaganfälle und andere Gefäßerkrankungen.
Viele Aspekte habe ich jetzt gar nicht erklärt. Was ist mit dem Progesteron oder dem Testosteron? Das haben wir Frauen ja auch. Wie beeinflusst der Hormonmangel den Schlaf? Was ist mit dem Demenzrisiko? Was ist mit der Sexualität? Das ist alles so kompliziert, dass auch wir Frauenärztinnen es nicht immer 100%ig durchschauen. Die Studien widersprechen sich oft. Unsere Fachgesellschaften und Wissenschaftler haben sich jahrelang zusammengesetzt und Berge von Studien studiert, um die 158-Seiten lange Handlungsempfehlung (S3-Leitlinie) zu schreiben. Mit Hilfe dieses Expertenwissens können wir bei der Beratung helfen. Es ist sinnvoller, eine Entscheidung auf Fakten und Wissen zu basieren, als auf irgendein Bauchgefühl.