Leseprobe


Aus den Rezensionen von Lesern (via Amazon):

  • spannend, packend von der 1. bis zur letzten Seite. Das notvolle, immer aktuelle Thema "erdrückt" den Leser nicht, weil der Autor ein Meister der Sprache ist.
  • Ich habe das Buch innerhalb kürzester Zeit durchgelesen und es ist eines der wenigen Bücher, was ich irgendwann mal wieder lesen werde. Das Thema machte mich neugierig. Es gibt überraschende Wendungen, was mir sehr gefällt - nicht ist blöder, als im ersten Drittel des Buches schon zu wissen wie es ausgeht. Ich bin froh das mein Kindl eine Lesehülle mit Licht hat - denn so konnte ich im Zelt auch weiterlesen, als es dunkel wurde ;-) Es ist mein erstes Buch von Günter Matthia - sein Schreibstil gefällt mir. Ich werde wohl auch weitere Bücher von ihm lesen. Spannend, Überraschend mit einer Prise Humor! Weiter so Herr Matthia!
  • Ich hab das Buch heute in einem Rutsch durchhgelesen. Heftiges Thema, gut geschrieben, aber ich musste trotz des Themas einfach immer wieder schmunzeln, weil die Matthia'schen Marotten allzu deutlich wurden. Ich kann leider keine Rezi schreiben, ich les' einfach nur in jeder Zeile Matthia. Das allerdings gerne. :))
  • Ein packendes Buch das einen einfach mit in die Geschichte zieht. Schon nach dem Vorwort konnte und wollte ich das Buch nicht mehr zur Seite legen. Bis zum Schluß frage ich mich, ob es tatsächlich nur eine Geschichte ist oder der Wahrheit entspricht...gerade weil uns dieses schreckliche Thema in den Medien verfolgt und uns oft fassungslos den Kopf schütteln läßt. Beim lesen WÜNSCHT man sich regelrecht das sie wahr ist und es Menschen gibt die für Gerechtigkeit sorgen. Eine Organisation "Robin Hood" für die Schwächsten unter uns die unseren größten Schutz brauchen.
  • Ich entspreche nicht dem Bundestrend, weil ich nur etwa zweimal im Jahr einen Tatort anschaue, habe also für das Genre relativ wenig Kriterien und Vergleichsmöglichkeiten. Unter diesen einschränkenden Bedingungen hat mich das Buch gefesselt, so dass ich es in einem Zug durchgelesen haben. Spannend geschrieben und gut komponiert, mit viel Phantasie und Einfallsreichtum! Eine bedrückende Problematik wird drastisch vor Augen geführt, manchmal fast zu dick aufgetragen. Auf jeden Fall ein fesselndes Vergnügen, das Buch zu lesen!

PROLOG

We are all just prisoners here,

of our own device.

-The Eagles (Hotel California)

Vor rund zwei Jahren, im April 2009, hat meine Frau einen respektablen Geschäftsmann erschossen. Gezielt, gewollt, mit voller Absicht. Und das ist auch gut so.

Wenn Sie mir durch die Zeilen dieses Buches folgen möchten, werden Sie am Ende womöglich ebenfalls der Meinung sein, dass Christine wegen der drei Schüsse nicht zu tadeln ist. Es kann auch sein, dass Sie anderer Meinung sein werden, womöglich gar Anzeige gegen uns erstatten möchten. Das, liebe Leser, bleibt Ihnen unbenommen.

Mein Name ist Jörgen Maurer, meine Frau heißt Christine Maurer, geborene Dietrichs. Unser Sohn Viktor war 15 Jahre alt und wie ich Augenzeuge, als der Geschäftsmann neben seinem Auto von den Schüssen getroffen zu Boden sank. Wir leben in Hamburg, in einer komfortablen Villa. Das alles können Sie getrost der Polizei erzählen. Fragen Sie nach Kommissar Meinhardt, der wird Ihre Aussagen protokollieren und dann, kaum sind Sie wieder aus dem Präsidium verschwunden, die Aufzeichnungen in seinem Reißwolf verschwinden lassen.

Sie selbst werden voraussichtlich unbehelligt weiterleben dürfen. Wenn Sie es dabei belassen, ausgesagt zu haben. Falls Sie jedoch weiter nachbohren, wäre ich mir da nicht so sicher.

Doch das bleibt ohnehin abzuwarten. Vielleicht haben Sie ja auch kein Mitleid mit dem toten Geschäftsmann. Erst sollen Sie die Geschichte meines – unseres Lebens kennenlernen. Sie dürfen dabei Sabrinas Geheimnis erfahren. So wie ich es erfahren habe. Stück für Stück.

Alles fing damit an, dass ich auf dem Weg vom Büro nach Hause im für den Berliner Stadtverkehr üblichen Stau stand.

KAPITEL 1

It ain’t why why why.

It just is!

-Van Morrison (Summertime in England)

Der Volkswagen hatte mehr als dreißig Jahre seinen Dienst getan. Er erfuhr ganz offensichtlich regelmäßige Pflege, sein Lack glänzte so tiefschwarz in der Nachmittagssonne, dass man hätte meinen können, das Fahrzeug sei gerade vom Band gerollt. Von Weitem betrachtet war der Käfer, der die Fahrbahn zur Hälfte blockierte, ein Schmuckstück.

Als ich an jenem 17. Juli, der alles änderte, um 16:48 Uhr die Unfallstelle erreichte, ging mir der Gedanke so schlimm kann es gar nicht sein durch den Kopf. In meiner Aufregung hatte ich das kurze Telefonat wohl missverstanden.

Ich war auf dem Heimweg vom Büro gewesen, als mir einfiel, dass wir vergessen hatten, ein paar Flaschen guten Wein für den Abend zu kaufen. Wir erwarteten Gäste und eigentlich war alles für einen gemütlichen Abend besorgt – bis auf das passende Getränk.

Der Verkehr war, etwas anderes konnte man um diese Zeit in Berlin auch kaum erwarten, zähflüssig, stand immer wieder still. Zwei Polizeifahrzeuge und ein Notarztwagen hatten sich vor einer viertel Stunde auf der engen Straße am Stau, in dem ich mich mit zahlreichen anderen Verkehrsteilnehmern befand, vorbei gequält. Es ging nur sehr mühsam voran und ich hoffte, dass die Behinderungen bald aus dem Weg geräumt sein würden, damit noch etwas Zeit blieb, um Sabrina zu Hause den Tisch decken zu helfen und das Essen vorzubereiten, bevor unser Besuch kam.

Im Autoradio lief Red Red Wine von UB 40. Ich summte mit, und dabei kam mir der Gedanke an den vergessenen Wein, also rief ich Sabrinas Mobiltelefon an. Es mochte ja immerhin sein, dass sie das Versäumte bereits erledigt hatte. Die praktischen Aspekte des Lebens hatte sie besser im Griff als ich.

Anstelle meiner Frau antwortete eine mir unbekannte männliche Stimme: »Ja bitte?«

Verwählt haben konnte ich mich nicht, da ich die Speichertaste benutzt hatte.

»Wer ist da«, fragte ich, »und wie kommen Sie an das Telefon meiner Frau?«

Der Mann behauptete, Polizist zu sein. Er fragte, wo ich mich gerade befände. Ich erklärte etwas irritiert, dass ich auf dem Weg nach Hause gerade die Osdorfer Straße passiert habe und bestand darauf, zu erfahren, was der Polizist, wenn er wirklich einer war, mit dem Telefon meiner Frau zu schaffen hatte.

Ich ahnte in jenem Moment bereits, dass ich eine schlechte Nachricht bekommen würde. Wenn die Polizei den Anruf an einem privaten Mobiltelefon beantwortet, dann sicher nicht, um über das Wetter oder die Verkehrslage zu plaudern. Kennen Sie das Gefühl, wenn einem an einem warmen Sommertag plötzlich eiskalt wird? Wenn man nicht weiß, wohin der schneller werdende Herzschlag und der Schweißfilm auf der Stirn im nächsten Augenblick führen werden? Ob man in zwei Minuten noch Herr seiner Sinne oder seines Lebens sein wird? So fühlte ich mich, während ich zuhörte.

Ein Verkehrsunfall sei geschehen, erklärte der Polizist, er habe das Telefon aus der Handtasche meiner Frau genommen, als es läutete. Der Unfall sei an der Kreuzung Ostpreußendamm und Wismarer Straße geschehen. Mehr könne er mir am Telefon nicht sagen.

Ich war nicht mehr weit von der Stelle entfernt. Ohne den unfallbedingten Stau hätte ich zwei Minuten gebraucht, doch an jenem 17. Juli dauerte es unerträgliche elf Minuten, in denen Hoffnung und Angst um die Oberhand kämpften.

Eine Verwechslung.

Warum hat die Polizei dann Sabrinas Telefon?

Nur eine Schramme, meinetwegen ein gebrochenes Bein. Sie kann nicht schwer verletzt sein.

Warum nimmt sie dann den Anruf nicht selbst entgegen? Sie stirbt oder ist schon tot.

Unsinn, warum sollte sie tot sein. Außerdem kann das gleiche Schicksal nicht zwei Mal den gleichen Menschen treffen.

Ach nein? Wo steht das geschrieben?

Der Blitz schlägt nicht zwei Mal in den gleichen Baum. So schlimm ist es nicht. Gleich wird sich alles aufklären …

Ich hielt hinter einem Polizeifahrzeug an. Die Miene des Polizisten, der auf mein Fahrzeug zu kam, ließ meine Hoffnung bedingungslos vor der Befürchtung kapitulieren.

Doch, es ist schlimm. Noch viel schlimmer.

Zögernd öffnete ich die Türe und stieg aus.

»Herr März?« Der Mann hielt die Brieftasche meiner Frau in der Hand und verglich mein Gesicht mit dem Foto, das sie dort aufbewahrte.

»Ja«, sagte ich. Meine Stimme schien einem Fremden zu gehören. »Ich bin Roland März. Was – wo ist meine Frau?«

»Es tut mir Leid«, murmelte er, »es sieht nicht gut aus.«

Aus der Nähe sah ich jetzt, dass der Volkswagen an der rechten Front eingedrückt war. Auf der Motorhaube klebte etwas, was ich in vielen Träumen der nächsten Monate wieder und wieder sehen würde: Blut und ein paar Klumpen einer grauen Masse.

Das kann irgendetwas sein. Vielleicht Lehm von einem Feldweg.

Allerdings hatte ich noch nie Lehm gesehen, der mich so an Gehirnmasse denken ließ. Ansonsten war das Auto sauber wie ein Ausstellungsstück im Verkehrsmuseum.

Der Notarztwagen, der sich vorhin am Stau vorbei in Richtung Unfallstelle gequält hatte, stand auf der Fahrbahn, die hinteren Türen waren offen. Gestalten beugten sich über einen Körper. Ich erkannte Sabrinas neues Kleid, und noch etwas fiel mir auf, aber das drang nicht bis in mein Bewusstsein vor – es sollte noch Monate dauern, bis mir dieses Detail gewärtig wurde. Dort auf der Straße hatte ich nur einen Gedanken: Ich will zu Sabrina!

Man ließ mich nicht in den Krankenwagen. Mit sanfter Gewalt hielt mich ein Verkehrspolizist zurück, redete beruhigend auf mich ein, appellierte an meine Vernunft, versuchte, mich zu der Einsicht zu bewegen, dass ich mir den Anblick besser ersparte. Ich widerstrebte, wollte seine Hand von meinem Arm abschütteln. Schließlich sagte mir, da ich für rücksichtsvoll formulierte Argumente nicht zugänglich war, ein dem Polizisten zur Hilfe kommender Arzt unumwunden, dass der Kopf meiner Frau zwischen das Auto und den Glascontainer am Straßenrand geraten war.

»Wollen Sie sich das wirklich anschauen?«, fragte er. »Sie würden ihre Frau nicht erkennen.«

Das will ich nicht. Das kann ich nicht. Das ist überhaupt nicht wahr, das kann nicht Sabrina sein. Der Blitz schlägt doch nicht …

»Aber die …« fing ich an, ohne zu wissen, was ich eigentlich sagen wollte. Mein Unterbewusstsein hatte etwas aufgeschnappt, ein dringendes, ein wichtiges, ein entscheidendes Detail, behielt es aber für sich wie ein trotziges Kind den letzten Keks in der Blechdose.

Ich setzte neu an: »Die … aber die – ich meine – es stimmt nicht – ich …«

Der Arzt fragte mich, ob ich ein Beruhigungsmittel wollte, Ich lehnte ab. Ich wollte Sabrina zurückhaben, und wenn das unmöglich war, wollte ich gar nichts mehr.

Die Türen des Notarztwagens wurden geschlossen und das Fahrzeug entfernte sich. Ich blickte hinterher, war versucht, dem Wagen nachzurennen. Als er außer Sicht war, schaute ich mich um und wusste plötzlich nicht, warum ich hier auf der Straße stand. Der Polizist brachte mich zu einem Streifenwagen und nötigte mich, ein paar Minuten Platz zu nehmen.

Irgendwie kam ich zu Hause an, ich kann mich bis heute nicht recht erinnern, was geschah, nachdem die Türen des Notarztwagens geschlossen wurden und ich weinend in dem Polizeifahrzeug Platz genommen hatte. Ich erwartete, Sabrina in der Wohnung zu finden, doch da wartete nur der festlich gedeckte Tisch. Da war niemand, der das Essen vorbereitete oder auftrug. Niemand, der mir ein fröhliches »wie war dein Tag?« entgegen rief. Im Schlafzimmer lag eine Kollektion von Kleidungsstücken auf dem Bett, wie immer, wenn sie sich schönmachen wollte. Sie beklagte sich in solchen Momenten, dass sie nichts anzuziehen hätte, was ich ihr nicht glaubte, denn sie war noch nie nackt in die Philharmonie gegangen oder hatte unbekleidet Gästen die Tür geöffnet. Aber an diesem Abend war da keine Sabrina, die etwas überstreifte und mich fragte: »Sieht das gut aus?«

Meine Antworten waren in solchen Fällen unerheblich gewesen, da ich, wie Sabrina zu sagen pflegte, »sowieso nicht objektiv« sei. Möglicherweise hatte sie recht, denn wie könnte ein Mann je objektiv urteilen, wenn es um das Aussehen der geliebten Frau geht?

Ich setzte mich auf das Sofa im Wohnzimmer und starrte die Visitenkarte an, die mir ein Polizist gegeben hatte. Die Adresse und Telefonnummer eines Psychologen waren darauf verzeichnet.

Als bald darauf die ahnungslosen Abendgäste klingelten, reagierte ich nicht. Ich saß im Wohnzimmer und starrte auf die Karte. Es klingelte erneut.

Sabrina wird schon aufmachen. Ich bleibe hier sitzen.

Die Zeitungsnotiz im Lokalteil der Berliner Morgenpost am nächsten Tag war kurz und nüchtern: »Der flüchtige Fahrer eines VW-Käfer befuhr die Wismarer Straße in Richtung Ostpreußendamm. Die Ampel an der Kreuzung zeigte nach Angaben von Zeugen bereits mehrere Sekunden Rot für den Fahrzeugverkehr. Der Pkw erfasste eine 32-jährige Fußgängerin, die bei Grün die Straße überqueren wollte. Die Frau erlitt schwerste Kopfverletzungen und starb noch am Unfallort. Während sich die Augenzeugen um die Verletzte kümmerten, entfernte sich der Fahrer unbemerkt. Die Polizei bittet Zeugen des Unfalls, die den flüchtigen Fahrer beschreiben können, sich zu melden.«

Viel mehr erfuhr ich auch später nicht in meinen Gesprächen mit den ermittelnden Beamten. Der Fahrer des alten Käfers war mit ziemlich hoher Geschwindigkeit durch die Kurve vor der Kreuzung gefahren, den Spuren nach zu urteilen kam das Fahrzeug ins Schleudern und der Mann riss das Steuer nach rechts, zum Straßenrand. Sabrina habe das Fahrzeug kommen sehen, sagten einige Zeugen, und versucht, auszuweichen. Sie hatte es nicht geschafft. Sie prallte auf die Motorhaube, rutschte nach vorne ab. Ihr Kopf wurde zwischen dem Auto und dem massiven Sammelbehälter für Glasflaschen am Straßenrand zerquetscht.

Die Beschreibungen des Fahrers durch die Unfallzeugen waren so unzureichend, dass man nicht einmal ein Phantombild zustande brachte. Er sei »in jugendlichem Alter« gewesen, habe »längere Haare« gehabt – das war so ziemlich das Einzige, was die Befragten übereinstimmend aussagten. Einige meinten, ein Nasenpiercing gesehen zu haben. Andere hielten ihn für einen Türken oder Araber. Aber niemand konnte verwertbare Angaben manchen, die bei der Fahndung geholfen hätten.

Der VW war bereits am Vortag als gestohlen gemeldet worden. Die Untersuchungen des Fahrzeugs ergaben, dass die Reifen nicht mehr die vorgeschriebene Profiltiefe hatten, aber ob das Geschehen nun wegen der Reifen, wegen der überhöhten Geschwindigkeit oder aus sonstigen Gründen passiert war, interessierte mich nicht, denn es änderte nichts an den Folgen. Sabrinas Leben war ausgelöscht worden. Man erklärte mir, dass aufgrund der Verletzungen der Tod sofort eingetreten sei, dass meine Frau zumindest keine Schmerzen hatte erleiden müssen. Ein gewisser Trost lag in diesem Wissen, aber das machte den Verlust auch nicht leichter. Es war so unnötig und sinnlos, dass wegen eines Jugendlichen und seiner Raserei mit einem gestohlenen, nicht verkehrstüchtigen Auto ihr Leben enden musste.

Oder wegen der vergessenen Weinflaschen – denn deswegen war Sabrina noch einmal zum Supermarkt gegangen. Auf dem Küchentisch zu Hause hatte ihre Notiz gelegen, die letzten paar Buchstaben, die sie in ihrem Leben geschrieben hatte: Ich bin schnell Wein kaufen und gleich zurück. Ich liebe Dich! Sabrina.

Je länger ich grübelte, desto sicherer war ich, dass ich Schuld war. Ein paar Tage zuvor hatte ich eigentlich unsere Weinvorräte auffüllen sollen. Die Weinhandlung lag auf dem Weg vom Büro nach Hause, ich musste noch nicht einmal einen Umweg fahren. Doch der kleine Parkplatz war voll, ich war müde und so verschob ich den Einkauf.

Wäre ich nicht so bequem gewesen, hätte ich ein paar Straßen entfernt geparkt und den Einkauf erledigt, würde Sabrina noch leben.

Ich wünschte, es wäre ihr nicht eingefallen, dass der Wein fehlte. Ich wünschte, sie wäre eine Minute früher losgegangen, oder eine später. Ich wünschte, man könnte wie in dem Film Lola rennt noch mal von vorne anfangen, wenn die Ereignisse eine schreckliche Wendung nehmen. Doch dies war die Realität, kein Film, alles Wünschen und Grübeln war vergebens. Mein Verstand kümmerte sich allerdings herzlich wenig um die Vernunft. Immer wieder meinte ich, in der leeren Wohnung ihre Schritte zu hören. Morgens wachte ich auf und wunderte mich darüber, dass Sabrina schon vor mir aufgestanden war, denn ihre Betthälfte war leer. Beim Einkaufen legte ich ihr Lieblingsduschgel in den Korb…

Die Visitenkarte des Psychologen hatte ich weggeworfen. Ich wollte allein mit meinem Schmerz fertig werden. Mein Leben irgendwie weiterführen. Oder auch nicht. Manchmal zweifelte ich daran, dass sich die Mühe lohnen würde.

Ich konnte in den folgenden Wochen nicht an jener Kreuzung vorüber fahren, ohne Sabrinas leblosen Körper zwischen Glascontainer und Volkswagen vor mir zu sehen. Wenn man mich zu ihr gelassen hätte, wenn ich sie hätte betrachten, berühren dürfen, statt nur einen kurzen Blick auf die Gestalt im Notarztwagen zu erhaschen, der man ein grünes Tuch über den Kopf gelegt hatte – wäre meine Fantasie weniger eigenwillig gewesen? Hätte ich mehr Gewissheit gehabt, dass ich mich mitten im wahren Leben und nicht in einem bösen Traum befand? Aber ich hatte keine Gelegenheit bekommen, einen letzten, Abschied nehmenden Blick auf meine Frau zu werfen. Ich hatte nichts weiter als den Blick in den Notarztwagen aus etlichen Metern Entfernnung: Ihre schlanken Beine, das neue, hellblaue Seidenkleid mit dem dezenten Design aus cremefarbenen Blumen, ihre blutverschmierte Hand, die seltsam verdreht herabhing, das grüne Tuch über ihrem Kopf. Soweit noch ein Kopf vorhanden sein mochte.

Gelegentlich suchte mich bei meinen Grübeleien ein Gefühl heim, das ich schon am Unfallort gespürt hatte. Da ist noch etwas. Da ist ein Detail. Das könnte alles ändern.

Das Detail, wenn es denn eines geben sollte, blieb mir jedoch verborgen. Und zu ändern war ja nun nichts mehr.

Ich wehrte mich gegen diese Bilder, lange Zeit vergebens. Manchmal bedauerte ich es, den Psychologen nicht wenigstens einmal aufgesucht zu haben. Hätte er meine Fassungslosigkeit über die Sinnlosigkeit des Unglücks mindern können? Ein Unfalltod ergibt selbstverständlich niemals einen Sinn. Das Schicksal, blind wie es nun einmal ist, schlägt zu, und dann bleibt nichts als die Illusion, das Ganze sei ein Albtraum, aus dem man bald erwachen wird. Allerdings wacht man nie auf.

Der Blitz war doch ein zweites Mal in den gleichen Baum eingeschlagen. Wieder hatte ich meine Ehefrau durch einen – das Schicksal mochte blind sein, liebte aber offensichtlich die grausame Ironie – Verkehrsunfall verloren.

Ende der Leseprobe.

Weiter geht es im Buch:

  • Taschenbuch: 180 Seiten
  • Verlag: CreateSpace (27. Juni 2011)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1463636865
  • ISBN-13: 978-1463636869
  • Größe: 13,3 x 1 x 20,3 cm
  • Preis: 8 Euro
  • Bestellen: Sabrinas Geheimnis als Taschenbuch
  • Auch als E-Buch für den Kindle für 3,09 Euro: Sabrinas Geheimnis als E-Buch
  • Im stationären Buchhandel: Für alle, die (aus welchen Gründen auch immer) nicht bei Amazon einkaufen möchten, gibt es das Buch auch in jeder Buchhandlung mit einem alternativen Umschlag aber gleichem Inhalt. ISBN 978-3-746708-30-0, Taschenbuch (348 Seiten), 14,99 Euro. Auch online auf allen deutschen Buchvertriebsseiten erhältlich und (vermutlich am schnellsten) direkt im Epubli-Sortiment: Direkt zum Buch bei EPUBLI