Die Satzweise selbst stammt aus der Alten Musik und bildet einen stilistischen Anknüpfungspunkt, der den ursprünglichen Charakter des Themas unterstreicht. Drei thematische Hauptteile, A , B und C , bilden den Bogen der eigentlichen(,) inneren Form. Darüber hinaus
spannen nichtthematische Formteile einen weiteren Bogen einer äußeren Form.
A Ab Takt 13 erscheint die 16-taktige Dorische Variante in d als variierter Cantus firmus. Thema und Kontrapunkt wechseln in den Oberstimmen ab.
B Eine Fuge bildet den Mittelteil. Das Fugenthema in a-Moll ist identisch mit dem Beginn der Dorischen Variante. Es erscheint in der Exposition sowohl in realer als auch tonaler Beantwortung und moduliert in der zweiten Durchführung regelgerecht in die parallele Tonart C-Dur, bewirkt damit eine entfernte Reminizenz an die Kidson-Varianten. Im Folgenden, Takt 95ff., verdichten sich angedeutete Themeneinsätze zu einer Schein-Engführung.(8)
Die Fuge ist das Ziel der Entwicklung und erreicht die größtmögliche Steigerung; dies entspricht klar einem Formkonzept der klassisch-romantischen Musik.(9)
C , ein homophoner Choral in der Ausgangstonart, schließt die innere Form. Jede motivisch-thematische Arbeit, sei es die Durchführung einer Fuge oder Sonate, ist eine Variation im weiteren Sinne. Hier ist der Verlauf, Variationen und Thema, umgekehrt zum üblichen Thema mit Variationen.
Nichtthematische Formteile
Der Strenge der thematischen Hauptteile stehen, analog zu Zwischenspielen in Fugen, ein- und überleitende wie abschließende Episoden gegenüber und erfüllen unterschiedliche formale Funktionen. Einleitende und abschließende Formteile dienen der Vorbereitung auf die thematische Dichte der Hauptteile, schaffen notwendigen Raum für Modulationen und wandeln scharfe Kontraste in allmählichen Entwicklungen. Andere Abschnitte, so die Takte 29ff. bzw. 47ff., erzeugen mit der Wiederaufnahme der Anfangsfiguration den Eindruck einer durchgehenden Bewegung, die erst mit dem Ausbleiben des thematischen Materials wieder zutage tritt – so als sei die Figur über den ganzen Verlauf präsent
gewesen.
Das Erreichen der Tonika am Ende der Fuge vollzieht sich zunächst im Bass, Takte 116ff., der als Orgelpunkt Raum für die Rückmodulation schafft. Die meno mosso überschriebene Viertaktgruppe ist eine Petite Reprise, eine Art Echo der thematischen Schlussgruppe. Erst dann folgt die erneute Wiederaufnahme des Bordun-Pizzicato-Motivs, diesmal in umgekehrtem, im Vergleich zum Anfang gespiegelten Ablauf. Dieser Bogen, der Anfang und Ende umschließt, steht über dem Bogen der Hauptteile und bildet symmetrisch die äußere Form. In der Wiederaufnahme des Beginns werden damit nichtthematische Begleitfiguren zum formbildenden Element erhoben.(10)
Allgemeines Instrumentierungsangaben beziehen sich gleichwertig auf moderne und historische Instrumente. Zu bedenken ist in jedem Fall die Balance: Zur Traversflöte ist die Gambe dem Cello vorzuziehen. Ebenso ist bei der Besetzung des Continuos der dynamische Unterschied zwischen historischen und modernen Instrumenten zu berücksichtigen, ein Problem, das Tasteninstrumente mehr betrifft als Gitarren. Die erste Stimme ist aus spieltechnischen Gründen eher der Flöte zugewiesen. Dazu verdeutlicht die Besetzung der zweiten Stimme mit Violine oder Oboe die kontrapunktische Linienführung im Spaltklang.
Violintechnische Anweisungen wie pizz., arco und sul tasto können auf der Oboe nur im Äquivalent als trockenes Staccato bzw. möglichst körperloser Klang übersetzt werden. Vorschläge zu den Pizzicati gelten nur für die Oboe, da diese keine simultanen Zweiklänge ausführen kann. Das Weiterklingen des tiefen Tons (Haltebogen) ist in diesem Fall nicht „wörtlich“ zu verstehen.
7 Latente Verwandtschaften der verschiedenen Fassungen ergeben sich aus dem unterliegenden harmonischen Verlauf, s. Robert O. Gjerdingen: Romanesca.8 Im weiteren Sinne ist auch die ästhetische Auffassung parodiert. Zum Verständnis zeittypischer Schemata sei wieder auf Robert O. Gjerdingen, s. o., verwiesen. Fugensubjekte mit exponierter (betonte Zeit!) Quint werden üblicherweise tonal beantwortet, hier verlangt der Charakter des Themas eine reale Beantwortung.9 Fugatoabschnitte dieser Art finden sich u. a. bei: Franz Schubert, Fantasie f-Moll D 940 u. Wandererfantasie op. 15 und später bei Franz Liszt, Sonate h-Moll. Aus gitarristischer Sicht sind hier die Variationen über La Folia von M. M. Ponce zu nennen, wenngleich in diesem Fall die Fuge den Abschluss bildet. Die Umkehr der Folge Thema mit Variationen findet sich an prominenster Stelle in Benjamin Britten, Nocturnal op. 70.10 Vgl.: Franz Schubert, Fantasie f-Moll D 940 und (wenn auch in anderer Gestaltung) Sinfonie Nr. 8 h-Moll D. 759, Satz 1Das Continuo der Gitarre orientiert sich stilistisch zum einen an der Barockgitarre, zum anderen an der Theorbe. Da der Bass allein dem Cello/der Gambe zugeteilt ist, ist die Gitarre in der Ausführung frei: Polyphonie, Zerlegungen und geschlagene Akkorde wechseln je nach dynamischem
Kontext. Gelegentlich auftretende Parallelen sind in freistimmigen Satzweisen weder zu vermeiden noch, sofern diese in den Mittelstimmen liegen, als solche erkennbar.
Im Continuo der Tasteninstrumente fallen diese gitarristischen Texturunterschiede weg, hier suggerieren Registerwechsel – vorzugsweise zweimanualiger Cembali – dynamischer Wirkungen. Das Continuospiel war immer stilistischen Wandeln unterworfen. Im Hochbarock galt insbesondere in Deutschland die Vierstimmigkeit als Norm, demgegenüber ist das Accompagnement des neuen Galanten Stils oft auf Dreistimmigkeit beschränkt. Wechselnde Stimmenzahl kann als Mittel der dynamischen Gestaltung dienen.
Der gegebene Continuosatz ist nicht in jedem Fall als obligat anzusehen – thematische Gegebenheiten in der Fuge ausgenommen. Insbesondere für die Harfe ist der Satz ggf. anzupassen.
Übliche aufführungspraktische Gepflogenheiten gelten auch für dieses Werk. So sind Vorhalte und Appoggiaturen als so genannter Abzug auszuführen: Dissonanzen müssen betont werden, Auflösungen folgen angebunden, leicht verspätet und klanglich verkürzt – eine selbstverständliche Praxis, die keine Artikulationszeichen erfordert. Dynamische Angaben haben formbildende Funktion. In der Notation der Barockgitarre gibt die Halsrichtung der Akkorde die Anschlagsrichtung an: Hals nach unten = zur ersten Saite hin, Hals nach oben = zur sechsten Saite hin anschlagen.
In den Takten 18f. und 37f. sind die Akzente als Hemiole zu lesen. Die Bindungen von leichter zur schweren Zeit in Takt 127f. entsprechen üblichen Mustern für die Ausführung von Leittönen zu akkordeigenen Tönen. Alle Vorschläge sind kurz und auf dem Schlag auszuführen. Der Kadenztriller, Takt 130, beginnt mit der oberen Nebennote. Für die Gitarre ist der Triller auf zwei Saiten zu erwägen.
Die bereits erwähnten Schwierigkeiten in dem unbebauten Felde hatten eine positive Nebenwirkung: Beim Komponieren verläuft der Prozess von der musikalischen Idee zur Verschriftlichung, also quasi im Krebsgang zu dem mir vertrauten lesenden Erschließen des musikalischen Sinns – ein wertvoller Perspektivwechsel und neuer Zugang zur Musik.
Die Besprechung des Begriffs der Parodie unter verschiedenen thematischen Überschriften entspricht dem musikalischen Vorgang einer motivisch-thematischen Durchführung – eine Analogie von Sprache und Musik. Eine weitere Analogie des Textes zur Komposition ist die Wiederaufnahme des Anfangs am Schluss: Hier entsprechen die Figurationen über dem Bordun in der Fantasie dem nun folgenden Aufgreifen des einleitenden Zitats aus dem Lehrwerk Simon Molitors: Ob mit der Fantasie der Rang eines Kunstwerks erfüllt ist, darf nun der Kenner, indem er über den Werth des Werkes urtheilt, (hoffentlich wohlwollend) bewerten. Ansonsten sei mit ein wenig Fantasie die humoristische Bedeutung der Parodie zu bemerken.
Michael Sieberichs-Nau, 2024
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