Leseprobe Dreißig entscheidende Sekunden

Der Friedensschluss

So so, Sie haben mich mit dem Oberhaupt der albanischen Mafia in unserer hübschen kleinen Stadt aus der Kirche kommen sehen und wollen wissen, was dahintersteckt. Sie sind ja ziemlich neugierig, kann das sein? Das kann manchmal ungute Folgen haben … aber nun gut, damit da keine Gerüchte aufkommen, will ich erzählen, wie es dazu kam. Ich bin ja nicht doof, wissen Sie, sonst wäre es längst um mich und mein schönes Geschäft geschehen.

Als die Familie des Adriatik Osmani in unsere Kleinstadt zog, war mir schon klar, dass ich es nun mit direkter Konkurrenz zu tun hatte, wo ich bisher allein auf weiter Flur gewesen war. Die Zeit des Einkommens beinahe als Selbstläufer war für mich zu Ende. Das Geschäftsfeld, in dem ich tätig bin, ist begrenzt, die potentiellen Einnahmequellen kann man abzählen …

Welchem bequemen Geschäft ich nachgehe, wollen Sie wissen? Wenn ich Ihnen das verrate, muss ich Sie nachher erschießen. Aber das macht ja nichts, also sage ich es frei heraus: Ich bekomme Schutzgeld von allen gastronomischen Betrieben in unserer netten kleinen Stadt. Die Restaurants führen fünf Prozent vom Umsatz an mich ab und ich stehe dafür gerade, dass niemand ein Lokal in Brand steckt oder Steine durch Fenster wirft oder ein Café von Rockern aus der Großstadt nebenan verwüsten lässt.

Über zwanzig Jahre funktionierte das hier bei uns tadellos. Die Gastronomen waren zufrieden, ich war zufrieden, meine Mitarbeiter, die für die Sicherheit der Lokale sorgen, waren zufrieden. Und dann kamen die Albaner.

Ich bin ja nicht doof. Sagte ich das schon? Ich ließ recherchieren, wie stark diese Familie war. Wie stark ich mit meinen Leuten bin, weiß ich selbst. Letztendlich stand es dann 240 zu 114 für die Albaner. Und deshalb habe ich mich vor vier Wochen mit Adriatik Osmani an einem neutralen Ort, nämlich in der kleinen Kirche in der Stadtmitte, getroffen. Wir haben verhandelt, er hatte Verständnis für meine Situation, ich sah ein, dass auch er eine Einnahmequelle braucht, und wir haben uns den verfügbaren Bestand an gastronomischen Betrieben friedlich aufgeteilt. Das wäre sonst ein schier endloses Blutbad geworden, bei dem ich garantiert den Kürzeren gezogen hätte. So bleiben mir immerhin rund die Hälfte der bisherigen Einnahmen und Herr Osmani hat mir sein Ehrenwort gegeben, dass es bei der erzielten Einigung bleibt. Man kann ja der Mafia alles Mögliche nachsagen, aber ein Wort ist immer noch ein Wort. Das ist eine Frage der Ehre.

Nun wissen Sie, warum ich mit Adriatik Osmani in der Kirche war. Dass ich Sie nun leider aus dem Weg zu räumen gezwungen bin, hatte ich ja bereits angedeutet. Sonst laufen Sie zur Polizei … mit denen haben wir zwar ein Stillhalteabkommen, aber ein Wort gilt bei der Polizei nicht gleichermaßen als Ehrenwort wie in unseren Kreisen … und ich bin ja nicht doof. Ich glaube, das hatte ich schon gesagt?

(Siehe Lukas 14, 31-33)

Ende der Leseprobe

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