Das erste Mal ... allein mit Jakob


Dieser Text stammt aus meinem inzwischen vergriffenen Buch »Liebe und Alltag«

Die Gelegenheit war einmalig und würde wohl so schnell nicht wieder kommen. Meine Eltern verreisten, Tante Brigitte konnte erst am Abend anreisen, und wenn Jakob Lust hatte, wäre alles möglich. Ich rief ihn an, und er schien gleich Feuer und Flamme zu sein, obwohl er zunächst ratlos war, was eine Begründung für seine Eltern betraf.

Ich schlug ihm vor, dass wir ja für die Biologiearbeit lernen konnten.

»Gute Idee. Wir lernen für die Klausur«, sagte er.

Wir waren jetzt schon ein paar Monate mehr als Schulfreunde. Er war der erste Junge, mit dem ich Händchen hielt, der erste, der mich küssen durfte. Einige Freundinnen beneideten mich um Jakob, andere hielten ihn für einen ziemlich komischen Typen, der zu leicht in Verlegenheit geriet und zu oft unsicher war. Aber ich mochte ihn, nein, ich liebte ihn, soweit man mit 17 Jahren die Liebe versteht.

Jakob wohnte ein paar Häuser weiter in der gleichen Straße, so dass wir den Schulweg so gut wie immer gemeinsam gingen, ab und zu auch ins Kino oder ins Café, soweit unser Taschengeld eben reichte. Aber richtig allein und ungestört waren wir noch nie gewesen, seit wir miteinander gingen.

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Ich wusste nicht, was man eigentlich anstellt, wenn man die Gelegenheit hat, etwas anzustellen. Mit dem Jungen, in den man unsterblich verliebt ist, meine ich. Meine Freundin Anne, ein Jahr älter und erfahrener, gab mir jede Menge Tipps, die sich alle in meinem Kopf anhäuften. Ich sollte gut duften, frisch rasiert sein, mich verführen lassen, nicht zu viel erwarten, Kondome bereithalten, bloß nicht zu stark parfümiert sein, die Initiative ergreifen, falls er zögerlich war…

Je mehr ich hörte, desto wirrer wurde alles. Anne gab es schließlich auf, sie meinte, die Dinge würden sich ergeben, wenn es so weit sei. Wir wären, meinte sie abschließend, nicht die ersten, die vor dem ersten Mal standen.

»Auf keinen Fall solltest du aber etwas tun, wonach dir nicht zumute ist«, warnte sie mich noch. »Jungs werden ziemlich unbeherrscht, irgendwie schaltet sich das Gehirn aus, wenn es so weit ist.«

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Am Morgen war mir schon etwas mulmig im Bauch. Unter der Dusche sorgte ich für glatte Haut, obwohl da eigentlich nichts zu rasieren war. Ich fühlte mit den Fingerspitzen, ob womöglich Stoppeln übersehen worden waren. Nein. Alles glatt.

Dann stellte sich die Frage, was ich anziehen sollte. Meine Auswahl an Unterwäsche war eher bescheiden, stand er nun eher auf Panties oder String? Unter dem T-Shirt nichts oder einen passenden BH? Und welcher Pulli war in welchem Fall der richtige? Ich probierte alles mögliche an, bis die Zeit knapp wurde und ich den Kleiderhaufen in den Schrank warf. Panties, T-Shirt ohne BH, Jeans und den warmen Angora-Pulli. Basta.

Ich drehte die Heizung auf und versprühte noch eine halbe Flasche Duftöl auf dem Teppich. Hoffentlich hinterließ das keine Flecken…

Jakob war genauso spät dran wie ich, wir rannten zur Bushaltestelle und schafften es gerade noch so.

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Der Schultag verging wie im Flug.

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Als wir in mein Zimmer kamen, war es ziemlich heiß. Ich ging in die Küche und holte Cola und zwei Gläser. Als ich zurückkam, hatte Jakob den Pullover ausgezogen und stand unschlüssig mitten im Zimmer. Sollte ich den Pulli auch ablegen? Klar, sonst würde ich gleich schweißgebadet sein. Ich legte ihn auf den Schreibtischstuhl und wusste nicht weiter. Also nahm ich Jakob in die Arme. Sein T-Shirt war feucht unter den Achseln, aber das störte mich nicht. Er sah etwas blass aus, aber ich spürte durch den Stoff der Jeans, was ihm wohl etwas peinlich war. Anne hatte geraten, die Atmosphäre aufzulockern.

»In deiner Hose scheint es ziemlich eng zu sein«, sagte ich und unsere Lippen verschmolzen. Mir war immer komischer im Magen zumute.

Wir setzten uns auf mein Bett, dann floh ich ins Badezimmer. Wenn ich aufgeregt war, musste ich dauernd. Auch wenn nur ein paar Tropfen kamen.

Ein Blick in den Spiegel beim Händewaschen. Ich sah unmöglich aus, bleich, die Hände zitterten leicht. Aber ich konnte ja nicht ewig im Bad bleiben. Ein paar Tropfen Parfüm, mehr war nun nicht drin.

Sollte ich nicht doch noch schnell die Haare bürsten? Saß auch die Kleidung richtig? Lippenstift? Nein, lieber natürlich. Vielleicht sollte ich doch einen BH aus dem Wäschekorb kramen? Nein, dass ich keinen trug, war Jakob wohl eben nicht entgangen. Wer weiß, wie er es deuten würde, wenn ich jetzt… Oder sollte ich Jeans und T-Shirt gleich hier lassen? Was wäre, wenn er sich schon ausgezogen und in mein Bett gelegt hätte? Nein, Jakob nicht. Sicher nicht. Oder doch?

Er war so angezogen wie zuvor. Jakob verschwand gleich nach mir zur Toilette. Kann ein Junge eigentlich pinkeln, wenn – oder geht das gar nicht? Ich musste schon wieder, aber ich wusste natürlich, dass das Einbildung war.

Ich legte mich auf mein Bett, schaute noch mal in die Nachttischschublade, ob die Kondome sich womöglich in Luft aufgelöst hatten. Sie lagen noch da. Ich hatte mit einer Banane geübt, aber eine Banane ist eben eine Banane. Hoffentlich wusste Jakob, wie das funktionierte…

Sollte ich das T-Shirt etwas hoch rutschen lassen? Oder gleich alles ausziehen? Vielleicht kam er ja ausgezogen zurück aus dem Bad? Ich konnte ja das Höschen anbehalten und mich zudecken. Wir wollten ja das gleiche, oder etwa nicht? Wenn ich nur…

Jakob kam zurück und setzte sich auf den Rand meines Bettes. Er sah noch blasser aus als vorher und holte tief Luft.

Anne hatte gesagt, dass Jungs ziemlich unbeherrscht werden können, aber Jakob machte eher den Eindruck eines Häuflein Elends. Womöglich ging es ihm wie mir, vielleicht wusste er einfach nicht weiter?

Er saß da, sah mich an, mit seinen lieben Augen. Dann meinte er: »Tina, ich habe keine Ahnung, wie es jetzt weitergeht. Ich bin nervös und mir ist etwas übel.«

Ein Stein fiel mir vom Herzen. Ich zog ihn auf das Bett und antwortete: »Dann geht es uns beiden ja genau gleich.«

»Ehrlich?«

»Ja. Ich habe alles vergessen, was mir meine Freundinnen geraten haben.«

»Okay. Und ich habe alles vergessen, was ich vorher gelesen habe.«

Ich strich ihm sanft über die feuchte Stirn. Er legte seine Hand unsicher auf meine Schulter. Unsere Lippen trafen sich.

»Wir müssen gar nichts, können auch einfach hier liegen und träumen«, schlug ich vor.

Der Druck in meinem Magen ließ deutlich nach.

»Einverstanden«, sagte er, »das machen wir.«

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Heute, zwanzig Jahre später, lachen wir noch immer über unser erstes Mal. Die Nervosität ist gewichen, kein Magenschmerz, keine schweißnassen Hände plagen uns mehr. Und wenn ich vorschlage, dass wir uns ein wenig hinlegen und träumen könnten, sagt er niemals nein.