Der perfekte Mord


Wie man an der Rechtschreibung erkennen kann, ist dieser Artikel schon etwas älter. Ich habe ihn vor der großen Rechtschreibreform verfasst ... und jetzt so gelassen, wie er war.

Ein Schulaufsatz zum Thema »Wie ich einmal ins Wasser fiel« von Sandra S., 14 Jahre alt

Eigentlich wäre ich gar nicht ins Wasser gefallen, wenn mich Martina, meine Freundin, nicht so erschreckt hätte. Sie wollte mich natürlich gar nicht erschrecken - ich war nur so vertieft in meine Überlegungen, daß ich Martina nicht kommen hörte. Als sie dann plötzlich hinter mir stand und fragte: „Was um Himmels willen ist denn das?“, machten meine Beine ganz von selbst einen Satz und ich landete im Teich.

Ich ärgerte mich nicht so sehr über das unfreiwillige Bad, aber es war einfach umständlich, daß ich jetzt meiner Mutter erklären mußte, warum ich völlig durchnäßt nach Hause kam. Sie kann ganz schön penetrant sein, meine Mutter, wenn sie ein Geheimnis wittert. Und man kann eigentlich Gift darauf nehmen, daß sie es merkt, wenn man ihr etwas verheimlichen möchte. Das hat sie gelernt, schließlich ist sie seit undenklich langen Zeiten bei der Kriminalpolizei.

Die Idee hatte ich wegen der Tätigkeit meiner Mutter. Sie erzählte oft und gerne von ihren Erfolgen bei der Verbrechensbekämpfung. Dabei stritten wir uns gelegentlich schon darüber, daß der Begriff an und für sich falsch ist. Denn bevor meine Mutter und ihre Kollegen tätig werden, ist ja das Verbrechen bereits geschehen, meistens jedenfalls. Sie bekämpft also genau genommen den Verbrecher, nicht das Verbrechen. Sie sagt dann immer, daß sie durch die Ermittlung und Verhaftung eines Täters weitere kriminelle Handlungen des betreffenden Menschen vereiteln und somit eben doch das Verbrechen selbst bekämpfen kann. Mir erscheint das jedoch nicht logisch.

Das perfekte Verbrechen gebe es nicht, meint sie in jeder zweiten Diskussion. Auch darin war ich anderer Meinung. Wenn nichts auf den Täter hinwies, wie sollte er dann entlarvt werden, wenn es sich um einen halbwegs intelligenten Menschen handelte?

Jedenfalls wollte ich schon länger bei Gelegenheit herausfinden, ob der oft wiederholte Satz meines Vaters, daß jeder Mensch zu allem fähig sei, und die Behauptung meiner Mutter, jeder Verbrecher mache einen Fehler der schließlich zur Entdeckung führen würde, stimmten.

Ich halte mich für einen guten Menschen, der sicherlich ein paar Fehler hat, aber ich bin kein Monster. Ich habe, so sagt man, ein geradezu sonniges Gemüt und meine hervorragenden Schulnoten sind mir Zeugnis genug, daß ich nicht dumm bin. Ich habe mein Verbrechen als Experiment veranstaltet, nicht, weil ich von Natur aus böse bin oder so etwas.

Auf dem Heimweg von der Schule sprach mich eines Tages im Sommer des letzten Jahres eine Dame mittleren Alters, die mir völlig unbekannt war, an. Sie trug eine Einkaufstasche in der linken Hand, in der rechten hielt sie eine Zigarette. Als ich an ihr vorbeigehen wollte, fragte sie mich, ob ich zufällig Feuer für sie habe.

„Nein, tut mir leid“, antwortete ich höflich, „ich rauche nicht.“

„Das ist gar nicht verkehrt. Wenn man erst einmal anfängt, ist es schwer, wieder aufzuhören.“

Ich lächelte sie freundlich an und meinte beiläufig: „Oh, das ist gar kein Problem. Ich weiß eine todsichere Methode. Man raucht nie wieder eine einzige Zigarette.“

„Ach, tatsächlich? Wie geht das denn?“

Ich erklärte der Dame, daß ich ihr das Verfahren gerne zeigen würde, dazu müsse sie aber mit mir in den nahegelegenen Stadtpark gehen, da man Ruhe brauche und ungestört sein müsse. Da sie nichts weiter vorhatte, willigte sie ein. Sie steckte die Zigarette zurück in die Schachtel, wir spazierten in den Park und setzten uns in der Nähe des Teiches auf eine Bank.

Die Einkaufstasche stellte die Frau neben sich und holte zwei knackige rote Äpfel heraus. Sie bot mir einen an, was ich gerne akzeptierte. Wir aßen das Obst, während sie mich ein wenig ausfragte, wo ich wohnte, was meine Eltern täten und so weiter. Mir machte es nichts aus, zu antworten, da die Wahrscheinlichkeit, daß meine Gesprächspartnerin mit irgend jemandem darüber reden konnte, gleich Null war.

Das Kerngehäuse warf ich nicht in den Papierkorb neben der Bank. Wegen der Speichelspuren hätte ich ihn später wieder heraussuchen müssen. So wickelte ich den Rest des Apfels in ein Taschentuch und erklärte: „Für mein Meerschweinchen Susi.“

„Ach Gott, wie süß! Ich hatte früher auch eins.“

Wir plauderten ein paar Minuten über Haustiere. Schließlich sagte ich: „Also, Sie müssen jetzt die Augen schließen. Dann stelle ich mich hinter Sie und begehe eine Handlung. Danach werden Sie nie wieder eine Zigarette rauchen.“

„Ist das ein magischer Trick?“ fragte sie mit einem amüsierten Zwinkern.

„Nein, ein absolut natürlicher Vorgang, der nichts überirdisches an sich hat. Ich garantiere für den Erfolg.“

Sie schloß die Augen, ich ging um die Bank herum und stellte mich hinter sie. Ein letzter Blick in die Runde, aber es waren keine Spaziergänger in Sicht. Dann schnitt ich die Kehle der Frau durch, ein ganz tiefer Schnitt von links nach rechts.

Das altmodische, aufklappbare Rasiermesser hatte ich seit Wochen mit mir herumgetragen und gelegentlich an einem Regenwurm oder einer verletzten Amsel ausprobiert, ob es wirklich so scharf war, wie es aussah. Gefunden hatte ich es bei einem Flohmarkt an einem Stand mit allerlei antikem Gerümpel. Der Inhaber des Standes hatte nicht bemerkt, daß das Messer in meine Jeanstasche wanderte, während ich andere Dinge aufmerksam betrachtete.

Die Dame, die nun tatsächlich nie wieder rauchen würde, machte ein etwas unangenehmes, gurgelndes Geräusch, so wie ein Abfluß, wenn man mit dem Gummistopfer daran arbeitet. Es floß unheimlich viel Blut, deshalb hatte ich mich ja hinter den Körper gestellt. Ich wollte nichts davon auf meine Kleidung bekommen. Der Kopf sackte nach vorne und die tote Frau kippte von der Bank.

Ich zog Einmalhandschuhe aus dem Verbandskasten der Schule an, die ich wie das Messer schon lange mit mir herumschleppte, und schleifte die Leiche erst mal ins Gebüsch, damit sie außer Sicht war. Dann holte ich die Einkaufstasche und versenkte sie im Teich. Anschließend zog ich auch die Frau ans Wasser. Mit der Spitze meines Schuhs gab ich ihr einen Schubs und sie kullerte die Böschung herunter, es gab einen recht lauten Platscher und noch nicht einmal 15 Sekunden später stand Martina hinter mir und fragte: „Was um Himmels willen ist denn das?“

So fiel ich also ins Wasser und landete neben der Leiche.

Ich dachte geschwind nach und wußte auch gleich, wie ich sowohl meiner Mutter die nassen Kleidungsstücke erklären als auch die prekäre Situation entschärfen konnte.

„Hilf mir mal, Martina“, rief ich, „vielleicht kann man sie noch retten!“ Während dessen zog ich unter Wasser die Handschuhe aus und stopfte sie in meine Jeanstasche.

Martina schüttelte den Kopf und meinte: „Nee, schau doch mal den Hals an. Der ist ja durchgeschnitten. Die ist tot!“

Ich tat so, als bemerkte ich die Verletzung erst jetzt und quiekte so entsetzt wie möglich.

Nun erst schien Martina zu begreifen, was sie da vor Augen hatte: Ein frisches Mordopfer, so frisch wie die Krabben im Fischladen an der Ecke. Sie begann zu kreischen und wild mit den Armen zu fuchteln, dann rannte sie davon in Richtung Straße. Ich hörte sie noch aus weiter Ferne aus vollem Hals brüllen: „Hilfe! Hilfe! Sie ist tot! Hilfe!“

Ziemlich schnell versammelten sich zahlreiche Menschen am Ufer.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Meine Zeugenaussage war nicht sehr ergiebig. Ich erzählte, daß ich beim Bummeln im Park das Blut bei der Bank gesehen hatte, neugierig war, was man einem Teenager leicht abnimmt, die Frau im Wasser entdeckte und hineinsprang, um womöglich zu helfen, was man mir als Heldentat hoch anrechnete. Ich hatte niemanden gesehen und wußte sonst nichts.

Meine Mutter sorgte dafür, daß ich nach der Aussage nicht weiter behelligt wurde, sie schleppte mich zu einem Psychiater, der meinen Schock, den ich so gut wie möglich simulierte, zu behandeln versuchte, und im Lauf der Zeit geriet der Mord im Park in Vergessenheit.

Das Rasiermesser und die Handschuhe konnte ich geheimhalten, sie verschwanden am nächsten Tag im Müllcontainer beim Supermarkt.

Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Ich gehe davon aus, daß mein Experiment gelungen ist. Man kann den perfekten Mord begehen und jeder Mensch ist zu allem fähig.

Quod erat demonstrandum.