Leseprobe Dreimal Krebs

Ach Schantall!

Die Ärzte und das Pflegepersonal, mit denen ich es zu tun hatte, waren samt und son­ders freundlich, hilfsbereit, jederzeit zur Stelle wenn es Not tat und ich hatte immer das Gefühl, gut betreut und bestens versorgt zu sein.

Aber.

Vermutlich muss es in jeder Suppe ein Haar geben. Alles wäre rundum bestens gewesen, wenn nicht Schwester – na ja, nennen wir sie mal Schantall – gewesen wäre. Schantall war ihren Aufgaben so lange gewach­sen, wie sich alles in vermutlich während der Ausbildung auswendig gelernte Abläufe fügte. Doch wehe, wenn auch nur eine Kleinigkeit aus der Lehrbuchreihe tanzte. Dann war es aus und vorbei.

Ich schrieb auf meinem Blog, weil Galgenhumor manchmal die letzte Rettung vor Wut und Ärger ist, einen Beitrag über Schantall, den ich hier im Originalton einfüge:

Episode 1:

Schantall bringt mir gegen 11:30 Uhr zwei Beutel Movicol. »Davon nehmen Sie einen morgens und einen abends«, erklärt sie mir.

»Kann ich den ersten jetzt noch nehmen? Es ist ja nach 11 Uhr«, frage ich.

»Na einen morgens, den anderen abends.«

»Ja, schon, das habe ich verstanden. Aber der Morgen ist ja nun vorbei. Kann ich denn die Dosis jetzt noch zu mir nehmen?«

»Man nimmt morgens einen, und abends einen. In Wasser aufgelöst.«

Ich gebe es auf, lasse Schantall den Raum verlassen und bereite mir um 11:40 den morgendlichen Movicoltrunk.

Episode 2:

Der Beutel, in den mein Blasenkatheter den Urin leitete, ist gegen 13 Uhr voll. Ein­deutig und unmiss­verständlich voll. Ich läute. Es erscheint ein junger, sehr freundlicher und wirklich hilfsbereiter Schülerprak­tikant. Ich zeige ihm den Beutel und frage, ob er ihn auswechseln oder entleeren könne.

»Das darf ich nicht, aber ich sage es der Schwester.«

Ich weiß, wer Dienst hat, nämlich Schantall und bin gespannt. Zwei Minuten später ist der junge Mann wieder da und verkündet etwas kleinlaut: »Sie sagt, der Beutel ist nicht voll.«

Ich schaue ihn vermutlich recht entgeistert an, denn er verteidigt sich: »Ich habe ihr gesagt, dass er voll ist. Aber sie sagt, das kann nicht sein, eben war er noch halb voll.«

Schantall war seit mindestens vier Stunden nicht mehr im Zimmer gewesen.

»Und nun?«, frage ich.

»Ja ich weiß auch nicht, ich bin ja nur Praktikant. Ich darf das nicht.«

»Ich mache Ihnen keinen Vorwurf«, beruhige ich, »aber wenn das Ding in den nächsten Minuten platzt oder überläuft – ich muss die Schweinerei dann ja nicht wegput­zen.«

Er gibt sich einen Ruck und sagt: »Ich komme gleich wieder.«

Kurz darauf erscheint die Schwester, die für die andere Hälfte der Station zuständig ist, sieht die zum Bersten gefüllte Bescherung und ruft: »Um Himmels Willen, das kommt Ihnen ja gleich zu den Ohren raus!«

Sie schickt den Schüler sofort einen großen Messbecher holen und lässt dann 2.250 ml Urin aus dem 2.000 ml fassenden Beutel ab.

»Schwester Schantall sagt, der Beutel ist nicht voll«, höre ich die Stimme des jungen Mannes, dem es nicht so recht gelingen will, ein Grinsen aus seinem Gesicht zu verbannen.

Episode 3:

Nachdem die Schmerzmittelpumpe zum Rückenmark abgeschaltet ist, bekomme ich viermal täglich Tabletten und die Zusicherung, jederzeit, maximal allerdings alle 30 Minuten, Tropfen abfordern zu dür­fen, falls die Schmerzen zu stark werden. Gegen 10 Uhr klingele ich aus eben diesem Grund und bitte Schantall um die Zwischendosis Tropfen.

»Ja, gleich«, sagt sie und verschwindet.

Um 10:45 ist immer noch nichts passiert. Um 10:50 quält mich der Schmerz dann so, dass ich wieder die Klingel drücke. »Ich hatte um die Tropfen gebeten«, erinnere ich Schantall.

»Ich habe gerade einen Zugang bekommen, ich kann jetzt nicht.«

»Dann vielleicht jemand anderer?«

»Ich mach das schon.« Weg ist sie wieder.

Um 11:20 wütet der Schmerz so, dass ich erneut die Klingel drücke, obwohl ich kaum noch Hoffnung habe. Es erscheint der Praktikant. Ich erkläre ihm, dass ich seit fast eineinhalb Stunden auf Schmerztrop­fen warte, die ich angeblich jederzeit abfordern kann. Er – das war mir klar – darf sie nicht besorgen und geht die Schwester suchen. Er findet sie nirgends. Er sagt mir kurz Bescheid und sucht noch einmal Zim­mer für Zimmer, Schwesternzimmer, Aufenthaltsraum und Küche ab, umsonst. Ratlos kommt er zurück. Ich beschließe, jetzt die Tabletten zu nehmen, die für 14 Uhr vorgesehen sind und dann von der Nachmit­tagsschicht mehr Hilfe zu erhoffen.

Als gegen 13:30 die Stationsärztin vorbeischaut und fragt, wie ich mit den Schmer­zen zurechtkomme, sage ich ihr, obwohl ich Petzen nicht mag, dass es mir unmöglich war, die versprochenen Tropfen abzufor­dern. Sie runzelt die Stirn, seufzt tief und mur­melt: »Ach ja, Schantall hat Dienst … es tut mir sehr leid, Herr Matthia. Ich werde dafür sorgen, dass das nicht noch einmal passiert.«

Fortan hat mir dann das Pflegepersonal jeweils zwei oder drei Becher mit den Trop­fen auf Vorrat hin­gestellt, so dass ich einigermaßen schmerzarm sein konnte, selbst wenn Schantall Dienst hatte.

Ach Schantall! Welcher Teufel hat dich geritten, Krankenschwester zu werden? KFZ-Mechanikerin, Holzfällerin, Gärtnerin … alles, was nicht mit Dienst an Men­schen zu tun hat, wäre für dich geeignet. Du könntest auch Straßen teeren oder eine Druckmaschine bedienen, Plakatwände bekleistern oder ver­stopfte Rohre reinigen. Ach Schantall!

Ende der Leseprobe

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  • Taschenbuch: 212 Seiten
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-13: 979-8606192236
  • ASIN: B084DH5VQ7
  • Größe und/oder Gewicht: 15,2 x 1,2 x 22,9 cm

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