Die Vorstadt Neulerchenfeld bildete ein musikalisch geprägtes Lebensumfeld. Dort waren in der zweiten Jahrhunderthälfte das Wienerlied und die Schrammelmusik zuhause; erste Auftritte von Johann Strauß (Vater) und Joseph Lanner fanden dort statt. In der Familie Dubez scheint der musikalischen Bildung der Kinder besondere Aufmerksamkeit geschenkt worden zu sein. Johanns Geschwister Anna, Joseqh und Peter waren ebenfalls Berufsmusiker. Anna Dubez stand als gefragte Harfenistin und Zitherspielerin in den Diensten des Großherzogs von Mecklenburg in Schwerin, Josef Dubez war Kapellmeister bei den Deutschmeistern in Wien und wirkte als Gitarrist an der Wiener Hofoper. Peter wirkte in Dresden und stand dort in hohem Ansehen bedeutender Musiker, unter anderem hatte er Kontakt zu Franz Lizst.
Die Anfänge der musikalischen Erziehung des Johann Dubez sind weitgehend unklar. Der einzige nachgewiesene Lehrer war Caspar Joseph Mertz. Bei ihm erhielt Dubez ab ca. 1843/44 Gitarrenunterricht.2 Sein erstes Instrument war offensichtlich die Violine, denn schon 1846, als Achtzehnjähriger, war er als Geiger im Theater in der Josefstadt angestellt. In dieses Jahr fiel auch sein erstes öffentliches Auftreten als Gitarrist in einem Konzert, in der er eine Bearbeitung der Hugenotten-Phantasie [op. 20] von Sigismund Thalberg spielte.3
Gegen Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte das Interesse an der Gitarre in Wien deutlich nachgelassen. Gleichzeitig wurde die Zither, u.a. durch den Einsatz Kaiserin Elisabeths, hoffähig. Dubez erkannte die neue Situation und beschäftigte sich intensiv mit der Harfe und der Zither. Als „Harfenist und Kammervirtuos’“ stand er zwischen ca. 1852 und ca. 1875 in Diensten der Comtesse Jeanne Esterházy. Dennoch sind in der Wiener Presse weiterhin Konzertauftritte mit der Gitarre dokumentiert. Ab ca. 1849 erlernte er noch Melophon, eine Art Akkordeon, das auch von Regondi in dessen Wiener Konzerten 1840/41 gespielt worden war.
Außerdem leitete Dubez bis 1873 als Primarius das Dubez Streichquartett, mit dem er bis zum Tode des zweiten Geigers konzertierte. Danach sind nur noch Konzerte auf den Soloinstrumenten Gitarre, Harfe, Zither und Melophon nachweisbar. Mehrere ausgedehnte Konzertreisen nach Italien, Holland, Dänemark, Norddeutschland, in die Balkanländer und die Türkei sind in zeitgenössischen Berichten überliefert.
Daneben bildeten Lehrtätigkeit und Publikationen die Basis seines Lebensunterhalts. Namhafte Verlage begannen ab 1851 mit der Veröffentlichung seiner Werke. Hauptsächlich wurde Musik für Zither und Harfe verlegt, Gitarremusik ist nur mit zwei gedruckten Werken vertreten. Die überwiegende Zahl der Gitarrenwerke blieb als Manuskript (zum Teil als Autograph) erhalten und befindet sich in der Sammlung des schwedischen Mathematikers Carl Oskar Boije af Genäas.4
Dubez komponierte konzertante und virtuose Zithermusik. Als Präsident des Wiener Zither Fachvereins und Lehrer hat er maßgeblich zur Etablierung des Instruments beigetragen. Seine Gitarrenwerke stellen höchste Anforderungen an den Ausführenden, enthalten alle damals bekannten Techniken und stehen in der Tradition Mertz’ und Regondis. In einer Zeit des Niedergangs der Gitarre war Dubez einer der wenigen Virtuosen der zweiten Jahrhunderthälfte und stellt so ein wichtiges Verbindungsglied zwischen der Blütezeit der ersten Jahrhunderthälfte und der Wiederbelebung der Gitarre um 1900 dar.
Fantaisie sur des motifs hongrois
Die vorliegende Neuausgabe basiert auf der Druckausgabe von 1851 mit dem Titel:
Fantaisie /
sur des motifs hongrois pour la guitar / Composées et
dédiée à son elève MADAME LA COMPTESSE
PAULINE BAUDISSIN NÈE DE GERSDORFF /
Vienne, chez A. Diabelli et Comp. / No. 9174 / par
Johann Dubez.
Der Druck ist ca. 1851, ein Jahr vor der
Übernahme des Diabelli-Verlags durch Spina, erschienen.5
Neben der Druckfassung verwahrt die Rischel & BirketSmith-Sammlung in der Königlichen Bibliothek Kopenhagen eine im Notentext identische Abschrift, die vermutlich aus der Hand des schwedischen Kaufmanns F. Schult stammt. Zwei Manuskripte der Boije-Sammlung, die »Quartre Pieces« (Boije 669) und (Boije 670), enthalten alternative Fassungen der in der Fantaisie verarbeiteten Themen. Die Titel der Stücke zwei bis vier lauten: Ragozi (sic) Marsch, Hujnady (sic) Marsch und Czardas. Ihr Auftreten ist im Notentext der vorliegenden Ausgabe in korrekter Orthographie vermerkt. (Die Titel sind nicht in der Druckausgabe verzeichnet.)
Diese drei Themen sind in der Art eines Potpourris verarbeitet. Der Rákóczi Marsch, der bis 1844 als Ungarische Nationalhymne diente, gehört zum musikalischen Gemeingut Ungarns. Die Melodie stammt noch aus dem 18. Jahrhundert und ist als Volklied Sinnbild der ungarischen Freiheitsbewegung. Durch Wenzel Ružiczka und Johann Bihari erhielt sie die heute bekannte Gestalt des Marsches. Dieser ist vielfach Gegenstand von Bearbeitungen berühmter Komponisten geworden.6 Der Hunyadi Marsch stammt aus der Oper »Hunyady-László« (1844) von Ferenc Erkel.7 »Marche« (Boije 670) enthält ebenfalls eine Bearbeitung dieses Marsches. Czardas ist eine Klavierkomposition von Benjámin Egressy, unter dem Titel »Hontalan«, die um 1848 in Pest erschien.
Dubez hat diesen Csárdás später auch als »Hontolon (Der Vaterlandslose), Csárdás und Romanze für die Zither« in »Der Melodiensammler« Bd. 13 veröffentlicht. Eine weitere, spätere Ausgaben des Marsches enthält die »Fantaisie concertante sur des motifs de "L’opera Hunyadi Lászlo" op. 35 par Erkel« für Harfe.Hinweise zur Bearbeitung und Ausführung Die vorliegende Neuausgabe verbindet den Gedanken eines Urtextes mit den Erfordernissen einer praktischen Ausgabe für die sechssaitige Gitarre. Alle editorischen Zusätze sind nachvollziehbar und gekennzeichnet. Das Werk ist für die achtsaitige Gitarre geschrieben. Die zusätzlichen Bässe der siebten (D) und achten Saite (H) werden ausschließlich als Leersaiten verwendet.
Auch in der Höhe ist der Tonumfang (wie bei L. Legnani), bis zum d3 erweitert. Eine Ausführung auf der sechssaitigen Gitarre erfordert alle Ossia-Varianten. Diese sind Teil der Bearbeitung, außer den mit »plus facile« bezeichneten Varianten ab Takt 239, die von Dubez selbst stammen. Alle Bässe unterhalb des E sind durch eine (8) gekennzeichnet. Die eingeklammerten HBässe in Takt 26 sind Verdopplungen.
Die Bindungen der Friska-Abschnitte sind nicht im Druck verzeichnet. Sie sind dem Boije-Manuskript und der Zitherfassung (s.o.) entnommen und mit punktierten Bögen eingezeichnet. Durchgestrichene Bögen sind editorisch. Die Interpretation der Kreise als Flagolett-Töne (s. Ossias) in den Takten 23 und 31 stützt sich auf die von Dubez in seinen Autographen verwendete Notationsweise. Originalfingersätze der Druckausgabe sind kursiv gesetzt, alle hinzugefügten Fingersatzbezeichnungen entsprechen den Fingersatzgepflogenheiten der Zeit und dem Stil Dubez’. Wertvolle Hinweise zur Bezeichnung der Fingersätze ergaben sich aus dem Studium der Manuskripte aus der Boije-Sammlung und der Beispiele der »Schule für die Guitare« von C. J. Mertz.8
Die Vorschläge in den Takten 164f. sind auf der Zeit als Glissando zu spielen. Verzierungen in Gitarrenmusik werden im mehrstimmigen Satz in der Regel auf den Schlag (subtrahierend) ausgeführt. Das folgende Beispiel aus einer handschriftlich überlieferten Fantasie (Ms. Boije 667) zeigt eindeutig die Ausführung der Verzierungsnote gleichzeitig mit dem Bass: 8
Die Gitarristen des späten 19. Jahrhunderts verwendeten Portamenti weit häufiger als heutige Gitarristen. Diese Praxis ist normalerweise nicht ausdrücklich eingezeichnet. In der (späteren) Zitherfassung des Csárdás jedoch gibt Dubez Portamenti durch eine an die vorhergehende Note gebundene Vorschlagsnote an. Dies bedeutet eine Vorwegnahme des Zieltons zur Überbrückung großer Intervalle auf einer Saite.
Zur Ausführung der Punktierungen in triolischem Zusammenhang, wie in den Abschnitten ab den Takten 119 und 201 notiert, schreibt C. Czerny auf S. 69 seiner Klavierschule op. 500 (1842): „Wenn in solche punktierte Stellen Triolen einzutheilen sind, so wird die, nach dem Punkte folgende Note nach der letzten Triole angeschlagen. Dies geschieht aber nur im langsamen Zeitmasse.“
Ausnahmen stellen die Takte 132 und 215 dar - die Noten sind übereinander notiert. (Dort ergäbe sich bei konsequenter Anwendung der nachschlagenden Sechzehntel eine Tonwiederholung auf einer Saite.) Ab Takt 201 sind die „Note(n) nach dem Punkte“ unter den dritten Triolenachteln notiert. Es bleibt der Entscheidung des Spielers überlassen, diese Notation wörtlich aufzufassen oder der obengenannten Lösung anzugleichen.
Dank an Jens Egeberg (Königliche Bibliothek Kopenhagen)
Dr. Ronald Purcell (Guitar Research Archive der California State University Northridge), Anna Lena Holm (Schwedischen Musiksammlung Stockholm), Dr. Ingrid Fuchs und Prof. Dr. August Biba (Sammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien), den Mitarbeitern der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, Prof. Franz Mailer (Johann-Strauß-Gesellschaft, Wien), die Bayerische Staatsbibliothek München
Ellen Bredehöft (Pfälzische Landesbibliothek Speyer)
Katalin Szerzõ (Nationalbibliothek Budapest)
und Wolfgang Bartsch vom Pfarrgemeinderat Neulerchenfeld. Besonders danke ich Alexander Mayer (vom gleichnamigen Verlag, Wien) für die wertvolle Hilfe bei den Recherchen, der Identifizierung der Themen und der Erstellung der Internetseite.
Michael Sieberichs-Nau
1 Eine umfassende Biographie, Werkverzeichnis, Bibliographie und Nachweise liegt als PDF vor. 2 James Philip Bone nennt auch Regondi als weiteren Lehrer, doch ist dies weder nachgewiesen, noch wahrscheinlich.3 Dieses Werk ist wahrscheinlich die Bearbeitung Regondis, die dieser 1840/41 in seinen Konzerten in Wien gespielt hatte. Das legt den Schluss einesTreffens mit Regondi 1840/41 nahe, auch wenn Zuth und Bone ein Treffen erst 1846 annehmen.4 Die Sammlung befindet sich in der Schwedischen Musikbibliothek in Stockholm5 Es handelt sich vermutlich um sein Opus 1, da schon 1852 ein weiteres Werk für Gitarre als Opus 2 erschien.6 Vgl.: H. Berlioz: »Damnations de Faust«; F. Liszt: Ungarischen Rhapsodie XV; für Gitarre: L. Legnani: op. 203.7 Dieser Marsch wurde von F. Liszt als »Hunyadi-Marsch und Schwanengsang« für Klavier bearbeitet.8 Vgl.: Mertz, J. K. (sic): »Schule der Guitare«, S. 22 ff., Wien 1848. Alle mir bekannten Lehrwerke der Zeit verlangen die Ausführungen der Vorschlägegleichzeitig mit dem Bass. Vgl.: Beyschlag, Adolf: Die Ornamentik in der Musik, Leipzig 1908; Noe, Günther: Der Vorschlag in Theorie und Praxis, Wien1986, S. 29ff.