„Acker-Mann oder Ackermann“ Über die Umverteilungsgewinne in der Finanzwirtschaft (Momentum Kongress 2011)
„Acker-Mann oder Ackermann“
Über die Umverteilungsgewinne in der Finanzwirtschaft
Erhard Glötzl
April 2011
„Der ACKER-MANN bestellt unter Mühen den realen Acker und erntet am realen Markt einen bescheidenen REALEN GEWINN. Der ACKERMANN hingegen bestellt den Finanzacker und erntet ohne Mühen an den Finanzmärkten unmäßige UMVERTEILUNGSGEWINNE“
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung und Begriffe.. 4
2. Grundformen von Umverteilungsgewinnen.. 4
3. Grundprinzipien zur gesellschaftlichen Bewertung von Gewinnen.. 5
4. Umverteilungsgewinne auf den Finanzmärkten.. 5
4.1. Grundsätzliches. 5
4.2. Methoden zur Erzielung von Umverteilungsgewinnen.. 6
4.2.1. Derivate (Termingeschäfte im weiteren Sinn). 6
4.2.2. Trendfolgefonds. 7
4.2.3. Insiderhandel 8
4.2.4. Marktmanipulation im engeren Sinn. 8
4.3. Leverage-Effekt. 8
4.4. gesellschaftliche Bewertung.. 9
5. Umverteilungsgewinne im Bankenbereich.. 9
5.1. Die Grundstruktur einer Bankbilanz. 9
5.2. Der wesentliche Unterschied zwischen Bilanzen von Banken und Bilanzen von Unternehmen der Realwirtschaft. 9
5.3. Anreize zur Ausweisung erhöhter Gewinne durch Bilanzmanipulationen.. 10
5.3.1. Bewertung nach IFRS anstelle von UGB.. 10
5.3.2. Senkung der Körperschaftssteuer. 10
5.3.3. Steueroasen. 11
5.3.4. Banken als Sonderfall 11
5.4. Methoden zur Manipulation von Bankbilanzen.. 11
5.4.1. Höher-Bewertung von Aktiva. 11
5.4.2. Vermeidung der Abwertung von Aktiva. 12
5.4.3. Kreislaufgeschäfte bei Kapitalerhöhungen. 12
5.4.4. Rückstellungen (Drohverluste). 12
5.5. Realisierung von Bewertungsgewinnen.. 12
5.6. Das Versagen von Wirtschaftsprüfern und Ratingagenturen.. 12
5.7. Steueroasen.. 13
5.8. Eigengeschäft der Banken.. 13
5.9. Bankenrettung durch den Staat. 14
5.10. gesellschaftliche Bewertung.. 14
6. Umverteilungsgewinne durch Staatsfinanzierung.. 15
6.1. Staatsfinanzierung durch Staatsanleihen.. 15
6.2. Staatsfinanzierung durch Geldschöpfung.. 16
6.3. Diskussion der Argumente. 18
7. Zusammenfassung.. 19
1. Einleitung und Begriffe
Der Begriff „Gewinn“ ist gesellschaftlich in der Regel positiv besetzt, weil damit im allgemeinen gemeint wird, dass ein Unternehmen durch gute Unternehmensführung und die Einsatzbereitschaft der Mitarbeiter einen Mehrwert geschaffen hat, der letztlich nicht nur den Eigentümern sondern auch der gesamten Gesellschaft zu Gute kommt. Dieses Grundprinzip war insbesondere für die Aufbaujahre nach dem Krieg bis in die 70-er Jahre bestimmend für die Zunahme des allgemeinen Wohlstandes. Volkswirtschaftlich war diese Zeit dadurch charakterisiert, dass die realen Wachstumsraten über den realen Gewinn- bzw. Zinsraten lagen. Seither beginnt sich das Blatt immer stärker zu wenden. Die realen Wachstumsraten fallen immer weiter unter die realen Gewinn- bzw. Zinsraten, die Finanzwirtschaft koppelt sich immer stärker von den realen Märkten ab und gleichzeitig nimmt die Ungleichheit in der Gesellschaft immer stärker zu. Die Finanzwirtschaft fungiert gleichsam als gewaltige Umverteilungsmaschine, die großflächig immer mehr Geld absaugt, um es an Wenige zu verteilen.
Für das Verständnis wesentlich ist die Unterscheidung von „echten Gewinnen“ und „Umverteilungsgewinnen“. Dabei soll von einem echten Gewinn immer dann gesprochen werden, wenn bei dem zu Grunde liegenden ökonomischen Prozess ein realer Mehrwert geschaffen wird. Ein reiner Umverteilungsgewinn hingegen liegt dann vor, wenn kein realer Mehrwert geschaffen wird und der Gewinn des einen gleich hoch ist wie der Verlust von anderen.
2. Grundformen von Umverteilungsgewinnen
Die Grundformen von Umverteilungsgewinnen sind Diebstahl, Arglist, Raub und Machtmissbrauch.
Wegen ihrer negativen und unerwünschten Auswirkungen auf die Gesellschaft sind alle diese Handlungen und damit diese Art von Umverteilungsgewinnen gesellschaftlich geächtet. Für Diebstahl, Arglist und Raub sind diese auch klar rechtlich verboten. Machmissbrauch ist im Allgemeinen zwar meist gesellschaftlich geächtet, allerdings fehlen vergleichbare klare generelle rechtliche Regelungen. Diese gibt es nur für spezifische Einzelfälle (z.B. Kartellrecht)
Neben Formen von Umverteilungsgewinnen, bei denen der Verlierer nicht aktiv am Prozess teilnimmt, gibt es aber auch Prozesse, die zu reinen Umverteilungsgewinnen führen, an denen der Verlustträger freiwillig und aktiv beteiligt ist. Dazu gehören vor allem Wetten, Glücksspiele und Spekulation. Von besonderer Bedeutung sind dabei diejenigen Fälle, bei denen entweder von vornherein eine asymmetrische Information vorliegt oder bei denen es durch unterschiedliche Machtverhältnisse oder Arglist gelingt, bewusst eine asymmetrische Information zu erzielen.
3. Grundprinzipien zur gesellschaftlichen Bewertung von Gewinnen
Grundsätzlich kann ein real geschaffener Mehrwert eines Unternehmens an Eigentümer, Management oder Arbeitnehmer ausgeschüttet werden, für Investitionen einbehalten werden oder in Form von Steuern an den Staat abgeführt werden. Ohne auf Details hier eingehen zu wollen, sind solche realen Unternehmensgewinne jedenfalls grundsätzlich gesamtgesellschaftlich positiv zu bewerten.
Umverteilungsgewinne hingegen bringen keinen gesamtwirtschaftlichen Nutzen und sind daher im Regelfall gesellschaftlich schädlich. Jedenfalls müssen sie aber gesellschaftlich geächtet und rechtlich verboten werden, wenn sie durch Ausnutzung von Arglist oder Machtverhältnissen erreicht werden.
4. Umverteilungsgewinne auf den Finanzmärkten
4.1. Grundsätzliches
Die Möglichkeiten auf den Finanzmärkten Umverteilungsgewinne zu erzielen, haben sich durch die Entwicklung sogenannter „innovativer“ Finanzprodukte in den letzten 2 Jahrzehnten dramatisch erhöht.
Insbesondere wurde durch deren bewusst herbeigeführte Komplexität erreicht, dass eine Umverteilung von den Uninformierten zu den Informierten damit wesentlich erleichtert wurde und der Graubereich zwischen legalen Methoden und illegalen Methoden wesentlich verbreitert wurde.
In diese Kategorie fallen insbesondere auch die sogenannten „asymmetrischen Produkte“, bei denen der Gewinn zwar geteilt wird, der Verlust aber nur zu Lasten des Kunden geht, sowie Produkte, bei denen heute gutes Geld gegen vage künftige Versprechen getauscht wird.
Verstärkt wurde diese Entwicklung dadurch, dass die Regulierungsbehörden entweder von der Komplexität und der Geschwindigkeit, mit der neue Finanzprodukte auf den Markt gekommen sind, überfordert waren oder schlimmer noch, die Interessen der Finanzmärkte und damit deren Macht sogar unterstützt haben. Verstehen kann man dieses Verhalten der Regulierungsbehörden und der Politik nur unter dem Gesichtspunkt der realen Machtverhältnisse oder wenn man annimmt, dass ihnen die gesamte Problematik der Umverteilungsgewinne nicht bewusst war.
Die gesamtgesellschaftliche und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Gewinne an den Finanzmärkten lässt sich daran erkennen, dass von allen Gewinnen in den USA allein etwa 40% davon auf die Finanzwirtschaft fallen.
4.2. Methoden zur Erzielung von Umverteilungsgewinnen
4.2.1. Derivate (Termingeschäfte im weiteren Sinn)
Bekanntlich ist der Umfang der reinen Handelsaktivitäten mit Derivaten in den letzten Jahren explosionsartig angewachsen und beträgt ein Vielfaches des für die Realwirtschaft notwendigen Handels. Offensichtlich wäre das niemals geschehen, wenn damit nicht sehr hohe Gewinne hätten gemacht werden können. Wenn man noch berücksichtigt, dass diese Handelsaktivitäten auch mit hohen Kosten verbunden sind, ergibt sich, dass die daraus zu erwirtschaftenden Roherträge noch viel höher als die Gewinne sein müssen.
Zunächst ist daher zu untersuchen, ob es sich dabei um „echte Gewinne“ oder um „Umverteilungsgewinne“ handelt. Manchmal wird argumentiert, dass durch diese reinen Finanzaktivitäten sehr wohl ein realer Mehrwert geschaffen wird z.B. in Form der Optimierung von Risikoverteilung, Handelsströmen und Lagerhaltung. Tatsächlich mögen diese Argumente für einen kleinen Teil dieser Aktivitäten zutreffen, für die weitaus überwiegende Anzahl gilt dies aber jedenfalls nicht.
Wenn es sich dabei aber in der Regel also um reine „Umverteilungsgewinne“ handelt, stellt sich die Frage, wer der Verlierer dabei ist, der letztlich die Gewinne und die anfallenden Kosten finanziert und wie und warum diese Verlierer überhaupt „mitspielen“. Grundsätzlich gibt es darauf 2 Antworten:
1. Asymmetrische Information / Werbung:
Bei einem fairen Glücksspiel gibt es im Mittel keinen Gewinner und keinen Verlierer. Fallen dabei auch Kosten an, gibt es im Mittel nur Verlierer. Bei einer Wette allerdings, kann jeweils der mit der besseren Information im Mittel gewinnen. Solche Informationsvorteile spielen tatsächlich eine wesentliche Rolle bei der Erzielung von Umverteilungsgewinnen auf den Finanzmärkten. Allerdings dürften diese Informationsvorteile auf wenige konzentriert sein oder wie es Stefan Schulmeister formuliert: „Viele Schafe gehen auf die Weide und werden dort von wenigen Schäfern geschoren“. Der wichtigste Grund, dass die Schafe trotzdem in immer größerer Zahl auf die Weide gehen, liegt in der intensiven Werbung der Schäfer, die im Sinne unserer Nomenklatur wohl schon eher als arglistige Täuschung einzustufen ist. Vom Börsenspiel, zu dem schon die Jugendlichen aufgerufen werden, bis zu den täglichen Nachrichten über die Börsenkurse, von der Angst die geschürt wird, dass die staatlichen Pensionen nicht gesichert sind, bis zu den einschlägigen Äußerungen der „Experten“, kann sich kaum mehr jemand diesen Einflüssen entziehen.
2. Machtmissbrauch / Spekulation:
Vermutlich noch bedeutender als die asymmetrischen Informationsverhältnisse sind die unterschiedlichen Machtverhältnisse zwischen denjenigen, die realwirtschaftliche Güter tatsächlich regelmäßig verkaufen bzw. kaufen müssen und den Spekulanten, die nicht unter einem gleich hohen Handlungsdruck stehen wie die Realwirtschaft. Diese Machtverhältnisse können ausgenützt werden, um einen kleinen aber andauernden Preisvorteil am Markt durchzusetzen, der zu entsprechenden Umverteilungsgewinnen von der Realwirtschaft zu der Spekulationswirtschaft führt.
Dafür gibt es 3 Erklärungsansätze:
- Durch die vielen „innovativen“ Finanzprodukte, wie z.B. Leerverkäufe, Wetten auf fallende Kurse, Trendfolgestrategien usw., wurde der Handlungsspielraum für Spekulanten immer weiter geöffnet.
- In jedem Fall können im Durchschnitt Gewinne für Spekulanten aber nur dann anfallen, wenn es einen Verkäufer gibt, der letztendlich verkaufen muss und damit seine Produkte aus der Realwirtschaft in den Spekulationskreislauf einbringen muss und nicht darauf warten kann, dass die Preise noch weiter steigen. Desgleichen sind die Gewinne nur möglich, wenn es einen Käufer gibt, der letztendlich kaufen muss und damit die Produkte wieder aus dem Spekulationskreislauf in die Realwirtschaft einbringt und nicht darauf warten kann, bis die Kurse noch weiter gefallen sind. Kurz gesagt ist die Freiheit in der zeitlichen Gestaltung von Kauf und Verkaufsvorgängen und damit die Macht für den Bereich der Spekulationswirtschaft größer als für die Realwirtschaft. Besonders einsichtig werden diese unterschiedlichen Machtverhältnisse zwischen Realwirtschaft und Spekulation auf den Nahrungsmittelmärkten.
- Durch die heutigen globalisierten Warenströme werden darüber hinaus Machtverhältnisse geschaffen, die es den Produzenten immer schwerer machen, sich den Spekulationsmärkten zu entziehen, weil sie kaum mehr direkt an die Verbraucher verkaufen können.
4.2.2. Trendfolgefonds
Trendfolge-Fonds führen für die Fondbesitzer in der Regel offensichtlich zu ansehnlichen Gewinnen unabhängig davon, ob tatsächlich bei den zugrundeliegenden Firmen oder durch den Handel mit diesen Produkten ein realer Mehrwert geschaffen wird oder nicht. Sie führen damit zu Umverteilungsgewinnen durch reinen Handel. Die Verlustträger sind alle anderen die kaufen oder verkaufen (nicht jedoch die Besitzer, solange sie nicht verkaufen). Durch diese „Umverteilungsmaschinen“ werden weder gesamtwirtschaftliche noch gesellschaftliche Vorteile generiert.
Bei einem „normalen“, von realen Werten getragenen Marktmechanismus führt der Angebot/Nachfragemechanismus zu einer Dämpfung (negativen Rückkopplung) der Preisentwicklung, d.h. steigende Preise führen über ein steigendes Angebot und eine sinkende Nachfrage wieder zu einem Rückgang der Preise und umgekehrt. Trendfolge-Strategien hingegen führen zu einer Verstärkung des jeweiligen Trends (positive Rückkopplung) und führen damit durch Kursmanipulation im weiteren Sinn zu den entsprechenden Umverteilungsgewinnen. Darüber hinaus ist die dabei hervorgerufene Destabilisierung der Kursentwicklungen jedenfalls gesamtwirtschaftlich und gesellschaftlich unerwünscht.
Trendfolge-Fonds sind heute weit verbreitet und es fehlt offensichtlich vollständig am Verständnis der gesellschaftlichen Problematik dieser Praktiken. Im Sinne der Grundprinzipien zur Bewertung von Umverteilungsgewinnen wäre diese Form der Handelsstrategie jedenfalls theoretisch generell zu verbieten, wenngleich eine diesbezügliche rechtliche Umsetzung weder leicht durchzuführen noch leicht durchzusetzen wäre. Die Ausnutzung kurzer und ultrakurzer Trends könnte allerdings wirksam durch eine Kapitaltransaktionssteuer (Tobintax) verhindert werden.
4.2.3. Insiderhandel
Ein bekannter Ausspruch sagt: „Wissen ist Macht“. Somit bedeutet Insiderwissen Macht. Beim Insiderhandel wird diese Macht für die Erzielung eines persönlichen Vorteils zu Lasten von anderen missbraucht. Daher ist Insiderhandel zu Recht gesellschaftlich geächtet und gesetzlich verboten.
4.2.4. Marktmanipulation im engeren Sinn
Unter Marktmanipulation im engeren Sinn versteht man Praktiken, mit denen durch unfaire Methoden die Preise oder Kurse auf Märkten beeinflusst werden, um Umverteilungsgewinne zu erzielen. Dabei steht also einem Gewinner eine Vielzahl von Verlustträgern gegenüber, die weder daran aktiv beteiligt sind noch davon etwas bemerken. Zu Recht sind diese Praktiken rechtlich verboten.
4.3. Leverage-Effekt
Mithilfe des Leverage-Effektes kommt es zu einer Verstärkung der Umverteilung der Gewinne von Fremdkapital zu Eigenkapital und damit zu einer generellen Erhöhung der Umverteilungsgewinne, sofern das Eigenkapital zur Erlangung von Umverteilungsgewinnen eingesetzt wurde.
4.4. gesellschaftliche Bewertung
Der überwiegende Teil der auf den Finanzmärkten erzielten Gewinne ist offensichtlich den Umverteilungsgewinnen zu zurechnen. Sie tragen daher wesentlich zu der rasch zunehmenden Ungleichheit in der Gesellschaft durch die Abkopplung der Finanzwirtschaft von der Realwirtschaft bei. Es ist daher eine vordringliche Aufgabe der Politik, das Bewusstsein für diese Problematik zu fördern und Wege zu finden, diese Entwicklung einzuschränken.
5. Umverteilungsgewinne im Bankenbereich
5.1. Die Grundstruktur einer Bankbilanz
Zum Verständnis genügt die Darstellung der wesentlichen Elemente einer Bankbilanz. Das sind auf der
Aktivseite:
- Sachanlagen (materielle und immaterielle)
- Finanzanlagen (Forderungen und Wertpapiere)
- Geld
Passivseite:
- Eigenkapital
- Rückstellungen
- Verbindlichkeiten
Dabei ist besonders zu beachten, dass das Eigenkapital nur eine rein rechnerische Größe ist, die sich stets nur als Differenz von Aktivseite minus Rückstellungen und Verbindlichkeiten ergibt.
5.2. Der wesentliche Unterschied zwischen Bilanzen von Banken und Bilanzen von Unternehmen der Realwirtschaft
In der Bilanz eines realwirtschaftlichen Unternehmens wirkt die Liquidität in folgendem Sinn als Indikator und Korrekturfaktor: Wenn das Unternehmen schlecht wirtschaftet oder wenn über Bilanzmanipulationen höhere Gewinne vorgetäuscht werden und diese auch ausgeschüttet werden, kommt es bei dem Unternehmen sehr rasch zu Liquiditätsengpässen, die letztlich schnell zur Insolvenz führen. Nur ein gesundes Unternehmen kann seine Liquiditätserfordernisse dauerhaft befriedigen.
Für Banken ist die Liquiditätsbeschaffung wesentlich leichter als für Unternehmen der Realwirtschaft, weil sie letztlich immer die Möglichkeit haben, sich bei der Notenbank als „lender of last resort“ günstig Liquidität zu beschaffen. Daher wirkt die Liquidität bei Banken kaum als Indikator und Korrekturfaktor. Der Zeitpunkt, zu dem Liquiditätsprobleme offenkundig werden, kann daher viel weiter hinausgezögert werden als bei Unternehmen der Realwirtschaft. Aus diesem Grund ist es für Banken möglich, für lange Zeit über Bilanzmanipulationen hohe Gewinne vorzutäuschen und diese auch an Aktionäre und Manager auszuschütten. Bilanzmanipulationen spielen daher im Bankenbereich eine wesentlich größere Rolle als in der Realwirtschaft.
5.3. Anreize zur Ausweisung erhöhter Gewinne durch Bilanzmanipulationen
Das Bestreben, durch Bilanzmanipulationen immer höhere Gewinne auszuweisen, ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Im Wesentlichen sind dafür folgende Punkte bestimmend gewesen:
5.3.1. Bewertung nach IFRS anstelle von UGB
Die Bewertungsvorschriften des UGB orientieren sich primär am Gläubigerschutz und sind daher im Wesentlichen durch das Vorsichtsprinzip charakterisiert. In letzter Zeit setzt sich immer mehr die Bewertung nach den internationalen IFRS-Regeln durch. Diese orientieren sich in erster Linie an den Eigentümerinteressen. Sie bieten eine breite Palette von verschiedenen Möglichkeiten zur Bewertung von Aktiva und sind vor allem auch durch das „fair-value-Prinzip“ charakterisiert.
In der Finanzkrise wurden die Bilanzierungsvorschriften für Banken darüber hinaus noch wesentlich stärker gelockert, weil die Banken sonst nicht mehr in der Lage gewesen wären, ordentliche Bilanzen zu legen. Diese Änderungen kommen beispielsweise auch in dem anlässlich der Finanzkrise 2009 in Deutschland beschlossenen Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz zum Ausdruck. Besonders beachtenswert ist, wie man mit dem Begriff „Modernisierung“ die wahren Beweggründe zu verschleiern sucht.
Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass damit für Banken der bilanzpolitische Handlungsspielraum wesentlich erhöht wurde.
5.3.2. Senkung der Körperschaftssteuer
Für die produzierende Industrie war es früher, insbesondere zu Zeiten als die Körperschaftssteuer noch wesentlich höher war, vor allem interessant, möglichst wenig Gewinne auszuweisen, weil damit die Zahlung von Körperschaftssteuer zumindest zeitlich aufgeschoben werden konnte.
Je niedriger hingegen in der letzten Zeit der Körperschaftssteuersatz geworden ist und je kurzfristiger das Interesse der Eigentümer geworden ist, desto mehr überwiegt das Interesse der Eigentümer hohe Gewinne auszuweisen und damit hohe Gewinnausschüttungen zu rechtfertigen.
5.3.3. Steueroasen
Besonders attraktiv ist die Verschiebung von Gewinnen zu Tochtergesellschaften in Steueroasen. Einerseits führen diese Gewinne zu keiner österreichischen Körperschaftssteuer, weil diese Gewinne erst in der nach IFRS erstellten Konzernbilanz aufscheinen (für die das Maßgeblichkeitsprinzip nicht gilt), andererseits können damit trotzdem hohe Dividenden und Boni ausgeschüttet werden.
5.3.4. Banken als Sonderfall
Bei Banken wird dieser Trend durch 2 Faktoren weiter verstärkt:
1. die besonders hohen Bonuszahlungen für das Management und
2. weil die Eigenkapitalausstattung bei Banken eine wesentlich fundamentalere Rolle spielt als bei sonstigen Unternehmen. Zusätzliches Eigenkapital ermöglicht zusätzliche Kreditvergaben und damit zusätzliche Gewinne durch diese Geschäftsausweitung.
5.4. Methoden zur Manipulation von Bankbilanzen
5.4.1. Höher-Bewertung von Aktiva
Das Prinzip, wie durch die Möglichkeit von „fair-value-Bewertungen“ Bilanzen manipuliert werden können sei an folgendem theoretischen Beispiel verständlich gemacht:
2 Banken A und B hätten je 1000 gleiche Liegenschaften zu je 1000 € in ihrer Bilanz, was eine Bilanzsumme von je 1 Mio € ergibt. Wenn sie vereinbaren je 1 Liegenschaft sich gegenseitig zu verkaufen, allerdings nicht zum Buchwert sondern zum Preis von 2.000 €, können sie dann auch alle anderen Liegenschaften mit 2.000 € neu bewerten. Die beiden Bilanzsummen verdoppeln sich auf jeweils 2 Mio €. Wenn das Eigenkapital vorher jeweils 10% war, also jeweils 100.000 €, dann ist es nachher jeweils 1,1Mio €. Es hat sich also verelffacht.
Darüber hinaus bieten grundsätzlich alle Bewertungen, die auf der Erzielung zukünftiger Erträge („discounted cashflow“) aufbauen, einen enormen Spielraum für Bewertungen, die weit über den tatsächlichen Verhältnissen liegen können.
Ein breites Feld für Aufwertungen ist auch im Zuge von Unternehmenskäufen durch die Festlegung des „good will“ möglich.
5.4.2. Vermeidung der Abwertung von Aktiva
Repo-Geschäfte werden nicht nur zur kurzfristigen Liquiditätssteuerung eingesetzt, sie können auch missbräuchlich zur Verschleierung von Abwertungsbedarf bei Aktiva eingesetzt werden. Beispielsweise hat Lehmann&Brothers Repo-Geschäfte eingesetzt, um die Bilanz jeweils vor den Bilanzstichtagen zu schönen.
Eine zweite gängige Methode Abwertungsbedarf zu verschleiern, ist die Ausgliederung von abwertungsbedürftigen Aktiva in eine Sondergesellschaft, die im Eigentum der Bank steht.
5.4.3. Kreislaufgeschäfte bei Kapitalerhöhungen
Durch Kreislaufgeschäfte im Zusammenhang mit Kapitalerhöhungen können auf illegale Weise Verbindlichkeiten entweder in Eigenkapital oder auch in Eventualverbindlichkeiten umgewandelt werden. Beides führt zu einem entsprechend höheren Gewinnausweis.
5.4.4. Rückstellungen (Drohverluste)
Fehlende oder zu niedrige Rückstellungen für drohende Verluste auf der Passivseite der Bilanz führen genauso zu einem Umverteilungsgewinn wie zu hohe Bewertungen von Aktivposten.
5.5. Realisierung von Bewertungsgewinnen
Das Wesen der gerade angeführten Bewertungsgewinne liegt darin, dass sie rein buchmäßig sind und nicht am Markt durch Verkauf realisiert (= in liquide Mittel umgewandelt) werden können, weil sie nicht durch reale Werte gedeckt sind.
Solange Bewertungsgewinne nicht ausbezahlt werden, sind es lediglich Zahlen am Papier. Das wahre Problem entsteht erst dadurch, dass diese Bewertungsgewinne als Dividenden und Boni an Aktionäre und Manager tatsächlich ausgeschüttet werden. (Die liquiden Mittel dafür kommen aus neuen Spareinlagen, die den Banken zugeführt werden). Obwohl nach UGB reine Bewertungsgewinne nicht ausgeschüttet werden dürften, werden die angeführten Bewertungsgewinne oft ausgeschüttet, weil sie nicht als solche offen erkennbar sind. Jedenfalls kommt es durch diese Ausschüttungen zu einem Umverteilungsgewinn von den Sparern zu Aktionären und Managern, weil die Forderungen der Sparer nun nicht mehr gedeckt sind. Genau diese Vorgänge sind im Laufe der Finanzkrise abgelaufen.
5.6. Das Versagen von Wirtschaftsprüfern und Ratingagenturen
Im Zuge der Wirtschaftskrise und den damit in Zusammenhang stehenden Bankenkrisen wurde offensichtlich, dass heute weder Wirtschaftsprüfer noch Ratingagenturen imstande sind, die wirtschaftliche Lage der Unternehmen richtig einzuschätzen. Offensichtlich begnügen sich die Prüfer mit einer formalen Prüfung der vorgelegten Daten, ohne deren Plausibilität ernsthaft zu hinterfragen und zu prüfen. Ein großer systemischer Mangel ist hier offenkundig.
5.7. Steueroasen
Durch die Verschiebung von Gewinnen in Steueroasen wird der Umverteilungseffekt von Umverteilungsgewinnen zu Gunsten der Banken und zu Lasten der Allgemeinheit noch verstärkt.
5.8. Eigengeschäft der Banken
Als Grundprinzip beim Verleihen von Geld gilt, dass Geld nur gegen die Hinterlegung von entsprechenden Sicherheiten verliehen wird. Dies gilt sowohl für das Notenbankgeld, das die Notenbank den Geschäftsbanken beim Geldschöpfungsprozess verleiht, als auch für die Kreditvergabe von Geschäftsbanken an Nichtbanken.
Allerdings gibt es davon eine sehr wesentliche Ausnahme, derer man sich in dieser Form meistens nicht bewusst wird: Wenn Sparer (also Nichtbanken) Geld bei einer Bank einlegen, ist dies nichts anderes als das Verleihen von Geld. Aber in diesem Fall hinterlegt die Bank im Gegenzug dafür keine Sicherheit bei den Einlegern. Der Grund dafür ergibt sich logisch daraus, dass die Bank im Grunde genommen ja nur Zwischenhändler sein sollte und das Geld wiederum nur gegen Sicherheiten an Kreditnehmer der Realwirtschaft verleihen sollte. Diese Sicherheiten wären dann indirekt die Sicherheiten für die Sparer.
Wenn eine Bank aber nicht im Sinne eines Zwischenhändlers agiert, sondern die Einlagen für Eigengeschäfte nutzt, fallen diesbezügliche Sicherheiten weg. Man könnte einwenden, dass anstelle von Sicherheiten auch Eigenkapital treten kann. Es gilt allerdings, dass die Höhe, mit der Eigengeschäfte von Banken gemäß Basel II bzw. III hinterlegt werden müssen, wesentlich niedriger ist als die Höhe des Eigenkapitalanteils, die bei einem kreditfinanzierten realen Investitionsprojekt gegenüber der finanzierenden Bank nachgewiesen werden muss. Damit sind Eigengeschäfte von Banken bezüglich der Hinterlegung mit Sicherheiten gegenüber kreditfinanzierten Projekten von Nichtbanken bevorzugt. Durch die Bestimmungen von Basel III wird diese Bevorzugung sogar noch weiter erhöht. Durch die Ausweitung der Eigengeschäfte der Banken auf Kosten der Kreditvergabe für reale Projekte wird daher die Sicherheit des Sparers vermindert, was einem Umverteilungsgewinn vom Sparer zur Bank gleichkommt.
Eine wesentliche Schlussfolgerung besteht daher in der Forderung der strengen Trennung des Bankensystems in Geschäftsbanken, die keine Eigengeschäfte durchführen dürfen und Investmentbanken, denen dies erlaubt ist. Damit werden auch die dahinterliegenden Risiken getrennt und für den Anleger sichtbar gemacht.
5.9. Bankenrettung durch den Staat
Banken können auf verschiedene Arten in Schwierigkeiten kommen: Einerseits durch die oben angeführten Bilanzmanipulationen andererseits aber auch dadurch, dass beim Eigengeschäft oder der Kreditvergabe Risiken schlagend werden, die nicht ausreichend durch Eigenkapital aufgefangen werden können. Egal wodurch eine Bank in Schwierigkeiten kommt, jedenfalls gilt immer: Für den Fall dass der Staat z.B. über den Weg von Einlagensicherungen die Deckung der Einlagen übernimmt oder mit Rettungsschirmen für die Banken insgesamt haftet, entspricht dies einer Umverteilung vom Staat (also nicht nur den Sparern sondern allen Steuerzahlern) zu den Aktionären und Managern.
5.10. gesellschaftliche Bewertung
Bankbilanzmanipulationen der geschilderten Art waren maßgeblich mit Verursacher für die Entstehung der Finanzkrise. Unmittelbar in der Finanzkrise selbst wurden die Bilanzierungsvorschriften für Banken dann sogar noch gelockert, weil sie sonst überhaupt nicht mehr bilanzieren hätten können. Aber nicht einmal diese Lockerung der Bilanzierungsvorschriften wurde bisher wieder zurückgenommen. Es besteht daher dringender Handlungsbedarf diese Praktiken durch wirksame, durchsetzbare und kontrollierbare Regulierungen zu verhindern.
Um die Umverteilungsgewinne durch staatliche Bankenrettung so weit als möglich auszuschließen, ist ein neues Bankeninsolvenzrecht von höchster Dringlichkeit. Wesentliche Voraussetzung für ein effizientes Bankeninsolvenzrecht ist aber jedenfalls die Trennung der Banken in Geschäftsbanken und Investmentbanken.
Investmentbanken müssen ohne Auswirkungen auf die Realwirtschaft in Konkurs gehen können. Jeder, der einer Investmentbank Geld zur Verfügung stellt, muss sich des Risikos eines Totalverlustes der eingesetzten Mittel bewusst sein. D.h. dass sich Investmentbanken nur über Eigenkapital finanzieren dürfen. Darüber hinaus muss kein wesentlicher Unterschied zu einem normalen Insolvenzverfahren bestehen, außer, dass staatliche Rettungsmaßnahmen in jeder Form, insbesondere z.B. in der Form einer Einlagensicherung, vollständig ausgeschlossen werden müssen.
Für Geschäftsbanken muss das oberste Ziel die Fortführung des Geschäftsbetriebes sein. Dies ist durch einen (staatlichen) Masseverwalter und vollständigen Gläubigerschutz sicherzustellen. Nur für Geschäftsbanken ist eine staatliche Einlagensicherung bis zu einem gewissen Höchstbetrag wegen der übergeordneten volkswirtschaftlichen Ziele zulässig.
6. Umverteilungsgewinne durch Staatsfinanzierung
6.1. Staatsfinanzierung durch Staatsanleihen
Der Staat kann sich grundsätzlich über 3 Wege finanzieren:
- Steuern
- Geldschöpfung
- Verschuldung (Staatsanleihen)
Die Finanzierung des Staates über Verschuldung mittels Staatsanleihen ist davon allerdings bei Weitem die teuerste Form der Staatsfinanzierung. Die dafür vom Staat zu zahlenden Zinsen, bedeuten einerseits für den Staat entsprechend hohe Kosten, andererseits aber für die Besitzer der Staatsanleihen (institutionelle Anleger, Banken mit ihrem Eigengeschäft, private Zeichner) entsprechend hohe Gewinne. Im Sinne dieses Artikels ist zu prüfen, in welchem Umfang es sich dabei um echte Gewinne oder nur um Umverteilungsgewinne handelt. Es ist also zu untersuchen, inwieweit dabei ein realer Mehrwert geschaffen wird. Darüber hinaus ist zu untersuchen, ob es für den Staat nicht günstigere Finanzierungsmöglichkeiten gibt bzw. bei wem der Staat sich verschulden soll.
Im Allgemeinen muss man zwischen Konsum- und Investitionskrediten unterscheiden. Bei Investitionskrediten ist im Normalfall der Mehrwert durch die zukünftige Mehrproduktion gegeben und es sollte gelten, dass dieser Mehrwert höher ist als die Zinszahlungen (plus Abschreibungen). Bei einem reinen Konsumkredit ist der Mehrwert allein durch die Gegenwartspräferenz gegeben. Die Zinszahlungen (plus Tilgungen) können nur durch eine zukünftige Minderkonsumation gedeckt werden. Für ein dauerhaft stabiles Staatswesen sollte allerdings ein Konzept der zukünftigen Minderkonsumation ausgeschlossen werden und damit auch Konsumkredite zumindest theoretisch ausgeschlossen werden. Wenn man also theoretisch davon ausgeht, dass der Staatskonsum vollständig durch Steuern gedeckt wird, könnte man theoretisch davon ausgehen, dass die Staatsverschuldung ausschließlich für staatliche Investitionen zur Verfügung steht, die zu einem Wirtschaftswachstum führen, das jedenfalls zumindest gleich hoch sein muss wie die Zinsraten. Unter solche staatliche Investitionen fallen dabei natürlich auch alle Investitionen in Humankapital und wissenschaftlich-technischen Fortschritt.
Generell lässt sich festhalten, dass die realen Wachstumsraten in reifen Volkswirtschaften mit der Zeit immer weiter sinken, das ist gleichbedeutend damit, dass die Wirtschaft real eher linear als exponentiell wächst. Die realen Zinsraten am Kapitalmarkt sinken dagegen nicht so rasch, vor allem weil die „innovativen“ Finanzprodukte auf den Finanzmärkten immer höhere Gewinne versprechen. Im Endeffekt bedeutet dies, dass seit den 80-er Jahren die realen Wachstumsraten immer weiter unter die realen Zinsraten (und Gewinnraten) gefallen sind. Das theoretisch notwendige Erfordernis für eine stabile Entwicklung, nämlich dass die realen Wachstumsraten über den realen Zinsraten liegen bzw. dass den Zinszahlungen ein mindestens in gleicher Höhe geschaffener Mehrwert gegenübersteht, ist damit also schon seit langem in der Praxis nicht mehr erfüllt. Dieses Faktum ist gleichbedeutend damit, dass es seither durch die Zinszahlungen zu einem laufenden Umverteilungsgewinn für die Besitzer von Staatsanleihen auf Kosten der Allgemeinheit kommt.
Gegen diese Sichtweise werden folgende 3 Argumente angeführt. Auf diese wird im Kapitel 6.3. nach der Analyse von Alternativen näher eingegangen. Die Argumente lauten:
1. Finanzmärkte haben über die Staatsfinanzierung hinaus ja noch eine weitere wesentliche Funktion: Sie seien gleichsam als Schiedsrichter tätig, dass der Staat effizient arbeitet und dass der Staatsanteil niedrig gehalten wird. Staaten, die dagegen verstoßen, würden auf den Finanzmärkten durch höhere Zinsen bestraft. Und der Staat kann diese Kontrollfunktion niemals selbst ausüben.
2. Staatsanleihen werden heute vor allem von institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds gezeichnet. Daher kommen die Zinszahlungen letztlich allen zu Gute.
3. Staatsanleihen sind ein unverzichtbares Instrument, um das Sparbedürfnis der Bevölkerung befriedigen zu können.
6.2. Staatsfinanzierung durch Geldschöpfung
6.2.1. Produktive Kreditschöpfung
Im heute üblichen Weg der Geldschöpfung stellt die Notenbank den Banken frisches Geld ohne jede Bedingung für die weitere Verwendung dieser Geldmittel zur Verfügung. Ein großer Nachteil dabei liegt darin, dass auf Grund dieser fehlenden Steuerungsmöglichkeit der Notenbank diese Geldmittel zu einem Großteil nicht zur Vergabe von Krediten für die Realwirtschaft eingesetzt werden sondern direkt oder über Kredite in die Finanzmärkte fließen und dort zu Finanzblasen führen.
Unter produktiver Kreditschöpfung versteht man Maßnahmen und Bedingungen der Notenbank, die den Einsatz dieser Geldmittel in der Realwirtschaft sicher stellen sollen. Der einfachste und effizienteste Weg besteht darin, dass frisches Geld nicht allen Banken sondern nur im öffentlichen Eigentum stehenden „Infrastrukturbanken“ zur Verfügung gestellt wird. Infrastrukturbanken können und sollen damit nur Kredite für öffentliche Infrastrukturprojekte zu besonders niedrigen Zinsen vergeben. Einerseits ist es eine Maßnahme, um den Abfluss von Geldmitteln in die Finanzwirtschaft zu bremsen. Vor allem aber wird damit der Staatshaushalt wesentlich entlastet, was zu einer entsprechenden Verminderung der in 6.1. angeführten Umverteilungsgewinne führt.
6.2.2. Direkte Geldschöpfung durch den Staat
Noch weiter als die produktive Kreditschöpfung geht der Weg der direkten Geldschöpfung durch den Staat. Es soll dies an dem von Josef Huber entwickelten System, das „Monetative“ (siehe www.monetative,de ) genannt wird, erläutert werden. In den Grundzügen basiert dieses Konzept auf den „100%-Money“ genannten Ideen von Irving Fischer. Das Ziel ist:
1. die Wiederherstellung des staatlichen Vorrechts der Geldschöpfung
2. die Beendigung jeglicher Bankengeldschöpfung
3. die schuldenfreie Inumlaufbringung neu geschöpften Geldes durch öffentliche Ausgaben.
Es soll dabei nicht auf andere Vorteile dieses Systems gegenüber dem derzeitigen System der Geldschöpfung eigegangen werden, sondern nur auf die Vorteile hinsichtlich der Staatsfinanzierung. Im Prinzip geht es darum, einerseits das für Münzgeld bestehende Geldschöpfungsmonopol des Staates zu erweitern und zwar sowohl auf Notenbankgeld als auch auf Giralgeld. Damit sollen alle Seignoragegewinne aus der Geldschöpfung der M1-Geldmenge dem Staat zukommen und damit nicht mehr so wie bisher zum größten Teil den Banken. Andererseits soll allerdings nicht der Staat sondern allein eine in ihrer Unabhängigkeit gestärkte Notenbank über die Steuerung der Geldmenge entscheiden. Diese gestärkte Notenbank soll als 4.Gewalt des Staates (neben Legislative, Exekutive und Judikative) „Monetative“ genannt werden.
Für Österreich würden sich für den Staat daraus jährliche Einnahmen in der Höhe von etwa 4-5 Milliarden € ergeben, was ungefähr der Hälfte der derzeitigen jährlichen Zinszahlungen für Staatsanleihen entspricht.
Darüber hinaus müsste dieser 4. Gewalt im Staat auch die Entscheidung über eine maximale Verschuldung des Staates übertragen werden. Höhere Staatsausgaben würden damit nicht verhindert, sie wären dann aber nur mehr über höhere Steuern möglich.
6.3. Diskussion der Argumente
6.3.1. Finanzmärkte als Schiedsrichter
Zweifellos braucht der Staat einen Schiedsrichter. Der Preis, den die Finanzmärkte für diese Funktion verlangen, ist aber extrem hoch, mehr noch, er wird in Form der Zinssätze umso höher je weniger sich der Staat an die Vorgaben der Finanzmärkte hält. Diese Vorgangsweise ist mit einem Schiedsrichteramt genauso wenig vereinbar, wie wenn ein Richter die Geldstrafen, die er ausspricht, selbst kassieren dürfte. Darüber hinaus ist aber auch die Frage zu stellen, wenn die Finanzmärkte schon sehr teuer sind, ob sie denn ihre Aufgabe wenigstens inhaltlich gut erfüllen. Aber auch dabei sind z.B. im Hinblick auf die Fehlleistungen der Ratingagenturen erhebliche Zweifel berechtigt. Vielmehr ist anzunehmen, dass durch die vielfach vorliegenden Eigeninteressen eine objektive Schiedsrichterfunktion nicht erfüllt wird und auch gar nicht erfüllt werden kann.
Daher scheint die Übertragung dieser Aufgabe an eine möglichst unabhängige nur den staatlichen Prinzipien verpflichtete 4. Gewalt im Staat nicht nur die wesentlich billigere sondern wahrscheinlich auch die bessere Methode zu sein. Ansonsten wäre nämlich zu hinterfragen, warum nicht auch die drei derzeit bestehenden staatlichen Gewalten gleichsam privatisiert werden sollten.
6.3.2. Zinszahlungen kommen allen zu Gute
Es ist bedauerlicherweise nicht leicht, eine quantitative Statistik zu finden, in welchem Ausmaß Staatsanleihen von institutionellen Anlegern, Banken oder privaten Anlegern gehalten werden. Die Zinszahlungen an private Anleger und Banken kommen zweifellos nicht allen zu Gute, aber auch die Zinszahlungen an institutionelle Anleger kommen nur einem Teil der Bevölkerung zu Gute, weil auch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung höhere Forderungen gegenüber institutionellen Anlegern wie Pensionsfonds, Versicherungen usw. hat.
Im Gegensatz dazu kommen die Einsparungen der Zinsbelastungen des Staates im Fall der direkten Geldschöpfung und im Fall der produktiven Kreditschöpfung wirklich allen Steuerzahlern zu Gute.
6.3.3. Staatsanleihen als unverzichtbare Sparform
Ohne auf diese Problematik näher einzugehen, ist es richtig, dass Staatsanleihen ein geeignetes und möglicherweise notwendiges Instrument für die individuelle Zukunftsvorsorge darstellen. Durch die angeführten Instrumente einer staatlichen Geldschöpfung können und sollen Staatsanleihen nicht vollständig ersetzt werden. Die Staatsverschuldung und die damit verbundenen Zinszahlungen können damit aber auf ein für die Gesellschaft verträglicheres Maß verringert werden.
7. Zusammenfassung
Die Finanzwirtschaft koppelt sich immer mehr von der Realwirtschaft ab und fungiert in zunehmendem Maße gleichsam als gewaltige Umverteilungsmaschine, die immer mehr Geld großflächig absaugt, um es an Wenige zu verteilen. Anhand des Begriffes des „Umverteilungsgewinnes“ wird untersucht, wie dies möglich ist. Dabei wird ein Gewinn dann als Umverteilungsgewinn bezeichnet, wenn kein realer Mehrwert geschaffen wird und der Gewinn des einen gleich hoch ist wie der Verlust von anderen. Generell sind Umverteilungsgewinne als schädlich für die Gesellschaft zu betrachten. Sie sind wesentlich für die zunehmende Ungleichheit in unserer Gesellschaft und die Instabilität unseres Finanzsystems verantwortlich.
Die wesentlichen Mechanismen, die auf den Finanzmärkten zu Umverteilungsgewinnen führen, sind:
- Marktmanipulation
- asymmetrische Information
- Komplexität der „innovativen“ Finanzprodukte
- ein vergrößerter Graubereich zwischen legalen und illegalen Methoden
- unterschiedliche Machtverhältnisse zwischen Real- und Finanzwirtschaft
- Machtmissbrauch
Es ist daher eine vordringliche Aufgabe von Politik und Wissenschaft das Bewusstsein für diese Problematik zu fördern und Wege zu finden, diese Entwicklung durch effektive, durchsetzbare und überwachbare Regulierungen einzuschränken.
Die wesentlichen Mechanismen, die im Bankensektor zu Umverteilungsgewinnen führen oder diese verstärken, sind:
- Bilanzmanipulationen, die u.a. durch das fair-value Prinzip in den IFRS- Regeln erleichtert wird
- Steueroasen
- Eigengeschäfte der Banken
- Bankenrettung durch den Staat
Eine der wesentlichen Schlussfolgerungen besteht daher in der Forderung der strengen Trennung des Bankensystems in Geschäftsbanken, die keine Eigengeschäfte durchführen dürfen und Investmentbanken, denen dies erlaubt ist. Damit werden auch die dahinterliegenden Risiken getrennt und für den Anleger sichtbar gemacht.
Die Finanzierung des Staates über Verschuldung mittels Staatsanleihen ist bei Weitem die teuerste Form der Staatsfinanzierung. Auch führen Staatsanleihen über die Zinszahlungen zu einem laufenden Umverteilungsgewinn, zumindest in dem Ausmaß wie die realen Zinsraten über den realen Wachstumsraten liegen.
Durch direkte staatliche Geldschöpfung könnte die Staatsverschuldung deutlich und auf ein für die Gesellschaft verträgliches Maß reduziert werden. Die notwendige Schiedsrichterfunktion über die Staatsgebarung den Finanzmärkten zu übertragen, ist nicht nur die teuerste Form sondern auch ineffizient. Daher scheint die Übertragung dieser Aufgabe an eine möglichst unabhängige, nur den staatlichen Prinzipien verpflichtete und in der Unabhängigkeit gestärkte Notenbank als 4. Gewalt im Staat nicht nur die wesentlich billigere sondern wahrscheinlich auch die bessere Methode zu sein.
Die Rolle von Werthaltungen, Religion und Demokratie bei ökonomischen Verteilungskrisen (Momentum Kongress 2012)
Erhard Glötzl, Momentum12
Die Rolle von Werthaltungen, Religion und Demokratie bei ökonomischen Verteilungskrisen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
1. Grundsätzliches
Geht man berechtigterweise davon aus, dass es das Ziel einer Volkswirtschaft ist, einen dauerhaften materiellen Wohlstand für alle zu sichern, hat eine Volkswirtschaft zwei Probleme zu lösen: Das Produktionsproblem und das Verteilungsproblem. Weil eine effiziente Produktion und damit die Lösung des Produktionsproblems nur in einer arbeitsteiligen Wirtschaft möglich sind, fallen die Güter des materiellen Wohlstandes (Konsumgüter und Dienstleistungen) dabei nicht beim Endkonsumenten an. Wenn daher der Wohlstand für alle gesichert werden soll, muss auch das Verteilungsproblem gelöst werden.
Gelingt es einer Gesellschaft, das Produktionsproblem zu lösen, werden Ressourcen frei, die für die Sicherung der Lebensversorgung nicht unbedingt notwendig sind. Diese können – müssen aber nicht – zur Anhäufung materieller Überschüsse und für kulturelle Aktivitäten genutzt werden und damit zur Ausbildung von Hochkulturen führen. Wenn es einer Hochkultur nicht gelingt, das Verteilungsproblem zu lösen, d.h. die Überschüsse auf alle zu verteilen und damit Wohlstand für alle zu schaffen, zerfällt die Gesellschaft in Arm und Reich. Auf Dauer kann eine solche Ungleichheit aber nur durch gesellschaftliche Machtinstrumente wie entsprechende politische Systeme und Religionen aufrechterhalten werden. Gelingt dies nicht, bricht die Gesellschaft in einer Verteilungskrise auf Grund der gesellschaftlichen Spannungen zusammen. In dieser Arbeit soll insbesondere die Rolle von Werthaltungen, Religion und Demokratie für den Ablauf dieser Prozesse untersucht werden.
Leider befasst sich die heutige Mainstream-Ökonomie fast ausschließlich mit Fragen zur Lösung des Produktionsproblems. Verteilungsfragen spielen nur eine untergeordnete Rolle und vor allem wird nicht erkannt, welcher grundlegenden Bedeutung die Lösung des Verteilungsproblems für die Stabilität von Gesellschaft und Wirtschaft zukommt.
2. Verteilungskrisen
Krisen durch einseitige Kapitalakkumulation sind nicht erst Erscheinungen der Gegenwart. Denn schon seitdem die Menschheit sesshaft geworden ist, waren die Voraussetzungen für Arbeitsteilung und Kapitalakkumulation in größerem Umfang gegeben. Und es ist eine tief verwurzelte Menschheitserfahrung, dass mit einer unkontrollierten Kapitalakkumulation die Gefahr für gesellschaftliche Krisenerscheinungen und Zusammenbrüche wächst. Es ist daher kein Wunder, dass alle Gesellschaften und großen Religionen immer wieder versucht haben, durch Normen entweder die Entstehung solcher Krisenerscheinungen zu verhindern, indem versucht wurde, Kapitalakkumulation zu verhindern oder versucht haben, einen gesellschaftlichen Zusammenbruch zu verhindern, indem die gesellschaftliche Ungleichheit religiös gerechtfertigt und damit legalisiert und stabilisiert wurde.
3. Voraussetzungen für einseitige Kapitalakkumulation
Eine einseitige Kapitalakkumulation ist nur dann möglich, wenn einerseits Kapitaleinkommen möglich sind und diese schneller wachsen als die Wirtschaft[1] und andererseits, wenn die gesellschaftlichen Machtverhältnisse eine Kapitalkonzentration ermöglichen.
Kapitaleinkommen als Produkt aus Kapitalvermögen und Zinsrate bzw. Gewinnrate sind nur dann möglich, wenn sowohl die Kapitalvermögen als auch die Zinsrate bzw. Gewinnrate größer als Null sind. Zu einer Kapitalkonzentration kann es in einer Wirtschaft insbesondere dann kommen, wenn sie auf Wettbewerb basiert (Marktwirtschaft) oder wenn die gesellschaftlichen Machtverhältnisse eine direkte Umverteilung (durch „Raub“ oder „Umverteilungsgewinne“[2]) zulassen. Demgemäß lassen sich auch die historischen Lösungsansätze einteilen.
4. Maßnahmen zur Vermeidung von Kapitaleinkommen
a. Zinsverbot (durch Judentum, Christentum, Islam):
Alle großen monotheistischen Weltreligionen, sowohl Judentum als auch Christentum und Islam haben versucht, Kapitaleinkommen durch ein Zinsverbot zu verhindern. In der Praxis war das Zinsverbot aber nie durchsetzbar, weil in einer arbeitsteiligen Wirtschaft Kredite systemnotwendig sind und diese ohne Zinsen nur mit rigorosen sozialen Normen durchsetzbar wären.
b. Kapitalverbot (Kommunismus):
Der Kommunismus hat versucht, Kapitaleinkommen durch Verbot von Kapitalbesitz zu verhindern. Dass ein solches System wegen der fehlenden Anreize durch Kapitaleinkommen nicht dauerhaft lebensfähig ist, hat uns die Geschichte gelehrt.
c. Kapitalregulierung (Zunftwesen):
Durch äußerst rigorose Normen zur Einschränkung von Kapitalvermögen und Kapitaleinkommen hat das Zunftwesen im Mittelalter die kleinteilige Struktur des Handwerks erhalten, mit dem Nachteil, dass eine dynamische Entwicklung weitgehend verhindert wurde. Ähnliche Normen findet man auch heute noch in den handwerklich organisierten Gesellschaften.
Grundsätzlich sind Kapitaleinkommen zur Belohnung von Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Risikobereitschaft für eine Wirtschaft notwendig und wünschenswert, allerdings nur solange sie nicht rascher wachsen als die Wirtschaft selbst. Die obengenannten historischen Lösungsansätze verhindern zwar die Kapitalakkumulation durch Verhinderung oder radikale Beschränkung der Kapitaleinkommen, gleichzeitig verhindern sie aber damit auch Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Risikobereitschaft.
Der heutige neoliberale Lösungsansatz beruht daher nicht auf der Vermeidung von Kapitaleinkommen sondern auf dem Versuch, ein durch das exponentielle Wachstum der Kapitaleinkommen hervorgerufenes Sinken der Arbeitseinkommen durch exponentielles Wirtschaftswachstum zu verhindern. Durch Deregulierung wird zwar theoretisch ein Wirtschaftswachstum begünstigt, es zeigt sich aber in der Realität, dass trotz neoliberaler Wachstumspolitik ein exponentielles reales Wirtschaftswachstum nirgends dauerhaft erreicht werden kann. Ganz im Gegensatz dazu wächst die Wirtschaft praktisch überall im Durchschnitt nur linear. Darüber hinaus wäre ein dauerhaftes exponentielles Wachstum grundsätzlich unmöglich, weil es irgendwann in die ökologische Krise führen muss.
Die einzig mögliche und zielführende Maßnahme zur Beschränkung der Kapitalakkumulation ohne dass Eigeninitiative, Leistungsbereitschaft und Risikobereitschaft zu sehr eingeschränkt werden, ist die Beschränkung der Kapitaleinkommen durch Kapitalsteuern (Kapitalvermögens-, Kapitaleinkommens-, Kapitaltransaktionssteuern) in der Höhe, dass sie insgesamt nicht schneller wachsen als die Realwirtschaft. Darüber hinaus muss die Möglichkeit zur Erzielung von Umverteilungsgewinnen, wie sie z.B. heute in der Finanzwirtschaft besteht, durch rigorose Regulierungen und eine andere als der heutigen Form der Staatsfinanzierung unterbunden werden[3].
5. Maßnahmen zur Vermeidung von Kapitalkonzentration:
a. Demokratie
Die Durchsetzung der Demokratie kann vor allem auch als allgemeine politische Maßnahme zur Beschränkung der Machtverhältnisse von Einzelnen betrachtet werden. Einerseits ist es in einer Demokratie möglich Prozesse zu verhindern, die zu Macht- und Kapitalakkumulation führen und andererseits ist damit eine ausgleichende staatliche Umverteilung möglich. Letztlich ist Demokratie daher ein wesentliches Instrument zur Durchsetzung eines Wohlfahrtsstaates für alle und damit für die Lösung des Verteilungsproblems von fundamentaler Bedeutung.
b. Planwirtschaft
Das positive am Wettbewerb besteht darin, dass Wettbewerb ein Mechanismus zur Effizienzsteigerung sein kann. Das Wesen von Wettbewerb besteht aber auch gerade darin, dass sich der Stärkere durchsetzt und damit noch stärker wird und dass Wettbewerb damit auch ein Mechanismus ist, der zu Kapitalakkumulation führt. Durch eine Planwirtschaft wird Wettbewerb und damit eine Kapitalakkumulation verhindert.
In altertümlichen Stadtstaaten oder ähnlichen gesellschaftlichen Organisationsformen wurde der Einsatz der Arbeitskräfte auf den Feldern zentral organisiert, das Getreide wurde zentral gespeichert und der Lohn in Naturalien bezahlt. Im Prinzip waren sie ähnlich organisiert wie heutige Betriebe, die nach innen gerichtet ebenfalls eine Planwirtschaft betreiben, mit dem einzigen Unterschied, dass in heutigen Betrieben der Lohn in Geld ausbezahlt wird. Ähnliche Organisationsformen findet man heute auch im Kibbuzwesen.
In kleineren überschaubaren Organisationseinheiten funktioniert Planwirtschaft grundsätzlich, wenngleich ihr im Vergleich mit einer Marktwirtschaft der Antrieb durch Eigeninteressen aller Teilnehmer und damit die einer Marktwirtschaft innewohnende Dynamik fehlt. In großen Organisationseinheiten versagt die Planwirtschaft aufgrund der exponentiell steigenden Komplexität vollständig, wie wir aus der kommunistischen Planwirtschaft der jüngsten Vergangenheit gelernt haben.
6. Die 2 wesentlichen gesellschaftlichen Werthaltungen
Für den Ablauf von Verteilungskrisen bzw. deren Bewältigung spielen die 2 wesentlichen gesellschaftlichen Werthaltungen eine wichtige Rolle:
Die sozialdarwinistische Grundhaltung ist dadurch charakterisiert, dass der Sieg des Stärkeren über den Schwächeren als natürlich und gut betrachtet wird. Und weil dies dem Grundmechanismus der Evolution entspricht, wird Wettbewerb im Wesentlichen als einziger Effizienzmechanismus akzeptiert. Krisen sind daher aus dieser Sicht notwendig und gut, auch dann wenn sie zu menschlichem Leid führen. Menschlichem Leid kommt dabei nur die Rolle eines zu akzeptierenden „Kollateralschadens“ zu. Zum Ausdruck kommt diese Grundhaltung in Äußerungen wie: „Ohne Krise kein Fortschritt“, „der Krieg ist der Vater aller Dinge“ und „schöpferische Zerstörung“. Letztlich werden damit sogar Wirtschaftskriege gerechtfertigt.
Die humanistische Grundhaltung ist dagegen durch die Einsicht charakterisiert, dass Kooperation und solidarisches Handeln reinem Wettbewerb oft überlegen ist. Kooperation ist zwar durch reine Evolutionsmechanismen nur schwer erreichbar (Gefangenendilemma!), aber der Mensch zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass er einen Verstand hat, mit dessen Hilfe Kooperation sehr wohl durchsetzbar ist und menschliches Leid daher auch vermieden werden kann.
7. grundsätzliche Szenarien und historische Beispiele zum Ablauf von Verteilungskrisen
Wenn durch Kapitalakkumulation im Laufe der Zeit die Ungleichheit immer stärker zunimmt, kommt es in Form einer Verteilungskrise gleichsam zum „Endspiel“ zwischen Gläubigern/Eigentümern auf der einen Seite und Schuldnern/Nichteigentümern auf der anderen Seite. Dabei sind 4 grundsätzliche Szenarien theoretisch möglich, wobei es für alle historische Beispiele gibt.
a. Gläubiger/Eigentümer gewinnen
Wenn die Gläubiger/Eigentümer gewinnen führte dies individuell gesehen in die Schuldknechtschaft, die Versklavung oder die Reduktion auf ein Existenzminimum oder gesamtgesellschaftlich gesehen beispielsweise zum indischen Kastenwesen oder zu einer Feudalherrschaft. In jedem Fall aber wurden diese Herrschaftsansprüche durch entsprechende Religionen gestützt oder legitimiert. Beim indischen Kastenwesen war es der Hinduismus, bei der europäischen Feudalherrschaft war es das Christentum. Die heutigen Herrschaftsansprüche werden dementsprechend durch die „Religion des Marktes“ gestützt, die auf einer sozialdarwinistischen Werthaltung beruht.
b. Schuldner/Nichteigentümer gewinnen.
Wenn sich Schuldner/Nichteigentümer durchgesetzt haben, war dies historisch gesehen meist mit blutigen Krisen verbunden (z.B. röm. Proskription 43 v. Chr., französische Revolution, kommunistische Revolution)
c. Zerstörung der Realwirtschaft
Historisch am häufigsten kam es allerdings im Rahmen dieses „Endspiels“ zur Zerstörung der Realwirtschaft durch Krieg oder Bürgerkrieg, was für beide Seiten die schlechteste Lösung darstellt. Wie im Gefangenendilemma führt dabei die subjektiv beste Entscheidung für die Einzelnen in Summe zur objektiv schlechtesten Lösung für alle.
d. geordneter teilweiser Verzicht auf Guthaben und Eigentum
Die erste Voraussetzung, um ein Gefangenendilemma überwinden zu können, besteht in der Erkenntnis, dass man sich in einem solchen Dilemma befindet. Zu dieser notwendigen Erkenntnis kann man allerdings nur dann gelangen, wenn der Verstand vor die Emotionen gestellt wird. Wenn diese Erkenntnis dann auf beiden Seiten Platz gegriffen hat, ist es notwendig, dass zwischen den Beteiligten ein Kooperationsvertrag abgeschlossen wird, mit dem die Konfrontationsstrategien überwunden werden können. Dieser Prozess wird durch eine auf Kooperation hin orientierte humanistische Werthaltung erleichtert, mit einer sozialdarwinistischen Werthaltung dagegen ist er fast unmöglich.
In der Auseinandersetzung zwischen Gläubigern/Eigentümern einerseits und Schuldnern/Nichteigentümern andererseits kann dieser Kooperationsvertrag nur in einem geordneten teilweisen Verzicht auf Guthaben und Eigentum bestehen, der einmalig sein kann oder sich über einen längeren Zeitraum erstrecken kann. Der Verzicht auf Guthaben kann ausschließlich durch Entwertung der Guthaben (Währungsreform, Inflation) oder einem nominellen Schulden/Guthabenabbau bestehen. Ein einmaliger nomineller Schulden/Guthabenabbau wird Schuldenschnitt oder „Haircut“ genannt. Kapitalsteuern stellen in diesem Sinne nichts anderes dar als eine Maßnahme zum vorsorglichen kontinuierlichen Schulden/Guthabenabbau, um einen diskontinuierlichen meist krisenbehafteten Schuldenschnitt zu vermeiden.
Für alle diese Prozesse gibt es auch entsprechende historische Beispiele:
Solon der Weise hat 600 v.Chr. in Athen in einem einmaligen Schritt die Entlassung der Sklaven in die Freiheit, eine Landreform und einen Schuldenschnitt in friedlicher Form durchgesetzt. Das jüdische Jubeljahr und der allgemeine Schuldennachlass beim Antritt eines neuen Herrschers in Mesopotamien sind Beispiele, dass solche Prozesse auch regelmäßig umgesetzt und durch religiöse oder gesellschaftliche Normen unterstützt wurden. Auch alle Landreformen vom antiken Rom bis zu den heutigen Entwicklungsländern und alle Schuldenerlässe der jüngeren Vergangenheit zählen dazu.
8. Die heutigen Verteilungskrisen
Heute muss man zwischen den folgenden 3 Verteilungskrisen unterscheiden:
- der allgemeinen Verteilungskrise (individuelle Schulden/Guthaben, Armut, Reichtum)
- der europäischen Verteilungskrise (nationale Schulden/Guthaben innerhalb einer Währungsunion)
- der globalen Verteilungskrise (internationale Schulden/Guthaben zwischen Ländern mit verschiedenen Währungen)
Für alle 3 gilt im Wesentlichen dasselbe:
Die sozialdarwinistische Werthaltung dient den Interessen der Herrschenden. Sie setzt sich in unserer Gesellschaft immer mehr durch, weil durch diese Werthaltung die Starken gestärkt und die Schwachen geschwächt werden. Eine Folge davon ist die zunehmende Entsolidarisierung in unserer Gesellschaft.
Der Glaube an den Markt als vorherrschendes ökonomisches Modell hat alle Kennzeichen einer Religion angenommen. Der Markt übernimmt die Stellung der Götter, denn seine Entscheidungen werden als unumstößlich betrachtet und letztlich kann der Markt auch nur durch Opfer besänftigt werden, wie es am Beispiel von Griechenland vorgezeigt wird. Seine Dogmen sind so unumstößlich wie die Dogmen einer Religion. Letztlich dient diese „Marktreligion“ der Legitimierung der sozialdarwinistischen Grundhaltung und damit der Durchsetzung der Interessen der Herrschenden.
Für die Durchsetzung der Interessen der Herrschenden ist die Demokratie aber hinderlich. Daher ist es kein Wunder, dass in unserer Gesellschaft die Entdemokratisierung voranschreitet. Ein gutes Beispiel dafür sind die undemokratischen Bestimmungen des ESM, mit denen die Interessen der Gläubiger auf Kosten aller Steuerzahler geschützt werden.
9. Zukunftsszenarien nach B. Lietaer[4] (modifiziert)
Der zukünftige Ablauf dieser Krisen entscheidet sich einerseits daran, ob eine von Kooperation und Solidarität geprägte humanistische Werthaltung wieder die Oberhand gewinnt oder weiterhin eine von Wettbewerb und Recht des Stärkeren geprägte sozialdarwinistische Werthaltung unsere Gesellschaft dominiert. Andererseits wird der Ablauf wesentlich davon geprägt, ob es in der Krise gelingt die realwirtschaftliche und finanzwirtschaftliche Infrastruktur aufrechtzuerhalten oder nicht. In diesem Sinne lassen sich die 4 folgenden Szenarien verstehen:
a. nachhaltiger Wohlstand: Wenn es gelingt die real- und finanzwirtschaftliche Infrastruktur aufrecht zu erhalten und zu erreichen, dass sie im Sinne einer humanistischen Werthaltung allen dient, ist auch in Zukunft ein nachhaltiger Wohlstand möglich
b. das Jahrtausend der Konzerne: Ein Analogon zum indischen Kastenwesen und der Feudalherrschaft, wobei es vermutlich Bank- oder/und Medienkonzerne sein werden, mittels derer die Herrschaft ausgeübt wird
c. die Hölle auf Erden: Ein Bürgerkrieg oder ein 3.Weltkrieg, in dem sich gleichsam die Ereignisse der Völkerwanderung, des finsteren Mittelalters und der Religionskriege wiederholen
d. der Rückfall in Schutzgemeinschaften: Eine Wirtschaftsform, wie sie für mittelalterliche oder afrikanische Subsistenzwirtschaften charakteristisch war
10. Zusammenfassung
Politische Systeme sind Instrumente, die darüber entscheiden, wessen Interessen am ehesten durchgesetzt werden können. Die Demokratie ist am ehesten dazu geeignet, diejenigen Interessen durchzusetzen, die im Sinne der gesamten Bevölkerung sind und sie ist am ehesten dazu geeignet, für einen gerechten Ausgleich der Interessen zu sorgen.
Die durch Wettbewerb und das Recht des Stärkeren geprägte sozialdarwinistische Werthaltung unterstützt einseitig die Interessen der Herrschenden und erschwert damit Lösungen, die für die Bevölkerung insgesamt am besten wären. Im Gegensatz dazu erleichtert eine durch Kooperation und Solidarität geprägte humanistische Werthaltung es, Wege aus dem Gefangenendilemma der Individualinteressen zu finden und damit Wohlstand für alle zu schaffen.
Religionen sind Instrumente, um Werthaltungen und Machtverhältnisse zu legitimieren und durchzusetzen. Die heute vorherrschende „Religion des Marktes“ dient dazu, eine sozialdarwinistische Werthaltung durchzusetzen und bestehende Machtverhältnisse zu stabilisieren.
Um in Zukunft nachhaltigen Wohlstand für alle zu ermöglichen ist daher Folgendes unverzichtbar: Demokratie, humanistische Grundhaltung, Abkehr von der „Religion des Marktes“, geordneter Gläubigerverzicht und laufende Kapitalbesteuerung. Dies durchzusetzen ist die größte politische Herausforderung für das 21. Jahrhundert, historisch vergleichbar mit der Durchsetzung der Demokratie und des Sozialstaates. Es ist für alle und letztlich auch für die Besitzer von Kapitalvermögen von größerem Vorteil, wenn Geld und Kapital reguliert und besteuert wird, als dass es in einer gesellschaftlichen Katastrophe vernichtet wird.
Denn wer aus der Geschichte nicht lernt, muss sie wiederholen.
[1] für eine theoretische Begründung, warum dies im gegenwärtigen Wirtschaftssystem systemnotwendigerweise so ist und empirische Hinweise dafür siehe: E. Glötzl, Über die langfristige Entwicklung von Schulden und Einkommen
[2] siehe: E. Glötzl, Momentum11, Acker-Mann oder Ackermann
[3] siehe: E. Glötzl, Momentum11, Acker-Mann oder Ackermann
[4] B. Lietaer, Das Geld der Zukunft
Problematik der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken (Momentum Kongress 2013 und https://vollgeld.page/geldtheorie)
1 Monetative, 2013 12 05 Version 6.2. Fragen zur Problematik der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken – Banken haben einen ungerechtfertigten Vorteil im Wettbewerb mit Nichtbanken Erhard Glötzl Inhaltsverzeichnis A. Überblick Seite 1 B. Grundlagen Seite 4 C. Der monetäre Vorteil der Banken und seine Folgen Seite 7 D. Problemlösungen Seite 17 E. Die langjährige Kontroverse um die Giralgeldschöpfung Seite 21 2 A. Überblick 1. Zusammenfassung Banken haben durch das Giralgeldschöpfungsmonopol einen erheblichen Finanzierungskostenvorteil gegenüber Nichtbanken. Am Kreditgeschäftmarkt sind im Wesentlichen nur Banken tätig. Sind Banken nur im Kreditgeschäft tätig, stehen sie daher in erster Linie nur untereinander im Wettbewerb. Daher müssen sie aus Wettbewerbsgründen diesen Finanzierungskostenvorteil z.B. über niedrigere Kreditzinsen an die Kunden vollständig weitergeben. Betreiben Banken allerdings ein Eigengeschäft (Ankauf von Wertpapieren und Sachvermögen) stehen sie auf diesen Märkten vor allem in Wettbewerb zu Nichtbanken. Daher müssen sie den „ungerechtfertigten“ Finanzierungsvorteil aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol nur teilweise weitergeben. Dies führt zu einer Wettbewerbsverzerrung, die nach EU-Recht verboten ist. 2. Kernaussagen 2.1. Banken haben durch das Giralgeldschöpfungsmonopol einen ungerechtfertigten monetären Vorteil gegenüber Nichtbanken. 2.2. Dieser monetäre Vorteil liegt in Österreich größenordnungsmäßig in der Höhe von ca. 4 Mrd. Euro pro Jahr, in Deutschland bei ca. 40 Mrd. pro Jahr 2.3. Jeder monetäre Vorteil (z.B. Subvention, Einkaufskostenvorteil, Produktionskostenvorteil durch Steigerung der Produktionseffizienz usw.) eines Unternehmens wird in Abhängigkeit der Wettbewerbsverhältnisse weitergegeben: bei vollständigem Wettbewerb muss jeder Vorteil vollständig weitergegeben werden. Bei schwachem Wettbewerb muss der Vorteil nur teilweise weitergegeben werden, was zu einer Gewinnerhöhung führt. 2.4. Die Verteilung des monetären Vorteils der Banken aus der Giralgeldschöpfung führt zu vielen unerwünschten und wenigen erwünschten volkswirtschaftlichen Folgen: 2.4.1.Gewinnerhöhung der Banken: unerwünscht 2.4.2.Erniedrigung der Kreditzinsen für Spekulationsgeschäfte: unerwünscht 2.4.3.Erniedrigung der Kreditzinsen für realwirtschaftliche produktive Investitionen: erwünscht. 2.4.4.Erhöhung der Sparzinsen: erwünscht/unerwünscht je nach Situation 2.5. Wenn Banken Eigengeschäft betreiben, d.h. wenn sie nicht nur Kredite vergeben, sondern auch Sachvermögen und Wertpapiere kaufen, führt das Giralgeldschöpfungsmonopol der Banken zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen diesen Banken und den Nichtbanken. Dies ist ein Verstoß gegen die Wettbewerbsgesetze der EU. 2.6. Je höher der Eigengeschäftanteil ist, desto höher sind die Gewinne der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol. Dies ist möglicherweise der Grund, warum das Eigengeschäft der Banken in den letzten Jahren im Bankensektor insgesamt ausgeweitet wurde. 2.7. Durch die Verbriefung von Krediten wird Kerngeschäft in Eigengeschäft umgewandelt. Im Sinne von 2.6. wird daher dadurch der Gewinn erhöht. 2.8. Über die Probleme im Zusammenhang mit dem monetären Vorteil hinaus hat die Möglichkeit der Banken zur Giralgeldschöpfung noch folgende weitere volkswirtschaftlichen Nachteile: 2.8.1.Banken verhalten sich bei der Kreditvergabe prozyklisch. Dies ist gerade wegen der autonomen Giralgeldschöpfung bei der Kreditvergabe möglich. Dadurch werden Konjunkturschwankungen und Finanzkrisen verstärkt. 3 2.8.2.Im Konkursfall von Banken kommt es zu Störungen des Zahlungsmittelverkehrs, weil im Konkursfall das Giralgeld als Forderung an die Bank seine Werthaltigkeit verliert. 2.9. Mögliche Maßnahmen zur Beseitigung von Problemen durch die Giralgeldschöpfungsmöglichkeit der Banken sind: 2.10. Historisch betrachtet ist das Vollgeldsystem die logische Weiterentwicklung des heutigen fraktionalen Reservesystems. Durch eine Vollgeldreform wird das heutige Giralgeld (Forderung an eine private Bank) durch Vollgeld (Forderung an Zentralbank) ersetzt. Dieser Schritt ist äquivalent zur Geldreform Mitte des 19. Jahrhunderts: Damals wurden privaten Banknoten (Forderungen an private Banken) verboten und nur mehr staatliche Banknoten (Forderungen an die Zentralbank) zugelassen. 2.11. Das derzeitige Wirtschaftssystem hat über die Probleme der Giraldgeldschöpfung hinausgehend noch wesentliche andere Probleme, die durch die oben angeführten Maßnahmen nicht behoben werden können: 2.11.1. Das dem kapitalistischen System - auf Grund der positiven Rückkopplungen der Kapitaleinkommen - systemimmanente Verteilungsproblem, kann nur durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik oder permanente Umverteilung von Kapitaleinkommen zu Arbeitseinkommen gelöst werden. 2.11.2. Die ökonomisch-politisch-institutionellen Machtverhältnisse auf den Finanzmärkten, im Bankensystem und bei der Staatsfinanzierung führen zu einer laufenden Zunahme der Ungleichverteilung. Dies kann nur durch Regulierung der Machtverhältnisse und permanente Umverteilung vermieden werden. 2.12. Der Vorteil der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol wird seit vielen Jahren sehr kontrovers geführt. Überspitzt lauten die beiden Extrempositionen: 1. Banken haben überhaupt keinen Vorteil und 2. Banken bereichern sich enorm durch die Produktion von ungedecktem „Falschgeld“. Wesentliches Anliegen dieser Arbeit ist es auch, diese Streitfrage sachlich zu klären und anzugeben, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form Banken einen Vorteil aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol haben können und wann nicht. Monetärer Vorteil an: Vermeidung von Wettbewerbsverzerrung Vermeidung von Konjunkturschwankungen Vermeidung von Störungen des Zahlungsmittelverkehrs Vermeidung von Bankrun Derzeitiges fraktionales Reservesystem Banken Kreditgeber Kreditnehmer nein nein nein nein Vollgeld Staat ja ja ja teilweise 100%-Geld Staat ja ja ja je nach spezifischer Ausgestaltung Trennbankensystem Realwirtschaft ja teilweise teilweise teilweise Bankensteuer Staat ja nein nein nein 4 B. Grundlagen 3. Weitergabe eines monetären Vorteils, Wettbewerbsverzerrung durch monetären Vorteil 3.1. Unter dem monetären Vorteil einer Maßnahme versteht man die Änderung der Differenz von Einnahmen und Ausgaben, die unmittelbar durch die Maßnahme verursacht werden. Der monetäre Vorteil einer Maßnahme muss je nach Wettbewerbsverhältnissen in der Regel teilweise weitergegeben werden. Der daraus resultierende Gewinn ist daher in der Regel (wesentlich) geringer als der ursprüngliche monetäre Vorteil. 3.2. ungerechtfertigter und gerechtfertigter monetärer Vorteil: Ein monetärer Vorteil durch eine Subvention oder durch Monopole oder Kartellabsprachen stellt einen „ungerechtfertigten“ monetären Vorteil dar. Niedrigere Herstellungskosten oder niedrigere Einkaufspreise stellen dagegen sinngemäß einen „gerechtfertigten“ monetären Vorteil dar (monetärer Vorteil auf Grund von eigenen Leistungen oder nicht eingeschränkten Marktverhältnissen). 3.3. Weitergabe eines monetären Vorteils: Haben alle Teilnehmer eines Marktes den gleichen monetären Vorteil, müssen sie ihn bei vollständigem Wettbewerb vollständig weitergeben. Hat nur ein Teil der Marktteilnehmer einen monetären Vorteil, muss er diesen Vorteil nur teilweise weitergeben, was gleichbedeutend ist mit der Erhöhung des Gewinns. 3.4. Wettbewerbsverzerrung durch einen ungerechtfertigten monetären Vorteil: Bekommt nur ein kleiner Teil aller Teilnehmer eines Marktes einen ungerechtfertigten monetären Vorteil (z.B. durch staatl. Subvention, Kartell usw.), so kommt es zu einer Wettbewerbsverzerrung, weil die anderen Teilnehmer „ungerechter“ Weise (entgegen den Markgesetzen) diesen Vorteil nicht bekommen. Bekommen dagegen alle Teilnehmer eines Marktes denselben monetären Vorteil, müssen sie ihn bei vollständigem Wettbewerb vollständig weitergeben. D.h. dass es in diesem Fall zu keiner Wettbewerbsverzerrung kommt, unabhängig davon, ob der Wettbewerbsvorteil gerechtfertigt oder ungerechtfertigt ist. 3.5. Resumee: 3.5.1.Zu einer (teilweisen) Erhöhung des Gewinns kommt es, wenn der monetäre Vorteil nicht allen Marktteilnehmern gleichmäßig zu kommt. 3.5.2.Zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt es, wenn ein ungerechtfertigter monetärer Vorteil nicht allen Marktteilnehmern gleichmäßig zukommt. 3.6. Beispiel 1: niedrigere Herstellungskosten (Einkaufspreise), „gerechtfertigter“ monetärer Vorteil 3.6.1.Fall 1: Angenommen für alle Apfelhändler wären die Herstellungskosten (oder der Einkaufspreis) für 1 kg Äpfel 1 EUR und der Verkaufspreis 1,20 EUR. Wenn die Kosten für alle Händler um 0,20 EUR fallen und die Apfelhändler in vollständigem Wettbewerb zueinander stehen, müssen sie diesen monetären Vorteil weitergeben, indem sie den Verkaufspreis um 0,20 EUR auf 1 EUR senken. 3.6.2.Fall 2: Würde nur 1 spezieller Apfelhändler diese niedrigeren Herstellungskosten (Einkaufspreise) bekommen, müsste er seinen Verkaufspreis nicht senken. Dieser Apfelhändler hätte einen monetären Vorteil. Der gesamte monetäre Vorteil würde zu einer entsprechenden Erhöhung seines Gewinns führen. 5 3.6.3.Fall 3: Würde nur eine kleine Gruppe von Apfelhändlern niedrigere Herstellungskosten (Einkaufspreise) haben, hätte diese Gruppe einen monetären Vorteil. Diese Gruppe müsste allerdings den monetären Vorteil nur teilweise weitergeben, weil der Verkaufspreis am Markt nicht durch die kleine Gruppe sondern durch die große Gruppe der anderen Apfelhändler bestimmt würde. 3.6.4.Resumee: In keinem der 3 Fälle kommt es zu einer Wettbewerbsverzerrung, weil niedrigere Herstellungskosten oder niedrigere Einkaufspreise in einem freien Markt „marktkonform“ sind. In den Fällen 2 und 3 kommt zu einer „gerechtfertigten“ Erhöhung des Gewinns, weil der monetäre Vorteil nicht (zur Gänze) weitergegeben werden muss. 3.7. Beispiel 2: Subvention, „ungerechtfertigter“ monetärer Vorteil 3.7.1. Fall 1: jeder Teilnehmer bekommt dieselbe Subvention. Die Subvention muss bei vollständigem Wettbewerb vollständig weitergegeben werden. Daher kommt es zu keiner Wettbewerbsverzerrung 3.7.2. Fall 2: Nur ein Teilnehmer bekommt eine Subvention. Wenn nur ein Einzelner einen Vorteil bekommt, muss er ihn auch unter Wettbewerbsbedingungen nicht weitergeben. Daher führt eine solche Subvention zu einer Wettbewerbsverzerrung, weil sie als „ungerechtfertigter“ monetärer Vorteil nicht marktkonform ist. 3.7.3. Fall 3: Nur ein Teil der Teilnehmer bekommt eine Subvention. Diese führt zu einer teilweisen Wettbewerbsverzerrung. 3.7.4. Resumee: Jede staatliche Subvention stellt einen monetären Vorteil dar. Werden Subventionen daher nicht an alle Teilnehmer auf einem Markt gleichmäßig erteilt, führt dies zu Wettbewerbsverzerrungen, die den EU-Gesetzen widersprechen. In den Fällen 2 und 3 entstehen dabei „ungerechtfertigte“ Gewinne, weil der monetäre Vorteil nicht (zur Gänze) weitergegeben werden muss. Grafik 1 Gewinn Gewinn Gewinn Vorteil Vorteil 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 6 Vorteil Kunden Kunden Kunden Marktanteil derjenigen mit monetärem Vorteil 100% 50% 10% Weitergabe des Vorteils in Abhängigkeit des Marktanteils Wettbewerbsverzerrung nur bei ungerechtfertigtem Vorteil für Teil der Marktteilnehmer 6 4. Verbot von Wettbewerbsverzerrungen in der EU 4.1. Es gibt zwei grundsätzliche Möglichkeiten, wie ein „ungerechtfertigter“ monetärer Vorteil zustande kommen kann: 4.1.1.Durch staatliche Handlungen oder Gesetze. In diesem Fall ist der monetäre Vorteil einer staatlichen Subvention gleichzusetzen. 4.1.2.Durch Verträge zwischen Marktteilnehmern. 4.2. Die Grundidee des EU-Wettbewerbsrechtes besteht darin, dass staatliche Subventionen und Verträge zwischen Unternehmen nur dann zulässig sind, wenn sie zu keiner Wettbewerbsverzerrung führen. Ausnahmen dazu werden explizit angeführt. 4.3. Konkret besagen die Lissabon-Verträge für staatliche Subventionen im Art.107 AEUV (Volltext siehe Anhang 1): (1) Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar… Die in den Absätzen (2) und (3) angeführten Ausnahmen können nicht für das Bankensystem gelten. 4.4. Konkret besagen die Lissabon-Verträge für Verträge zwischen Unternehmen im Art.101 AEUV (Volltext siehe Anhang 2): (1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche … eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere… Die Ausnahmebestimmungen von Absatz (3) können nicht auf die Verträge zwischen den Banken untereinander und deren Verträge mit den Notenbanken angewendet werden, die den Giralgeldverkehr und damit die Verwendung von Giralgeld als Zahlungsmittel regeln. 7 C. Der monetäre Vorteil der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol und seine Folgen 5. Wie wird Giralgeld von den Geschäftsbanken geschöpft? Wie wird Giralgeld vernichtet? 5.1. Präzise formuliert verstehen wir unter Giralgeld nur das im Umlauf befindliche Giralgeld, d.h. also die Summe der täglich fälligen Forderungen von Nichtbanken an Geschäftsbanken. Genau entspricht dies der Geldmenge M1 minus dem Bargeldumlauf (Bargeld in der Hand der Nichtbanken) 5.2. Giralgeld entsteht durch 5.2.1. Kreditvergabe (=Ankauf von Kreditforderungen) an Nichtbanken (siehe Grafik 2) 5.2.2. Ankauf von sonstigen Aktiva von Nichtbanken (siehe Grafik 3) 5.2.3. Ankauf von Leistungen von Nichtbanken, Wenn die Geschäftsbank den Ankauf nicht mit Bargeld sondern mit einer „aus dem Nichts“ geschaffenen (täglich fälligen) Forderung an die Geschäftsbank (=Giralgeld) bezahlt, die sie dem Verkäufer einräumt. Gleichzeitig entsteht bei der Geschäftsbank dadurch eine (täglich fällige) Verbindlichkeit an den Verkäufer. Insgesamt führt dies bei der Geschäftsbank zu einer entsprechenden Bilanzverlängerung. 5.3. Die Formulierung „Giralgeld wird aus dem Nichts geschaffen“ führt oft zu großen Missverständnissen: 5.3.1.„entsteht aus dem Nichts“ heißt: Bei der Kreditvergabe oder dem Kauf von Sachvermögen durch die Bank mit Giralgeld entsteht die Forderung (der Nichtbank) und die Verbindlichkeit (der Bank) durch Bilanzverlängerung gleichzeitig, ohne dass diese vorher vorhanden gewesen wären. 5.3.2.„entsteht aus dem Nichts“ soll den Unterschied zwischen Bargeld und Giralgeld verdeutlichen: Bei der Kreditvergabe oder dem Kauf von Sachvermögen durch die Bank mit Bargeld wechselt Bargeld nur den Besitzer, ohne dass dabei ein neues Zahlungsmittel geschaffen wird. Dabei kommt es zu keiner Bilanzverlängerung. 5.3.3.„entsteht aus dem Nichts“ bedeutet jedenfalls nicht, dass Banken nur Aktiva ohne entsprechende Passiva in der Höhe der geschöpften Giralgeldmenge lukrieren. Es heißt daher nicht, dass sie einen Gewinn in der Höhe der Giralgeldschöpfung lukrieren. 5.4. Genau durch die umgekehrten Vorgänge wird Giralgeld vernichtet. 5.5. Die jährliche Zunahme der Giralgeldmenge entspricht der Nettogiralgeldschöpfung, d.h. der Differenz von Giralgeldschöpfung und Giralgeldvernichtung. 5.6. Die Zunahme der Giralgeldmenge liegt nicht im Ermessen der Geschäftsbanken sondern ergibt sich aus dem Marktverhalten aller Wirtschaftsteilnehmer. 8 Grafik 2 Giralgeldschöpfung durch Kreditvergabe: Kerngeschäft Bank B Kreditnehmer K Produzent P Aktiva Passiva Aktiva Passiva Aktiva Passiva Anfangsbilanz 0 0 0 0 10 Ware 10 EK 1.Schritt: Bilanzverlängerung, Kredit an sich selbst 10 F an B Giralgeld 10 V an B 0 0 10 Ware 10 EK 2. Schritt: Kreditvergabe 10 F an K 10 V an K 10 F an B Giralgeld 10 V an B 10 Ware 10 EK 3. Schritt: Warenkauf 10 F an K 10 V an P 10 Ware 10 V an B 10 F an B Giralgeld 10 EK 8 F = Forderung, V = Verbindlichkeit, Einschränkungen: Eigenkapital-u.Liquiditätserfordernisse Neues Geld entsteht, Geldmenge M0 wächst, Nachfrage wächst Grafik 3 Giralgeldschöpfung durch Kauf von Aktiva: Eigengeschäft Bank B Produzent P Aktiva Passiva Aktiva Passiva Anfangsbilanz 0 0 10 Ware 10 EK 1.Schritt: Bilanzverlängerung, Kredit an sich selbst 10 F an B Giralgeld 10 V an B 10 Ware 10 EK 2.Schritt: Kauf der Ware 10 Ware 10 V an P 10 F an B Giralgeld 10 EK F = Forderung, V = Verbindlichkeit, Einschränkungen : Liquiditätserfordernisse, Eigenkapitalerfordernisse Neues Geld entsteht, Geldmenge M0 wächst, Nachfrage wächst 9 6. Wie hoch ist der monetäre Vorteil der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol? 6.1. Der monetäre Vorteil der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol kann nur kalkulatorisch ermittelt werden. Die Berechnung hängt daher immer von kalkulatorischen Annahmen ab. Daher kann der Vorteil immer nur größenordnungsmäßig abgeschätzt werden. 6.2. In dieser Arbeit geht es weniger um quantitative als um qualitative Aussagen. Die genaue Höhe des Vorteils ist daher dabei nicht von besonderer Bedeutung, er ist aber jedenfalls sehr hoch. 6.3. Der monetäre Vorteil liegt grob und vorsichtig abgeschätzt in der Größenordnung von: 6.3.1.Österreich: 4-5 Mrd EUR pro Jahr 6.3.2.Deutschland: 40-50 Mrd EUR pro Jahr 6.3.3.Euroraum: 120-150 Mrd EUR pro Jahr 6.4. kalkulatorische Ermittlung über niedrigere Finanzierungskosten: 6.4.1.Diese Kalkulation geht davon aus, dass die Banken ohne die Möglichkeit der Giralgeldschöpfung den gesamten Betrag der Giralgeldmenge über Bankanleihen finanzieren müssten. 6.4.2.Die Entwicklung der täglich fälligen Einlagen (=Giralgeldmenge) von 2001 bis 2012 in Österreich, Deutschland und der EU entnimmt man Tabelle 1 und Grafiken 4,5,6. Tabelle 1 täglich fällige Einlagen (Giralgeld) in Mio EUR1 GEO/TIME 2002 2004 2006 2008 2010 2012 Euroraum 2.158.271,0 2.480.457,0 3.166.489,0 3.312.996,0 3.945.828,0 4.297.220,0 Deutschland 582.912,0 654.991,0 759.646,0 831.823,0 1.108.359,0 1.326.065,0 Österreich 54.073,0 68.888,0 81.979,0 94.497,0 115.308,0 136.673,0 6.4.3.Für Österreich kann man die Entwicklung der Sekundärmarktrendite für Bankanleihen und des Taggeldzinssatzes der Grafik 7 entnehmen. Daraus ergibt sich eine mittlere Zinsdifferenz von 2,8%. Bei einem derzeitigen Gesamtvolumen der Giralgeldmenge von ca. 140 Mrd. EUR ergäbe sich daraus ein jährlicher Finanzierungskostenvorteil von 3,9 Mrd EUR pro Jahr. Der tatsächliche Finanzierungsvorteil der Banken ist aber tendenziell höher wegen: 6.4.3.1. Der auf Girokonten bezahlte Zinssatz war jedenfalls bis auf die letzten Jahre in der Regel deutlich niedriger als der Taggeldzinssatz. (Bisweilen wird als Argument angeführt, dass daraus auch Kosten aus dem Zahlungsverkehr abgedeckt werden müssen, weil diese durch die Kontogebühren nicht vollständig abgedeckt sind. Diese kalkulatorischen Angaben können allerdings nur sehr schwer überprüft werden). 6.4.3.2. Jede Milliarde EURO, die Banken nicht über Giralgeldverbindlichkeiten refinanzieren können, müssen sie zu den entsprechenden Grenzkosten finanzieren und das wäre die Sekundärmarktrendite der Bankanleihen. Falls aber das Gesamtvolumen der Giralgeldmenge in Höhe von 140 Mrd EUR über 1 http://epp.eurostat.ec.europa.eu 10 Grafik 4 Grafik 5 Grafik 6 0,0 50.000,0 100.000,0 150.000,0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Mio EUR Giralgeldmenge Österreich 2001- 2012 Österreich 0,0 200.000,0 400.000,0 600.000,0 800.000,0 1.000.000,0 1.200.000,0 1.400.000,0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Mio EUR Giralgeldmenge Deutschland 2001-2012 Deutschland 0,0 1.000.000,0 2.000.000,0 3.000.000,0 4.000.000,0 5.000.000,0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 Mio EUR Giralgeldmenge Euroraum 2001- 2012 Euroraum 11 Bankanleihen zu finanzieren wäre, würde der Zinssatz für Bankanleihen entsprechend ansteigen. 6.4.3.3. Eine gewisse Unsicherheit ganz allgemein stellt das Problem dar, dass sich die Zinskurve auf Grund der veränderten Nachfrage in nicht voll vorhersehbarer Weise ändern würde. 6.4.4.Jedenfalls scheint es plausibel, für Österreich eine Größenordnung von 4-5 Mrd EUR abzuschätzen. Für Deutschland ergeben sich die Werte durch einen Faktor von 10, für den Euroraum durch einen Faktor von 30. Grafik 7 Zinsvorteil aus Giralgeldmonopol 1996 - 2012 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 7 Zinsrate % Zinsvorteil aus Giralgeldmonopol 1996 – 2012 in Österreich im Mittel 2.8% SMR Banken Sichteinlagen Haushalte Zins-Vorteil 6.5. Kalkulatorische Ermittlung über ewige Renten 6.5.1. In den letzten 60 Jahren ist die Giralgeldmenge stets angestiegen, d.h. dass die Giralgeldverbindlichkeiten netto nie zurückgezahlt werden mussten. Geht man der Einfachheit halber davon aus, dass sich dies auch in Zukunft nicht ändern wird, ist es der Einfachheit halber daher kalkulatorisch plausibel von ewigen Renten in einem „eingeschwungenen“ System auszugehen. D.h. aber dass man den Gewinn des gesamten Bankensystems aus den jährlichen Eingängen aus der Giralgeldschöpfung minus den jährlichen Kosten aus der Giralgeldschöpfung berechnen kann. 6.5.2.Die jährlichen Eingänge entsprechen der jährlichen Nettogiralgeldschöpfung. Für Österreich ist diese im Schnitt der letzten 10 Jahre etwa 8 Mrd EUR (siehe Grafik 4). 6.5.3.Als Kosten, die man der Giralgeldschöpfung zuordnen kann, fallen an: 6.5.3.1. die Mindesstreservehaltung, derzeit größenordnungsmäßig 1-2% von 1-2% = 0,01-0,04%. Für Österreich (Giralgeldmenge 140 Mrd EUR) ergeben sich daraus 0,014-0,056 Mrd EUR. 6.5.3.2. die Zinsen an die Giralgeldhalter, derzeit größenordnungsmäßig 0,1-0,3%. (In den vergangenen Jahren waren diese Kosten zwar deutlich höher aber immer noch 12 gering im Vergleich zu der Nettogiralgeldschöpfung). Für Österreich (Giralgeldmenge 140 Mrd EUR) ergeben sich daraus 0,14-0,42 Mrd EUR. 6.5.3.3. die Finanzierung der Kosten des Zahlungsverkehrs, soweit dieser nicht vollständig durch Kontogebühren gedeckt ist. (Dieser Betrag ist schwer zu ermitteln. Man kann aber vermutlich davon ausgehen, dass die Kosten des Zahlungsverkehrs weitgehend durch die Kontogebühren gedeckt sind und daher auch dieser Betrag weit unter der Ausweitung der Giralgeldmenge liegt). Sehr vorsichtig geschätzt liegt der Betrag in Österreich vielleicht bei 0,5-2,5 Mrd EUR. 6.6. Nach dieser Methode kann man daher den monetären Vorteil der Geschäftsbanken aus der Giralgeldschöpfung als Differenz von 8 Mrd EUR minus den Kosten nach 6.5.3. größenordnungsmäßig abschätzen: 6.6.1. in Österreich bei etwa 5 -7 Mrd EUR pro Jahr 6.6.2. in Deutschland bei etwa 50 - 65 Mrd EUR pro Jahr 6.6.3. in der EU bei etwa 150 – 165 Mrd EUR pro Jahr 6.7. Vorsichtshalber gehen wir aber von der niedrigeren Abschätzung nach 5.4. aus. 7. Wieviel des monetären Vorteils muss weiter gegeben werden? (Grafik 8) 7.1. Das Kreditgeschäft ist das ursprüngliche Geschäft der Banken und wird daher auch Kerngeschäft genannt. Da Kredite im Wesentlichen nur von Banken vergeben werden, stehen die Banken dabei untereinander zumindest theoretisch in vollem Wettbewerb. Der durch die Giralgeldschöpfung entstehende Vorteil muss daher theoretisch weitgehend weitergegeben werden. TatsächIich wird er in der Praxis nicht vollständig weitergegeben, weil der Wettbewerb zwischen Banken in der Praxis nicht voll funktioniert. 7.2. Der Ankauf von Sachvermögen und Wertpapieren durch Banken wird als Eigengeschäft bezeichnet. 7.2.1. Der Sachvermögensmarkt wird weitgehend von den Nichtbanken bestimmt. Gegenüber den Nichtbanken haben die Banken aber den Vorteil aus der Giralgeldschöpfung. Weil die Banken auf diesem Markt eine Minderheit darstellen, müssen sie aber diesen Vorteil nicht nur in der Praxis sondern auch theoretisch nur in geringem Umfang weitergeben. 7.2.2. Am Wertpapiermarkt sind sowohl Banken als auch Nichtbanken in großem Umfang beteiligt. Banken müssen den Vorteil aus der Giralgeldschöpfung daher nicht nur in der Praxis sondern auch theoretisch nur teilweise weitergeben. 13 Grafik 8 Weitergabe des Vorteils der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol Gewinn Gewinn Gewinn Kreditgeschäft Vorteil Vorteil Wertpapier Sachvermögen Kerngeschäft Eigengeschäft 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 9 Vorteil Kunden Kunden Kunden 8. An wen und wie wird der monetäre Vorteil verteilt und welche volkswirtschaftliche Bedeutung hat dies? 8.1. an Spekulanten durch Erniedrigung der Kreditzinsen für spekulative (=hochriskante) Geschäfte: UNERWÜNSCHT! 8.2. an realwirtschaftliche Unternehmen durch Erniedrigung der Kreditzinsen für realwirtschaftliche (produktive) Investitionen: ERWÜNSCHT! 8.3. an die Sparer durch Erhöhung der Sparzinsen: ERWÜNSCHT/UNERWÜNSCHT je nach spezieller Situation! 8.4. beim Kauf von Sachvermögen oder Wertpapieren an deren Besitzer durch höhere Preise: UNERWÜNSCHT 8.5. an die Geschäftsbanken selbst durch Erhöhung der Gewinne: UNERWÜNSCHT! Hinweis: jedenfalls wäre es ein Trugschluss zu glauben, dass der monetäre Vorteil in vollem Umfang zu einer Erhöhung der Gewinne der Geschäftsbanken führt. 8.6. Geld ist ein öffentliches Gut. Der monetäre Vorteil aus der Giralgeldschöpfung sollte daher so wie der monetäre Vorteil aus der Zentralbankgeldschöpfung als Seignoragegewinn dem Staat zufallen. 14 9. Ist das Giralgeldschöpfungsmonopol der Banken aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zulässig? (Grafik 9) 9.1. Solange Banken nur im Kerngeschäft (Einlagen- und Kreditgeschäft) tätig sind, stehen sie im Wesentlichen nur untereinander im Wettbewerb. Damit wäre eine gleichmäßige Subvention für alle oder ein Vertrag, durch den nur die Banken (in gleicher Weise) betroffen sind, wettbewerbsrechtlich kein Problem, weil es dadurch weder zu einer Wettbewerbsverzerrung innerhalb des Bankensystems noch zu einer Wettbewerbsverzerrung zwischen Banken und Nichtbanken kommt2 . Somit ist auch der monetäre Vorteil aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol der Banken so lange kein Problem, solange sie nur im Kerngeschäft tätig sind. 9.2. Wenn aber Banken ein Eigengeschäft betreiben, stehen sie in erster Linie im Wettbewerb mit Nichtbanken. Da Nichtbanken nicht die Möglichkeit der Giralgeldschöpfung haben und somit daraus im Gegensatz zu den Banken auch keinen monetären Vorteil haben, führt das Giralgeldschöpfungsmonopol der Banken zu einem ungerechtfertigten Vorteil und damit zu einer unzulässigen Wettbewerbsverzerrung zwischen Banken und Nichtbanken auf diesen Märkten. Dies bedeutet einen Verstoß gegen die Wettbewerbsgesetze der EU.(siehe 3.) Grafik 9 Wettbewerbsverzerrung durch Giralgeldschöpfungsmonopol der Banken Gewinn mittlere Wettbewerbsverzerrung Gewinn Gewinn Kreditgeschäft Vorteil Vorteil Wertpapier Sachvermögen Kerngeschäft Eigengeschäft 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 10 keine Wettbewerbsverzerrung große Wettbewerbsverzerrung Vorteil 2 Für das Einlagengeschäft bedarf es einer Bankkonzession, die Kreditvergabe durch Nichtbanken ist von untergeordneter Bedeutung. Eine Ungleichbehandlung von Banken und Nichtbanken durch das Giralgeldschöpfungsmonopol wäre möglicherweise aber auch zu rechtfertigen, weil die Kreditvergabe durch Private aus ordnungspolitischer Sicht möglicherweise sogar als unerwünscht betrachtet werden könnte. 15 10. Wie ist die Wettbewerbssituation der Geschäftsbanken untereinander? 10.1. Der Wettbewerbsdruck, einen monetären Vorteil über Kreditzinsen, Kaufpreise oder Sparzinsen weiterzugeben ist jeweils unterschiedlich. Dies wird verständlich, wenn man die folgenden Extremsituationen betrachtet: 10.2. Angenommen man betrachtet nur „reine Geschäftsbanken“, d.h. Geschäftsbanken die nur das Kerngeschäft der Banken betreiben, nämlich nur Kredite vergeben und keine anderen Aktiva (wie z.B. Wertpapiere) oder Leistungen kaufen: Kredite werden zum überwiegenden Teil von Geschäftsbanken vergeben. Privatkredite spielen eine untergeordnete Rolle. Der Markt ist für die Kreditnehmer weitgehend transparent und es gibt einen großen Anreiz, den billigsten Kreditgeber auszuwählen und geringe Hemmnisse, dies nicht zu tun. Die Banken stehen daher dabei unter einem sehr großen Wettbewerbsdruck. Sie müssen daher den monetären Vorteil aus der Giralgeldschöpfung (=Erhöhung der Nettogiralgeldmenge) fast vollständig (an die Kreditnehmer) in Form von günstigen Kreditzinsen weitergeben. 10.3. Angenommen man betrachtet nur „reine Investmentbanken“, d.h. Banken die nur ein Eigengeschäft betreiben, nämlich nur Aktiva (wie z.B. Sachvermögen oder Wertpapiere) kaufen und keine Kredite vergeben: Am Sachvermögensmarkt spielen Banken eine untergeordnete Rolle, am Wertpapiermarkt spielen zwar Banken eine größere Rolle, der überwiegende Teil an Wertpapieren wird aber von institutionellen und privaten Anlegern gehalten. Daher stehen Banken auf diesen Märkten weniger untereinander als mit Nichtbanken im Wettbewerb. Monetäre Vorteile, die sie auf diesen Märkten z.B. durch die Giralgeldschöpfung erzielen, müssen sie daher nicht vollständig weitergeben. 10.4. Je höher der Anteil des Eigengeschäftes am Gesamtgeschäft (Kreditgeschäft und Eigengeschäft) ist, desto geringer wird also der unmittelbare Wettbewerb im Durchschnitt, umso größer ist der Anteil am monetären Vorteil aus der Giralgeldschöpfung, den die Banken als Gewinn einbehalten können und nicht in Form von höheren Einkaufspreisen weitergeben müssen. Bei typischen europäischen Universalbanken liegt der Eigengeschäftsanteil in der Größenordnung von 15 – 20 %. Bei Banken die stark im Investmentgeschäft tätig sind wie z.B. bei der Deutschen Bank liegt dieser Anteil weit über 50 %. 10.5. Jede einzelne Bank kann den monetären Vorteil aus der Giralgeldschöpfung allerdings nur dann für sich behalten, wenn es ihr gelingt, die geschöpften Giralgelder der Kunden auch zu halten und damit die Vorteile aus dieser günstigen Finanzierung zu behalten. Banken stehen daher bei jeder Giralgeldschöpfung, egal ob durch Kreditvergabe oder Ankauf von Aktiva, über die Sparzinsen für die Giralgelder untereinander im Wettbewerb, d.h. sie müssen einen monetären Vorteil über höhere Sparzinsen an die Sparer weitergeben, damit diese nicht zu einer Bank abwandern, die höhere Zinsen für täglich fällige Einlagen bietet. Der Anreiz für Kunden, ihre Girokonten zu einer anderen Bank zu verlegen, ist allerdings eher gering, weil die Sparzinsen für Giralgeld (täglich fällige Einlagen) insgesamt sehr niedrig sind und die Hemmnisse, die Bank allein für den Zahlungsverkehr zu wechseln eher groß sind. Der Wettbewerb über die Giralgeldzinsen ist daher eher gering. 10.6. Zusammenfassend kann man daher feststellen: Der Wettbewerb der Banken untereinander ist bei den Giralgeldzinsen und im Eigengeschäft (Ankauf von Sachvermögen und Wertpapieren) eher gering, bei den Kreditzinsen eher hoch. Je höher der Anteil des 16 Eigengeschäftes am Gesamtgeschäft ist, desto höher ist daher der Anteil des monetären Vorteils aus der Giralgeldschöpfung, den die Banken als Gewinn einbehalten können. 10.7. Quantitative Aussagen, wie der monetäre Vorteil auf Sparer, Spekulanten, realwirtschaftliche Kreditnehmer und Eigentümer von Wertpapieren und Sachvermögen aufgeteilt wird, bzw. wie weit er zur Erhöhung des Gewinns der Banken führt, sind nur über Simulationen möglich. 10.8. All diese Aussagen sind theoretisch zu betrachten. In der Praxis dürfte der Wettbewerb der Banken untereinander noch wesentlich geringer sein, d.h. dass der Anteil des monetären Vorteils, den die Banken als Gewinn behalten, in der Praxis vermutlich noch höher ist. 11. Welche Bedeutung hat die Verbriefung von Krediten hinsichtlich des Eigengeschäftes? Kredite stellen das Kerngeschäft der Banken dar. Kredite werden im Wesentlichen nur von Banken und kaum von Nichtbanken vergeben. Somit sind Kreditforderungen im Wesentlichen nur innerhalb des Bankensystems handelbar. Werden Kreditforderungen verbrieft, können sie auch an Nichtbanken verkauft werden und werden auch von Nichtbanken gehandelt. Verbriefte Kredite sind daher dem Eigengeschäft zuzuordnen. Wenn eine Bank einen verbrieften Kredit kauft, steht sie daher im Wettbewerb zu Nichtbanken, genauso wie wenn sie ein Sachvermögen kauft. Je mehr Kredite verbrieft werden, desto höher ist also der Anteil des Eigengeschäftes und desto höher ist damit wegen 9.4. (geringerer Gesamtwettbewerbsgrad) der Anteil aus dem monetären Vorteil, den die Banken nicht weitergeben müssen. 17 D. Problemlösungen 12. Zu welchen Problemen führt die Giralgeldschöpfung darüber hinaus? 12.1. Neben den Problemen aus dem monetären Vorteil der Geschäftsbanken, führt die Giralgeldschöpfung noch zu folgenden weiteren volkswirtschaftlichen Nachteilen: 12.2. Banken haben die Möglichkeit autonom Giralgeld zu schöpfen, d.h. dass sie zur Vergabe von Krediten und dem Kauf von Aktiva nicht darauf angewiesen sind, vorher ausreichende Einlagen zu erwerben, denn die Einlagen können als Forderungen der Nichtbanken an die Banken im Rahmen der Giralgeldschöpfung durch Bilanzverlängerung „aus dem Nichts“ geschaffen werden. Die Anforderungen an die Liquiditätserfordernisse (Mindestreserve usw.) und Eigenkapitalquoten stellen in diesem Zusammenhang keine wesentlichen Einschränkungen dar. Wegen der autonomen Giralgeldschöpfung (bzw. Giralgeldvernichtung) haben die Banken die Möglichkeit sich prozyklisch zu verhalten und sie verhalten sich auch tatsächlich so. Bei guter Konjunkturlage werden Kredite sehr leicht vergeben, was die Konjunktur anheizt, bei schlechter Konjunkturlage wird die Kreditvergabe eingeschränkt, was die Konjunktur weiter dämpft. Dadurch werden Konjunkturschwankungen, Finanzblasen und Finanzkrisen verstärkt. 12.3. Im Konkursfall einer Bank kommt es zu Störungen des Zahlungsmittelverkehrs, weil das Giralgeld als Forderung an die Bank seine Werthaltigkeit verliert. 13. Welche Maßnahmen zur Beseitigung der Probleme aus der Giralgeldschöpfung gibt es? 13.1. Die einfachste Maßnahme zur Beseitigung des monetären Vorteils der Banken aus der Giralgeldschöpfung wäre die Einhebung einer Bankensteuer genau in der Höhe der Nettoausweitung der Giralgeldmenge (Grafik 10). Die beiden anderen Probleme Konjunkturschwankungen (10.2.) und Störungen des Zahlungsverkehrs (10.3.) würden aber davon unbeeinflusst bleiben. 13.2. Die systematisch richtige Maßnahme zur Beseitigung aller Probleme aus der Giralgeldschöpfung wäre die Einführung von Vollgeld, weil dadurch Giralgeld, das von Banken geschöpft wird, abgeschafft und durch staatliches Geld ersetzt wird (Grafik11) 13.2.1. Vollgeld kann am besten verstanden werden als reines staatliches Geld, so wie dies staatliche Münzen sind, die nach dem staatlichen Münzregal geschöpft werden oder wie es die von der Zentralbank geschöpften Banknoten sind. Vollgeld führt zu einer vollständigen und klaren Trennung von Zahlungsverkehr und Krediten. 13.2.2. Im Gegensatz dazu kann Giralgeld als reines privates Geld gesehen werden. Das derzeitige fraktionale Reservesystem stellt eine Mischform aus staatlichem und privatem Geld dar. 13.2.3. Historisch betrachtet hat sich das Geldsystem von einem reinen staatlichen Geldsystem (Münzen) zu einem Mischsystem entwickelt, in dem das private Geld einen immer größeren Anteil erlangte. Insbesondere im 19.Jhd. stieg die Geldmenge und der Anteil von privatem Geld durch die Ausgabe von Banknoten privater Banken stark an, was auch zu entsprechenden Finanzkrisen führte. Ab der Mitte des 19.Jhd. wurde die Ausgabe von Privat-Banknoten durch Zentralbankgesetze in allen Ländern verboten. Banknoten durften nur mehr von Zentralbanken ausgegeben werden. Damit wurde der 18 Grafik 10 1. Bankensteuer Staat Staat Staat Kreditgeschäft m. Vorteil m. Vorteil m. Vorteil Wertpapier Sachvermögen Kerngeschäft Eigengeschäft 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 21 Grafik 11 2. Vollgeldsystem Gewinn Kunden Gewinn Gewinn Kunden Kunden Kreditgeschäft m. Vorteil m. Vorteil m. Vorteil Wertpapier Sachvermögen Kerngeschäft Eigengeschäft Vollgeld: Keine Giralgeldschöpfung, daher kein monetärer Vorteil 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 19 Grafik 12 3. Trennbankensystem Gewinn Kunden Gewinn Gewinn Kunden Kunden Kreditgeschäft m. Vorteil m. Vorteil m. Vorteil Wertpapier Sachvermögen Kerngeschäft Eigengeschäft Geschäftsbanken kein Eigengeschäft Investmentbanken keine Giralgeldschöpfung 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 20 19 Anteil an privatem Geld drastisch reduziert. Das verbliebene private Geld in Form von Giralgeld (täglich fällige Forderungen an eine Bank auf Zentral-Banknoten) spielte damals zunächst nur eine untergeordnete Rolle im Zahlungsverkehr. War um 1900 das Verhältnis von Giralgeld (privatem Geld) zu Banknoten (staatlichem Geld) etwa 30:70, so stieg der Anteil von Giralgeld im 20.Jhd. immer weiter an und das Verhältnis liegt derzeit etwa bei 85:15. Betrachtet man nicht die entsprechenden Geldmengen sondern die damit getätigten Umsätze, hat sich dieses Verhältnis noch viel stärker zu Gunsten des privaten Giralgeldes entwickelt. 13.2.4. Die Einführung von Vollgeld führt zum Verbot von (privatem) Giralgeld und führt so wie die Zentralbankgesetze des 19.Jhd. das Geldsystem auf ein rein staatliches Geld zurück. (siehe Grafik 13). Trotzdem können sich auch in Zukunft wieder neue Formen von privatem Geld entwickeln, die in weiteren Schritten wieder verboten bzw. verstaatlicht werden müssten. Grafik 13 Schematische historische Entwicklung privates Geld und staatliches Geld 1600 1700 1800 1900 2000 100% 0% Privates Geld private Banknoten Giralgeld Staatliches Geld Zentralbankgesetze Vollgeld 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 17 Vollgeld: = voll staatliches Geld ? ? 13.3. Im Rahmen des bestehenden Geldsystems führt die Einführung eines strengen Trennbankensystems dazu, dass Investmentbanken (die mit ihrem Eigengeschäft wesentlich im Wettbewerb zu Nichtbanken stehen) kein Giralgeld schöpfen dürfen und reine Geschäftsbanken nur Kredite für produktive Investitionen an die Realwirtschaft vergeben dürfen, aber kein Eigengeschäft machen dürfen (Grafik 12). Damit führt der monetäre Vorteil aus der Giralgeldschöpfung zwar zu keiner Wettbewerbsverzerrung zwischen den reinen Geschäftsbanken, die anderen Nachteile werden allerdings nur teilweise oder nicht dadurch gelöst. 13.4. Der Vollständigkeit halber sei auch auf das 100%-Geldsystem hingewiesen, das ebenfalls versucht, die Problematik der Giralgeldschöpfung zu lösen. Es ist verwandt mit dem Vollgeldsystem, unterscheidet sich in der technischen Umsetzung aber ganz wesentlich. 20 13.5. Einen Überblick, welche Probleme der Giralgeldschöpfung durch welche Maßnahmen gelöst werden, ergibt Grafik 14 Grafik 14 Banken Kreditnehmer Kreditgeber nein nein nein nein Staat ja ja ja teilweise Staat ja ja ja Je nach Ausgestaltung Realwirtschaft ja teilweise teilweise teilweise Staat ja nein nein nein 14. Könnten durch die Einführung eines Vollgeldsystems alle wesentlichen Probleme des derzeitigen Wirtschaftssystems beseitigt werden? NEIN! Folgende Probleme können durch ein Vollgeldsystem nicht gelöst werden: 14.1. Das dem kapitalistischen System - auf Grund der positiven Rückkopplungen der Kapitaleinkommen - systemimmanente Verteilungsproblem, kann nur durch eine produktivitätsorientierte Lohnpolitik oder permanente Umverteilung von Kapitaleinkommen zu Arbeitseinkommen gelöst werden. 14.2. Die ökonomisch-politisch-institutionellen Machtverhältnisse auf den Finanzmärkten, im Bankensystem und bei der Staatsfinanzierung führen zu einer laufenden Zunahme der Ungleichverteilung. Dies kann nur durch Regulierung der Machtverhältnisse und permanente Umverteilung vermieden werden. 21 E. Die langjährige Kontroverse um die Giralgeldschöpfung 15. Anmerkungen zu der langjährigen Kontroverse um den Vorteil der Banken aus dem Giralgeldschöpfungsmonopol 15.1. In dieser Frage werden seit vielen Jahren zwei sehr gegensätzliche Positionen vertreten: Überspitzt formuliert lauten diese: 1. Banken haben überhaupt keinen Vorteil und 2. Banken bereichern sich enorm durch die Produktion von ungedecktem „Falschgeld“. Wesentliches Anliegen dieser Arbeit ist es auch, diese Streitfrage sachlich zu klären und anzugeben, unter welchen Voraussetzungen und in welcher Form Banken einen Vorteil daraus haben können und wann nicht. 15.2. Von den meisten Ökonomen wird ein Vorteil aus der Giralgeldschöpfung bestritten. Sie argumentieren, dass die Giralgeldschöpfung zu einer reinen Bilanzverlängerung führt, dass den Forderungen der Bank immer Verbindlichkeiten der Bank in gleicher Höhe gegenüber stehen und sie daher daraus keinen Vorteil ziehen können. Übersehen wird dabei der Finanzierungskostenvorteil der Banken gegenüber den Nichtbanken, der sich daraus im Laufe der Zeit in der GuV ergibt. Unglücklicherweise wurde von manchen auch die „Existenz“ der Giralgeldschöpfung durch die Banken an sich bezweifelt. Das kann man schwer bezweifeln, denn die Buchungsvorgänge bei der Giralgeldentstehung sind wohl nicht zu bestreiten. Aber vielleicht sollte durch diese Formulierung eher vermittelt werden, dass man die „Existenz eines Vorteils“ bezweifelt. 15.3. Manche lassen sich von dem missverständlichen Begriff „Giralgeldschöpfung aus dem Nichts“ in die Irre leiten (siehe auch 5.3.). Sie glauben, dass sich die Banken schon unmittelbar durch den Giralgeldschöpfungsakt bei der Kreditvergabe bereichern, weil sie übersehen, dass für die Banken dabei auch Verbindlichkeiten in gleicher Höhe entstehen. Andere wiederum sehen die Verbindlichkeiten der Banken bei der Giralgeldschöpfung nicht als gedeckt an, weil sie nicht mit Bargeld hinterlegt sind. Sie übersehen, dass die Verbindlichkeiten zwar nicht durch Bargeld aber durch alle anderen Aktiva der Bank gedeckt sind, jedenfalls solange die Bank nicht in Konkurs ist. Unglücklicherweise wird in diesem Zusammenhang sogar manchmal von „Falschgeld“ gesprochen. 15.4. Zusammenfassend kann man festhalten, dass beide Positionen nicht zutreffend sind. Tatsächlich haben die Banken durch das Giralgeldschöpfungsmonopol einen Vorteil gegenüber Nichtbanken, den sie aber in Abhängigkeit der Wettbewerbsverhältnisse weitergeben müssen. Der tatsächliche Wettbewerb im Bankensektor ist in der Praxis sicher noch geringer als er theoretisch sein sollte (siehe Liborskandal usw.). Unter der Annahme des theoretischen Wettbewerbs gilt, dass die Banken zwar im Kreditgeschäft (Kerngeschäft) diesen Vorteil weitgehend weitergeben müssen, weil sie dabei im Wesentlichen nur untereinander im Wettbewerb stehen. Dagegen müssen sie beim Eigengeschäft (Wertpapiere und Sachvermögen) diesen Vorteil nur teilweise weitergeben, weil sie auf diesen Märkten nicht nur untereinander in Konkurrenz stehen sondern ganz wesentlich auch zu Nichtbanken in Konkurrenz stehen, die diesen Vorteil nicht haben. Da der Wettbewerb in der Praxis sicher geringer ist als der theoretische Wettbewerb, geben die Banken in der Praxis weniger ihres Vorteils weiter, als sie theoretisch müssten, was zu entsprechend höheren Gewinnen führt. 22 16. Literatur zum Vollgeld 16.1. Joseph Huber, Monetäre Modernisierung, 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage, Marburg: Metropolis Verlag 2013, ISBN 978-3-89518-952-4 17. Anhang 1: Artikel 107 AEUV (1) Soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen. (2) Mit dem Binnenmarkt vereinbar sind: a) Beihilfen sozialer Art an einzelne Verbraucher, wenn sie ohne Diskriminierung nach der Herkunft der Waren gewährt werden; b) Beihilfen zur Beseitigung von Schäden, die durch Naturkatastrophen oder sonstige außergewöhnliche Ereignisse entstanden sind; c) Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind. Der Rat kann fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon auf Vorschlag der Kommission einen Beschluss erlassen, mit dem dieser Buchstabe aufgehoben wird. (3) Als mit dem Binnenmarkt vereinbar können angesehen werden: a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht, sowie der in Artikel 349genannten Gebiete unter Berücksichtigung ihrer strukturellen, wirtschaftlichen und sozialen Lage; b) Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse oder zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats; c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; d) Beihilfen zur Förderung der Kultur und der Erhaltung des kulturellen Erbes, soweit sie die Handelsund Wettbewerbsbedingungen in der Union nicht in einem Maß beeinträchtigen, das dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft; e) sonstige Arten von Beihilfen, die der Rat durch einen Beschluss auf Vorschlag der Kommission bestimmt. 18. Anhang 2: Artikel 101 AEUV (1) Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken, insbesondere a) die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An- oder Verkaufspreise oder sonstiger Geschäftsbedingungen; b) die Einschränkung oder Kontrolle der Erzeugung, des Absatzes, der technischen Entwicklung oder der Investitionen; c) die Aufteilung der Märkte oder Versorgungsquellen; d) die Anwendung unterschiedlicher Bedingungen bei gleichwertigen Leistungen gegenüber Handelspartnern, wodurch diese im Wettbewerb benachteiligt werden; e) die an den Abschluss von Verträgen geknüpfte Bedingung, dass die Vertragspartner zusätzliche Leistungen annehmen, die weder sachlich noch nach Handelsbrauch in Beziehung zum Vertragsgegenstand stehen. (2) Die nach diesem Artikel verbotenen Vereinbarungen oder Beschlüsse sind nichtig. 23 (3) Die Bestimmungen des Absatzes 1 können für nicht anwendbar erklärt werden auf — Vereinbarungen oder Gruppen von Vereinbarungen zwischen Unternehmen, — Beschlüsse oder Gruppen von Beschlüssen von Unternehmens-vereinigungen, — aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen oder Gruppen von solchen, die unter angemessener Beteiligung der Verbraucher an dem entstehenden Gewinn zur Verbesserung der Warenerzeugung oder - verteilung oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen, ohne dass den beteiligten Unternehmen a) Beschränkungen auferlegt werden, die für die Verwirklichung dieser Ziele nicht unerlässlich sind, oder b) Möglichkeiten eröffnet werden, für einen wesentlichen Teil der betreffenden Waren den Wettbewerb auszuschalten.
Die Überwindung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie (Momentum Kongress 2015)
1 working paper Entwurf 29.3.2015 Die Überwindung der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie Newtonian Constraint Dynamic Models als neuer Weg zur Modellierung der Dynamik ökonomischer Systeme in Analogie zur Physik. Eine vereinheitlichte Sicht auf neoklassische Modelle, Keynesianische Modelle und die Spieltheorie. Erhard Glötzl JEL classification: B41 Economic Methodology E10 General Aggregative Models, General C02 Mathematical Methods, C60 Mathematical Methods; Mathematical Modeling, General B22 History of Economic Thought since 1925, Macroeconomics C72 Noncooperative games Keywords: Newtonian Constrained Dynamics, Disequilibrium Dynamics, Economics of Power, Closure, Prisoners Dilemma, Economics and Physics 2 Abstract (englisch) For more than 100 years economists have tried to describe economics in analogy to physics, more precisely to classical Newtonian mechanics. The development of the Neoclassical General Equilibrium Theory has to be understood as the result of these efforts. But there are many reasons why General Equilibrium Theory is inadequate: 1. No true dynamics. 2. The assumption of the existence of utility functions and the possibility to aggregate them to one “Master” utility function. 3. The impossibility to describe situations as in “Prisoners Dilemma”, where individual optimization does not lead to a collective optimum. This paper aims at overcoming these problems. It illustrates how not only equilibria of economic systems, but also the general dynamics of these systems can be described in close analogy to classical mechanics. To this end, this paper makes the case for an approach based on the concept of constrained dynamics, analyzing the economy from the perspective of “economic forces” and “economic power” based on the concept of physical forces and the reciprocal value of mass. Realizing that accounting identities constitute constraints in the economy, the concept of constrained dynamics, which is part of the standard models of classical mechanics, can be applied to economics. Such a framework allows understanding both Keynesian and neoclassical models as special cases of NCD-Models in which the power relationships with respect to certain variables are one-sided. As mixed power relationships occur more frequently in reality than purely one-sided power constellations, NCD-models are better suited to describe the economy than standard Keynesian or Neoclassic models. A NCD-model can be understood as “Time Continuous”, “Stock Flow Consistent”, “Agent Based Model”, where the behavior of the agents is described with a general differential equation for every agent. In the special case where the differential equations can be described with utility functions, the behavior of every agent can be understood as an individual optimization strategy. He thus seeks to maximize his utility. However, while the core assumption of neoclassical models is that due to the “invisible hand” such egoistic individual behavior leads to an optimal result for all agents, reality is often defined by “Prisoners Dilemma” situations, in which individual optimization leads to the worst outcome for all. One advantage of NCD-models over standard models is that they are able to describe also such situations, where an individual optimization strategy does not lead to an optimum result for all agents. This will be illustrated in a simple example. In conclusion, the big merit and effort of Newton was, to set the right terms (physical force, inert mass, change of velocity) into the right relation. Analagously the apprppriate terms of economics are force, economic power and change of flow variables. NCD-Models allow setting them into the right relation to each other. 3 Abstract (Deutsch) Seit mehr als 100 Jahren war es ein Ziel der Ökonomen, die Ökonomie in Analogie zur Physik bzw. genauer in Analogie zur klassischen Newton´schen Mechanik zu beschreiben. Die Entstehung der neoklassischen Gleichgewichtstheorie ist als Ergebnis dieser Bemühungen zu verstehen. Aber es gibt mehrere Gründe, warum die Realität mit der allgemeinen Gleichgewichtstheorie nur sehr unzureichend beschrieben werden kann: 1. Man kann damit keine echte Dynamik beschreiben. 2. Die Annahme von Nutzenfunktionen und deren Aggregierbarkeit zu einer einzigen „Master-Nutzenfunktion“ ist zwingend notwendig. 3. Die Beschreibung von Situationen wie sie im Gefangenen-Dilemma auftreten, also von Situationen bei denen Individualoptimierungsstrategien nicht zum Gesamtoptimum führen, ist unmöglich. Ziel dieser Arbeit ist es, diese Unzulänglichkeiten zu überwinden, indem sie zeigt, wie nicht nur Gleichgewichtszustände von ökonomischen Systemen sondern die allgemeine Dynamik ökonomischer Systeme in Analogie zur klassischen Mechanik beschrieben werden können. Die Ökonomie wird dabei mit den Begriffen der ökonomischen Kraft und der ökonomischen Macht in Analogie zu den physikalischen Kräften und dem Kehrwert der Masse beschrieben. Beachtet man, dass vor allem Bilanzierungsidentitäten als Zwangsbedingungen betrachtet werden können, lässt sich das Konzept der Dynamik unter Zwangsbedingung, das zu den Standardmodellen der klassischen Mechanik gehört, auch auf die Ökonomie übertragen. Solche ökonomischen Modelle kann man daher als Newtonian Constraint Dynamic Modelle (NCDModelle) bezeichnen. Dieses Konzept der NCD-Modelle ermöglicht es, die Ökonomie als System mit gemischten Machtverhältnissen zu betrachten und viele der herkömmlichen keynesianischen oder neoklassischen ökonomischen Modelle damit als Spezialfälle mit einseitigen Machtverhältnissen zu interpretieren. Da in der Realität gemischte Machtverhältnisse eher auftreten als völlig einseitige Machtverhältnisse, können NCD-Modelle die Realität besser beschreiben als Modelle mit einseitigen Machtverhältnissen. Ein NCD-Modell kann als „Time Continous“, „Stock-Flow Consistant, „Agent Based Modell“ verstanden werden, bei dem das Verhalten von jedem Agenten mit einer Differentialgleichung beschrieben wird. Für den Fall, dass die Differentialgleichung mit einer Nutzenfunktion beschrieben werden kann, kann man das Verhalten des Agenten als Individualoptimierungsstrategie betrachten, also dass er versucht, seinen individuellen Nutzen zu erhöhen. Die Kernthese der Marktwirtschaft besteht in der Annahme, dass die Individualoptimierungsstrategien der einzelnen Agenten durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu einem Gesamtoptimum führen. Die Realität verhält sich allerdings oft in Analogie zum Gefangenendilemma in der Weise, dass die Individualoptimierungsstrategien der Teilnehmer zu der insgesamt schlechtesten Lösung für alle führen. An einem Beispiel wird gezeigt, dass gerade solche Situationen im Gegensatz zu herkömmlichen ökonomischen Modellen mit NCD-Modellen gut beschrieben werden können. Zusammenfassend bestand die große Leistung von Newton gerade in der Formalisierung der richtigen Begriffe, nämlich physikalische Kraft, träge Masse und Änderung der Geschwindigkeit, und dass er diese Begriffe in die richtige Beziehung zueinander gebracht 4 hat. In Analogie dazu müssen auch in der Ökonomie die richtigen Begriffe, nämlich ökonomische Kraft, ökonomische Macht und Änderung von Flow-Größen, formalisiert und in die richtige Beziehung zueinander gebracht werden, was durch NCD-Modelle auch geleistet wird. 5 Inhalt Abstract (englisch) ..................................................................................................................... 2 Abstract (Deutsch)...................................................................................................................... 3 Inhalt........................................................................................................................................... 5 1. Einleitung ........................................................................................................................... 8 2. Literaturüberblick............................................................................................................. 12 2.1. Ökonomie und Physik ............................................................................................... 12 2.2. Ökonomie und Macht ................................................................................................ 13 2.3. Closure von ökonomischen Modellen ....................................................................... 13 2.4. Die unsichtbare Hand des Marktes führt nicht immer zum Optimum ...................... 14 3. Die Grundgedanken an einfachen Beispielen .................................................................. 15 3.1. Mikroökonomisches Beispiel: Edgeworth-Box......................................................... 15 3.2. Makroökonomisches Beispiel: „Sparen versus Investieren“..................................... 17 3.2.1. Fragestellung ...................................................................................................... 17 3.2.2. Physik: die Bewegung auf der schiefen Ebene. ................................................. 17 3.2.3. Das NCD-Modell „Sparen versus Investieren“ in Analogie zur Physik ............ 18 3.2.4. Neoklassisches Verhalten von Investieren zu Sparen und Keynesianisches Verhalten von Investieren zu Sparen als Spezialfälle des NCD-Modells mit einseitigen Machtverhältnissen........................................................................................................... 19 3.2.5. Allgemeines Gleichgewichtsmodell unter Zwangsbedingungen als stationäre Lösung des NCD-Modells................................................................................................ 20 3.3. Ein weiteres zum „Sparen versus Investieren“-Modell analoges einfaches Modell: „Gläubiger versus Schuldner“.............................................................................................. 21 3.4. Subsistenzwirtschaft .................................................................................................. 22 3.4.1. Problemstellung.................................................................................................. 22 3.4.2. Das allgemeine Gleichgewichts-Modell ............................................................ 23 3.4.3. Das keynesianische Modell................................................................................ 23 3.4.4. Das erste NCD-Modell....................................................................................... 24 3.4.5. Das zweite NCD-Modell.................................................................................... 25 3.4.6. Die Analogie der NCD-Modelle zur Bewegung auf der schiefen Ebene........... 26 6 3.4.7. Das allgemeine Gleichgewichtsmodell Modell als kräftefreier Zustand des ersten NCD-Modells ........................................................................................................ 27 3.4.8. Das keynesianische Modell als NCD-Modell mit einseitigen Machtverhältnissen........................................................................................................... 27 4. Modellgleichungen allgemeiner Newtonian Constrained Dynamic Models (NCDModelle) ................................................................................................................................... 29 4.1. Das allgemeine Grundkonzept von NCD-Modellen ................................................. 29 4.1.1. Anmerkung 1:..................................................................................................... 30 4.1.2. Anmerkung 2:..................................................................................................... 30 4.1.3. Anmerkung 3:..................................................................................................... 30 4.1.4. Anmerkung 4:..................................................................................................... 31 4.2. NCD-Modelle mit individuellen Nutzenfunktionen.................................................. 31 4.3. NCD-Modelle mit einer Master-Nutzenfunktion ...................................................... 32 5. Closure-Verfahren............................................................................................................ 35 5.1. Problembeschreibung ................................................................................................ 35 5.2. Drop-Closure ............................................................................................................. 35 5.3. Lagrange-Closure für ein algebraisches Modell........................................................ 36 5.4. Lagrange-Closure für ein Differentialgleichungsmodell........................................... 37 5.5. Drop-Closure von algebraischen Modellen als Ausdruck von einseitigen ökonomischen Machtverhältnissen ...................................................................................... 37 5.6. Drop-Closure von Differentialgleichungs-Modellen als Ausdruck von ökonomischer Machtlosigkeit...................................................................................................................... 40 6. Beziehungen zwischen NCD-Modellen und herkömmlichen Typen ökonomischer Modelle..................................................................................................................................... 43 6.1. NCD-Modelle und algebraische Modelle.................................................................. 43 6.2. NCD-Modelle und Differentialgleichungs-Modelle ................................................. 43 6.3. NCD-Modelle und allgemeine Gleichgewichts-Modelle .......................................... 43 6.4. NCD-Modelle und DSGE-Modelle ........................................................................... 44 6.5. NCD-Modelle und ABM-Modelle ............................................................................ 46 6.6. Schematischer Überblick........................................................................................... 46 7. Die Beziehungen am Beispiel eines 2-Sektoren NCD-Modells....................................... 48 7.1. NCD-Modell.............................................................................................................. 48 7.2. algebraisches neoklassisches Modell......................................................................... 49 7 7.3. Algebraisches Keynesianisches Modell .................................................................... 50 7.4. Allgemeines Gleichgewichtsmodell mit Zwangsbedingung ..................................... 50 7.5. Allgemeines Gleichgewichtsmodell mit Zwangsbedingung und intertemporaler (discounted) Nutzenfunktion................................................................................................ 51 7.6. Rechenergebnisse ...................................................................................................... 52 8. Kontinuierliches Gefangenendilemma ............................................................................. 55 9. Vorteile von NCD-Modellen............................................................................................ 57 Danksagung.............................................................................................................................. 58 Literatur.................................................................................................................................... 58 8 1. Einleitung Seit mehr als 100 Jahren war es ein Ziel der Ökonomen, die Ökonomie in Analogie zur Physik bzw. genauer in Analogie zur klassischen Mechanik zu beschreiben. Die Entstehung der neoklassischen Gleichgewichtstheorie ist als Ergebnis dieser Bemühungen zu verstehen, Aber die Implementierung der physikalischen Gedanken in die Ökonomie erfolgte nur teilweise. Insbesondere wurde die Beschreibung der Dynamik mechanischer Systeme nicht übernommen. Die vorliegende Arbeit versucht indes ökonomische Modelle in vollständiger Analogie zur Newtonschen Mechanik zu analysieren, indem sie zeigt, wie nicht nur Gleichgewichtszustände von ökonomischen Systemen sondern die allgemeine Dynamik ökonomischer Systeme in Analogie zur klassischen Mechanik beschrieben werden können. Die Formalisierung des physikalischen Kraftbegriffes und des physikalischen Massenbegriffes durch Isaac Newton stellte die ganze Physik auf eine neue Grundlage und war die Voraussetzung für die gesamte weitere Entwicklung der Physik. In Analogie dazu ist es ein wesentliches Ziel dieser Arbeit, die Begriffe der ökonomischen Kraft und der ökonomischen Macht zu formalisieren, um eine einheitliche Struktur zur Beschreibung ökonomischer Systeme zu finden. In Kapitel 2 geben wir einen kurzen Überblick über die historischen Ansätze, Analogien zwischen Ökonomie und Physik zu finden. In Kapitel 3 werden wir, um das Verständnis zu erleichtern, die Grundgedanken zunächst an einfachen Beispielen erläutern. In Kapitel 4 beschreiben wir dann die auf den Begriffen der ökonomischen Kraft und der ökonomischen Macht aufbauende formale Struktur der „Newtonian Constrained Dynamic Models“ (NCD-Modelle). Die Bezeichnung „Newtonian“ rührt daher, dass die Grundgleichungen analog zur Newton`schen Mechanik, die Änderungen von Fluss-Variablen beschreiben. Die Bezeichnung „Constrained“ Dynamic kommt daher, weil in der Ökonomie so wie in der klassischen Mechanik häufig Zwangsbedingungen auftreten. Insbesondere stellen alle Bilanzierungsidentitäten der Ökonomie solche Zwangsbedingungen dar. Zwangsbedingungen führen in ökonomischen Systemen in vollständiger Analogie zur klassischen Mechanik zu zusätzlichen Zwangskräften. In Analogie zu den Potentialkräften in der Physik betrachten wir insbesondere diejenigen Fälle, in denen sich die ökonomischen Kräfte als Gradient von Nutzenfunktionen darstellen lassen. Einen besonderen Fall stellt derjenige Fall dar, in dem sich die Modellgleichungen des ökonomischen Systems mit einer einzigen „Master-Nutzenfunktion“ darstellen lassen. Dies hat insofern eine besondere Bedeutung, als in der Neoklassik stets angenommen wird, dass eine solche Master-Nutzenfunktion existiert und die ökonomischen Systeme durch das Maximum einer solchen Master-Nutzenfunktion bestimmt sind. Keinesfalls gilt aber in jedem Fall, dass die Maximierung der Master-Nutzenfunktion auch zur Maximierung des Gesamtnutzens für alle Agenten führt. NCD-Modelle der Ökonomie haben die gleiche mathematische Struktur wie Modelle der klassischen Newton´schen Mechanik mit Zwangsbedingungen. 9 Sowohl in der Physik als auch in der Ökonomie treten 2 Typen von Variablen auf. Die Bestandsvariablen x t x t x t 1 , , n und die Flussvariablen y t y t y t 1 , , n zwischen denen die Beziehungen gelten: x t y t i i In der Physik sind die Bestandsvariablen gerade die Ortskoordinaten und die Flussvariablen die Geschwindigkeitskoordinaten. In der Ökonomie werden die Bestandsvariablen als StockVariable bezeichnet und die Flussvariablen als Flow-Variable. Typische Stock-Variable sind z.B. Kapital, Gesamtschulden usw., also diejenigen Größen, die man in der Bilanz findet. Typische Flow-Variable sind z.B. Konsum, Investition, Arbeit usw., also diejenigen Größen, die zu Veränderungen der Bilanzen führen. Aber auch andere Variable wie z.B. Preise können formal als Flow-Variable betrachtet werden. Die Newton´schen „Verhaltensgleichungen“ für einen Massenpunkt der Masse M lassen sich entweder als Differentialgleichungssysteme 2.Ordnung in den Ortsvariablen darstellen oder äquivalent dazu in Differentialgleichungssystemen 1.Ordnung in den Orts- und Geschwindigkeitskoordinaten darstellen. Wir wählen immer die 2. Darstellung. Dabei wird die Änderung der Geschwindigkeitskoordinaten, also die Änderung von Flussvariablen, durch physikalische Kräfte i f beschrieben. Wir betrachten der Einfachheit halber immer nur autonome Kräfte, also Kräfte die nicht explizit von der Geschwindigkeit abhängen. ( ) ( ) 1 ( ) . ( ( ), ( )) i i i i x t y t y t f x t y t M <1.1> Die Grundgleichungen der NCD-Modelle können in vereinfachter Form (die vollständige Formel geben wir der Übersichtlichkeit halber erst in Kapitel 4 an) in Analogie zur Physik folgendermaßen geschrieben werden: ( ) ( ) ( ) . ( ( ), ( )) i i i i i x t y t y t f x t y t <1.2> Dabei stellen die Funktionen i f gerade die ökonomischen Kräfte dar. Die Parameter i können als „ökonomische Macht“ interpretiert werden. Die ökonomische Macht ist also formal das Analogon zum Kehrwert der physikalischen Masse, hängt aber im Gegensatz zur Masse von den Koordinaten ab. Mit diesem Begriff der ökonomischen Macht, können die herkömmlichen algebraischen keynesianischen Modelle und die algebraischen neoklassischen Modelle als ökonomische NCD-Modelle mit einseitigen ökonomischen Machtverhältnissen betrachtet werden, also als Modelle bei denen gewisse Machtfaktoren i bzw. 0 k sind. Die herkömmlichen Gleichgewichtsmodelle können als Zustände von NCD-Modellen betrachtet werden, bei denen die ökonomischen Kräfte 0 i f werden. Die Faktoren i werden in oft als Faktoren für die Anpassungsgeschwindigkeiten der Variablen i y interpretiert. Diese Interpretation ist aber aus 2 Gründen nur bedingt zutreffend: 10 Eine Variable passt sich nicht von selbst an, sondern sie kann nur durch eine Aktion eines Agenten angepasst werden. Die Faktoren i sind daher eher eine Eigenschaft der Agenten und nicht der Variablen. Noch besser kommt dies in den allgemeineren Gleichungen der NCD-Modelle (siehe Kapitel 4) zum Ausdruck. In dieser allgemeineren Form lautet die Gleichung <1.2> ( ), ( ) i i j j i i i j x y y f x t y t oder im Fall mit einer zusätzlichen Zwangsbedingung ( ), ( ) , 0 i i j j i i i j i x y ZB y f x t y t y ZB x y In diesen Gleichungen können die Faktoren j i nicht mehr als Faktoren für die Anpassungsgeschwindigkeiten interpretiert werden. Sehr wohl können sie aber als die Macht des Agenten j interpretiert werden, die Variable i y zu ändern, wenn der Agent eine ökonomische Kraft j i f ausübt. In der Praxis treten zwischen den Newton´schen Modellen in der Physik und den NCDModellen in der Ökonomie häufig folgende 2 Unterschiede auf: Die physikalischen Kräfte hängen sehr oft nur von den Ortskoordinaten (also Bestandsvariablen x ) ab, die ökonomischen Kräfte hängen dagegen meist nur von den Flow-Variablen (also Flussvariablen y ) ab. Der zweite häufig auftretende aber nicht grundsätzliche Unterschied besteht darin, dass in der Physik sehr häufig holonome Zwangsbedingungen auftreten, in der Ökonomie aber praktisch immer nur nichtholonome Zwangsbedingungen. In Kapitel 5 diskutieren wir verschiedene „Closure“-Verfahren für ökonomische Modelle und ihre Beziehung zu ökonomischen Machtverhältnissen. Insbesondere diskutieren wir den Fall, dass gewisse Machtfaktoren 0 j i sind, was bedeutet, dass ein Agent j keine Macht hat, die Fluss-Variable i y zu beeinflussen oder dass er diese nicht beeinflussen will. Dieser Fall entspricht einem speziellen Closure-Verfahren, nämlich dem Weglassen von Gleichungen in einem überbestimmten Gleichungssystem. Darüber hinaus zeigen wir auch, dass die Einführung von Lagrangemultiplikatoren als spezielles Closure-Verfahren betrachtet werden kann. In Kapitel 6 zeigen wir eines der Hauptergebnisse dieser Arbeit, nämlich, dass sich die herkömmlichen ökonomischen Modelle als Spezialfälle der NCD- Modelle ergeben, nämlich als solche bei denen die Machtfaktoren entweder null oder unendlich sind. Das heißt umgekehrt, dass mit allgemeinen NCD-Modellen im Gegensatz zu herkömmlichen Modellen auch Situationen mit gemischten Machtverhältnissen beschrieben werden können. 11 In Kapitel 7 zeigen wir die Methodik am Beispiel eines NCD-Modells für die 2 Sektoren Haushalt und Unternehmen. Ein NCD-Modell beschreibt das Verhalten eines Systems, bei dem jeder Agent eine Individualoptimierungsstrategie verfolgt, d.h. dass er versucht, seinen individuellen Nutzen zu erhöhen. Die Kernthese der Marktwirtschaft besteht in der Annahme, dass die Individualoptimierungsstrategien der einzelnen Agenten durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu einem Gesamtoptimum führen. In vielen realen Situationen ist die Annahme dieser These aber nicht zulässig, denn sie entsprechen oft Situationen, die dem Gefangenendilemma entsprechen: Die Individualoptimierungsstrategien beider Teilnehmer führen dabei zur insgesamt schlechtesten Lösung für alle. In Kapitel 8 modellieren wir das „kontinuierliche Gefangendilemma“ als NCD-Modell. Es ist sowohl hinsichtlich der Zeit als auch der möglichen Zustände kontinuierlich. Im Fall einer diskreten Zeit und 2 Zuständen (Kooperation, Defektion) reduziert es sich auf das klassische Gefangenendilemma. Es dient als Beispiel für ein NCDModell, bei dem die Individualoptimierungsstrategie nicht zu einer Optimierung des Nutzens beider Agenten führt, sondern in Analogie zum klassischen Gefangenendilemma zu einer Verschlechterung des Nutzens für beide Agenten. Generell lässt sich die Methode, spieltheoretische Probleme mit kontinuierlicher Zeit zu beschreiben, auch auf allgemeinere Probleme der Spieltheorie übertragen. Wegen der Charakterisierung mit Differentialgleichungen und des mächtigen Repertoires an Methoden zur analytischen und numerischen Lösung von Differentialgleichungen, sind solche Ansätze oft leichter zu lösen als mit diskreter Zeit. Grundsätzlich muss festgehalten werden, dass nicht nur in der Ökonomie sondern auch grundsätzlich in der Gesellschaft Gefangenendilemma Situationen und andere spieltheoretische Situationen häufig, wenn nicht sogar der Regelfall sind. Staatliche Normen und Gesetze, sowohl jene, die den Markt regulieren, um Markversagen zu verhindern als auch diejenigen, die das gesellschaftliche Leben regulieren, sind als Ausdruck einer Strategie zur Überwindung des Dilemmas zu sehen. Derartige Gesetze können in einem ökonomischen Modell als Zwangsbedingungen formuliert werden. die eine Situation erzwingen, in der Individualoptimierung tatsächlich zu einem Gesamtoptimum führt. Eine genauere Diskussion, unter welchen Bedingungen dies der Fall ist, wird an anderer Stelle genauer geführt.1 In Kapitel 9beschreiben wir zusammenfassend die inhaltlichen und methodischen Vorteile der NCD-Modelle insbesondere zum Verständnis der Ökonomie und zur Beschreibung der Dynamik allgemeiner ökonomischer Systeme. 1 E. Glötzl, Das Gefangenendilemma als NCD-Modell. Unter welchen Bedingungen führen Individual-Optimierungsstrategien zu einem Gesamtoptimum. In Arbeit 12 2. Literaturüberblick 2.1.Ökonomie und Physik Schon in den Anfängen der modernen Ökonomie gab es das Bestreben, die Ökonomie wissenschaftlich in Anlehnung an die Prinzipien der Physik aufzubauen. So zeigt sich schon Adam Smith in „History of Astronomy“ von Newton begeistert (A. Smith, 1795), eine Begeisterung die sich auch zum Teil in der Methodologie und dem Aufbau seiner ökonomischen Theorie zeigt, wie zahlreiche Studien zu Recht feststellen (für einen ausführlicheren Literaturüberblick siehe (Redman, 1993)). So ist die von Adam Smith in „Der Wohlstand der Nationen“ (A. Smith, 1776) entwickelte Werttheorie als Pendant zum Konzept der Energie in der Physik zu sehen. Ihrem Wesen nach wurde diese Wertheorie von allen weiteren klassischen Ökonomen übernommen. Wert bleibt dieser Auffassung nach, im ökonomischen Kreislauf wie Energie erhalten (Mirowski 1989). Während als Folge der beeindruckenden wissenschaftlichen Errungenschaften der Physik und Chemie des 18. und 19. Jahrhunderts zunehmend auch die Sozialwissenschaften sich an den Naturwissenschaften zu orientieren suchten, hatten diese Bestrebungen auf Grund der komplexen und interdependenten Struktur sozialer Phänomene nur einen bescheidenen Erfolg. Einzig in den Wirtschaftswissenschaften gelang es durch die reine Fokussierung auf Wettbewerbsmärkte, Mengen und Preise und zugrunde liegendem rationalem menschlichen Handeln sich der Methodologie der Naturwissenschaften anzunähern (Rothschild, 2002). Den entscheidenden Schritt markierte die von Léon Walras aufgestellte Allgemeine Gleichgewichtstheorie (Walras, 1874), die sich stark an der Physik orientierte und die zeitgleich erschienenen Beiträge Jevon´s mit seinem „calculus of pleasure and pain“, die den Übergang der Klassik zur Neoklassik darstellen. Die Annahme, dass das Verhalten aller wirtschaftlichen Akteure sich durch Nutzenfunktionen beschreiben lasse, stand im Zentrum dieser Entwicklung, die jegliche psychologischen und soziologischen Fragestellungen im Rahmen des Wirtschaftens bewusst ausklammerte. Bis heute bildet dies den Kern der Standardökonomik. Das Arrow-Debreu-Gleichgewichtsmodell, gilt als erste vollständige Weiterentwicklung der walrasianischen Theorie und beschreibt die Existenz eines stabilen Allgemeinen Gleichgewichts (Arrow & Debreu, 1954). Die Bestrebungen weitere Ähnlichkeiten zwischen Physik und Ökonomie aufzuzeigen und die Methodologie der Ökonomik der exakten Wissenschaft der Physik anzupassen wurde vornehmlich auch von Paul Samuelson vorangetrieben. Er war maßgeblich daran beteiligt, dass die Mathematik zur Standard-Methodik der Volkswirtschaftslehre wurde und er beschäftigte sich auch konkret mit den Gemeinsamkeiten der Disziplinen. So beschrieb er, dass die klassische Thermodynamik und die neoklassische Ökonomik in ihrer Suche nach einer Basis zu Optimierung beobachteten Verhaltens verwandt seien, in der Physik durch die Maximierung der freien Energie und in der Ökonomie durch die Maximierung des Nutzens (James B. Cooper, 2010; J. B. Cooper & Russell, 2011). Smith und Foley (2008) versuchen weiter die Modellstruktur der Thermodynamik und den Entropiebergiff der Physik auf die Ökonomie zu übertragen und zu zeigen unter welchen Voraussetzungen dies möglich ist. (E. Smith & Foley, 2008). 13 Andere Autoren wie etwa Kümmel (2011) haben sich im Gegensatz zu den Bestrebungen, die Ökonomik in Analogie zur Thermodynamik zu beschreiben, mit den tatsächlichen Auswirkungen des ersten und zweiten Hauptsatzes der Thermodynamik auf die Ökonomie auseinandergesetzt. 2.2.Ökonomie und Macht „Economics as a seperate science is unrealistic and misleading if taken as a guide in practice. It is one element – a very important element, it is true - in a wider study, the science of power.“ (Russell, 1938, p. 108) Mit der Orientierung der Volkswirtschaftslehre an der Physik wurden Fragen ökonomischer Macht im Wesentlichen aus 2 Gründen weitgehend ausgeblendet. Einerseits gab es die Auffassung, Macht spiele zumindest langfristig auf Grund der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten keine Rolle, eine Auffassung die von Eugen von Böhm-Bawerk in „Macht oder ökonomisches Gesetz“ geprägt wurde (Böhm-Bawerk, 1914) und die auch später noch ansatzweise unter anderem in der Lucas-Kritik auszumachen ist. Andererseits wurde aus methodologischen Gründen davor zurückgeschreckt sich mit Macht zu befassen und dieses Feld der Psychologie und den Sozialwissenschaften überlassen. Jene ökonomischen Theorien, bei denen Machtfragen explizit im Zentrum des Interesses stehen, wie zum Beispiel bei Marx, der mit der Verteilungsfrage und dem Klassenkampf gesellschaftliche Macht in den Mittelpunkt rückte (Foley, 1986), oder Teilen der institutionellen Ökonomie, spielen heute keine Rolle mehr. Die Neoklassischen Orthodoxie beschränkt sich hingegen in ihrem Verständnis von Macht nach wie vor ausschließlich auf die Monopolmacht von Unternehmen auf imperfekten Wettbewerbsmärkten sowie auf die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern und Arbeitgebern am Arbeitsmarkt, was am Beispiel des AS-AD Modells in jedem Standardlehrbuch dargelegt wird (siehe z.B. Blanchard & Illing, 2009). Dabei wird außer Acht gelassen, das alle Akteure eine mehr oder weniger große Macht haben, ihr eigenes Interesse durchzusetzen, sei es direkt im Marktprozess, oder durch Beeinflussung der politischen und sozialen Rahmenbedingungen. Nicht zuletzt kann Macht neben einem Mittel auch ein Ziel ökonomischen Handelns darstellen (Rothschild, 2002). 2.3.Closure von ökonomischen Modellen Ein wichtiger Teil der Literatur hat sich mit dem “Closure” Problem ökonomischer Modelle beschäftigt. Closure beschreibt die Aufgabe unter- oder überdeterminierte Gleichungssysteme, die üblicherweise makroökonomische Bilanzierungsidentitäten beinhalten, lösbar zu machen. “[…]Closures festzusetzen läuft darauf hinaus, festzulegen welche Variablen endogen oder exogen sind […]” 2 (Taylor, 1991, p. 41), da manche Verhaltensgleichungen weggelassen 2 “[…] prescribing closures boils down to stating which variables are endogenous or exogenous[…]”(Taylor, 1991, p. 41) 14 werden müssen, um ein determiniertes Gleichungssystem zu erhalten. Schon 1956 untersuchte Nicolas Kaldor die Modellstrukturen verschiedener ökonomischer Denkschulen und beschäftigte sich dabei implizit auch mit verschiedenen Closures von Ricardianischen, Marxistischen, Keynesianischen und Neoklassischen Modellen (Kaldor, 1956). 1963 zeigte Amartya Sen darüber hinaus, dass Neoklassische und Keynesianische Modelle oftmals vom selben Gleichungssystem abgeleitet werden können und sich im Wesentlichen dadurch entscheiden, welche Verhaltensgleichungen fallen gelassen werden (Sen, 1963). Dies entspricht zugleich einer Entscheidung über die Richtung der Kausalität innerhalb des Modells. Marglin (1987) nähert sich dem Problem von der anderen Richtung und argumentiert, dass Neoklassische, Neokeynesianische und Neomarxistische Modelle im Kern von demselben unterdeterminierten Gleichungssystem ausgehen. Das Closure besteht dann im Aufstellen verschiedener zusätzlicher Verhaltensgleichungen. Die Frage der verschiedenen Closures ökonomischer Modelle wurde aber auch in den letzten Jahren weiterhin erforscht, so beschäftigt sich BarBosa-Filho (2001, 2004) ausgehend von den Bilanzierungsidentitäten mit drei unterschiedlichen möglichen Closure-Verfahren für Keynesianische Modelle, mit Investitionen, Nettoexporten und autonomem Konsum als der jeweiligen treibenden Kraft innerhalb des Modells. 2.4.Die unsichtbare Hand des Marktes führt nicht immer zum Optimum Adam Smith’s Analyse der Wirtschaft und seine Theorie, dass eigennütziges Verhalten aller Akteure am Ende zum besten Gesamtergebnis führe, was oft unter der Metapher der „unsichtbaren Hand“ subsummiert wird, ist bis heute ein zentraler Gedanke in der Volkswirtschaftslehre. Dies ist der Fall, obwohl von vielen Autoren klar gezeigt wurde, dass Individualoptimierung keineswegs immer auch zu einem Gesamtoptimum führen muss. So beschrieb etwa John Nash, der als Erfinder der Spieltheorie gilt, dass individuell optimales Verhalten zu Gleichgewichten führen kann, die insgesamt für alle Teilnehmer ein schlechteres Ergebnis darstellen (Nash, 1951). Der Frage, inwieweit solche Situationen in der Realität tatsächlich eine Rolle spielen, wurde unter anderem auch anhand von Experimenten im Laufe des 20. Jahrhunderts große Aufmerksamkeit gewidmet, wie Giza (2013) dokumentiert. Generell lässt sich die Methode, spieltheoretische Probleme mit kontinuierlicher Zeit zu beschreiben, auch auf allgemeinere Probleme der Spieltheorie übertragen (Cvitanic 20011). Wegen der Charakterisierung mit Differentialgleichungen und des mächtigen Repertoires an Methoden zur analytischen und numerischen Lösung von Differentialgleichungen, sind solche Ansätze oft leichter zu lösen als mit diskreter Zeit (Sannikov 2012) Cvitanic, J. and J. Zhang (2011) Contract Theory in Continous-Time Models, Springer Yuliy Sannikov, Princeton University, (2012), 10th World Congress of Econometric Society 15 3. Die Grundgedanken an einfachen Beispielen In Kapitel 6 werden wir den allgemeinen Fall formulieren wie sich herkömmliche ökonomische Modelle als Spezialfälle von NCD-Modellen darstellen lassen. Als Motivation und Einführung erläutern wir die Grundgedanken an einfachen Beispielen. 3.1.Mikroökonomisches Beispiel: Edgeworth-Box Als Edgeworth-Box bezeichnet man in der Mikroökonomik ein graphisches Hilfsmittel, um auf intuitive Weise das allgemeine Gleichgewicht einer reinen Tauschwirtschaft mit zwei Agenten A, B und zwei Gütern zu untersuchen. Ausgehend von einer Anfangsallokation der beiden Güter auf die beiden Agenten gelangen die beiden Agenten im Rahmen der Verhandlungen über den Tausch entlang einer Verhandlungskurve zu einem Pareto-Optimum, d.h. einem Gleichgewicht bei dem der Nutzen für keinen der Agenten vergrößert werden kann, ohne den Nutzen des jeweiligen anderen Agenten zu verringern. Die allgemeine Gleichgewichtstheorie macht dabei weder eine Aussage über den Verlauf der Verhandlungskurve, also über den Weg, über den das Pareto-Optimum erreicht wird, noch welches der möglichen Pareto-Optima erreicht wird. Das Wesen eines NCD-Modells liegt gerade darin, die Dynamik der Verhandlungskurve zu modellieren. Mit der Modellierung der Verhandlungskurve ergibt sich als Folge auch die Lage des endgültigen Verhandlungsergebnisses. Natürlich lässt sich in einem konkreten Einzelfall nicht vorhersagen, auf welchem Verhandlungsweg die Agenten zu einem endgültigen Verhandlungsergebnis kommen. Aber es macht Sinn den typischen Verlauf des Verhandlungsweges als Durchschnitt der Verhandlungswege in gleichgearteten Situationen zu verstehen und damit den typischen Verhandlungsweg von zwei repräsentativen Agenten im Sinne eines NCD-Modells in folgender Weise zu modellieren: Die Verhandlungsstrategie von jedem der beiden Agenten wird auf die Optimierung seiner Nutzenfunktion ausgerichtet sein. Er wird daher bei den Verhandlungen eine „ökonomische Kraft“ in diejenige Richtung einsetzen, bei der seine Nutzenfunktion am stärksten zunimmt und er wird sich umso stärker dafür einsetzen je größer der Nutzenvorteil dabei ist. Diese Richtung und Größe wird aber gerade durch den Gradienten der Nutzenfunktion beschrieben, der bekanntlich senkrecht auf die Linien konstanten Nutzens steht. Wie weit ein Agent sein Ziel erreichen kann, hängt aber nicht nur von seiner ökonomischen Kraft und der Kraft des anderen ab, sondern auch von seiner „ökonomischen Macht“ und der Macht des anderen. Die tatsächlich zu erwartende Änderung der Allokation der Güter wird also in die Richtung der Resultierenden dieser beiden Kräfte verlaufen, wenn sie mit der jeweiligen ökonomischen Macht des Agenten gewichtet werden. Offensichtlich hängt deshalb das endgültige Verhandlungsergebnis dabei auch von der jeweiligen ökonomischen Macht der Agenten ab. 16 Bezeichne 1 2 1 2 ,,, A A B B xxxx die Mengen der Güter 1,2 der Agenten A,B 1 2 1 2 ,,, A A B B xxxx die zeitlichen Änderungen der Mengen der Güter 1,2 der Agenten A,B 1 2 1 2 ( , ) und ( , ) A A A B B B U x x U x x die Nutzenfunktionen von A,B , A B die jeweilige ökonomische Macht von A,B 1 2 m m, die Gesamtmengen der Güter 1,2 dann lässt sich das oben Gesagte in folgender Weise formalisieren: 1 2 1 2 1 2 1 2 1 1 1 1 1 2 1 2 1 2 1 2 2 2 2 1 2 1 1 2 2 2 ( , ) ( , ) ( , ) (( ),( )) ( , ) ( , ) ( , ) (( ),( )) A A A B B B A A A B A A A A B A B A A A A A A A B B B A A A B A A A A B A B A A A A U x x U x x U x x U m x m x x x x x x U x x U x x U x x U m x m x x x x x x Das von den jeweiligen Machtfaktoren abhängige endgültige Verhandlungsergebnis ergibt sich dann aus 1 2 1 2 1 1 1 2 1 2 2 2 1 2 1 2 ( , ) (( ),( )) 0 ( , ) (( ),( )) 0 A A A B A A A B A A A A A B A A A B A A U x x U m x m x x x U x x U m x m x x x 17 3.2. Makroökonomisches Beispiel: „Sparen versus Investieren“ 3.2.1. Fragestellung Anhand dieses sehr einfachen Beispiels sollen 2 Punkte erläutert werden: 1. Wie kann man die Analogie zwischen ökonomischen Modellen und der Physik verstehen? Die Antwort darauf ist, dass NCD-Modelle die Dynamik der Ökonomie in Analogie dazu beschreiben, wie Bewegungen unter Zwangsbedingungen in der klassischen Mechanik beschrieben werden. 2. Ist Sparen die Voraussetzung dafür, dass investiert werden kann oder gilt die Umkehrung? Oder anders ausgedrückt: In welcher Beziehung steht die neoklassische Annahme, nämlich dass Sparen zu Investitionen führt, zu der umgekehrten Keynesianischen Annahme, nämlich dass Investieren zu Sparen führt? Die Antwort darauf ist, dass dies letztlich auf die Verteilung der Macht zwischen Sparern und Investoren hinausläuft. 3.2.2. Physik: die Bewegung auf der schiefen Ebene. Bezeichne: 1 2 x x, die Ortskoordinaten, 1 2 v v, die Geschwindigkeitskoordinaten und 1 2 v v, deren Zeitableitungen M die Masse 1 2 f f , die Koordinaten der Kräfte, die auf einen Massenpunkt der Masse M wirken 1 2 1 2 ZB x x x x ( , ) 0 die Zwangsbedingung zur Beschreibung der 45 Grad geneigten schiefen Ebene den Lagrange-Multiplikator Dann wird die Bewegung des Massenpunktes auf der schiefen Ebene in der klassischen Mechanik durch folgende Newton-Lagrange-Gleichungen beschrieben: 1 1 1 1 2 2 2 2 1 2 1 2 1 1 1 1 ( , ) 0 ZB v f f M x M ZB v f f M x M ZB x x x x <3.1> 18 Die jeweiligen ersten Terme 1 2 1 1 f f und M M beschreiben die Koordinaten der „ex ante“ Kraft, die jeweiligen zweiten Terme 1 2 und ZB ZB x x die Koordinaten der „Zwangskraft“. Die Summe beider Terme bezeichnen wir als „ex post“ Kraft, weil durch sie letztlich die tatsächliche Bewegung unter Berücksichtigung der Zwangsbedingung beschrieben wird. 3.2.3. Das NCD-Modell „Sparen versus Investieren“ in Analogie zur Physik Bezeichne: I die Investitionen und S das Sparen und I S , deren Zeitabletungen IF eine beliebige Investitionsfunktion, also z.B. 0 1 I IF i i Y : SF eine beliebige Sparfunktion, also z.B. 0 1 0 1 L : oder ( , konstant, ) : ( Sparquote der Arbeitseinkommen, p Stundenlohn, L Arbeit, Sparquote des Profits, Profit) L L P L P S SF s s Y s s Y BIP S SF s p L s P s s P S I , die ökonomische Macht der Sparer bzw. der Investoren ZB I S I S ( , ) 0 die Bilanzierungsidentität der Gleichheit von Investieren und Sparen als Zwangsbedingung . Lagrangemultiplikator 19 Wenn man annimmt, dass der Investor sich umso mehr bemühen wird, zusätzlich zu investieren, je weiter er unter seinem Investitionsplan (Investitionsfunktion) liegt, bzw. weniger zu investieren, je weiter er über seinem Plan liegt, so kann man das formal derart ausdrücken, indem man seine ökonomische Kraft I f zur Änderung seiner Investitionen folgendermaßen definiert: ( ) I f IF I Definiert man sinngemäß ( ) S f SF S lässt sich ein NCD-Modell in einfachster Weise folgendermaßen definieren: ( ) ( ) ( ) ( ) ( , ) 0 I I I I S S S S ZB ZB I f IF I IF I I I ZB ZB S f SF S SF S S S ZB I S I S <3.2> Man erkennt damit unmittelbar, dass die Bewegung auf der schiefen Ebene und die Entwicklung von Investieren und Sparen durch die analogen Gleichungen <3.1> und <3.2> beschrieben werden. Der einzige wesentliche Unterschied liegt darin, dass die Masse M nicht von den Koordinaten abhängt, die Machtfaktoren , I S hingegen sehr wohl von den Koordinaten abhängen. Es ist auch typisch, dass Kräfte in der Physik oft nur von den Ortskoordinaten abhängen (hier 1 2 x x, ), in der Ökonomie jedoch meistens nur von den FlowVariablen (hier I S, ). 3.2.4. Neoklassisches Verhalten von Investieren zu Sparen und Keynesianisches Verhalten von Investieren zu Sparen als Spezialfälle des NCD-Modells mit einseitigen Machtverhältnissen. Dividiert man im NCD-Modell <3.2> (1) ( ) (2) ( ) (3) ( , ) 0 I S I IF I S SF S ZB I S I S die Gleichung (2) durch S und lässt S erhält man (1) ( ) (2) (3) ( , ) 0 I I IF I S SF ZB I S I S 20 Setzt man nun in der Gleichung (1) 0 I und differenziert man die Zwangsbedingung (3) erhält man für die Gleichung (1) (1) I S Diese Gleichung ergibt sich aber auch aus der Gleichung (3) und kann daher weggelassen werden. Dies kann in der Form interpretiert werden, dass die Entwicklung von I nur durch die Entwicklung von S und die Zwangsbedingung bestimmt wird. Damit beschreiben die Machtverhältnisse S und 0 I die neoklassische Annahme, dass die Investitionen vollständig durch das Sparverhalten bestimmt werden. Führt man dieselben Umformungen mit I und 0 S durch, ergibt sich die konträre Keynsianische Sichtweise, nämlich dass Sparen vollständig durch das Investitionsverhalten bestimmt wird. Eine wesentliche Schlussfolgerung liegt nun darin, dass in der Realität die Machtverhältnisse weder den einseitigen neoklassischen noch den einseitigen Keynsianischen Annahmen entsprechen, sondern dass in der Realität eher gemischte Machtverhältnisse anzunehmen sind. Das heißt aber nichts anderes, als dass die Realität mit NCD-Modellen besser beschrieben werden kann. 3.2.5. Allgemeines Gleichgewichtsmodell unter Zwangsbedingungen als stationäre Lösung des NCD-Modells Ausgangspunkt für die allgemeine Gleichgewichtstheorie sind Nutzenfunktionen. Die zu der ökonomischen Kraft 1 2 f f f ( , ) ( ) ( ) I S f IF I f SF S gehörigen Nutzenfunktionen sind 2 2 1 ( ) 2 1 ( ) 2 I S U IF I U SF S In diesem Fall lassen sich die individuellen Nutzenfunktionen zu einer „MasterNutzenfunktion“ MU aggregieren 1 1 2 2 ( ) ( ) 2 2 MU IF I SF S sodass deren Gradient von MU gerade die ökonomische Kraft ergibt: f grad MU Koordinatenweise geschrieben heißt das 21 ( ) ( ) I S MU f IF I I MU f SF S S Das Modell der Allgemeinen Gleichgewichtstheorie ergibt sich aus der Maximierung der Master-Nutzenfunktion unter der Zwangsbedingung ZB I S I S ( , ) 0 , d.h. indem man in der üblichen Weise den Gradienten von MU unter Berücksichtigung der LagrangeMultiplikatoren null setzt. Damit ergibt sich das Gleichungssystem 0 ( ) 0 ( ) ( , ) 0 MU ZB IF I I I MU ZB SF S S S ZB I S I S <3.3> Geht man andererseits vom NCD-Modell <3.2> aus ( ) ( ) ( , ) 0 I S I IF I S SF S ZB I S I S so erkennt man, dass das allgemeine Gleichgewichtsmodell <3.3> gerade den stationären Lösungen des NCD-Modells mit den Machtfaktoren 1 I und 1 S entspricht. 3.3.Ein weiteres zum „Sparen versus Investieren“-Modell analoges einfaches Modell: „Gläubiger versus Schuldner“ In einer abgeschlossen Volkswirtschaft ist die Summe der Forderungen R (Receivables) stets gleich hoch wie die Summe der Verbindlichkeiten D (Debts), d.h. es gilt stets die 22 Bilanzierungsidentität und damit die Zwangsbedingung R D . Die zeitliche Entwicklung dieser Größen hängt einerseits von den Interessen der Summe der Gläubiger und der Summe der Schuldner ab, andererseits von ihrer Macht, diese Interessen auch durchzusetzen3 . 3.4.Subsistenzwirtschaft 3.4.1. Problemstellung Ein besonders einfaches ökonomisches Modell ist das Modell einer Subsistenzwirtschaft mit 1 Agenten: das heißt 1 Agent, der nur Konsumgüter C für den eigenen Konsum produziert (der also keine Investitionsgüter produziert), der diese nur mit eigener Arbeit L und ohne Kapital produziert und der die produzierten Güter ohne Lagerbildung sofort konsumiert. Wir stellen dieses Modell zunächst in der Herangehensweise der allgemeinen Gleichgewichtstheorie auf und dann in der keynesianischen Herangehensweise auf. Dabei geht es nicht darum, welches der beiden Modelle inhaltlich „richtig“ ist, sondern es geht nur darum, die mit diesen Modellen verbundene Struktur der mathematischen Modellgleichungen aufzuzeigen. Dann beschreiben wir diese Subsistenzwirtschaft mit 2 NCD-Modellen mit unterschiedlichen Nutzenfunktionen und zeigen: 1. Die grundsätzliche Analogie dieser NCD-Modelle zur Bewegung eines Massenpunktes auf der schiefen Ebene. 3 In Glötzl (1999) wird das „Fundamentalparadoxon der Geldwirtschaft“ beschrieben. Es besagt, dass in einer Wirtschaft in der Kredite in Geldeinheiten gemessen werden, die Macht der Summe der Gläubiger, ihre Forderungen zu erhöhen, stets größer ist als die Macht der Summe der Schuldner, ihre Schulden abzubauen. In anderen Worten beschreibt es die „Ohnmacht“ der Schuldner relativ zur „Macht der Gläubiger. Diese Machtverhältnisse sind letztlich die Ursache von Schuldenfallen und des ständigen Wachstums von Forderungen und Verbindlichkeiten. E. Glötzl, 1998 Wechselfieber der Volkswirtschaften (Zeitschrift für Sozialökonomie, 121. Folge, Juni 1999) 23 2. Wie das allgemeine Gleichgewichtsmodell als Zustand des ersten NCD-Modells gesehen werden kann, bei dem die ökonomischen Kräfte 0 werden. 3. Wie das keynesianische Modell als Spezialfall des zweiten NCD-Modells mit einseitigen Machtverhältnissen gesehen werden kann. 3.4.2. Das allgemeine Gleichgewichts-Modell Der erste Ausgangspunkt für ein allgemeines Gleichgewichtsmodell ist eine Nutzenfunktion U des Agenten, die sich als Summe der Nutzenfunktionen UC für den Konsum C und UL für die Arbeit L ergibt. Da es bei unserer Fragestellung nicht auf die spezielle Wahl der Nutzenfunktion ankommt, wählen wir der Einfachheit halber 1 2 ( , ) ( ) ( ) 2 2 U C L U C U L C L C L Zweiter Ausgangspunkt ist eine Cobb-Douglas Produktionsfunktion. Weil der Produktionsfaktor Kapital nicht genutzt wird, lautet diese: Y L Dritter Ausgangspunkt ist die Bilanzierungsidentität für die Verwendung von Y Y C Damit ergibt sich als allgemeines Gleichgewichts-Modell die Maximierung von U unter der Zwangsbedingung ZB C L C L ( , ) 0 . Dies führt zu den Modellgleichungen: 1 0 , 0 0 . 0 ( , ) 0 . 0 U ZB bzw C C C U ZB bzw L L L ZB C L bzw C L <3.4> Als Lösung ergibt sich unmittelbar: C L 1 . Die zu den Flussvariablen C L, gehörigen Stockvariablen Gesamtkonsum SC C dt : und die gesamte geleistete Arbeit SL L dt : haben in diesem Modell keine Bedeutung. Insgesamt ergibt sich damit aber die Modellstruktur wie in <1.1>, wenn man die Zwangsbedingung zusätzlich beachtet. 3.4.3. Das keynesianische Modell Erster Ausgangspunkt für das keynesianische Modell ist eine Konsumfunktion, von der wir der Einfachheit halber annehmen C i i Y 0 1 24 Zweiter Ausgangspunkt ist wiederum die Bilanzierungsidentität für die Verwendung von Y Y C Damit ergeben sich die Modellgleichungen C i i Y 0 1 Y C <3.5> Als Lösung ergibt sich unmittelbar: 0 1 1 i C i . Wiederum gilt, dass die zu den Flussvariablen C L, gehörigen Stockvariablen Gesamtkonsum SC C dt : und die gesamte geleistete Arbeit SL L dt : in diesem Modell keine Bedeutung haben. Insgesamt ergibt sich damit aber ebenfalls die Modellstruktur wie in <1.1>, wenn man die Zwangsbedingung zusätzlich beachtet. 3.4.4. Das erste NCD-Modell Das erste NCD-Modell geht von derselben Nutzenfunktion wie das neoklassische Gleichgewichts-Modell aus. 1 2 ( , ) 2 2 U C L C L Der Agent wird eine umso stärkere ökonomische Kraft ausüben, seinen Konsum zu erhöhen, je stärker sein Nutzen durch eine Erhöhung des Konsums wächst und je höher seine ökonomische Macht C ist, sein Interesse auch durchzusetzen. Desgleichen wird der Agent eine umso stärkere ökonomische Kraft ausüben, seine Arbeit zu verringern, je mehr sein Nutzen dadurch wächst und je höher seine ökonomische Macht L ist, sein Interesse auch durchzusetzen. Dies führt zunächst zu den zwei Verhaltensgleichungen 1 C C L L U C C C U L L L Durch diese beiden Verhaltensgleichungen wird die Dynamik ohne Berücksichtigung der Zwangsbedingung beschrieben. Die Zwangsbedingung besteht darin, dass der Agent ja nur das konsumieren kann, was er auch selbst produziert hat. Diese Dynamik ohne Berücksichtigung der Zwangsbezeichnung bezeichnen wir als „ex ante“ Dynamik. Bei geeigneter Wahl der Einheiten lautet die Zwangsbedingung ZB C L C L ( , ) 0 Durch diese Zwangsbedingung kommt es zu zusätzlichen Zwangskräften, die senkrecht auf die Zwangsbedingung stehen, was bedeutet, dass die Zwangskräfte ein Vielfaches (Lagrange-Multiplikator) des Gradienten der Zwangsbedingung sind. Damit ergibt sich als grundlegendes Gleichungssystem 25 1 ( , ) 0 C C L L SC C SL L U ZB C C C C U ZB L L L L ZB C L C L <3.6> Dieses Gleichungssystem beschreibt die tatsächliche „ex post“ Dynamik, zu der es unter Berücksichtigung der Zwangsbedingung kommt. Es hat genau die Struktur von <1.2> . Die „ex post“ Dynamik des NCD-Modells kommt also durch das Zusammenwirken der „ex ante“ Kräfte und der Zwangskraft zustande (siehe Grafik 1). 3.4.5. Das zweite NCD-Modell Das zweite NCD-Modell geht von folgender Nutzenfunktion UC für den Konsum C aus: 2 0 1 1 ( , ) ( ) 2 U C Y i i Y C C Diese Nutzenfunktion kann folgendermaßen interpretiert werden: Der Agent strebt (aus welchen Gründen auch immer) einen Konsum in der Höhe von 0 1 ( ) i i Y an. Sein Nutzen ist also umso größer je näher sein tatsächlicher Konsum C beim angestrebten Konsum 0 1 ( ) i i Y liegt. Als Nutzenfunktion UL für die Arbeit L nehmen wir dieselbe wie im vorigen Beispiel. Damit ergibt sich für die Nutzenfunktion U des Agenten 2 2 0 1 1 1 ( , , ) ( , ) ( ) ( ) 2 2 U C L Y U C Y U L i i Y C L C L 26 und wegen der Bilanzierungsidentitäten für die Erstellung und die Verwendung von Y gilt (bei geeigneter Wahl der Einheiten) 1 2 ( , ) 0 ( , ) 0 ZB L Y L Y ZB C Y C Y <3.7> Aus ZB1 ergibt sich Y L . Setzt man das in die anderen Modellgleichungen ein, kann man ZB1 weglassen und es ergibt sich damit 0 1 ( ) ( , ) 0 C C L L SC C SL L U ZB C i i L C C C U ZB L L L L ZB C L C L <3.8> 3.4.6. Die Analogie der NCD-Modelle zur Bewegung auf der schiefen Ebene Betrachtet man die Zwangsbewegung eines Massenpunktes der Masse M auf einer schiefen Ebene mit einer Neigung von 45 Grad, auf den in die Richtungen der Koordinatenachsen 2 Kräfte 1 2 f f , wirken (siehe Grafik 1), so ergibt sich zu den vorhergehenden ökonomischen Modellen einer Subsistenzwirtschaft eine sehr weitgehende Analogie. Die Modellgleichungen lauten: 1 1 2 2 1 1 2 2 1 2 1 2 1 1 ( , ) 0 x y x y y f M y f M ZB x x x x <3.9> Die Grundstruktur der NCD-Modellgleichungen der beiden NCD-Modell <3.6> und gleich der Struktur der Modellgleichungen <3.9> für die Bewegung auf der schiefen Ebene. Sie unterscheiden sich nur in folgenden Punkten: 1. In der klassischen Mechanik hängt die träge Masse nicht von der Richtung ab, in die der Massenpunkt beschleunigt wird. Die ökonomische Macht hingegen kann für verschiedene Variable (Koordinaten) sehr wohl unterschiedliche Werte annehmen. 2. Die ökonomischen Kräfte in diesem Beispiel hängen wie meistens in der Ökonomie nur von den Fluss-Variablen ab, die physikalischen Kräfte hängen hingegen hängen hier so wie sehr oft nur von den Bestands-Variablen (Ortskoordinaten) ab. 27 3. Die Zwangsbedingungen sind im Subsistenzmodell so wie praktisch immer in der Ökonomie nichtholonome Zwangsbedingungen, d.h. sie hängen auch von Fluss-Variablen ab, die Zwangsbedingungen der Bewegung in der schiefen Ebene sind dagegen so wie sehr oft in der Mechanik holonome Zwangsbedingungen, d.h. sie hängen ausschließlich von den Bestands-Variablen (Ortskoordinaten) ab. 3.4.7. Das allgemeine Gleichgewichtsmodell Modell als kräftefreier Zustand des ersten NCD-Modells Offensichtlich ist das neoklassische Gleichgewichtsmodell <3.4> identisch mit den Lösungen des ersten NCD-Modells <3.6> , bei dem die „ex post“ Kräfte verschwinden. mit den speziell gewählten Machtfaktoren und . 3.4.8. Das keynesianische Modell als NCD-Modell mit einseitigen Machtverhältnissen. Wir zeigen im Folgenden, dass das keynesianische Modell <3.5> identisch ist mit dem zweiten NCD-Modell mit den speziellen Machtfaktoren und . Setzt man in <3.8> ergibt sich 0 1 (1) (2) (3) ( ) (4) (5) ( , ) 0 C SC C SL L C i i L C L ZB C L C L Dieses Differential-Algebraische Gleichungssystem kann vereinfacht werden, indem man die algebraische Gleichung (5), also die Zwangsbedingung, differenziert, woraus sich ergibt C L 0 Aus der 4. Gleichung ergibt sich damit C . Setzt man das ein ergibt sich 0 1 (1) (2) 1 (3) ( ) 2 (4) (5) ( , ) 0 C SC C SL L C i i L C L C ZB C L C L Die Gleichung (4) kann weggelassen werden, weil sie aus Gleichung (5) folgt. Dividiert man (3) durch C und lässt C erhält man 1 C 1 L C 0 L 0 L 28 0 1 (1) (2) (3) (5) ( , ) 0 SC C SL L C i i L ZB C L C L Wegen <3.7> gilt L Y . Damit sind diese Modellgleichungen identisch mit den Modellgleichungen <3.5> des keynesianischen Modells ist. 29 4. Modellgleichungen allgemeiner Newtonian Constrained Dynamic Models (NCD-Modelle) 4.1.Das allgemeine Grundkonzept von NCD-Modellen Für eine beliebige Anzahl von Agenten (unabhängig davon ob es sich um einzelne Wirtschaftsteilnehmer oder um repräsentative Agenten für einzelne Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern handelt) lässt sich das allgemeine Grundkonzept von NCDModellen folgendermaßen verbal beschreiben: Ausgehend von einem ökonomischen Zustand zum Zeitpunkt t, der durch n Stocks 𝑥𝑖 und n Flows 𝑦𝑖 (𝑖 = 1, … , 𝑛) beschrieben wird, hat jeder der m Agenten (𝑗 = 1, … , 𝑚) ein Interesse, diesen Zustand zu ändern und eine ökonomische Macht 𝜇𝑖 𝑗 , sein Interesse durchzusetzen. Er übt daher eine ökonomische Kraft 𝑓𝑖 𝑗 auf die Änderung der Flows in diejenige Richtung aus, die seinem Interesse entspricht. Seine tatsächlich wirksam werdende Kraft ist proportional seiner aufgewendeten ökonomischen Kraft 𝑓𝑖 𝑗 und seiner ökonomischen Macht 𝜇𝑖 𝑗 . Das Zusammenspiel aller Kräfte und Machtfaktoren führt zu einer „ex ante“ Dynamik. 𝑙 Zwangsbedingungen 𝑍𝐵𝑘 (𝑘 = 1, . . , 𝑙), wie z.B. Bilanzierungsidentitäten, führen zu zusätzlichen l Zwangskräften. Die „ex post“ Dynamik ergibt sich aus dem Zusammenspiel der n interessengesteuerten Kräfte (mal den Machtfaktoren 𝜇𝑖 𝑗 ) plus den 𝑙 Zwangskräften. Die 𝑙 Zwangskräfte ergeben sich dabei in Analogie zur klassischen Mechanik aus den l Lagrange-Multiplikatoren 𝜆𝑘 mal dem entsprechenden Gradienten von 𝑍𝐵𝑘. Da die Modelle mit kontinuierlicher Zeit und mit Differentialgleichungen wesentlich einfacher zu formulieren sind als mit diskreter Zeit und Differenzengleichungen und überdies damit die Analogie zur klassischen Mechanik deutlicher sichtbar wird, werden wir die Modelle mit kontinuierlicher Zeit formulieren. Grundsätzlich wären aber immer auch dazu äquivalente Formulierungen mit diskreter Zeit möglich. Desgleichen könnten die Verhaltensgleichungen auch um stochastische Terme ergänzt werden, was zu stochastischen NCD-Modellen führen würde, die wir der Einfachheit halber aber hier nicht betrachten. Das Grundkonzept der NCD-Modelle lässt sich damit durch folgendes Gleichungssystem darstellen (Anzahl der Variablen ( 𝑖 = 1, … , 𝑛), Anzahl der Agenten (𝑗 = 1, … , 𝑚), Anzahl der Zwangsbedingungen (𝑘 = 1, . . , 𝑙)): 1 1 ( , ) ( , ) ( , ) 0 i i m l j k i i k j k i k j i x y ZB x y y y f x B y Z x y <4.1> 30 Kurz gefasst kann man NCD-Modelle als SFC (Stock-Flow-Consistent), AB (AgentBased) Modelle mit Zwangsbedingungen in kontinuierlicher Zeit betrachten. 4.1.1. Anmerkung 1: Falls für ein spezielles 0 i und ein spezielles 0 j gilt, dass 0 0 j i , geht die Differentialgleichung 0 0 0 0 0 1 1 ( , , ) ) ( m l j k i i k j k i j i f x y ZB x y y y <4.2> indem man durch 0 0 j i dividiert, über in die algebraische Gleichung 0 0 0 ( , ) j i f x y D.h. dass auch algebraische Verhaltensgleichungen als NCD-Verhaltensgleichungen mit unendlichen Machtfaktoren interpretiert werden können. 4.1.2. Anmerkung 2: Als Spezialfall von Anmerkung 1 können auch Modelle mit einem oder mehreren „Parametern“ m p betrachtet werden: 1 1 ( , , ) ( ( , , , , ) ( , , ) ) 0 i i m l j k i i k j k i p j m m k i x y ZB x y p y y p f x y p f ZB x y p x y p 4.1.3. Anmerkung 3: Falls für ein spezielles 1 i und ein spezielles 1 j gilt, dass für alle 1 j j gilt 1 0 j i , geht die Differentialgleichung über in 1 1 1 1 1 1 1 ( , ) ( , ) l j k i i k i j i k ZB x y y f x y y In diesem Fall kann der Machtfaktor 1 1 j i auch als Faktor für die Anpassungsgeschwindigkeit interpretiert werden. Diese Interpretation ist aber aus 2 Gründen nur bedingt zutreffend: Eine Variable passt sich nicht von selbst an, sondern sie kann nur durch eine Aktion eines Agenten angepasst werden. Die Faktoren sind daher eher eine Eigenschaft der Agenten und nicht der Variablen. 31 Vor allem aber ist die Interpretation als Faktoren für die Anpassungsgeschwindigkeit für den allgemeinen Fall der Verhaltensgleichungen der NCD-Modelle <4.1> nicht mehr möglich. Sehr wohl können sie aber als die Macht des Agenten j interpretiert werden, die Variable i y zu ändern, wenn der Agent eine ökonomische Kraft j i f ausübt. 4.1.4. Anmerkung 4: Im Sinne von Anmerkung 2 und Anmerkung 3 können „Parameter“ einerseits als Variable mit unendlich hoher Anpassungsgeschwindigkeit betrachtet werden oder als Variable zu denen es einen Agent gibt, der eine unendlich hohe Macht hat, diese zu ändern. 4.2.NCD-Modelle mit individuellen Nutzenfunktionen Für das Verständnis der allgemeinen Struktur der ökonomischen Kräfte von besonderer Bedeutung ist die „Helmholtzzerlegung“ der ökonomischen Kräfte in wegunabhängige Kräfte (Potentialkräfte) und wegabhängige Kräfte (Rotationskräfte). Weil es für ökonomische Modelle in der Regel nicht von Bedeutung ist, gehen wir nicht auf die technischen Details und die genauen Definitionen von x rot und y rot ein. Es gilt <>: Falls i i x y gibt es (unter nicht wesentlich einschränkenden Bedingungen) zu jedem Kraftfeld : n n f ein „Stock-Potential“ V , ein „FlowPotential“ U , nn 1 / 2 „Stock-Rotations-Potentiale“ RVr und nn 1 / 2 „FlowRotations-Potentiale“ RUr , sodass ( 1)/2 ( 1)/2 1 1 ( , ) ( , ) ( , ) ( , ) ( , ) n n n n x y x y r r f x y grad V x y grad U x y rot RV x y rot RU x y <<4 Inhaltlich könnte man die Potentialkräfte auch als „rationale Kräfte“ bezeichnen, weil es für den Agenten „rational“ ist, eine Kraft in diejenige Richtung auszuüben, in die die „Nutzenfunktionen“ V und U am stärksten wachsen. Da die Rotationskräfte gerade senkrecht auf den Gradienten der Rotationspotentiale stehen und damit Kräfte repräsentieren, die in eine Richtung wirken, bei denen sich die Rotationspotentiale nicht ändern und es für einen Agenten nicht rational wäre, eine Kraft in eine Richtung auszuüben, in der sich nichts ändert, könnte man diese Kräfte auch als „irrationale“. Kräfte bezeichnen. Mit diesen Begriffen könnte man auch einen Unterschied zwischen neoklassischem Denken und Keynesianischem Denken präzisieren: Neoklassische Modelle gehen davon aus, dass es nur rationale ökonomische Kräfte gibt, Keynesianische Modelle gehen davon aus, dass diese Einschränkung nicht zulässig ist>> Für die ökonomischen Modelle von besonderer Bedeutung ist der Fall, bei dem für alle Kraftfelder j i f alle Potentiale außer den „Flow-Potentialen“ j Ui verschwinden, die j Ui nur von den Flow-Variablen abhängen und für jeden Agenten j j Ui nicht von i abhängt. Ein solches „Flow-Potential“ ( ) j U y wird individuelle Nutzenfunktion des Agenten j 4 eventuell weglassen 32 genannt. Die zur Nutzenfunktion ( ) j U y gehörige wegunabhängige <> ökonomische Kraft ist ( ) j grad U y y . Für diese Fälle gilt also ( ) , j j i i U y f x y y Damit ergibt sich für das grundlegendes Gleichungssystem <4.1> 1 1 ( ( , ) ( , ) 0 ) i i m l j k i i k j k i k j i U y x y ZB x y x y y y ZB y Dieses Gleichungssystem kann folgendermaßen interpretiert werden: Die „rationale“ Präferenz bzw. das ökonomische Interesse und damit die ökonomische Kraft, die ein Agent aufbringen wird, um eine Variable zu ändern, ist umso größer je stärker dabei sein individueller Nutzen zunimmt. Die tatsächliche Änderung ergibt sich aus dem Zusammenspiel von allen diesen Kräften und den Zwangskräften. Sie ergibt sich also als Resultierende der Individual-Optimierungsstrategien der einzelnen Agenten. Eine der Kernthesen der Marktwirtschaft besteht in der Annahme, dass die unsichtbare Hand des Marktes dazu führt, dass sich für alle Marktteilnehmer ein optimales Ergebnis ergibt, oder abgeschwächt, dass der Gesamtnutzen maximal wird, wenn alle Marktteilnehmer danach trachten, ihren individuellen Nutzen zu maximieren. Dass dies keineswegs immer der Fall ist, zeigen wir am Beispiel des kontinuierlichen Gefangenendilemmas in Kapitel 0. Mit NCD-Modellen kann der Frage nachgegangen werden, unter welchen Bedingungen diese Kernthese der Marktwirtschaft erfüllt ist oder beispielsweise welche Zwangsbedingungen notwendig sind, damit die IndividualOptimierungsstrategien zu einer Gesamt-Optimierung führen. Diese Fragestellungen werden an anderer Stelle ausführlich diskutiert5 . 4.3.NCD-Modelle mit einer Master-Nutzenfunktion In neoklassischen Modellen wird in der Regel nicht davon ausgegangen, dass jeder einzelne Agent versucht seinen individuellen Nutzen zu maximieren, sondern es wird davon ausgegangen, dass das ökonomische System durch die Maximierung einer einzigen Nutzenfunktion bestimmt wird. Zur klaren Unterscheidung von den individuellen Nutzenfunktionen der Agenten bezeichnen wir eine solche Nutzenfunktion als „MasterNutzenfunktion“ MU . Falls eine solche Master-Nutzenfunktion existiert, lässt sich das grundlegende Gleichungssystem folgendermaßen schreiben: 5 E. Glötzl, Das Gefangenendilemma als NCD-Modell. Unter welchen Bedingungen führen Individual-Optimierungsstrategien zu einem Gesamtoptimum. In Arbeit 33 1 ( , ) ( , ) ) 0 ( i i l k i k i k i k x y M ZB x y y y ZB x U y y y Im Zusammenhang mit einer Master-Nutzenfunktion ergeben sich zwei wesentliche Fragen. 1. Unter welchen Bedingungen existiert eine Master-Nutzenfunktion, durch deren alleiniger Maximierung das gesamte System vollständig bestimmt ist? Diese Frage wird oft auch als Frage nach der Aggregierbarkeit von Nutzenfunktionen bezeichnet. Inhaltlich bedeutet diese Frage auch, unter welchen Bedingungen die Beschreibung eines ökonomischen Systems als neoklassisches Modell gerechtfertigt ist. Die neoklassische Annahme der Aggregierbarkeit der Nutzenfunktionen bedeutet jedenfalls eine sehr starke Restriktion, sodass man nicht davon ausgehen kann, dass sie in der Realität stets erfüllt ist. 2. Unter welchen Bedingungen führt die Maximierung der Master-Nutzenfunktion MU auch zur Maximierung des Gesamt-Nutzens GU , wenn man diesen als die Summe der Nutzen aller Agenten definiert? Für die Beantwortung der 1.Frage, also der Frage nach der Existenz einer MasterNutzenfunktion lassen sich die folgenden 3 hinreichenden Kriterien angeben, die wir der Einfachheit halber immer nur für 2 individuelle Nutzenfunktionen mit 2 Flussvariablen formulieren. Zu zeigen ist also, unter welchen Bedingungen zu 2 individuellen Nutzenfunktionen 1 2 1 2 ( , ), ( , ) A B U y y U y y und individuellen Machtfaktoren 1 1 2 2 ,,, A B A B eine Master-Nutzenfunktion MU existiert, sodass 1 2 1 2 1 2 1 1 1 1 1 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 2 ( , ) ( , ) ( , ) ( , ) ( , ) ( , ) A B A B A B A B U y y U y y MU y y y y y U y y U y y MU y y y y y Dies gilt in folgenden 3 Fällen, wie man unmittelbar erkennt: 1. „quasi-linear“: 1 2 0 1 1 2 0 1 1 2 2 1 2 0 1 1 1 1 0 2 2 2 2 2 1 1 2 2 ( , ) : ( ( , ) , ( ) ) ( ) , A A A B B B A A B B A A B B Falls MU y y a p p y U y y a p y p y U y y b b p p y ist eine Master Nutzenfunkti p y p n y o 2. „unabhängig“: 1 1 2 1 2 1 1 2 2 1 2 2 ( , ) : ( ) ( ) i ( , ) ( ) und ( , ) st e n ( i e ) A A B B A A B B Falls MU y y U y U y Maste U y y U r Nutzenfunkt y U io U n y y y 3. „einheitliche Macht“: 1 1 2 1 2 2 1 2 1 2 und ( , ) : ( , ) ( , ) ist Master Nut : zenfunkt : ion A A A B B B A A B B Falls MU y y U y y U y y 34 Für das kontinuierliche Gefangenendilemma in Kapitel 8 ist die Bedingung 1.“quasilinear“ erfüllt und für das Beispiel in Kapitel 7.1 ist die Bedingung 2.“unabhängig“ erfüllt. Zur Beantwortung der 2. Frage: Definiert man den Gesamtnutzen : A B GU U U erkennt aus den obigen Beispielen, dass im Allgemeinen GU MU und dass die Maximierung der Master-Nutzenfunktion MU keineswegs zur Maximierung der GesamtNutzenfunktion GU führen muss. Ein Beispiel dafür ist das kontinuierliche Gefangenendilemma in Kapitel 8. Unmittelbar erkennt man aus den obigen Bedingungen in Beantwortung der 2.Frage auch, dass gilt: 1. 1 2. .) .) j i j i Falls alle MU GU Falls alle a MU GU b MU maximal GU maximal 35 5. Closure-Verfahren 5.1.Problembeschreibung Ziel ökonomischer Modelle ist es, bei gegebenen exogenen Größen den Zustand des Systems, d.h. die endogenen Variablen berechnen zu können. Damit ein Modell mit n endogenen Variablen eindeutig gelöst werden kann, braucht man n linear unabhängige Gleichungen. Hat man weniger als n linear unabhängige Gleichungen ist das Modell unterbestimmt, d.h. es gibt eine Vielzahl von Lösungen. Hat man mehr als n linear unabhängige Gleichungen, ist das Modell überbestimmt, d.h. es hat in der Regel keine Lösung. Insbesondere dann, wenn man ausgehend von einem lösbaren Modell, also z,B, einem Modell mit n Verhaltensgleichungen für n Variable, zusätzliche Zwangsbedingungen wie z.B. Bilanzierungsidentitäten oder Gleichgewichtsbedingungen in der Form ZB x y , 0 einführt, kommt es in der Regel dazu, dass das Modell überbestimmt ist. Als Closure bezeichnet man das Verfahren, ein überbestimmtes Modell derart zu modifizieren, dass es eindeutig lösbar wird, d.h. das Gleichungssystem so zu modifizieren, dass die Anzahl der endogenen Variablen mit der Anzahl der linear unabhängigen Gleichungen übereinstimmt. Letztlich wird durch die Wahl eines bestimmten Closure-Verfahrens festgelegt, welche Variablen als endogen und welche Variablen als exogen betrachtet werden. Grundsätzlich gibt es 2 Möglichkeiten für das Closure: 1. Eine entsprechende Anzahl von Gleichungen zu streichen („Drop-Closure“). Ökonomische Theorien sind oft gerade dadurch gekennzeichnet, welche Gleichungen gestrichen werden (Sen, 1963). 2. Eine entsprechende Anzahl von zusätzlichen endogenen Variablen einzuführen. Der wichtigste Spezialfall dafür ist die Einführung von Lagrange Multiplikatoren („Lagrange-Closure“). Der Einfachheit halber zeigen wir das Folgende jeweils am Beispiel eines ökonomischen Modells mit 3 Variablen und 1 Zwangsbedingung. 5.2.Drop-Closure Das überbestimmte algebraische ökonomische Modell 1 2 3 0 , 0 , 0 , , 0 f x y f x y f x y ZB x y <5.1> kann durch Weglassen z.B. der 3. Gleichung in das lösbare Modell 36 1 2 0 , 0 , , 0 f x y f x y ZB x y übergeführt werden. Das überbestimmte ökonomische Differentialgleichungsmodell 1 1 2 2 3 3 , , , , 0 y f x y y f x y y f x y ZB x y <5.2> kann durch Weglassen z.B. der 3. Gleichung in das lösbare Modell 1 1 2 2 , , , 0 y f x y y f x y ZB x y <5.3> übergeführt werden. 5.3.Lagrange-Closure für ein algebraisches Modell Ein überbestimmtes algebraisches ökonomisches Modell 1 2 3 0 , 0 , 0 , , 0 f x y f x y f x y ZB x y kann durch Einführung beliebiger Parameter 1 2 3 ( , , ) und der zusätzlichen Variablen (Lagrange-Multiplikator) in ein lösbares NCD-Modell übergeführt werden: 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 , , , , , , , 0 ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y 37 5.4.Lagrange-Closure für ein Differentialgleichungsmodell Geht man von der allgemeinen Form eines überbestimmten ökonomischen Differentialgleichungsmodells aus 1 1 1 2 2 2 3 3 3 , , , , 0 y f x y y f x y y f x y ZB x y <5.4> kann es ebenfalls durch Einführung der zusätzlichen Variablen (LagrangeMultiplikator) in ein lösbares NCD-Modell übergeführt werden: 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 , , , , , , , 0 ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y <5.5> 5.5.Drop-Closure von algebraischen Modellen als Ausdruck von einseitigen ökonomischen Machtverhältnissen Unter entsprechenden Regularitätsvoraussetzungen gilt folgender Satz 1: Das algebraische Gleichungssystem 1 2 0 , 0 , , 0 f x y f x y ZB x y ist äquivalent zum NCD-Modell 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 , (1) , , (2) , , (3) , (4) , 0 ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y wenn man die speziellen Machtfaktoren wählt: 38 1 2 3 (5) (6) 0 Dieser Satz 1 führt zu folgender Interpretation: Ein Drop-Closure von algebraischen Modellen im Sinne von 5.2 ist äquivalent zu einem Lagrange-Closure von algebraischen Modellen im Sinne von 5.3, wenn man für die Machtfaktoren 1 2 3 und 0 setzt. D.h. dass ein Drop-Closure eines überbestimmten algebraischen Modells gleichbedeutend ist mit der Festlegung einseitiger Machtverhältnisse von Agenten. Beweis: Durch (5) wird zum Ausdruck gebracht, dass die ökonomischen Kräfte f x y f x y 1 1 , und , sofort und uneingeschränkt wirksam werden in der Form, dass das System sofort in den Zustand übergeht, in dem diese Kräfte 0 sind. Denn wenn man (1) bzw, (2) jeweils durch 1 bzw. 2 dividiert und 1 bzw. 2 bildet, ergibt sich unmittelbar 1 2 3 3 3 3 (1) 0 , (2) 0 , , (3) , (4) , 0 f x y f x y ZB x y y f x y y ZB x y Durch (6) wird zum Ausdruck gebracht, dass niemand die Macht hat, die Variable 3 y direkt zu beeinflussen oder niemand diese beeinflussen will. Das bedeutet letztlich, dass 3 y daher ausschließlich durch die „Marktkräfte“ und die Zwangsbedingung bestimmt wird. Konkret zeigen wir, dass sich unter der Bedingung (6) allein aus den Gleichungen (3), (4), (6) errechnet und die Gleichung (3) genau die Gestalt ZB 0 annimmt. Da ZB 0 aus (4) folgt, kann damit die Gleichung (3) gestrichen werden und man erhält letztlich 1 2 (1) 0 , (2) 0 , (4) , 0 f x y f x y ZB x y 39 1 2 1 2 3 3 1 2 1 2 3 3 1 2 2 1 2 3 (4) : (7) 0 (8) 0 (3),(6) : (9) (7),(8) : (10) 0 1 (11) ( ) ( ) ( 3 3 Es gilt nämlich wegen ZB ZB ZB ZB y y y y y y ZB Wegen gilt y y ZB ZB ZB ZB Wegen gilt y y y y y y ZB ZB y y ZB y y y Setzt man 1 2 2 1 2 3 3 1 2 1 2 3 6),(11) (3) , (3) : 1 ( ) ( ) . 0 . 0 0 (4) , (3) . 3 3 in ein so ergibt sich für ZB ZB ZB y y y ZB y y y y ZB ZB ZB bzw y y y y y y bzw ZB Da ZB aus folgt kann damit gestrichen werden Offensichtlich hätte man bei einer entsprechenden anderen Wahl der Machtfaktoren in gleicher Weise 1 2 3 3 (1) 0 , (2) 0 , (3) 0 , . (3) 0 , (4) , 0 (4) , 0 f x y f x y f x y bzw f x y ZB x y ZB x y erhalten. Daraus ergibt sich unmittelbar die Interpretation: Welche der Gleichungen in einem Drop-Closure weggelassen wird, entspricht bestimmten Annahmen über Machtverhältnisse. Konkret entspricht ein Drop-Closure, bei der die i-te Gleichung weggelassen wird, der Annahme, dass 1. i y von keinem Agenten beeinflusst werden kann und daher nur durch die „Marktkräfte“ und die Zwangsbedingung bestimmt wird und 2. dass alle anderen k y mit k j von den Agenten in der Form vollständig bestimmt werden, dass das System sofort in den Zustand übergeht, in dem die ökonomischen Kräfte 0 k f für k j 40 5.6.Drop-Closure von Differentialgleichungs-Modellen als Ausdruck von ökonomischer Machtlosigkeit. Unter entsprechenden Regularitäts- und Differenzierbarkeits-Voraussetzungen gilt folgender Satz 2: Für jedes Differentialgleichungsmodell der Form <5.6> 1 1 2 2 , , , 0 y f x y y f x y ZB x y <5.6> gibt es Funktionen 1 2, 3 f f f f ( , , ) sodass dieses Differentialgleichungsmodell äquivalent ist mit einem NCD-Modell in der Form <5.7> 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 , (1) , , (2) , , (3) , (4) , 0 ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y <5.7> mit dem Machtfaktor 3 (5) 0 und umgekehrt gilt, dass es zu jedem NCD-Modell der Form <5.7> mit 3 0 Funktionen 1 2 f f f ( , ) gibt, sodass dieses NCD-Modell äquivalent ist mit einem Differentialgleichungsmodell der Form <5.6>. Dieser Satz 2 führt zu folgender Interpretation: ein Drop-Closure eines überbestimmten Differentialgleichungs-Modells im Sinne von 5.2 ist äquivalent zu einem NCD-Modell der Form <5.7> mit einem Machtfaktor 3 0 , d.h. dass das Drop-Closure gleichbedeutend damit ist, dass niemand die Macht hat, die Variable 3 y zu beeinflussen oder niemand diese Variable beeinflussen will. Das bedeutet letztlich, dass 3 y daher ausschließlich durch die „Marktkräfte“ und die Zwangsbedingung bestimmt wird. Beweis: Wir zeigen zuerst die Umkehrung: Konkret zeigen wir, analog wie in 5.5 dass sich unter der Bedingung (5) allein aus den Gleichungen (3), (4), (5) errechnet und die Gleichung (3) genau die Gestalt ZB 0 41 annimmt. Da ZB 0 aber aus (4) folgt, kann damit die Gleichung (3) gestrichen werden. Durch einsetzen von ergibt sich 1 1 1 2 2 2 1 2 1 2 ( , , ) ( , , ) ( , , ) 0 3 3 3 y f y y y y f y y y ZB y y y 1 2 1 2 3 3 1 2 1 2 3 3 1 2 2 1 2 3 : (4) : (6) 0 (7) 0 (3),(5) : (8) (7),(8) : (9) 0 1 (10) ( ) ( ) (5), 3 3 Beweis Wegen gilt ZB ZB ZB ZB y y y y y y ZB Wegen gilt y y ZB ZB ZB ZB Wegen gilt y y y y y y ZB ZB y y ZB y y y Setzt man 1 2 2 1 2 3 3 1 2 1 2 3 (10) (3) , (3) : 1 ( ) ( ) . 0 . 0 0 (4) , (3) . (10) (1),(2) , 3 3 in ein so ergibt sich für ZB ZB ZB y y y ZB y y y y ZB ZB ZB bzw y y y y y y bzw ZB Da ZB aus folgt kann damit gestrichen werden Setzt man in ein erhält man 1 2 3 1 1 1 2 2 2 1 2 1 2 , , , . . dass 1.12 (5) 0 : ( , , ) ( , , ) ( , , ) 0 3 3 3 ein Gleichungssystem das sich nach y y auflösen lässt d h dasursprüngliche Gleichungssystem mit äquivalent wird zu y f y y y y f y y y ZB y y y <5.8> Für den ersten Fall gilt: Geht man aus von dem Differentialgleichungssystem 42 1 1 2 2 , , , 0 y f x y y f x y ZB x y und setzt 1 1 3 3 2 2 3 3 3 1 1 f f y ZB y f f y ZB y f beliebig ergibt sich in der gleichen Weise, dass <5.7> mit 3 0 äquivalent ist zu <5.6>. 43 6. Beziehungen zwischen NCD-Modellen und herkömmlichen Typen ökonomischer Modelle 6.1.NCD-Modelle und algebraische Modelle Aus Satz 1 in 5.5 folgt: Jedes algebraische ökonomische Modell ist äquivalent zu einem NCD-Modell mit einseitigen ökonomischen Machtverhältnissen, d.h. einem NCD-Modell bei dem gewisse Machtfaktoren unendlich und gewisse Machtfaktoren gleich null sind. 6.2.NCD-Modelle und Differentialgleichungs-Modelle Aus Satz 2 in 5.6 folgt: Jedes ökonomische Differentialgleichungs-Modell ist äquivalent zu einem NCD-Modell bei dem gewisse Machtfaktoren gleich null sind. 6.3.NCD-Modelle und allgemeine Gleichgewichts-Modelle Ein allgemeines ökonomisches Gleichgewichtsmodell mit Zwangsbedingungen hat (gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Anmerkungen 4.1.1 und 4.1.2 bezüglich algebraischen Verhaltensgleichungen von Parametern) bei 3 Variablen und 1 Zwangsbedingung folgende allgemeine Form: 1 1 2 2 3 3 1 1 2 2 3 3 , 0 , , 0 , , 0 , , 0 x y x y x y ZB x y f x y y ZB x y f x y y ZB x y f x y y ZB x y Damit werden offensichtlich gerade die Lösungen des NCD-Modells 1 1 1 2 2 2 3 3 3 , , , , , , , 0 ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y y f x y y ZB x y 44 beschrieben, für die die „ex post“ Kräfte 0 sind. Sie lassen sich offensichtlich als Grenzwert v des NCD-Modells 1 1 1 2 2 2 3 3 3 , ( , ) , ( , ) , ( , ) , 0 ZB x y y v f x y y ZB x y y v f x y y ZB x y y v f x y y ZB x y <6.1> darstellen, wenn man durch v durchdividiert. Dabei kann v als Faktor für die Anpassungsgeschwindigkeit interpretiert werden. Die Annahme v bedeutet daher, dass das System immer sofort in den Gleichgewichtszustand springt. Falls es eine Master-Nutzenfunktion MU gibt mit 1 1 2 2 3 3 , , , , , , MU x y f x y y MU x y f x y y MU x y f x y y und konkav ist, gibt es nur 1 Lösung und für diese Lösung wird maximal. In den mikroökonomischen General Equilibrium Standardmodellen werden die ökonomischen Kräfte auch als Überschussnachfrage bezeichnet. Neoklassische ökonomische Gleichgewichts-Modelle gehen in der Regel immer von der Existenz einer (konkaven) Master-Nutzenfunktion aus. Die Annahme der Existenz einer Masternutzenfunktion und die „Gleichgewichtsannahme“, nämlich dass die ökonomischen „ex post“ Kräfte stets 0 sind, stellen aber eine sehr starke Einschränkung dar. Das entspricht genau der von Sylvie Geisendorf angesprochenen nur teilweisen Umsetzung der Newton´schen Mechanik in der Ökonomie (Geisendorf, 2009). 6.4.NCD-Modelle und DSGE-Modelle Abgesehen vom stochastischen Anteil sind DSGE-Modelle allgemeine Gleichgewichtsmodelle mit Zwangsbedingungen mit einer Master-Nutzenfunktion MU , bei denen aber nicht MU maximiert wird sondern der abgezinste Nutzen DU (discounted utility). DU ist dabei das Integral über den zukünftigen mit dem Zinssatz abgezinsten Master-Nutzen MU MU 1, 2 3 f f f f ( , , ) 45 0 : ( ( ), ( )) t DU e MU x t y t dt Es handelt sich also um ein Variationsproblem mit der Lagrangefunktion ( ( ), ( )) t e MU x t y t Die Lösungen dieses Variationsproblems findet man unter den Lösungen der dazugehörigen Eulergleichungen. Gibt es also eine Master-Nutzenfunktion mit der die ökonomischen Kräfte eines NCDModells beschrieben werden können, lässt sich damit auch das entsprechende Gleichgewichtsmodell zur Maximierung von DU aufstellen. Die umgekehrte Frage, nämlich ob die Modellgleichungen von jedem allgemeinen NCDModell sich als Eulergleichungen eines Variationsproblems darstellen lassen, führt auf das sogenannte „inverse Lagrangeproblem“. Die Antwort auf diese Frage ist nein, weil sich nicht jedes gewöhnliche Differentialgleichungssystem als Eulergleichung einer Lagrangefunktion darstellen lässt und falls es eine Lagrangefunktion gibt, ist diese keineswegs eindeutig bestimmt (Santilli, 1978). Dies ist insofern von Bedeutung, als in der herkömmlichen Ökonomie immer nur Modelle betrachtet werden, die sich aus dem Variationsproblem einer abgezinsten Master-Nutzenfunktion DU ergeben, was daher einer sehr wesentlichen Einschränkung entspricht. Daraus ergibt sich wiederum die von Sylvie Geisendorf angesprochene nur teilweise Umsetzung der Newton´schen Mechanik in der Ökonomie (Geisendorf, 2009). Auch für sehr einfache NCD-Modelle muss es keine Lagrangefunktion geben und falls sie existiert kann sie sehr komplex werden. 2 Beispiele sollen diesen Sachverhalt erläutern: Ein einfaches Beispiel eines Differentialgleichungssystems, bei dem die Lagrangefunktion nicht eindeutig bestimmt ist, ist das Differentialgleichungssystem . x y y k y Es beschreibt für k 0 ein positiv rückgekoppeltes System (exponentielles Wachstum) und für k 0 ein negativ rückgekoppeltes System (exponentielle Abnahme, z.B. durch Reibung). Schon diese extrem einfache Differentialgleichung der Dimension 1 hat 2 essentiell verschiedene Lagrangefunktionen: 2 1 2 1 , : 2 , : ln(y) kt x y y e x y y kx Für das sehr einfache Differentialgleichungssystem 46 1 1 2 2 1 1 2 1 x y x y y x y y kann man zeigen, dass keine Lagrangefunktion existiert (Prince & King, 2007) Damit scheint die Beschreibung der Ökonomie über Differentialgleichungen und damit die Beschreibung mit NCD-Modellen der geeignetere Weg zu sein, um ökonomische Modelle allgemein zu formulieren. 6.5.NCD-Modelle und ABM-Modelle In Agent-Based Modellen (ABM) geht man in der Regel von sehr vielen Agenten aus. Dabei wird das Verhalten von jedem einzelnen Agenten beschrieben. Da sich durch die Anzahl der Agenten an der Grundstruktur der NCD-Modelle nichts ändert, können NCDModelle mit einer hohen Anzahl der Akteure als zeitkontinuierliche ABM-Modelle betrachtet werden, bei denen das Verhalten der Agenten durch Differentialgleichungen beschrieben wird. 6.6.Schematischer Überblick 47 48 7. Die Beziehungen am Beispiel eines 2-Sektoren NCD-Modells 7.1.NCD-Modell Wir gehen aus von einem NCD-Modell mit 2 repräsentativen Agenten H und B für die 2 Sektoren Haushalt (H) und Business (B). Für die ersten 6 Variablen der insgesamt 7 Variablen L K Kapital I Investition p Stundenlohn S Sparen L Arbeit P Profit Y BIP gilt jeweils eine Differentialgleichung: Für K gilt sie definitionsgemäß, für alle anderen ist es eine Verhaltensgleichung, die jeweils zum Ausdruck bringt, dass die vom Agenten j (Haushalt H bzw. Business B) ausgeübte Kraft, die Variable i zu verändern, gleich der Abweichung der Variablen i von einem angestrebten Zustand ist. j i bedeutet die ökonomische Macht des Agenten j , die Variable i zu beeinflussen. In diesem Modell nehmen wir an, dass der Agent j jeweils nur die Variable j y beeinflussen kann, d.h. dass 0 j I für i j . D.h. dass in diesem Modell die Bedingung 2.“unabhängig“ von Kapitel 4.3 für die Existenz einer Masternutzenfunktion erfüllt ist. Die 7.Variable Y entspricht einem Parameter mit einer algebraischen Verhaltensgleichung, die im Sinne von 4.1.1 Anmerkung 1 und 4.1.2 Anmerkung 2 als Grenzfall einer entsprechenden Differentialgleichung mit unendlichem Machtfaktor gesehen werden kann. Darüber hinaus gelten 2 Bilanzierungsidentitäten als Zwangsbedingungen: eine Zwangsbedingung für die BIP-Entstehung und eine Zwangsbedingung für die Verwendung der gesparten Mittel für Investitionen. Daraus ergeben sich die Modellgleichungen für das NCD-Modell. 49 0 1 2 0 1 1 2 (1) (2) ( ) , ( ) (3) ( ) (4) ( ) , . (5 L B I B L p L H S L L P L P K I I i i Y I i i Konstante lineare Investitionsfunktion Y Y p p L Grenzproduktivität der Arbeit L L S s p L s P S s s Anteil Sparen aus Arbeitseinkommen bzw Profit 1 1 1 1 2 ) ' ( ) (6) ( ) (7) (8) 0 (9) 0 H L L B P L L L L p L vom Haushalt angestrebte Arbeit P rY P r angestrebte Profitrate Y L K Cobb Douglas Produktionsfunktion ZB Y p L P ZB I S Für die Master-Nutzenfunktion gilt 2 2 0 1 2 2 2 1 [ ( ) ( ) 2 ( ) ( ) ( ) ] L B B I p L H H B S L L P L P Y MU i i Y I p L s p L s P S L L rY P <7.1> Im Folgenden zeigen wir, wie sich aus diesem NCD-Modell durch entsprechende Wahl von einseitigen Machtverhältnissen ( 0 . bzw ) neoklassische bzw. keynesianische algebraische Modelle ergeben oder durch die Annahme von unendlich hohen Anpassungsgeschwindigkeiten ( v im Sinne von <6.1> ) allgemeine Gleichgewichtsmodelle mit Zwangsbedingungen ergeben. Inhaltlich entspricht die Vorgangsweise zur Erlangung der algebraischen Modelle der Vorgangsweise von SEN (1963), wenn man beachtet, dass gemäß 5.5 die Wahl von einseitigen Machtverhältnissen gerade einem Drop-Closure entspricht. Damit lässt sich die Grundidee von NCD-Modellen noch einmal in folgender Weise formulieren: Mit NCD-Modellen kann der vermeintliche unüberwindbare Gegensatz von verschiedenen ökonomischen Modellen in dem Sinn aufgehoben werden, als dass sie als Versionen eines einzigen Modells aufgefasst werden, die sich nur durch verschiedene einseitige Machtverhältnisse oder Anpassungsgeschwindigkeiten voneinander unterscheiden. Andererseits ergibt sich mit NCD-Modellen die Möglichkeit, die Realität besser abzubilden, denn gemischte Machtverhältnisse entsprechen der Realität in der Regel besser als einseitige Machtverhältnisse. 7.2.algebraisches neoklassisches Modell Setzt man 0 L B B I P B H H p S L führt das zum Wegfallen der Gleichungen (2) und (6) und man erhält 50 1 1 2 (1) (3) (4) (5) (7) (8) 0 (9) 0 L L L P L K I Y p L S s p L s P L L Y L K ZB Y p L P ZB I S Dieses Modell entspricht dem neoklassischen Standardmodell mit exogen vorgegebener Arbeit L . 7.3.Algebraisches Keynesianisches Modell Setzt man 0 L H B L P B B H I p S führt das zum Wegfallen der Gleichungen (5) und (6) und man erhält 0 1 1 1 2 (1) (2) (3) (4) (7) (8) 0 (9) 0 L L L P L K I I i i Y Y p L S s p L s P Y L K ZB Y p L P ZB I S Dieses Modell entspricht dem Ansatz von Keynes in der General Theory, bei dem die Arbeit nicht exogen vorgegeben ist, sondern durch die Marktkräfte und Zwangsbedingungen bestimmt wird. Das bedeutet nichts anderes als, dass Arbeitslosigkeit möglich ist. 7.4.Allgemeines Gleichgewichtsmodell mit Zwangsbedingung Ergänzt man das NCD-Modell um die Anpassungsgeschwindigkeit v im Sinne von <6.1> und bildet v so ergibt sich das allgemeine Gleichgewichtsmodell 51 0 1 2 1 2 1 1 1 1 2 (1) (2) 0 ( ) (3) 0 ( ) (4) 0 ( ) (5) 0 ( ) (6) 0 ( ) (7) (8) 0 (9) 0 L B I B p L H S L L P H L L B P L K I i i Y I Y p L L s p L s P S L L p rY P Y L K ZB Y p L P ZB I S Weil die Bedingung 2.“unabhängig“ von Kapitel 4.3 für die Existenz einer MasterNutzenfunktion gegeben ist, lässt sich dieses Gleichungssystem mit der MasterNutzenfunktion <7.1> auch schreiben 2 1 2 1 1 1 1 2 (1) (2) 0 (3) 0 (4) 0 (5) 0 (6) 0 (7) (8) 0 (9) 0 L L L K I MU I MU L p MU S MU p L MU P Y L K ZB Y p L P ZB I S 7.5.Allgemeines Gleichgewichtsmodell mit Zwangsbedingung und intertemporaler (discounted) Nutzenfunktion Mit der Master-Nutzenfunktion <7.1> lässt sich auch die intertemporale mit dem Zinsatz abgezinste Nutzenfunktion DU (discounted utility) bilden: 0 ( ( ), ( )) t DU e MU x t y t dt Die Maximierung von DU führt auf ein Variationsproblem mit den entsprechenden Eulergleichungen. 52 7.6.Rechenergebnisse Die folgenden Rechenergebnisse zeigen beispielhaft die Abhängigkeit von der Wahl der Machtfaktoren. Bei den einseitigen Faktoren ergeben sich die gerade beschrieben Modelle. Die Parameter L i i s s r 20, 0.3, 5, 0.7, 0.2, 0.7, 0.1 0 1 L P wurden für alle Modellrechnungen nicht verändert. B I L B p H S H L B P v NCD-Modell 1 1 1 1 1 1 1 NCD-Modell 2 1 10 10 1 1 1 Algebraisch neoklassisch 0 ∞ ∞ ∞ 0 1 Algebraisch keynesianisch ∞ ∞ ∞ 0 0 1 Allgemeines Gleichgewicht mit Zwangsbedingung 1 1 1 1 1 ∞ 53 NCD 1 kb0 ib0 pl0 s0 lh0 p0 BI BpL HS HL B L B P LHq i0 i1 sL sP r 10 20 30 40 50 20 40 60 80 100 NCD 1 K I C Y L pL 54 10 20 30 40 50 20 40 60 80 100 NCD 2 10 20 30 40 50 20 40 60 80 100 Neoklassik 10 20 30 40 50 20 40 60 80 100 Keynes Gen.Theory 10 20 30 40 50 20 40 60 80 100Allgemeines Gleichgewicht 55 8. Kontinuierliches Gefangenendilemma Ein NCD-Modell beschreibt das Verhalten eines Systems, bei dem jeder Agent eine Individualoptimierungsstrategie verfolgt, d.h. dass er versucht, seinen individuellen Nutzen zu erhöhen. Die Kernthese der Marktwirtschaft besteht in der Annahme, dass die Individualoptimierungsstrategien der einzelnen Agenten durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes zu einem Gesamtoptimum führen. In der Realität gilt aber sehr oft, dass die Individualoptimierungsstrategien gerade nicht zu einem Gesamtoptimum führen. In realen Situationen finden sich nämlich sehr oft Verhältnisse, wie sie durch das klassische Gefangenendilemma beschrieben werden. Die aus der Sicht jedes einzelnen beste Strategie führt dabei zur insgesamt schlechtesten Lösung. Wir zeigen, dass gerade auch solche Situationen durch NCD-Modelle gut modelliert werden können. Als Beispiel konstruieren wir das NCD-Modell eines „kontinuierlichen Gefangenendilemmas“, das sich für diskrete Zeit und für eine einmalige Durchführung auf das klassische Gefangenendilemma reduziert. Obwohl sich dieses NCD-Modell durch eine Master-Nutzenfunktion beschreiben lässt und die Masternutzenfunktion im Zeitablauf kontinuierlich zunimmt, nimmt der Nutzen für beide Agenten nicht zu sondern nimmt er ganz im Gegenteil kontinuierlich ab. Wir gehen aus von 2 Agenten AB, und 2 Variablen 1 2 y y, und den speziellen Nutzenfunktionen 1 2 1 2 1 2 1 2 ( , ) 2 2 ( , ) 2 2 A B U y y y y U y y y y Zunächst zeigen wir, dass sich bei diskreter Zeit und nur einmaligem Spiel daraus die Auszahlungsmatrizen eines klassischen Gefangenendilemmas ergeben, wenn die Variablen nur 2 diskrete Werte annehmen können, nämlich für Kooperation y 0 und Defektion y 1 : (0,1) (1,1) (0,1) (1,1) 0 1 3 1 (0,0) (1,0) (0,0) (1,0) 2 3 2 0 A A B B A A B B B U U U U U U U U Diese beiden Auszahlungsmatrizen beschreiben gerade ein klassisches Gefangenendilemma-Modell. Für die Bildung des NCD-Modells für das „kontinuierliche Gefangenendilemma“ gehen wir von folgenden Machtfaktoren aus. 1 2 1 2 1, 0 0, 1 A A B B Diese beschreiben die Situation, dass jeder der Agenten nur auf seine „eigene“ Variable, d.h. seine eigene Entscheidung Einfluss nehmen kann. Mit diesen Machtfaktoren und den Nutzenfunktionen , A B U U ergeben sich die Verhaltensgleichungen für das NCD-Modell des „kontinuierlichen Gefangenendilemmas“ 56 1 2 1 2 1 2 1 1 1 1 1 2 1 2 1 2 2 2 2 2 ( (t), (t)) ( (t), (t)) (y 2y 2) ( ) 1. 0. 1 ( (t), (t)) ( (t), (t)) ( 2y y 2) ( ) 0. 1. 1 A B A B U y y U y y y t y y y U y y U y y y t y y y was sich auch mit der Master-Nutzenfunktion 1 2 1 2 MU y t y t y t y t ( ( ), ( )) ( ) ( ) schreiben lässt: 1 2 1 1 1 2 2 2 ( , ) 1 ( , ) 1 MU y y y y MU y y y y Als Lösung ergibt sich unmittelbar 1 1 2 2 ( ) (0) ( ) (0) y t t y y t t y Damit ergibt sich für den zeitlichen Verlauf der Master-Nutzenfunktion 1 2 1 2 MU t y t y t t y y ( ) ( ) ( ) 2 (0) (0) d.h. dass die Master-Nutzenfunktion kontinuierlich zunimmt, für den zeitlichen Verlauf der einzelnen Nutzenfunktionen , A B U U der Agenten und ihres Gesamtnutzens GU gilt allerdings 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 1 2 ( ) 2 2 (0) 2 2 (0) 2 (0) 2 (0) 2 ( ) 2 2 2 2 (0) (0) 2 2 (0) (0) 2 ( ) ( ) ( ) 2 (0) (0) 4 A B A B U t y y t y t y t y y U t y y t y t y t y y GU t U t U t t y y d.h. dass sie kontinuierlich abnehmen. 57 9. Vorteile von NCD-Modellen Zusammenfassend ergeben sich durch die Verwendung von NCD-Modellen folgende Vorteile: 1. NCD-Modelle bilden die Grundlage für ein neues ökonomisches Denken in den neuen ökonomischen Kategorien: Ökonomische Macht Ökonomische Kräfte Ökonomische Zwangskräfte 2. Mit Hilfe von NCD-Modellen ist eine vereinheitlichte Sicht für viele ökonomische Modelle möglich. 3. Mit Hilfe der NCD-Modelle lassen sich viele der herkömmlichen ökonomischen Modelle und Closure-Verfahren als Ausdruck einseitiger ökonomischer Machtverhältnisse verstehen. 4. Reale Machtverhältnisse sind in der Regel aber nicht vollkommen einseitig. Mit NCDModellen lassen sich auch nicht einseitige reale Machtverhältnisse beschreiben. 5. Mit Hilfe der NCD-Modelle lassen sich die Begriffe der „ex ante“ Dynamik und der „ex post“ Dynamik sehr präzise definieren. 6. Mit NCD-Modellen lässt sich eine echte Ungleichgewichtsdynamik beschreiben. Insbesondere lassen sich auch Situationen beschreiben, bei denen kein Gleichgewicht existiert bzw. Situationen, bei denen die Nutzenfunktion nicht konkav ist. 7. Mit NCD-Modellen lassen sich echte Wettbewerbsmodelle beschreiben, d.h. also Modelle bei denen die Individual-Optimierungsstrategie nicht zu einem Gesamtoptimum führt. In der Realität sind solche, dem Gefangenendilemma ähnliche Situationen aber sehr häufig. 8. NCD-Modelle können die Grundlage bilden für ein neues theoretisches Verständnis von z.B. Wirtschaftswachstum Konjunkturschwankungen und Wirtschaftskrisen Analogien zwischen Ökonomie und Physik 9. NCD-Modelle können auch in zahlreichen praxisorientierten Anwendungen eingesetzt werden wie z.B. bei der Konjunkturprognose oder zur Modellierung der Auswirkungen von Geld- oder Fiskalpolitik. 58 Danksagung Heinz Kurz, Mario Matzer, Armon Rezai und Jakob Kapeller danke ich für ihr Interesse an dieser Arbeit und ihre zahlreichen wertvollen Anregungen. Im Besonderen danke ich meinem Sohn Florentin Glötzl für die zahllosen Gespräche in den letzten Jahren, die wesentlich zu meinem Verständnis der Ökonomie beigetragen haben. Er hat auch die wesentlichen Teile der Literaturübersicht verfasst. Literatur Arrow, K. J., & Debreu, G. (1954). Existence of an Equilibrium for a Competitive Economy. Econometrica, 22(3), 265–290. BarBosa-FilHo, N. N. H. (2004). A Simple Model of Demand-Led Growth and Income Distribution. Revista Economica, 5(3), 17–154. Blanchard, O., & Illing, G. (2009). Makroökonomie. München [u.a.]: Pearson Studium. Böhm-Bawerk, E. (1914). Macht oder ökonomisches Gesetz? Zeitschrift Für Volkswirtschaft, Sozialpolitik Und Verwaltung, 23, 205–271. Cooper, J. B. (2010). On Paul Samuelson, Lind and the holy grail equation. Internationale Mathematische Nachrichten, 213, 1–5. Cooper, J. B., & Russell, T. (2011). On the mathematics of thermodynamics. Foley, D. K. (1986). Understanding capital : Marx’s economic theory. 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Analyse von Vollgeld (2016 https://vollgeld.page/vollgeldreform-papers-und-manuskripte)
1 Eine Analyse von Vollgeld im Vergleich zum bestehenden Geldsystem Erhard Glötzl erhard.gloetzl@gmail.com Final Version 8.8.2016 2 Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS....................................................................................................................................................................2 VORBEMERKUNG...............................................................................................................................................................................4 ABSTRACT...............................................................................................................................................................................................5 1. EINLEITUNG...............................................................................................................................................................................7 1.1. ZAHLUNGSMITTEL,GIRALGELD.........................................................................................................................................7 1.2. SEIGNORAGE.........................................................................................................................................................................7 1.3. ZAHLUNGSMITTELMENGE...................................................................................................................................................7 1.4. INVERKEHRSETZUNG DER ZAHLUNGSMITTEL..................................................................................................................8 1.5. KREDITSCHÖPFUNGSMECHANISMUS.................................................................................................................................8 1.6. KREDITMENGE......................................................................................................................................................................8 1.7. ZIELE/KONTROLLE DER ZENTRALBANK ...........................................................................................................................8 1.8. KREDITVERWENDUNG.........................................................................................................................................................8 1.9. EINFLUSS AUF DIE ZINSEN...................................................................................................................................................8 1.10. AUßERVERKEHRSETZUNG VON ZAHLUNGSMITTELN,KONJUNKTURSTEUERUNG.......................................................8 2. WAS KANN BZW. WAS SOLL EIN GELDSYSTEM LEISTEN..............................................................................10 2.1. GRUNDSÄTZLICHES............................................................................................................................................................10 2.2. NEOKLASSIK/NEOLIBERALISMUS.....................................................................................................................................10 2.3. KEYNESIANISMUS,POSTKEYNESIANISMUS.....................................................................................................................10 2.4. BEFÜRWORTER EINES VOLLGELDSYSTEMS....................................................................................................................10 3. VOLLGELD IM HISTORISCHEN KONTEXT.............................................................................................................11 4. SCHÖPFUNG VON ZAHLUNGSMITTELN..................................................................................................................13 4.1. ZAHLUNGSMITTEL..............................................................................................................................................................13 4.2. DERZEITIGES GELDSYSTEM...............................................................................................................................................13 4.3. DER NACHTEIL DES DERZEITIGEN GELDSYSTEMS..........................................................................................................13 4.4. DER VORTEIL DES VOLLGELDSYSTEMS..........................................................................................................................14 4.5. ALTERNATIVE MÖGLICHKEITEN ZUM VOLLGELD,UM DEN ZAHLUNGSVERKEHR IM FALL EINES BANKKONKURSES AUFRECHT ZU ERHALTEN ...................................................................................................................................14 5. SEIGNORAGE...........................................................................................................................................................................15 5.1. DEFINITION..........................................................................................................................................................................15 5.2. SEIGNORAGE AUS DER BARGELDSCHÖPFUNG................................................................................................................15 5.3. SEIGNORAGE AUS DER JÄHRLICHEN ERHÖHUNG DER GIRALGELDMENGE IM DERZEITIGEN SYSTEM.....................15 5.4. SEIGNORAGE AUS DER LAUFENDEN GIRALGELDAUSWEITUNG IM VOLLGELD-SYSTEM...........................................16 5.5. SEIGNORAGE AUS DER UMSTELLUNG DES DERZEITIGEN GIRALGELDSYSTEMS AUF DAS VOLLGELD-SYSTEM.....16 5.6. DER NACHTEIL DES BESTEHENDEN SYSTEMS,DER VORTEIL DES VOLLGELDSYSTEMS ...........................................16 6. ZAHLUNGSMITTELMENGE.............................................................................................................................................17 6.1. ZAHLUNGSMITTELMENGE IM DERZEITIGEN GELDSYSTEM...........................................................................................17 6.1.1. Die Zahlungsmittelmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt.........................17 6.1.2. Monetaristische Geldpolitik der Zentralbank...........................................................................................................17 6.1.3. Zusammenfassung........................................................................................................................................................18 6.2. ZAHLUNGSMITTELMENGE IM VOLLGELDSYSTEM .........................................................................................................18 7. INVERKEHRSETZUNG VON ZAHLUNGSMITTELN.............................................................................................20 7.1. IM DERZEITIGEN SYSTEM:INVERKEHRSETZUNG ÜBERDAS BANKENSYSTEM ...........................................................20 7.2. IM VOLLGELDSYSTEM........................................................................................................................................................21 7.2.1. Über das Bankensystem..............................................................................................................................................21 7.2.2. Über direkte Staatsfinanzierung.................................................................................................................................21 7.2.3. Über die sogenannte „produktive Kreditschöpfung“..............................................................................................22 7.2.4. Über die sogenannte „Bürgerdividende“ bzw. „Helikoptergeld“........................................................................22 3 7.3. MÖGLICHE MAßNAHMEN ZUR VERMEIDUNG DER NACHTEILE DER INVERKEHRSETZUNG DER ZAHLUNGSMITTEL IM DERZEITIGEN GELDSYSTEM...........................................................................................................................................................22 7.3.1. Änderung der EZB-Statuten um produktive Kreditschöpfung zu ermöglichen....................................................22 7.3.2. Inverkehrsetzung über das allgemeine Bankensystem mit Kreditlenkungsvereinbarungen...............................23 7.3.3. Inverkehrsetzung nicht über das allgemeine Bankensystem sondern nur über öffentliche Investitionsbanken23 7.3.4. Inverkehrsetzung im Rahmen eines Trennbankensystems ausschließlich über Geschäftsbanken und nicht über Investmentbanken..................................................................................................................................................................23 7.3.5. Der Vorteil der produktiven Kreditschöpfung..........................................................................................................24 8. KREDITSCHÖPFUNGSMECHANISMUS......................................................................................................................25 8.1. GRUNDSÄTZLICHESZUR KREDITSCHÖPFUNG ................................................................................................................25 8.2. IM DERZEITIGEN GELDSYSTEM.........................................................................................................................................25 8.3. IM VOLLGELDSYSTEM.......................................................................................................................................................25 9. KREDITMENGE.......................................................................................................................................................................27 9.1. IM DERZEITIGEN GELDSYSTEM.........................................................................................................................................27 9.1.1. Die Kreditmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt........................................27 9.1.2. Restriktive Geldpolitik der Zentralbank.....................................................................................................................27 9.1.3. Zusammenfassung........................................................................................................................................................27 9.2. KREDITMENGE IM VOLLGELDSYSTEM ............................................................................................................................28 9.2.1. Grundsätzliches............................................................................................................................................................28 9.2.2. Einflüsse auf den Vollgeldbestand im Bankensystem..............................................................................................28 9.2.3. Die Kreditmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt........................................29 9.2.4. Restriktive Geldpolitik der Zentralbank.....................................................................................................................30 10. STATUTEN DER ZENTRALBANK...................................................................................................................................32 10.1. IM BESTEHENDEN SYSTEM................................................................................................................................................32 10.2. IM VOLLGELDSYSTEM.......................................................................................................................................................32 11. BEEINFLUSSUNG DER ZINSEN .......................................................................................................................................33 11.1. KEIN EINFLUSS DURCH DIE REINE SYSTEMUMSTELLUNG AUF VOLLGELD.................................................................33 11.2. GERINGER EINFLUSS:SPARVERHALTEN DER HAUSHALTE,KREDITNACHFRAGE......................................................33 11.3. EINFLUSS DURCH DAS MÖGLICHERWEISE VERSCHIEDENE VERHALTEN DER ZENTRALBANK..................................33 11.4. EINFLUSS EINER SCHWANKENDEN LIQUIDITÄTSPRÄFERENZ AUF DAS ZINSNIVEAU..................................................34 11.5. ZUSAMMENFASSUNG.........................................................................................................................................................34 12. AUßERVERKEHRSETZUNG (HORTEN) VON ZAHLUNGSMITTELN UND KONJUNKTURSTEUERUNG.........................................................................................................................................................35 12.1. HORTEN VON ZAHLUNGSMITTELN...................................................................................................................................35 12.2. KONJUNKTURSTEUERUNG IM DERZEITIGEN GELDSYSTEM...........................................................................................35 12.3. KONJUNKTURSTEUERUNG IM VOLLGELDSYSTEM.........................................................................................................36 13. ERWIDERUNG AUF DIE KRITIK AM VOLLGELDSYSTEM..............................................................................37 13.1. NEOLIBERALE KRITIK........................................................................................................................................................37 13.2. POSTKEYNESIANISCHE KRITIK .........................................................................................................................................37 13.2.1. Systembedingte Beeinträchtigung der Kreditbereitstellung und damit Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage........................................................................................................................................................................................37 13.2.2. höheres Zinsniveau.......................................................................................................................................................38 13.2.3. „Verstaatlichung“ der Kreditvergabe.......................................................................................................................38 13.2.4. Verstärkung des prozyklischen Verhaltens................................................................................................................39 13.2.5. Zu große Machtfülle für die Zentralbank..................................................................................................................39 13.2.6. Vollgeld löst nicht alle Probleme................................................................................................................................39 14. ZUSAMMENFASSUNG: REFORMEN IM VERGLEICH.........................................................................................41 DANKSAGUNG.....................................................................................................................................................................................42 LITERATUR...........................................................................................................................................................................................43 4 Vorbemerkung Dem Vollgeld-Ansatz wird manchmal unterstellt, eine Heilslehre zu sein, was aber keineswegs der Fall ist. Ziel dieser Arbeit ist es auf sachlicher Ebene zu analysieren und zu vergleichen, wie man bestehende ökonomische Probleme im Rahmen des bestehenden Geldsystems oder des Vollgeldsystems lösen könnte. Bei vollständiger Präzision der verwendeten Begriffe verliert die Beschreibung von Geld und Geldsystemen sehr rasch die Allgemeinverständlichkeit. Um dies zu vermeiden, war in diesem Papier eine etwas unscharfe Verwendung mancher Begriffe unumgänglich. Von wesentlicher Bedeutung allerdings ist die Unterscheidung der Hauptgruppen von Geld, nämlich einerseits von Zahlungsmitteln (Bargeld, Giralgeld) und Spargeldern andererseits. Daher wurde diese Unterscheidung möglichst konsequent getroffen und der unscharfe Begriff „Geld“ soweit wie möglich vermieden. Trotz des Zieles der Allgemeinverständlichkeit werden die Kenntnis und Funktionsweise des bestehenden Geldsystems und volkswirtschaftliche Grundkenntnisse vorausgesetzt. 5 Abstract Das jeweilige Geldsystem ist ein wesentlicher Teil von jedem Wirtschaftssystem. Es hat einen erheblichen Einfluss auf die Stabilität und Prosperität der Wirtschaft. Ziel dieser Arbeit ist es, auf sachlicher Ebene zu analysieren, mit welchen Maßnahmen man offenkundig bestehende ökonomische Probleme lösen kann. Generell gilt (siehe Kapitel 14), dass ein Vollgeldsystem keineswegs alle Probleme lösen kann, sondern nur ein möglicher Schritt in die richtige Richtung ist. Wesentliche Probleme könnten nur durch zusätzliche Maßnahmen erreicht werden, wie z.B. Trennbankensystem und Finanzmarktregulierungen zur Eindämmung von Spekulation, Kapitalsteuern zur Eindämmung der ungleichen Einkommens- und Vermögensverhältnisse und eine neue internationale Geldarchitektur (BANCOR) zur Eindämmung der internationalen Ungleichgewichte. Ein wesentliches Element des Vollgeldsystems, nämlich die direkte Staatsfinanzierung könnte auch im Rahmen des bestehenden Geldsystems durch eine Änderung der EZB-Statuten ermöglicht werden. In einem Vollgeldsystem ergibt sich die direkte Staatsfinanzierung aber unmittelbar als natürliches und grundlegendes Element. Bei der Kritik am Vollgeldsystem wird sehr oft übersehen, dass alle bestehenden Instrumente der Zentralbank, wie insbesondere die Inverkehrsetzung der Zahlungsmittel über das Bankensystem, in vollem Umfang erhalten bleiben. Als einer der Kernpunkte des Vollgeldsystems werden die bestehenden Instrumente aber um die Möglichkeit der direkten Staatsfinanzierung erweitert. Daraus ergibt sich, dass die zentrale postkeynesianische Kritik am Vollgeldsystem, nämlich eine systembedingte Einschränkung der Kreditmenge und eine systembedingte Konjunkturdämpfung nicht zuzutreffen scheint. 6 Um Missverständnisse und Fehlschlüsse zu vermeiden, ist es beim Vergleich verschiedener Geldsysteme unter anderem notwendig, zwischen (Steuerung der) Zahlungsmittelmenge und (Steuerung der) Kreditmenge und Steuerung der Konjunktur zu unterscheiden. Mögliche Vorteile eines Vollgeldsystems gegenüber dem bestehenden Geldsystem bestehen in folgenden Punkten: 1. einfachere Struktur 2. Sicherheit des Zahlungsmittelverkehrs im Konkursfall von Banken 3. direkte Staatsfinanzierung und Verminderung der Staatsschulden 4. bessere Möglichkeit der Konjunktursteuerung durch die Zentralbank 5. bessere Instrumente der Zentralbank, um auf Finanzblasen (Assetpreisinflation) reagieren zu können Für den Punkt 2. sind im bestehenden System keine vergleichbar guten Lösungen bekannt. Beim Punkt 3. muss man festhalten, dass eine direkte Staatsfinanzierung durch Änderung der EZB-Statuten auch im bestehenden System möglich und äußerst wünschenswert wäre. Beim Punkt 4. kann man davon ausgehen, dass ein Vollgeldsystem für eine keynesianische Stimulation der Wirtschaft besser geeignet ist als das bestehende Geldsystem. Dies gilt jedenfalls solange, als im bestehenden Geldsystem eine direkte Staatsfinanzierung auf Grund der Statuten der EZB nicht möglich ist. Durch eine Änderung der EZB-Statuten im Sinne von Punkt 3 wäre dies auch im bestehenden Geldsystem möglich. Über die produktive Kreditschöpfung (siehe 7.2.3) kommt es nämlich nicht nur zu einer Ausweitung der Geldmenge und damit zu einer möglichen Erhöhung der staatlichen Nachfrage kommt, sondern zu einer tatsächlichen Erhöhung der Nachfrage über staatliche Investitionen. Insbesondere wird dabei eine Ausweitung der Staatsschulden vermieden. Der Punkt 5. wird von manchen Befürwortern von Vollgeld manchmal überbewertet. In 9.2.4 wird ein möglicher Mechanismus vorgestellt, in welchem Sinn Vollgeld der Zentralbank bessere Möglichkeiten eröffnen könnte, auf Finanzblasen dämpfend zu wirken. Als wesentliche neue Gesichtspunkte dieser Arbeit können insbesondere gesehen werden: o ein systematischer Vergleich des Vollgeldsystems mit dem bestehenden Geldsystem in allen Punkten, die ein Geldsystem betreffen o die Beschreibung der Exogenität und der Endogenität der Geldschöpfung sowohl im Vollgeldsystem als auch im bestehenden Geldsystem (Kap. 9.) o ein Mechanismus, wie die Zentralbank im Vollgeldsystem die Bildung von Blasen besser verhindern kann als im bestehenden Geldsystem (7.1. und 9.2.4.) o eine Diskussion verschiedener Möglichkeiten der direkten Staatsfinanzierung (Kapitel 7. bzw. insbesondere 7.3.) o ein Vergleich, welche Ziele im Vollgeldsystem erreicht bzw. nicht erreicht werden können, mit den Zielen, die durch Maßnahmen im bestehenden System erreicht bzw. nicht erreicht werden könnten (Kap. 14.) 7 1. Einleitung Das jeweilige Geldsystem ist ein wesentlicher Teil von jedem Wirtschaftssystem. Es hat einen erheblichen Einfluss auf die Stabilität und Prosperität der Wirtschaft.Insbesondere seit der Krise im Jahr 2008 nimmt daher die Diskussion über verschiedene Geldsysteme und die Geldpolitik berechtigterweise wieder stark zu. Ein wesentlicher Grund für viele Missverständnisse liegt in der unscharfen Definition und Verwendung des Begriffes „Geld“. Ohne hier auf Details näher einzugehen, ist es bei der Diskussion eines Geldsystems wichtig, vereinfacht zwischen folgenden Begriffen zu unterscheiden: o „Geld“ in der Geldbörse: Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel o „Geld“ am Girokonto: Giralgeld als allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel o „Geld“ am Sparkonto: längerfristige Geldforderung an eine Bank o „Kreditgeld“: längerfristige Geldverbindlichkeit gegenüber einer Bank In der Diskussion von verschiedenen Geldsystemen werden sehr oft nur Teilaspekte mehr oder weniger isoliert diskutiert. Ein Geldsystem besteht aber aus vielen verschiedenen Teilelementen, die in der Regel nicht unabhängig voneinander diskutiert werden können. Eine sachlich fundierte Diskussion erfordert daher immer eine Zusammenschau über alle Teilsegmente eines Geldsystems. Werden nur einzelne Teilsegmente isoliert diskutiert, führt dies in der Regel zu Fehlbeurteilungen. Ein Geldsystem ist durch folgende Teilaspekte charakterisiert: 1.1. Zahlungsmittel, Giralgeld Der wesentlichste formale Unterschied zwischen bestehendem Geldsystem und Vollgeldsystem besteht im Folgenden: Das bestehende Geldsystem ist „2-stufig“ („fraktional“): Bargeld ist eine Forderung an die Zentralbank und Giralgeld ist eine Forderung an eine private Bank. Das Vollgeldsystem ist „1-stufig“: Sowohl Bargeld als auch Giralgeld sind eine Forderung an die Zentralbank. Verschiedene Geldsysteme unterscheiden sich grundsätzlich aber auch in den Antworten auf alle folgenden Fragen: 1.2. Seignorage Wer erhält den monetären Vorteil („die Seignorage“) aus der Schöpfung von Zahlungsmitteln? 1.3. Zahlungsmittelmenge Wer entscheidet über die Menge der geschöpften Zahlungsmittel? Insbesondere: Wird die Menge der geschöpften Zahlungsmittel „endogen“ d.h. durch die Nachfrage nach Zahlungsmitteln bestimmt, oder wird die Menge der geschöpften Zahlungsmittel „exogen“ d.h. 8 durch eine dafür zuständige Einrichtung (in der Regel die Zentralbank) bestimmt? An welchen Zielen orientiert sich die Zentralbank? In welcher Form untersteht die Zentralbank in ihren geldpolitischen Entscheidungen einer demokratischen Kontrolle? 1.4. Inverkehrsetzung der Zahlungsmittel Wie werden die geschöpften Zahlungsmittel in den Wirtschaftskreislauf eingeschleust? Insbesondere: Wird das Geld über das Bankensystem (derzeitiges System) oder über Staatsinvestitionen („produktive Kreditschöpfung“) oder über Staatskonsum oder über die privaten Haushalte („Bürgerdividende“, „Helikoptergeld“) eingeschleust? 1.5. Kreditschöpfungsmechanismus Wie werden Kredite geschöpft? 1.6. Kreditmenge Welchen Restriktionen unterliegen Banken bei der Kreditvergabe? Insbesondere: Wird die Menge der Kredite „endogen“ d.h. allein durch die Nachfrage nach Krediten bestimmt oder kann sie „exogen“ durch die Zentralbank bestimmt werden? Gibt es restriktive Bestimmungen, die die Kreditmenge (z.B. Eigenkapitalvorschriften)stark einschränken? 1.7. Ziele/Kontrolle der Zentralbank Welche Ziele sind der Zentralbank in ihrem Statut vorgegeben? Nur die Preisstabilität oder allgemeiner auch Vollbeschäftigung, Konjunkturstabilität, Vermeidung von Finanzblasen oder sonstige am „Allgemeinwohl“ orientierte Ziele? Wie weit ist die Zentralbank in ihren Entscheidungen unabhängig? Wie wird sie demokratisch kontrolliert? 1.8. Kreditverwendung Gibt es restriktive Bestimmungen über die Verwendung der Spareinlagen (z.B. Trennbankensystem)? 1.9. Einfluss auf die Zinsen Welchen Einfluss hat das Geldsystem auf die Höhe der Zinsen? 1.10. Außerverkehrsetzung von Zahlungsmitteln, Konjunktursteuerung Wie geht das Geldsystem um o mit (realwirtschaftlicher) Inflation und Deflation? o mit Assetpreisinflation, d.h. „wenn Geld aus der realwirtschaftlichen Nachfrage in die finanzwirtschaftliche Nachfrage fließt“ ? o mit Konjunkturschwankungen? o mit dem Problem der Geldhortung? 9 Die wesentlichsten Unterschiede zwischen dem „bestehenden“ Geldsystem und dem Vollgeldsystem sind in der folgenden Tabelle gegenübergestellt. Im Folgenden werden diese Fragen für das bestehende Geldsystem und das Vollgeldsystem (, , ) genauer behandelt und auf die Kritik des Vollgeldsystems insbesondere durch , , , und eingegangen. 10 2. Was kann bzw. was soll ein Geldsystem leisten 2.1. Grundsätzliches Verschiedene ökonomische Denkschulen unterscheiden sich in der Regel in zweierlei Hinsicht: In ihren Zielen und in ihren Methoden. 2.2. Neoklassik/Neoliberalismus Der Neoliberalismus ist wesentlich von der neoklassischen Denkschule in der Ökonomie geprägt. Die neoklassische Denkschule geht vereinfacht davon aus, dass es für eine Wirtschaft am „besten“ ist, wenn die Marktteilnehmer nicht daran gehindert werden, ihre Individualinteressen zu optimieren. Geld und das dazugehörige Geldsystem hat darauf nur insofern einen Einfluss, als es den Ablauf der Wirtschaftsprozesse erleichtert. Im Sinne des Neoliberalismus soll es darüber hinaus auch gar keinen anderen Einfluss haben. Anschaulich werden diese Grundhaltungen beschrieben durch: o Geld ist nur ein Schmiermittel o Geld ist nur ein Schleier Im Neoliberalismus wird also primär nicht das Ziel sondern nur die Methode vorgegeben. 2.3. Keynesianismus, Postkeynesianismus Im Gegensatz zum Neoliberalismus betrachtet Keynes Vollbeschäftigung als Ziel einer Wirtschaftspolitik als besonders wichtig. Im Gegensatz zur Neoklassik geht Keynes davon aus, dass Geld nicht nur ein „Schmiermittel“ ist, sondern auch die Richtung der Wirtschaftsabläufe wesentlich beeinflusst. Um das Ziel einer Vollbeschäftigung zu erreichen, sind daher als Methode manchmal auch staatliche Eingriffe wie z.B. eine expansive Fiskalpolitik (Erhöhung der staatlichen Nachfrage über eine Erhöhung der Staatsschulden) notwendig. Ein Geldsystem muss daher eine solche expansive Fiskalpolitik ermöglichen. 2.4. Befürworter eines Vollgeldsystems Befürworter eines Vollgeldsystems sehen die Ziele einer Wirtschaftspolitik ähnlich wie Keynes wesentlich umfassender als die Neoklassik.Bezüglich der Methode, wie dieses Ziel zu erreichen ist, stehen sie aber auf dem Standpunkt, dass die Ausgestaltung des Geldsystems einen wesentlich größeren Einfluss auf die Erreichung dieser Ziele hat, als Keynes dies annimmt. Sie setzen sich für ein Geldsystem ein, das nicht den Einzelinteressen dient, sondern die Erreichung des Allgemeinwohls so weit als möglich unterstützt. Insbesondere leiten sie daraus ab, dass o der Geldschöpfungsgewinn vollständig dem Staat zukommen soll o die Zentralbank wesentlich umfassendere Ziele verfolgen soll als nur Preisstabilität (siehe 10.2) o die Zentralbank zwar unabhängig sein soll, aber einer demokratischen Kontrolle unterliegen soll 11 3. Vollgeld im historischen Kontext Historisch betrachtet hat sich das Geldsystem von einem reinen staatlichen Geldsystem (Münzregal der Könige) zu einem Mischsystem entwickelt, in dem privates Geld (genauer gesagt: private Zahlungsmittel) einen immer größeren Anteil erlangte. Insbesondere im 19.Jhd. stieg die Geldmenge und der Anteil von privatem Geld durch die Ausgabe von Banknoten privater Banken stark an, was auch zu entsprechenden Finanzkrisen führte. Ab der Mitte des 19.Jhd. wurde die Ausgabe von Privat-Banknoten durch Zentralbankgesetze in allen Ländern verboten. Banknoten durften nur mehr von Zentralbanken ausgegeben werden. Damit wurde der Anteil an privatem Geld drastisch reduziert. Das verbliebene private Geld in Form von Giralgeld (täglich fällige Forderungen an eine private Bank auf Bargeld (Münzen und „Zentralbank-Banknoten“)) spielte damals zunächst nur eine untergeordnete Rolle im Zahlungsverkehr. War um 1900 das Verhältnis von Giralgeld (privatem Geld) zu Banknoten (staatlichem Geld) etwa 30:70, so stieg der Anteil von Giralgeld im 20.Jhd. immer weiter an und das Verhältnis liegt derzeit etwa bei 85:15. Betrachtet man nicht die entsprechenden Geldmengen sondern die damit getätigten Umsätze, hat sich dieses Verhältnis noch viel stärker zu Gunsten des privaten Giralgeldes entwickelt. Die Einführung von Vollgeld („voll staatliches Geld“) führt zum Verbot von (privatem) Giralgeld und führt so wie die Zentralbankgesetze des 19.Jhd. das Geldsystem auf ein rein staatliches Geld zurück. (siehe Grafik). Trotzdem können sich auch in Zukunft wieder neue Formen von privatem Geld entwickeln, die in weiteren Schritten wieder verboten bzw. verstaatlicht werden müssten. Theoretisch können sich heute beschränkt akzeptierte Zahlungsmittel wie Gutscheine oder Ähnliches insbesondere im Hinblick auf neue elektronische Lösungen, zu einem allgemein akzeptierten privaten Zahlungsmittel weiterentwickeln. Beispielsweise werden im InvestmentBanking in immer höherem Umfang Geldmarktfond-Anteile anstelle von Giralgeld im Zahlungsverkehr akzeptiert. Bei Geldmarktfond-Anteilen handelt es sich also um kein allgemein anerkanntes Zahlungsmittel aber um ein in einem sehr beschränkten Bereich akzeptiertes Zahlungsmittel, allerdings mit einem sehr großen Volumen. 12 Schematische historische Entwicklung privates Geld und staatliches Geld 1600 1700 1800 1900 2000 100% 0% Privates Geld private Banknoten Giralgeld Staatliches Geld Zentralbankgesetze Vollgeld 9.11.2013 copyright E. Glötzl Giralgeld 17 Vollgeld: = voll staatliches Geld ? ? 13 4. Schöpfung von Zahlungsmitteln 4.1. Zahlungsmittel Das Bargeld in Form von Münzen und Banknoten ist das gesetzliche Zahlungsmittel. Als Zahlungsmittel allgemein anerkannte täglich fällige Forderungen an Banken werden als Giralgeld bezeichnet. 4.2. derzeitiges Geldsystem Münzen und Banknoten werden (in Österreich1 ) von der Zentralbank (Nationalbank) geschöpft. Giralgeld wird von den privaten Banken bei der Vergabe von Krediten oder dem Ankauf von Aktiva durch Bilanzverlängerung geschöpft. Da Giralgeld bei diesen Vorgängen durch Bilanzverlängerungohne Zufuhr von Bargeld geschöpft wird,spricht man auch anschaulich von der „Geldschöpfung aus dem Nichts“. Darüber hinaus entsteht Giralgeld auch durch Bilanzverlängerung bei der Einzahlung von Bargeld bei einer Bank. Allerdings wird Giralgeld bei den umgekehrten Vorgängen, also bei der Rückzahlung von Krediten und beim „Abheben von Geld“ von der Bank wieder vernichtet. Spätestens wenn Kunden einer Bank „Geld vom Konto abheben“ oder „Geld an jemanden überweisen, der sein Konto bei einer anderen Bank hat“ ist die Bank auf Zahlungsmittel auf der Aktivseite der Bilanz angewiesen, um die durch diese Vorgänge notwendigen „Liquiditätserfordernisse“ erfüllen zu können. Sind diese nicht im ausreichenden Ausmaß vorhanden, muss sich die Bank „refinanzieren“. Sie kann sich diese Mittel als Kredit am Interbankenmarkt oder als Kredit bei der Zentralbank oder als Anleihe oder über Spareinlagen oder über eine Eigenkapitalzufuhr besorgen. 4.3. der Nachteil des derzeitigen Geldsystems Bargeld (Münzen und Banknoten) sind Forderungen an die Zentralbank. Sie sind daher von einem Konkurs einer privaten Bank nicht betroffen. Im Gegensatz dazu ist Giralgeld im derzeitigen System eine Forderung an eine private Bank und verliert daher im Konkursfall der Bank seine Werthaltigkeit. Daraus ergibt sich als wesentlicher Nachteil des derzeitigen Giralgeldes, dass im Konkursfall einer Bank der Zahlungsverkehr massiv beeinträchtigt wird und dass es im Fall des gleichzeitigen Konkurses mehrerer Banken zum Zusammenbruch des Zahlungsverkehrs kommt. Aus diesem Grund müssen Konkurse von Banken, wenn sie nicht vom Bankensystem selbst aufgefangen werden können, letztlich mit Steuergeldern auf Kosten der Allgemeinheit verhindert werden. Zu beachten ist dabei aber, dass bei einem Konkurs einer Bank nicht nur das Giralgeld betroffen ist, sondern dass auch alle Spareinlagen von Nichtbanken an diese Bank und auch alle kurzfristigen (Geldmarkt-) Forderungen und langfristigen Forderungen von Banken an die 1 In Österreich werden Banknoten und Münzen von der Zentralbank hergestellt und in Verkehr gebracht, in vielen anderen Ländern werden nur die Banknoten von der Zentralbank hergestellt und in Verkehr gebracht, die Münzen dagegen direkt vom Staat. 14 Konkursbank betroffen sind. Bei der letzten Krise sind Banken daher weniger zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs sondern vor allem deshalb gerettet worden, um das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Geldmarktes aufrecht zu erhalten und damit einen Zusammenbruch des Kreditmarktes zu vermeiden. 4.4. Der Vorteil des Vollgeldsystems Das Vollgeldsystem unterscheidet sich vom bestehenden System dadurch, dass nicht nur Bargeld sondern auch das Giralgeld von derZentralbank geschöpft wird. Giralgeld ist somit eine Forderung an die Zentralbank. Daraus ergibt sich der Vorteil, dass Giralgeld und damit der Zahlungsverkehr durch den Konkurs einer Bank nicht betroffen ist.Das hat jedenfalls zur Folge, dass es in einem Vollgeldsystem leichter ist, eine Bank in Konkurs gehen zu lassen, falls dies notwendig ist. Zu beachten ist aber, dass Vollgeld nicht verhindern kann, dass Sparer (unter Beachtung der Bindungsfrist) ihr Sparguthaben bei einer gefährdeten Bank abziehen. Ebenso wenig kann Vollgeld Krisen am Geldmarkt verhindern. 4.5. Alternative Möglichkeiten zum Vollgeld, um den Zahlungsverkehr im Fall eines Bankkonkurses aufrecht zu erhalten Abgesehen von Maßnahmen, um Bankenkonkurse zu vermeiden (Eigenkapitalvorschriften, Liquiditätsvorschriften usw.), können Einlagensicherungen und Liquiditätsbereitstellungen durch die Zentralbank (lender of last resort) dazu beitragen, den Zahlungsmittelverkehr im Konkursfall einer Bank aufrecht zu erhalten. Im Gegensatz zu Vollgeld ist dadurch aber keine 100%-ige Sicherheit gegeben. 15 5. Seignorage 5.1. Definition Der monetäre Vorteil, der sich bei der Schöpfung von Zahlungsmitteln ergibt, wird als Seignorage bezeichnet. 5.2. Seignorage aus der Bargeldschöpfung Münzen und Banknoten werden (in Österreich) von der Zentralbank hergestellt. Diese werden gegen Zinsen als Kredit an die privaten Banken vergeben. Die Seignorage der Zentralbank ergibt sich aus den entsprechenden Zinseinnahmen minus den Herstellungs- und Verwaltungskosten der Zentralbank. Da die Gewinne der Zentralbank in der Regel weitgehend an den Staat abgeführt werden, fließt die Seignorage aus der Bargeldschöpfung letztlich an den Staat. 5.3. Seignorage aus der jährlichen Erhöhung der Giralgeldmenge im derzeitigen System Entsprechend dem Wirtschaftswachstum und der Nachfrage nach Zahlungsmitteln erhöht sich die Giralgeldmenge jährlich. Die Seignorage des gesamten privaten Bankensystems, also der monetäre Vorteil des Bankensystems gegenüber Nichtbanken aus dieser jährlichen Giralgeldschöpfung kann kalkulatorisch über 2 Ansätze abgeschätzt werden: o Banken haben niedrigere Finanzierungskosten als Nichtbanken im Ausmaß von Giralgeldmenge mal Zinsvorteil pro Jahr2 oder o Nettozunahme der Giralgeldmenge pro Jahr minus Kosten3 Der monetäre Vorteil des Bankensystems gegenüber den Nichtbanken beträgt in Österreich jedenfalls mehrere Milliarden Euro pro Jahr. Eine genauere Abschätzung dafür findet man in Betreiben Banken als Kerngeschäft ausschließlich die Kreditvergabe, stehen sie (jedenfalls im theoretischen Idealfall) untereinander im Wettbewerb und müssen daher, je nachdem wie stark der Wettbewerb ist, diesen monetären Vorteil zumindest zum Teil an ihre Kunden über höhere Einlagezinsen und/oder niedrigere Kreditzinsen weitergeben. Betreiben Banken allerdings ein Eigengeschäft, d.h. einen Ankauf von Wertpapieren und Sachvermögen, stehen sie vor allem auch im Wettbewerb zu Nichtbanken. Daher muss in diesem Fall der monetäre Vorteil aus der Giralgeldschöpfung nicht weitergegeben werden und die Seignorage verbleibt weitgehend als Gewinn im Bankensystem. Es stellt sich dabei sogar die Frage, ob nicht die Möglichkeit eines Eigengeschäftes und der daraus von Banken zu erzielende Vorteil gegenüber Nichtbanken eine europarechtswidrige Wettbewerbsverzerrung darstellen könnte . 2 Grobschätzung: Giralgeldmenge im Jahr 2012 (140 Milliarden) mal Zinsdifferenz zwischen Bankensekundärmarktrendite und Taggeldzinssatz im Durchschnitt der Jahre 1996-2012 (2,8%) ergibt 4 Milliarden 3 Grobschätzung; mittlere Nettogiralgeldschöpfung 2002-2012 (8 Milliarden) minus geschätzte maximale Kosten (3 Milliarden) ergibt 5 Milliarden. 16 5.4. Seignorage aus der laufenden Giralgeldausweitung im Vollgeld-System Auch im Vollgeldsystem erhöht sich die Giralgeldmenge jährlich. Die damit verbundene Seignorage fällt zunächst vollständig bei der Zentralbank an. Abhängig davon in welcher Form die Zentralbank das Vollgeld in Verkehr setzt, fließt die Seignorage: über die Gewinne der Zentralbank an den Staat (falls das Vollgeld über das Bankensystem in Verkehr gebracht wird) über vermiedene Zinsaufwendungen des Staates an den Staat (falls das Giralgeld zinsfrei dem Staat zur Verfügung gestellt wird) 5.5. Seignorage aus der Umstellung des derzeitigen Giralgeldsystems auf das VollgeldSystem Im derzeitigen System ist der Staat nach Auslaufen einer Staatsanleihe, sofern er einen Finanzierungsbedarf hat und keine zusätzlichen Steuern einheben will, gezwungen, eine neue Staatsanleihe aufzunehmen. Im Vollgeldsystem kann sich der Staat dagegen (anstelle einer neuerlichen Staatsanleihe bei privaten Banken) im gleichen Ausmaß über zinsenlose Überlassung von Vollgeld durch die Zentralbank oder die Seignoragegewinne der Zentralbank finanzieren. Entsprechend der Laufzeit der verschiedenen Staatsanleihen verringern sich dabei im Laufe der Zeit sowohl die Staatsschulden als auch die Forderungen der Zentralbank gegenüber den Geschäftsbanken (die bei der Vollgeldumstellung anstelle der Forderungen der Nichtbanken gegenüber den Geschäftsbanken entstanden sind) genau in der Höhe des ursprünglich vorhandenen Giralgeldes. Diese einmalige Umstellungsseignorage in der Höhe des derzeitigen Giralgeldbestandes fällt also verteilt über mehrere Jahre an und führt zur Verminderung der Staatsschulden in eben dieser Höhe. 5.6. Der Nachteil des bestehenden Systems, der Vorteil des Vollgeldsystems Im bestehenden System finanziertsich der Staat in hohem Maße über Verschuldung. Dies führt einerseits zu verteilungspolitisch unerwünschten arbeitslosen Einkommen durch die Zinsen für die Staatsanleihen, andererseits führen zu hohe Staatsschulden zu einem Verlust der Kreditwürdigkeit und erhöhen damit in gewissem Sinn die Instabilität des Finanzsystems.Durch Vollgeld kann die Staatsverschuldung erheblich reduziert werden. Dadurch werden unerwünschte arbeitslose Einkommen vermieden und die Instabilität des Finanzsystems durch einen zu hohen Schuldenstand vermieden. 5.7. Alternative Möglichkeiten zum Vollgeld um diesen Nachteil des derzeitigen Systems zu vermeiden Anstelle durch Vollgeld könnten die Zinseinkommen im bestehenden Geldsystem auch durch eine entsprechende Besteuerung der Zinsen gesenkt werden. Die zunehmende Instabilisierung des Finanzsystems durch zu hohe Staatsschulden kann dadurch allerdings nicht vermieden werden. 17 6. Zahlungsmittelmenge 6.1. Zahlungsmittelmenge im derzeitigen Geldsystem 6.1.1. Die Zahlungsmittelmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt Die Zahlungsmittelmenge ist die Summe von Bargeldmenge und Giralgeldmenge. Im derzeitigen Geldsystem wird beim derzeitigen Verhalten der Zentralbanken sowohl die Bargeldmenge als auch die Giralgeldmenge endogen, d.h. durch die Nachfrage, bestimmt. Die Bargeldmenge ist derzeit deshalb endogen bestimmt, weil die Zentralbank sich derzeit üblicherweise so verhält, dass sie Bargeld an Banken als Kredit zu einem von ihr festgelegten Zinssatz vergibt, wann immer Bargeld von einer Bank nachgefragt wird (sofern die Bank in der Lage ist, die nötigen Sicherheiten in Form von Wertpapieren zu bieten). Die Änderung der Giralgeldmenge (Netto-Giralgeldschöpfung) ergibt sich als Differenz aus Giralgeldschöpfung und Giralgeldvernichtung. Die Ausweitung der Giralgeldmenge (Giralgeldschöpfung) ergibt sich bei jeder Kreditvergabe durch Banken und bei jedem Ankauf von Aktiva und Leistungen durch die Banken. Im Einzelfall unterliegen die Banken dabei praktisch keinen restriktiven Beschränkungen. Darüber hinaus führt jede Einzahlung von Bargeld auf ein Girokonto zu einer Ausweitung der Giralgeldmenge. Die umgekehrten Vorgänge, d.h. Kreditrückzahlung, Verkauf von Aktiva und Auszahlung von Bargeld führen zur Vernichtung von Giralgeld. In jedem Einzelfall entscheiden die Marktteilnehmer weitestgehend frei, ob die jeweilige Transaktion zustande kommt oder nicht. Für die Summe aller Transaktionen hingegen unterliegen die Banken gewissen Einschränkungen, wie der Haltung einer Mindestreserve, Eigenkapitalvorschriften und Liquiditätsvorschriften. Diese Vorschriften stellen allerdings beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank keine wesentlichen Einschränkungen dar, weil sie in der Regel von den Banken durch geeignete Maßnahmen erfüllt werden können. Banken können sich bei der Zentralbank praktisch immer die notwendige Liquidität besorgen, damit führen die Mindestreserve und andere Liquiditätserfordernisse zu keinen echten Einschränkungen. Banken können sich jederzeit auch Eigenkapital besorgen. Insgesamt führt das höchstens zu Kosten bei den Banken aber keinen prinzipiellen Einschränkungen. Im derzeitigen Geldsystem ist die Netto-Giralgeldschöpfung in Summe beim derzeitigen nichtrestriktiven Verhalten der Zentralbanken daher insbesondere wegen der niedrigen Leitzinsen endogen bestimmt, weil sie letztlich allein durch die Nachfrage bestimmt wird. 6.1.2.Monetaristische Geldpolitik der Zentralbank Der Monetarismus ist eine ökonomische Denkschule, die davon ausgeht, dass die Zahlungsmittelmenge durch die Zentralbank nicht nur vollständig bestimmt werden kann sondern auch vollständig bestimmt werden soll. Eine von der Zentralbank vorgegebene jährliche Ausweitung der Zahlungsmittelmenge wird als eine der wenigen staatlichen Eingriffe in den 18 Wirtschaftsprozess als zulässig und notwendig erachtet. Der Monetarismus kann daher als eine spezielle Form einer neoliberalen Wirtschaftsordnung betrachtet werden. Da die Bargeldmenge durch die Zentralbank geschöpft wird, ist die „exogene“ Festlegung der Bargeldmenge durch die Zentralbank grundsätzlich möglich. Wesentlich schwieriger ist es für die Zentralbank die Giralgeldmenge (täglich fällige Forderungen der Nichtbanken an Banken4 ) zu beeinflussen, da sich diese aus den Entscheidungen der Marktteilnehmer (Banken und Nichtbanken) ergibt und nicht direkt an die Bargeldmenge gekoppelt ist. Über den sogenannten Transmissionsmechanismus, (d.h. den Einfluss der Zentralbank auf die Giralgeldmenge über die Höhe der Bargeldmenge, die Leitzinsen, die Liquiditätserfordernisse oder durch Quantitative Easing (QE) und sonstige geldpolitische Instrumente,) kann die Zentralbank primär durch besonders restriktive Festlegungen nur eine Einschränkung der Giralgeldmenge herbeiführen. Werden die Restriktionen vermindert, kommt es zwar zunächst zu einer Erhöhung der Giralgeldmenge, ab einem gewissen Punkt führt aber eine weitere Verminderung der Restriktionen zu keiner weiteren Erhöhung der Giralgeldmenge. 6.1.3.Zusammenfassung Geringe Restriktionen der Zentralbank (z.B. niedrige Leitzinsen) führen zu einer endogen durch die Nachfrage bestimmten Zahlungsmittelmenge. Starke Restriktionen der Zentralbank (z.B. hohe Leitzinsen) führen zu einer exogen durch die Zentralbank bestimmten Zahlungsmittelmenge. Anschaulich gesprochen kann man das so formulieren: „Ein Hund kann mit der Leine zwar mehr oder weniger stark zurückgehalten werden, er kann damit aber nicht angeschoben werden.“ 6.2. Zahlungsmittelmenge im Vollgeldsystem Ein Vollgeldsystem ist insbesondere dadurch bestimmt, dass Giralgeld wie Münzen und Banknoten ausschließlich von der Zentralbank geschöpft wird. Giralgeld ist im Vollgeldsystem nichts anderes als eine elektronisch dokumentierte Form von Münzen bzw. Banknoten. Im Vollgeldsystem gibt es daher nur ein Zahlungsmittel, das als Vollgeld bezeichnet wird. Es existiert in den 3 Ausprägungen, nämlich Münzen, Banknoten und Giralgeld (Forderungen an die Zentralbank). Im Vollgeldsystem hat die Zentralbank grundsätzlich beide Möglichkeiten zur Steuerung der Zahlungsmittelmenge (Vollgeldmenge): Sie kann die Zahlungsmittelmenge durch ein restriktives Verhalten exogen festlegen oder durch ein nicht restriktives Verhalten eine endogene Bildung der Zahlungsmittelmenge auf Grund der Nachfrage zulassen. Damit sind auch Mischformen möglich. 4 Die Forderungen der Banken an die Zentralbank (Reserven) werden dabei nicht in Betracht gezogen 19 Vereinfacht gesagt ist in einem Vollgeldsystem sowohl eine keynesianische expansive Geldpolitik möglich als auch eine monetaristische neoliberale Geldpolitik möglich. Konkret ist ein Vollgeldsystem sogar für eine keynesianische Stimulation der Wirtschaft besser geeignet als das bestehende Geldsystem, solange im bestehenden Geldsystem eine direkte Staatsfinanzierung auf Grund der Statuten der EZB nicht möglich ist. Die Zulässigkeit der direkten Staatsfinanzierung wäre eine besonders wichtige und notwendige Änderung des bestehenden Geldsystems, weil es über die produktive Kreditschöpfung (siehe 7.2.3) nicht nur zu einer Ausweitung der Geldmenge und damit zu einer möglichen Erhöhung der staatlichen Nachfrage kommt, sondern zu einer tatsächlichen Erhöhung der Nachfrage über staatliche Investitionen kommt , ohne dass sich der Staat zusätzlich verschulden muss. Da eine produktive Kreditschöpfung nicht nur zu einer Ausweitung der Zahlungsmittelmenge führt sondern auch zu einer Erhöhung der Produktivität, wird es dadurch auch zu keinem wesentlichen Einfluss auf die Inflation kommen. Zur Grobsteuerung der Vollgeldmenge kann Vollgeld über den Staat in Verkehr gesetzt werden (siehe 7.2.2 bis 7.2.4). Zur Feinsteuerung kann Vollgeld über das Bankensystem in Verkehr gesetzt werden (siehe 7.2.1). Abgesehen von den unscharfen Definitionen der Begriffe endogen und exogen werden von verschiedenen Vertretern des Vollgeldsystems diesbezüglich in der Regel Mischsysteme in Erwägung gezogen, wobei in der Gewichtung von endogen/exogen durchaus auch verschiedene Standpunkte bezogen werden. Joseph Huber, der wichtigste Vorreiter und Proponent von Vollgeld im deutschsprachigen Raum , räumt der direkten Einflussnahme auf die Zahlungsmittelmenge tendenziell eine höhere Bedeutung bei als z.B. die Schweizer Vollgeldinitiative.Konkret bezeichnet aber sogar J. Huber seine empfohlene Geldpolitik als endogen, weil sich die Zentralbank bei den konkreten Entscheidungen an den tatsächlichen Erfordernissen der Wirtschaft orientieren soll und nicht monetaristisch eine Geldmengenausweitung a priori festsetzen soll. 20 7. Inverkehrsetzung von Zahlungsmitteln 7.1. Im derzeitigen System: Inverkehrsetzung über das Bankensystem Im derzeitigen Geldsystem (in Österreich5 ) wird das von der Zentralbank geschöpfte Bargeld über das Bankensystem in Verkehr gebracht, indem es als Kredit gegen Bezahlung von Zinsen in der Höhe der Leitzinsrate an die Banken verliehen wird. Diese geben das Bargeld an Nichtbanken weiter, wenn diese „Bargeld von ihrem Konto bei der Bank abheben“, d.h. wenn sie ihre Forderungen an die Bank auflösen. In der Praxis geschieht dies meist über die Ausgabe von Bargeld bei den Bankomaten. Das von den Banken geschöpfte Giralgeldentsteht bei der Kreditvergabe und beim Ankauf von Aktiva und Leistungen durch die Bank unmittelbar als täglich fällige Forderung (Eintrag auf einem Girokonto) der Nichtbanken gegenüber der Bank. Es wird daher unmittelbar über die Nichtbanken in Verkehr gesetzt. Der wesentliche Nachteil dieser Vorgangsweise besteht darin, dass die Banken frei entscheiden können, wie sie diese Mittel verwenden: zur Ausweitung der Kreditmenge für realwirtschaftliche Investitionen oder zur Ausweitung der Kreditmenge für finanzwirtschaftliche Spekulation oder zur Ausweitung der Konsumkredite oder zum Ankauf von Aktiva („Eigengeschäft“). Besonders problematisch ist es, wenn diese Mittel gar nicht weiter verwendet werden, d.h. gleichsam gehortet werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn diese Zahlungsmittel von der Zentralbank den Banken nicht über deren Verlangen als Kredit zur Verfügung gestellt werden, sondern bei den Banken (als Aktivtausch) anfallen, wenn die Zentralbank im Rahmen eines Quantitative Easing Programms (QE) den Banken Wertpapiere abkauft. Die Versuche der Zentralbank, die Konjunktur bzw. die (realwirtschaftliche) Inflation über die Schöpfung zusätzlicher Zahlungsmittel anzuregen, geht daher in der Regel ins Leere. Der einzige Effekt, der dabei erzielt wird, besteht darin, dass das Zinsniveau gesenkt wird. Dies trägt zwar zu einer Sanierung der Staatsschulden bei, in gleicher Weise wird aber auch die Zinsbelastung der Unternehmen gesenkt, was zur Erhöhung der Unternehmensgewinne beiträgt. Eine Erhöhung der realwirtschaftlichen Unternehmensinvestitionen wird dadurch jedoch nicht direkt erreicht. Wie schon Keynes feststellte, hängen realwirtschaftliche Investitionsentscheidungen nämlich in der Regel nur schwach von der Zinshöhe ab, vielmehr hängen sie von den zukünftigen Erwartungen über die Wirtschaftsentwicklung ab. Für (fremdfinanzierte) Investitionen in Spekulationsgüter gilt genau das Gegenteil. wie man am Beispiel des Preises von Gold, Aktien oder Immobilien erkennt. Niedrige Zinsen führen über niedrige Finanzierungskosten zu einer hohen Nachfrage und damit zu einer entsprechenden 5 In vielen anderen Ländern werden Münzen direkt vom Staat geschöpft. Beim „Einzahlen dieser Münzen auf ein Konto bei einer Bank“ erhält der Staat wie jede andere Nichtbank Giralgeld in der gleichen Höhe. 21 Assetpreisinflation, bei hohen Zinsen hingegen bricht die Nachfrage und damit der Preis sehr rasch ein. Niedrige Zinsen führen damit zu steigenden Aktien- und Immobilienpreisen, die wiederum einen positiven Einfluss auf die allgemeinen Wirtschaftserwartungen und damit indirekt einen positiven Einfluss auf Investitionen und Konsum haben können. Umgekehrt treffen Zinserhöhungen nicht nur unnütze Spekulationen sondern führen beispielsweise auch tendenziell zu sinkenden Aktienpreisen. Diese wiederum führen zu einem negativen Wirtschaftsklima („die Aktionäre fühlen sich ärmer“) und damit zu einer allgemeinen Konsum- und Investitionszurückhaltung. Der erwünschte Druck auf die Spekulation über höhere Zinsen führt damit letztlich zu einem unerwünschten Konjunktureinbruch. Dieser Mechanismus ist wahrscheinlich ausschlaggebender für einen realwirtschaftlichen Investitionsrückgang bei höheren Zinsen als die höheren Finanzierungskosten für die Investitionen. Die wirtschaftspolitischen Möglichkeiten, dies zu verhindern, sind im derzeitigen System gering. Die beste Möglichkeit, um diesen Wirtschaftseinbruch zu verhindern, besteht in der produktiven Kreditschöpfung (direkte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank für Investitionen), wie sie im Vollgeldsystem gegeben ist. Ein wesentliches Argument für eine Zins- statt einer Geldmengensteuerung durch die Notenbank, das oft angeführt wird, ist das Vermeiden von Zinsvolatilität, die sich einstellt, wenn die kurzfristige Zinsbildung dem Markt überlassen wird. Diese erschwert eine geordnete Erwartungsbildung und dämpft Investitionen. Allerdings kann man diesem Argument entgegenhalten, dass Preise in der Marktwirtschaft eine wichtige Steuerungsfunktion und eine wichtige Informationsfunktion über die wirkenden Marktkräfte haben. Durch die Zinssteuerung geht diese Information über Angebot und Nachfrage von Zahlungsmitteln aber verloren. Ein dämpfender Einfluss der Zentralbank auf die Volatilität wäre sicher zu begrüßen, eine grundsätzliche, dauerhafte Einflussnahme auf den Zinssatz ist aber möglicherweise problematisch. 7.2. im Vollgeldsystem Die Zahlungsmittel im Vollgeldsystem (Vollgeld) können auf verschiedene Arten in Verkehr gesetzt werden: 7.2.1.Über das Bankensystem Vollgeld kann im Vollgeldsystem in gleicher Weise über das Bankensystem in Verkehr gesetzt werden wie Bargeld im derzeitigen Geldsystem. Diese Möglichket wird oft von Kritikern des Vollgeldsystems nicht beachtet. 7.2.2.Über direkte Staatsfinanzierung Das von der Zentralbank geschöpfte Vollgeld kann dem Staat als unbefristeter zinsenloser Kredit zur Verfügung gestellt werden. Inhaltlich kommt ein unbefristeter zinsenloser Kredit einem Geschenk gleich. Das Vollgeld fließt damit in das allgemeine Staatsbudget und kann vom Staat ohne weitere Auflagen für staatlichen Konsum staatliche Investitionen, zur Tilgung von 22 Staatsschulden, einer Senkung von Steuern oder eine „Bürgerdividende“ eingesetzt werden.Die wirtschaftlichen Auswirkungen (Erhöhung der Nachfrage, Wirtschaftswachstum, Inflation, Arbeitslosigkeit usw.) hängen von der aktuellen wirtschaftlichen Situation und dem Mix aus diesen Maßnahmen ab. 7.2.3.Über die sogenannte „produktive Kreditschöpfung“ Das von der Zentralbank geschöpfte Vollgeld wird dem Staat in gleicher Weise wie in 7.2.2 als unbefristeter zinsenloser Kredit zur Verfügung gestellt, allerdings mit der zusätzlichen Auflage, diese Mittel nur für staatliche Investitionen verwenden zu dürfen. Das Instrument der produktiven Kreditschöpfung führt also zu zusätzlichen staatlichen Investitionen, ohne dass sich der Staat dabei wie im derzeitigen Geldsystem zusätzlich verschulden müsste. Eine besondere Bedeutung hat die produktive Kreditschöpfungdaher zur Ankurbelung der Wirtschaft bei einem Wirtschaftsabschwung. Volkswirtschaftlich ist eine „produktive Kreditschöpfung“ effizienter als die direkte Staatsfinanzierung ohne weitere Auflagen, weil die zusätzlichen Mittel jedenfalls zu einer Erhöhung der (staatlichen) Investitionen führen. Da Investitionen typischer weise die volkswirtschaftlichen Produktionskapazitäten erhöhen, führt die produktive Kreditschöpfung damit tendenziell zu einer Erhöhung der Konjunktur ohne einer Erhöhung der Inflation. Grundsätzlich kann man dabei Investitionen in einem umfassenden Sinn verstehen, nämlich sowohl als Investition in reales produktives Kapital als auch in produktivitätssteigerndes „Humankapital“ wie Forschung und Bildung. 7.2.4.Über die sogenannte „Bürgerdividende“ bzw. „Helikoptergeld“ Das von der Zentralbank geschöpfte Vollgeld wird nicht im Sinne von 7.2.2 oder 7.2.3 an den Staat als „Geschenk“ gegeben sondern nach einem festzulegenden Schlüssel direkt den privaten Haushalten als „Geschenk“ gegeben. Davon leitet sich der Begriff Bürgerdividende ab. Grundsätzlich ist ein solcher Vorgang auch im bestehenden Geldsystem möglich. In diesem Fall spricht man von Helikoptergeld. Der Nachteil gegenüber der produktiven Kreditschöpfung besteht darin, dass die privaten Haushalte so wie die Banken bei der Inverkehrsetzung über das Bankensystem frei entscheiden können, wofür diese Mittel verwendet werden: für Konsum, für Investitionen, für Sparen oder für Spekulationsgeschäfte. Genauso können die Haushalte auch entscheiden, diese zusätzlichen Mittel gar nicht zu verwenden, d.h. sie zu horten. Eine Bürgerdividende wird in der Regel, aber insbesondere wenn sie verteilungspolitisch sinnvoll verteilt wird, zu einer Konsumerhöhung führen. Da Investitionen dabei nicht direkt angeregt werden, sondern nur über die zu erwartende Erhöhung der Konsumnachfrage, kann eine Bürgerdividende auch zu einer Erhöhung der Inflation führen. Das kann im Fall einer Deflationsgefahr durchaus erwünscht sein. 7.3. Mögliche Maßnahmen zur Vermeidung der Nachteile der Inverkehrsetzung der Zahlungsmittel im derzeitigen Geldsystem. 7.3.1.Änderung der EZB-Statuten um produktive Kreditschöpfung zu ermöglichen Eine der wichtigsten notwendigen Änderungen im bestehenden Geldsystem, ist die Änderung der EZB-Statuten, um es der EZB zu ermöglichen, frisch geschöpftes Geld nicht nur über das 23 Bankensystem sondern auch direkt über den Staat oder die Bürger in Umlauf zu bringen. Damit steht der EZB insbesondere die Möglichkeit der produktiven Kreditschöpfung als besonders wichtiges Instrument zur Konjunktursteuerung zur Verfügung. 7.3.2.Inverkehrsetzung über das allgemeine Bankensystem mit Kreditlenkungsvereinbarungen In der Wiederaufbauphase nach dem 2.Weltkrieg waren Kreditlenkungsvereinbarungen zwischen der Zentralbank und den Banken üblich. Dabei wurde vereinbart, wie die von der Zentralbank frisch geschöpften Zahlungsmittel von den Banken zu verwenden waren. Festgelegt wurde dabei beispielsweise, in welchem Ausmaß diese Mittel für Industriekredite oder für Wohnbaukredite oder für Infrastrukturkredite verwendet werden mussten. Das volkswirtschaftliche Ziel der Zentralbank war es dabei sicherzustellen, dass diese Mittel zu sinkenden Zinsen für diese langfristigen realwirtschaftlichen Investitionen führen und diese daher stimulieren, denn niedrige Zinsen sind insbesondere für langfristige Investitionen von großer Bedeutung. Im Gegensatz dazu führen die derzeit üblichen geldpolitischen Maßnahmen der EZB (QE usw.) zu einem Absinken des allgemeinen Zinssatzes und damit auch zum Absinken des Zinssatzes für Spekulationskredite und damit zu einer Erhöhung („Leverage“) der kreditfinanzierten Spekulation. Da die Nachfrage nach Spekulationskrediten in besonders hohem Maße bei niedrigen Zinsen ansteigt, gehen bei gleichzeitig schlechter Erwartungshaltung über die realwirtschaftliche Entwicklung die heute von der EZB frisch geschöpften Mittel zum größten Teil in finanzwirtschaftliche (Spekulations-) Kredite und führen damit primär zu einer Assetpreisinflation aber keinem realwirtschaftlichen Aufschwung. 7.3.3.Inverkehrsetzung nicht über das allgemeine Bankensystem sondern nur über öffentliche Investitionsbanken Ein ähnlicher Effekt wie durch Kreditlenkungsvereinbarungen ergibt sich, wenn die frisch geschöpften Zahlungsmittel von der EZB nicht über das allgemeine Bankensystem sondern ausschließlich über (öffentliche) Infrastrukturbanken in Verkehr gesetzt werden. 7.3.4.Inverkehrsetzung im Rahmen eines Trennbankensystems ausschließlich über Geschäftsbanken und nicht über Investmentbanken Ebenso ergibt sich ein ähnlicher Effekt wie bei Kreditlenkungsvereinbarungen, wenn die frisch geschöpften Zahlungsmittel von der EZB nicht über das allgemeine Bankensystem sondern im Rahmen eines schon bestehenden Trennbankensystems ausschließlich über die Geschäftsbanken (und nicht auch über Investmentbanken) in Verkehr gesetzt werden. In einem Trennbankensystem dürfen die Geschäftsbanken Spargelder ausschließlich für produktive realwirtschaftliche Investitionen zur Verfügung stellen. Da unter produktiven realwirtschaftlichen Investitionen nicht nur langfristige Investitionen sondern natürlich auch kurzfristige Investitionen fallen, wird dadurch eine breitere Palette an Investitionen gefördert als bei einer Inverkehrsetzung mit Kreditlenkungsvereinbarungen oder über Infrastrukturbanken. 24 7.3.5.Der Vorteil der produktiven Kreditschöpfung Der wesentliche Vorteil der produktiven Kreditschöpfung gegenüber anderen Maßnahmen besteht in 3 Punkten: o mit produktiver Kreditschöpfung kann der Staat nicht nur in Realkapital sondern auch in Humankapital investieren, d.h. konkret auch in Forschung und Bildung o produktive Investitionen des Staates sind in der Regel sinnvoller als Staatskonsum o wenn die Mittel dem Staat zur Verfügung gestellt werden, kann tatsächlich damit sofort „investiert“ werden. Werden die Mittel hingegen über ein Bankensystem zur Verfügung gestellt, ist es nicht sicher, dass sie tatsächlich auch genutzt werden. Dass sie tatsächlich genutzt werden und zu Investitionen führen, dazu bedarf es auch einer Institution die „investieren“ will. Anschaulich wird dies oft so beschrieben: „Esreicht nicht aus den Kühen Wasser hinzustellen, trinken müssen sie schon selber“ 25 8. Kreditschöpfungsmechanismus 8.1. Grundsätzliches zur Kreditschöpfung Um Güter und Dienstleistungen „kaufen6 “ zu können, benötigt eine Nichtbank Zahlungsmittel. Falls sie Zahlungsmittel nicht im ausreichenden Ausmaß hat, kann sie sich Zahlungsmittel von einer Bank als Kredit besorgen. Die Voraussetzung, dass eine Bank Zahlungsmittel an eine Nichtbank als Kredit vergeben kann, besteht daher darin, dass sie Zahlungsmittel hat oder in der Lage ist Zahlungsmittel selbst zu schöpfen. 8.2. Im derzeitigen Geldsystem Um die Kreditschöpfung im derzeitigen System zu verstehen, ist es zweckmäßig den Kreditschöpfungsvorgang gedanklich in 2 Schritte zu zerlegen: Schritt 1 (Zahlunsmittelschöpfung): Im derzeitigen Geldsystem ist eine Bank in der Lage Giralgeld als Zahlungsmittel durch Bilanzverlängerung „aus dem Nichts“ zu schöpfen. Die Aktivseite verlängert sich dabei um eine Forderung der Bank an sich selbst, die Passivseite verlängert sich dabei um eine Verbindlichkeit der Bank an sich selbst. Die Forderung der Bank an sich selbst stellt dabei das geschöpfte Zahlungsmittel dar. Schritt 2 (Kreditvergabe): Die Bank übergibt die Forderung an sich selbst der Nichtbank, diese wird dabei zu einer Forderung der Nichtbank an die Bank, also zu Giralgeld. Damit hat die Nichtbank Zahlungsmittel, mit denen sie einen Einkauf bezahlen kann. Im Gegenzug entsteht dabei für die Bank eine Forderung an die Nichtbank und für die Nichtbank eine Verbindlichkeit gegenüber der Bank.Bei diesem Schritt kommt es zu einem Aktivtausch bei der Bank und einer Bilanzverlängerung bei der Nichtbank. Insgesamt kommt es bei der Kreditschöpfung also zu einer Bilanzverlängerung sowohl bei der Bank als auch der Nichtbank. Bei der Tilgung eines Kredits läuft dieser Vorgang in genau umgekehrter Richtung ab. 8.3. Im Vollgeldsystem Bei der Umstellung des bestehenden Geldsystems auf ein Vollgeldsystem werden die Bargeldbestände der Banken und ihre „Reserven“ (Forderungen an die Zentralbank)in Vollgeld umgewandelt. Die Banken haben daher von Beginn an eine Ausstattung an Vollgeld und damit eine „Grundausstattung“ an Zahlungsmitteln. Für die Vergabe eines Kredites ist es daher zunächst nicht notwendig, dass neue Zahlungsmittel geschöpft werden. Bei der Kreditvergabe übergibt die Bank Vollgeld an die Nichtbank. Diese hat damit die Zahlungsmittel, mit denen sie einen Einkauf bezahlen kann. Im Gegenzug entsteht dabei für die 6 Unter Kauf versteht man den Erwerb von Gütern und Dienstleistung gegen Bezahlung mit Zahlungsmitteln. Grundsätzlich können diese natürlich auch im Tausch gegen andere Güter und Dienstleistungen erworben werden. 26 Bank eine Forderung an die Nichtbank und für die Nichtbank eine Verbindlichkeit gegenüber der Bank. Insgesamt kommt es bei der Kreditvergabe also zu einem Aktivtausch bei der Bank und einer Bilanzverlängerung bei der Nichtbank. Bei der Tilgung eines Kredits läuft dieser Vorgang in genau umgekehrter Richtung ab. 27 9. Kreditmenge 9.1. Im derzeitigen Geldsystem 9.1.1.Die Kreditmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt Für die Kreditmenge gilt im bestehenden Geldsystem Ähnliches wie für die Giralgeldmenge. Die Änderung der Kreditmenge (Netto-Kreditschöpfung) ergibt sich als Differenz aus Kreditschöpfung und Kredittilgung. In jedem Einzelfall entscheiden die Marktteilnehmer weitestgehend frei, ob die jeweilige Transaktion zustande kommt oder nicht. Für die Summe aller Transaktionen unterliegen die Banken allerdings gewissen Einschränkungen: Einerseits führt eine höhere Kreditmenge zu entsprechend höheren Verbindlichkeiten und das Bankensystem braucht daher höhere Bargeldreserven, um die Schwankungen in der Nachfrage der Nichtbanken nach Bargeld ausgleichen zu können. Andererseits führt eine höhere Kreditmenge auch zu höheren Anforderungen der Zentralbank an Mindestreserve, Eigenkapitalvorschriften und Liquiditätsvorschriften. Der höhere Liquiditätsbedarf stellt allerdings beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank keine wesentliche Einschränkung dar, weil sich die Banken derzeit bei der Zentralbank praktisch immer die notwendige Liquidität besorgen können. Banken können sich jederzeit auch das notwendige höhere Eigenkapital besorgen. In Summe führt dies höchstens zu Kosten bei den Banken aber keinen prinzipiellen Einschränkungen. In Summe ist die Netto-Kreditschöpfung beim derzeitigen nichtrestriktiven Verhalten der Zentralbanken insbesondere wegen der niedrigen Leitzinsen im derzeitigen Geldsystem daher endogen bestimmt, weil sie durch die Nachfrage und nicht durch die Zentralbank bestimmt wird. 9.1.2.Restriktive Geldpolitik der Zentralbank Die Zentralbank kann mit einer restriktiven Geldpolitik, die Ausweitung der Kreditmenge erschweren: Hohe Leitzinsen führen dazu, dass die bei einer Ausdehnung der Kreditmenge notwendige Ausdehnung der Bargeldmenge teuer wird, hohe Mindestreserveanforderungen erhöhen den Bargeldbedarf zusätzlich und restriktive Eigenkapitalvorschriften verteuern die Ausdehnung der Kreditmenge, weil die Erhöhung des Eigenkapitals mit hohen Kosten verbunden ist. Bei so einem solchen restriktiven Verhalten der Zentralbank kann man davon sprechen, dass die Kreditmenge exogen wesentlich beeinflusst wird. 9.1.3.Zusammenfassung Geringe Restriktionen der Zentralbank (z.B. niedrige Leitzinsen) führen zu einer endogen durch die Nachfrage bestimmten Kreditmenge. Starke Restriktionen der Zentralbank (z.B. hohe Leitzinsen) führen zu einer exogen durch die Zentralbank bestimmten Kreditmenge. Anschaulich gesprochen kann man das so formulieren: „Ein Hund kann mit der Leine zwar mehr oder weniger stark zurückgehalten werden, er kann damit aber nicht angeschoben werden.“ 28 9.2. Kreditmenge im Vollgeldsystem 9.2.1.Grundsätzliches Für die Vergabe eines Kredites im Vollgeldsystem braucht dasBankensystemeine ausreichende Ausstattung mit Vollgeld (auf der Aktivseite der Bilanz). Die Ausstattung mit Vollgeld muss ausreichen o um die Schwankungen des Vollgeldbestandes durch Schwankungen in der Kreditvergabe und Kredittilgungen ausgleichen zu können o um einen Trend in der Ausweitung der gesamten Kreditmenge bedienen zu können o und um Schwankungen im Sparverhalten (Liquiditätspräferenz) der Nichtbanken ausgleichen zu können. Dabei ist insbesondere aber auchfolgender Unterschied zu beachten: Im derzeitigen Geldsystem werden Zahlungsmittel (Giralgeld) bei der Tilgung eines Kredites vernichtet. Im Vollgeldsystem wird bei der Tilgung eines Kredites kein Zahlungsmittel (Vollgeld) vernichtet, es fließt dabei lediglich von den Nichtbanken zurück zu den Banken. Für die neuerliche Vergabe eines Kredites und daher die Ausweitung der Kreditmenge ist im Einzelfall daher zunächst kein zusätzliches Vollgeld notwendig. Eine Ausweitung der Kreditmenge in Summe erfordert aber letztlich auch eine Erhöhung des Vollgeldbestandes im Bankensystem. Wie im derzeitigen System kann sich die Zentralbank dabei entweder restriktiv oder nicht restriktiv verhalten. Bei nicht restriktivem Verhalten wird die Kreditmenge endogen bestimmt. Bei restriktivem Verhalten wird die Kreditmenge exogen bestimmt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass im Vollgeldsystem die Zentralbank zusätzliche Instrumente zur Steuerung der Zahlungsmittelmenge hat und die Instrumente der Zentralbank für eine restriktive Geldpolitik effizienter sind. Das bedeutet aber keineswegs, dass sich die Zentralbank im Vollgeldsystem „monetaristisch“ verhalten wird oder verhalten muss, d.h. dass sie sich im Vollgeldsystem restriktiver verhalten wird oder verhalten muss als im bestehenden System. Dieser Aspekt wird von Kritikern des Vollgeldsystems aber oft nicht entsprechend behandelt. 9.2.2.Einflüsse auf den Vollgeldbestand im Bankensystem a) Bei der Kreditvergabe vermindert sich der Vollgeldbestand der Banken, bei der Kredtittilgung erhöht er sich b) Eine Inverkehrsetzung von Vollgeld über den Staat führt zu einer Erhöhung des Vollgeldbestandes bei den Nichtbanken. Das führt in Abhängigkeit des Sparverhaltens der Nichtbanken (indem Vollgeld vom Vollgeldkonto auf das Sparkonto bei der Bank fließt) zu einem höheren Vollgeldbestand der Banken. c) Eine Ausweitung der Kreditmenge (d.h. mehr Kreditvergaben als Kredittilgungen) führt zunächst zu einer Erhöhung von Vollgeld bei den Nichtbanken, das aber bei einem „normalen“ Sparverhalten der Nichtbanken zumindest zu einem wesentlichen Teil wieder zurückfließt. 29 d) Eine Änderung des Sparverhaltens verändert die Vollgeldmenge der Banken: Das Sparverhalten kann auch als Ziel der Nichtbanken gesehen werden, am Vollgeldkonto mehr oder weniger Vollgeld zu halten, d.h. mehr oder weniger Vollgeld zu horten. Es wird durch die Höhe des Sparzinses auf den Sparkonten und den eventuellen negativen Zinsen auf das Vollgeldkonto beeinflusst. Darüber hinaus spielt auch die Einschätzung der Sicherheit der Sparkonten (Stabilität der Banken) eine Rolle. e) Bei Finanzwetten (Derivathandel) müssen die Teilnehmer Zahlungsmittel als Wetteinlage bereitstellen, d.h. letztlich von ihrem Vollgeldkonto auf ein „Wettkonto“ bei einer Bank einzahlen. Diese Vollgeldmenge im Bankensystem steht den Banken aber nicht für eine Kreditvergabe zur Verfügung. Die Einzahlungen auf das Wettkonto führen zur Verminderung der Vollgeldmenge auf denVollgeldkonten der Nichtbanken. Um ausreichend Vollgeld für Einkäufe zur Verfügung zu haben, müssen sie diese Vollgeldkonten durch Abhebungen von ihren Sparkonten ausgleichen. Eine Aufblähung der Finanzwetten führt damit zu einer Verminderung des Vollgeldbestandes bei den Banken, der für die Kreditvergabe zur Verfügung steht. f) Falls Nichtbanken in erhöhtem Ausmaß Spekulationsobjekte (z.B. Gold, Immobilien, Rohstoffe usw.) nachfragen, führt dies zur sogenannten Assetpreisinflation (sofern das Angebot an Spekulationsobjekten nicht ebenfalls zunimmt). Für die Abwicklung dieser Spekulationsgeschäfte benötigen sie dazu einen zusätzlichen Vollgeldbestand, der über den für die normalen Transaktionen notwendigen Bestand hinausgeht. Sie müssen gleichsam Vollgeld von ihrem normalen Vollgeldkonto auf ein zweites Vollgeldkonto („Spekulationskonto“) übertragen. Um ausreichend Vollgeld für die „normalen“ Einkäufe zur Verfügung zu haben, müssen sie dieses Vollgeldkonto durch Abhebungen von ihrem Sparkonto ausgleichen. Eine erhöhte Nachfrage nach Spekulationsobjekten führt daher nicht nur zu einer „Assetpreisinflation“ sondern auch zu einer Verminderung des Vollgeldbestandes bei den Banken. 9.2.3.Die Kreditmenge ist beim derzeitigen Verhalten der Zentralbank endogen bestimmt Sofern die Zentralbank über die Inverkehrsetzung von Vollgeld über den Staat (Grobsteuerung) und über eine entsprechende Festlegung des Leitzinssatzes (Feinsteuerung über die Inverkehrsetzung von Vollgeld über das Bankensystem) sichergestellt hat, dass das Bankensystem ausreichend mit Vollgeld ausgestattet ist, erfolgt die Vergabe von Krediten und damit die Änderung der Kreditmenge in Summe endogen wie im derzeitigen Geldsystem. Man kann davon ausgehen, dass sich die Zentralbank auch im Vollgeldsystem in den Fällen a) bis d) so verhalten wird, dass die Versorgung des Bankensystems mit Vollgeld in ausreichendem Ausmaß gewährleistet wird. In diesen Fällen wird sich kein Unterschied in der Kreditmenge zwischen dem bestehenden und dem Vollgeldsystem ergeben. Im übertragenen Sinn könnte man das auch folgendermaßen beschreiben: Wenn ein Auto eine automatische Geschwindigkeitsbeschränkung bei 100 kmh eingebaut hat und ein anderes Auto keine solche Geschwindigkeitsbeschränkung eingebaut hat, werden die beiden Autos im Bereich der „normalen“ Geschwindigkeiten kein verschiedenes Verhalten zeigen. Dies wird erst in „unerwünschten“ Ausnahmesituationen, nämlich bei gewünschten Geschwindigkeiten über 100 kmh sichtbar. 30 9.2.4.Restriktive Geldpolitik der Zentralbank Im Vollgeldsystem hat die Zentralbank, wenn sie dies will, einen direktere Kontrolle über die Zahlungsmittelmenge als im bestehenden Geldsystem, da diese ausschließlich aus Vollgeld besteht und damit ausschließlich von der Zentralbank geschöpft wird. D.h., dass im Vollgeldsystem die Instrumente der Zentralbank für eine restriktive Geldpolitik effizienter sind als im bestehenden Geldsystem. Das bedeutet aber keineswegs, dass sich die Zentralbank im Vollgeldsystem in jedem Fall restriktiver verhalten wird oder verhalten muss als im bestehenden System. Dieser Aspekt wird von Kritikern des Vollgeldsystems aber leider oft übersehen. Allerdings hat die Zentralbank die Möglichkeit bei Anzeichen von einer unerwünschten Aufblähung des Derivatehandels(Fall e)) oder im Fall einer unerwünschten Assetpreisinflation (Fall f)) eine effizientere Geldpolitik als bisher in folgendem Sinn zu betreiben: o Eine „restriktive“ Inverkehrsetzung von Vollgeld über das Bankensystem führt zu einem steigenden Zinsniveau. o Spekulationsgeschäfte und Finanzwetten werden durch höhere Zinsen stärker eingebremst als realwirtschaftliche Investitionen. Begründung: - Wie schon Keynes feststellte, hängen realwirtschaftliche Investitionsentscheidungen nämlich in der Regel nur schwach von der Zinshöhe ab, vielmehr hängen sie von den zukünftigen Erwartungen über die Wirtschaftsentwicklung ab. - Bei realwirtschaftlichen Investitionen ergeben sich die Gewinne aus der Schaffung eines realen Mehrwertes. Bei Finanzwetten (Abschluss von „Derivaten“) und bei Spekulationsgeschäften (Kauf von „Assets“) ergeben sich die Gewinne dagegen in der Regel nur als Umverteilungsgewinne auf Kosten der Verluste anderer oder als Bewertungsgewinne. Weil Umverteilungsgewinne und Bewertungsgewinne unsicherer zu kalkulieren sind als reale Gewinne, ist es plausibel anzunehmen, dass spekulative (finanzwirtschaftliche) Veranlagungen wesentlich stärker vom Zinssatz abhängen als realwirtschaftliche Investitionen. - Ein hoher Zinssatz wird daher tendenziell stärker den Abschluss von Derivaten und den Kauf von Assets dämpfen als realwirtschaftliche Investitionen. Daher kommt es durch eine Zinserhöhung eher zu einer Eindämmung von Finanzblasen als zu einer wesentlichen Dämpfung der Konjunktur. o Höhere Zinsen können zu einem Einbruch auf den Aktienmärkten führen und damit das allgemeine Wirtschaftsklima belasten. Einem dadurch ausgelösten eventuellen (geringfügigen) Konjunktureinbruch, kann durch eine („expansive“) Inverkehrsetzung von Vollgeld über den Staat, insbesondere durch produktive Kreditschöpfung erfolgreich begegnet werden. 31 Ein solches Verhalten der Zentralbank kann einem gewissen Beitrag zur Dämpfung von Finanzblasen und Spekulation leisten, ohne einen wesentlichen dämpfenden Effekt auf die Konjunktur zu haben. Die Umstellung auf ein Vollgeldsystem gibt also der Zentralbank zwar zusätzliche und bessere Instrumente zur Bekämpfung von Spekulation und Finanzblasen in die Hand, vollständig verhindert werden können diese allerdings dadurch nicht. Die Auswirkungen sind daher vermutlich nicht so groß, wie dies von vielen Befürwortern des Vollgeldsystems gesehen wird. Vollgeld ist also kein Allheilmittel gegen Spekulation und Finanzblasen, aber auch diesbezüglich ein Schritt in die richtige Richtung. Zur effizienten Bekämpfung von Spekulation und Finanzblasen bedarf es jedenfalls aber auch zusätzlicher Maßnahmen wie Trennbankensystem, Finanzmarktregulierungen, Finanztransaktionssteuer usw. 32 10. Statuten der Zentralbank 10.1.Im bestehenden System Das einzige in den Statuten der EZB festgelegte Ziel, besteht in der Aufrechterhaltung der Preisstabilität. Bei der amerikanischen Zentralbank FED sind darüber hinaus ein hoher Beschäftigungsstand und moderate langfristige Zinsen als Ziele in den Statuten verankert. Der EZB ist die direkte staatliche Finanzierung explizit untersagt. D.h. sie darf Staatsanleihen nur auf dem Markt und nicht direkt vom Staat kaufen. Der indirekte Kauf von Staatsanleihen am Markt, z.B. durch QE-Programme, führt zwar zu niedrigeren Zinsen für den Staat und damit zu einer „indirekten staatlichen Finanzierung“, aber er führt zu keiner direkten Verminderung der Staatsschulden. Der FED ist der direkte Kauf von Staatsanleihen nicht untersagt, daher ist eine direkte/indirekte Staatsfinanzierung durch die Zentralbank in den USA leichter als in der EU. 10.2.Im Vollgeldsystem Befürworter eines Vollgeldsystems sehen das Geldsystem auch als Mittel, um auch wesentlich weitreichendere Ziele zu erreichen bzw. zu unterstützen (siehe auch 2.4). In einem Vollgeldsystem sollten (könnten) ihrer Meinung nach für die Zentralbank daher beispielsweise folgende Ziele vorgegeben werden: o wirtschaftspolitische Ziele - Preisstabilität (+ Preisstabilität hinsichtlich Assetpreisinflation?) - Vollbeschäftigung - moderate langfristige Zinsen (+ Nullzinsen für ausgewählte Staatsinvestitionen?) - Vermeidung von Konjunkturschwankungen - Vermeidung von Finanzblasen o allgemeinpolitische Ziele - Verteilung über eine (verteilungspolitisch wirksame ?)Bürgerdividende Die direkte Staatsfinanzierung stellt ein wesentliches Element eines Vollgeldsystems dar (siehe 7.2). Im Gegensatz zu einer direkten Staatsfinanzierung im bestehenden System durch die FED oder einer indirekten Staatsfinanzierung durch die EZB, die beide nur zur Verminderung der Zinsbelastung des Staates führen, führt die Staatsfinanzierung in einem Vollgeldsystem auch zu einer Verminderung der Staatsschulden. 33 11. Beeinflussung der Zinsen Ein Kernargument von Vollgeldkritikern besteht in der Annahme, dass es durch die Einführung von Vollgeld generell zu einer Erhöhung der Zinsen und damit zu einer Dämpfung der Wirtschaft kommt. Dies ist aus folgenden Gründen falsch: 11.1. Kein Einfluss durch die reine Systemumstellung auf Vollgeld Die wesentliche Änderung bei der Umstellung auf Vollgeld besteht darin, dass die Bankbilanz auf der Passivseite um die Giralgeldverbindlichkeiten verkürzt wird und daher das Giralgeld (Vollgeld) für die Vergabe von Krediten nicht mehr zur Verfügung steht. Oft wird daraus der falsche Schluss gezogen, dass es dadurch zu einer ungewollten Einschränkung der Kreditmenge und damit zu einer eingeschränkten Nachfrage und einer Dämpfung der Wirtschaft kommt. Dabei wird übersehen, dass die bei der Umstellung auf Vollgeld anfallende Umstellungsseignorage vollständig zur Tilgung der Staatsschulden herangezogen wird und damit zu einer gewollten Verminderung der Kredite an den Staat führt. Die Spareinlagen (Verbindlichkeiten der Banken auf der Passivseite) und alle anderen Kredite (inklusive der nicht getilgten Staatsschulden) sind von der Vollgeldreform nicht betroffen, d.h. die Nachfrage nach Krediten und das Angebot von Krediten ändert sich in diesem Sinne durch die Vollgeldreform nicht, daher kommt es dadurch auch zu keiner Änderung der Zinsrate. Hinsichtlich der Nachfrage ergibt sich, dass die Nachfrage des Staates (im Ausmaß der Giralgeldmenge) ursprünglich durch verzinste befristete Staatsanleihen bei Banken finanziert wurde, im Vollgedsystem dieselbe Nachfrage durch zinsenlose unbefristete Kredite („Geschenke“) bei der Zentralbank finanziert werden. Insgesamt bewirkt die reine Systemumstellung auf Vollgeld daher weder eine Änderung der Zinsrate noch eine Änderung der Nachfrage. 11.2. Geringer Einfluss: Sparverhalten der Haushalte, Kreditnachfrage Die höhere Sicherheit von Vollgeld gegenüber dem derzeitigen Giralgeld beim Konkurs einer Bank kann theoretisch dazu führen, dass Nichtbanken in etwas höherem Umfang dazu neigen, Vollgeld zu halten als es als Spargeld den Banken zu überlassen. Sollte das der Fall sein, könnte dies unproblematisch dadurch behoben werden, dass die Zentralbank über das Bankensystem zusätzliches Vollgeld einbringt. Damit gäbe es auch keinen Einfluss auf das Zinsniveau. 11.3. Einfluss durch das möglicherweise verschiedene Verhalten der Zentralbank Wie in 7.1 und 9.2 beschrieben kann man annehmen: Wenn eine Kreditausweitung zu keinem entsprechenden Wirtschaftswachstum führt, ist dies ein Hinweis darauf, dass diese Kredite nicht in die Realwirtschaft sondern in die finanzwirtschaftliche Spekulation geflossen sind. In diesem Fall kann die Zentralbank auf eine Ausweitung der Zahlungsmittelmenge verzichten. Dies führt zu einem Anstieg der Kreditzinsen. Dies bremst in erster Linie die Ausweitung der finanzwirtschaftlichen Spekulationskredite, weil diese empfindlicher auf Zinserhöhungen reagieren als 34 realwirtschaftliche Investitionen, die primär von den wirtschaftlichen Erwartungen beeinflusst sind. Von einem steigenden Zinsniveau wären zwar grundsätzlich auch langfristige Infrastrukturmaßnahmen betroffen, da diese in einem Vollgeldsystem über produktive Kreditschöpfung und damit weitgehend unabhängig von der Höhe der Zinsen finanziert werden, sind diese nicht unmittelbar betroffen. 11.4. Einfluss einer schwankenden Liquiditätspräferenz auf das Zinsniveau Das Verhältnis M3 zu M1 schwankt im derzeitigen Geldsystem nicht besonders stark. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die entsprechenden Schwankungen im Vollgeldsystem größer wären. Die Bereitstellung der zum Ausgleich der unterschiedlichen Liquiditätspräferenz notwendigen liquiden Mittel über die Feinsteuerung (Inverkehrsetzung von Vollgeld über das Bankensystem) sollte daher im Normalfall kein Problem sein. Im Krisenfall, wenn das Vertrauen in eine Bank schwindet, werden im bestehenden System die Kunden sowohl ihre Giralgelder als auch ihre Spargelder von dieser Bank abziehen. Um die Liquidität der Bank zu erhalten, muss die Zentralbank als lender of last resort einspringen. Im Vollgeldsystem verhält es sich dabei grundsätzlich ähnlich. Im Krisenfall werden die Kunden ihr Spargeld von der Bank abziehen, entweder indem sie es auf ein sicheres Vollgeldkonto bei derselben Bank verlegen oder indem sie es zu einer anderen Bank verlegen. Um die Liquidität der Bank zu erhalten, muss die Zentralbank auch im Vollgeldsystem in gleicher Weise wie im derzeitigen Geldsystem als lender of last resort einspringen 11.5. Zusammenfassung Im Normalfall kommt es durch die Umstellung auf das Vollgeldsystem zu keinem wesentlichen Einfluss auf das Zinsniveau. Damit kommt es auch nicht zu einer systembedingten Erhöhung des Zinsniveaus und damit auch nicht zu einer systembedingten Dämpfung der Nachfrage. Nur wenn die Zentralbank bei Anzeichen von einer unerwünschten Ausweitung der Derivatgeschäfte oder einer Assetpreisinflation eine restriktivere Geldpolitik ausübt, indem sie die Nachfrage nach Zahlungsmitteln nicht vollständig deckt, kommt es zu einem gewünschten Anstieg des Zinsniveaus, der zwar einen dämpfenden Einfluss auf Finanzwetten und Spekulation hat, der aber nur in geringerem Ausmaß die realwirtschaftliche Konjunktur betrifft,. (siehe 9.2 bzw. insbesondere 9.2.4), insbesondere weil dem über eine produktive Kreditschöpfung gut entgegengesteuert werden kann. 35 12. Außerverkehrsetzung (Horten) von Zahlungsmitteln und Konjunktursteuerung 12.1. Horten von Zahlungsmitteln Werden Zahlungsmittel gehortet, kommt es zu einem Nachfrageausfall. Werden Zahlungsmittel enthortet, kommt es zu zusätzlicher Nachfrage. Abwechselndes Horten und Enthorten der Summe der Marktteilnehmer führt daher zu Konjunkturschwankungen, unabhängig davon welche Motive die Marktteilnehmer dazu veranlassen. Je größer die Zahlungsmittelmenge ist, desto leichter fällt es einerseits den Marktteilnehmern Zahlungsmittel dem Kreislauf zu entziehen und gleichsam in einen unbenutzten Speicher zu legen und andererseits diese innerhalb kurzer Zeit wieder zu entnehmen und in den Kreislauf einzubringen. Je niedriger die Zahlungsmittelmenge über der unbedingt notwendigen Menge liegt, desto geringere Mengen an Zahlungsmittelmengen können gehortet und enthortet werden. Als Folge davon werden die Konjunkturschwankungen umso stärker nach oben und unten begrenzt, je niedriger die Zahlungsmittelmenge ist. Durch negative Zinsen auf die Menge der Zahlungsmittel gibt es einen Anreiz dazu, dass die Zahlungsmittelmenge klein gehalten wird. Daher können mit negativen Zinsen auf Zahlungsmittel auch Konjunkturschwankungen klein gehalten werden. Dieses Konzept geht ursprünglich auf Silvio Gesell zurück und wurde von Keynes in abgewandelter Form in seinem BANCOR-Plan von 1944 für den internationalen Handel vorgeschlagen. In jüngster Zeit versucht die EZB in vergleichbarer Weise, die Einlagen von Zahlungsmitteln der Banken bei der EZB mit negativen Zinsen zu belasten, um die Banken zu animieren, diese Mittel durch Vergabe von Krediten in den Wirtschaftskreislauf einzubringen und damit die Wirtschaft anzukurbeln. Grundsätzlich ist dieses Konzept von negativen Zinsen auf Zahlungsmittel sowohl im bestehenden als auch im Vollgeldsystem möglich. Ohne auf die politische Umsetzbarkeit von negativen Zinsen näher einzugehen, sei festgehalten, dass negative Zinsen auf Bargeld in der Praxis technisch nur sehr schwierig umzusetzen sind. In der Praxis voll wirksam können negative Zinsen auf Zahlungsmittel daher nur dann werden, wenn Bargeld abgeschafft oder auf nur schwer hortbares Bargeld (wie z.B. Münzen) eingeschränkt wird. 12.2. Konjunktursteuerung im derzeitigen Geldsystem Über Geldpolitik allein lässt sich die Konjunktur nicht beleben sondern höchstens einbremsen. o „Es reicht nicht den Kühen Wasser zu geben, sie müssen auch trinken wollen, damit sie tatsächlich auch Wasser trinken, denn man kann sie dazu nicht zwingen“. o „Ein Hund kann mit der Leine zwar mehr oder weniger stark zurückgehalten werden, er kann damit aber nicht angeschoben werden.“ D.h. es reicht nicht, dass man Konsumenten oder Investoren Zahlungsmittel ausreichend und günstig zur Verfügung stellt, damit sie konsumieren bzw. investieren können. Konsumenten und Investoren müssen dies auch wollen (). Es braucht dazu auch des entsprechenden wirtschaftlichen Umfeldes. Dazu kann die Geldpoltik aber keinen direkten Beitrag leisten. 36 12.3. Konjunktursteuerung im Vollgeldsystem Ein wesentliches Instrument der Konjunktursteuerung im Vollgeldsystem ist die Inverkehrsetzung von frisch geschöpften Zahlungsmitteln durch den Staat, denn der Staat ist der einzige Marktteilnehmer der dazu gezwungen werden kann, bereitgestellte Mittel auch tatsächlich zur Nachfrage zur verwenden und nicht zu horten. Damit kann die Zentralbank im Vollgeldsystem die Konjunktur besser steuern als im bestehenden System. Sie kann einerseits wie im bestehenden System über eine restriktive Geldpolitik die Konjunktur dämpfen. Im Gegensatz zum bestehenden System kann sie aber andererseits über die Inverkehrsetzung von Zahlungsmitteln über den Staat auch direkt die Nachfrage und damit die Konjunktur erhöhen. o „Im Vollgeldsystem wird der Hund nicht an einer Leine sondern an einer Stange geführt. Damit kann man ihn sowohl zurückhalten als auch anschieben“ 37 13. Erwiderung auf die Kritik am Vollgeldsystem 13.1. Neoliberale Kritik Neoliberale Ökonomen lehnen eine direkte Staatsfinanzierung durch die Notenbank und damit auch eine produktive Kreditschöpfung radikal ab. Da eine direkte Staatsfinanzierung ein wesentliches Element eines Vollgeldsystems ist, wird auch Vollgeld vollständig abgelehnt. Sie stehen auf dem Standpunkt, dass der Staatshaushalt nur durch die Finanzmärkte diszipliniert werden kann. Daher wird der Staat gezwungen, sich nur über Staatsanleihen zu finanzieren. Ansonsten drohe die Gefahr einer unkontrollierten Inflation. Ohne auf mögliche negativen Folgen der Staatsfinanzierung insbesondere über zu hohe Staatsschulden näher einzugehen, ist das Argument keineswegs stichhaltig und letztlich nur eine Frage, welchen rechtlichen Vorgaben die Zentralbank unterliegt und wieweit sie mit ihren Entscheidungen unabhängig ist. In einem Vollgeldsystem muss daher rechtlich festgelegt sein, dass die Zentralbank und das Geldsystem insgesamt dem Allgemeinwohl zu dienen hat und nicht gesellschaftlichen Einzelinteressen. Die konkrete Ausformulierung der Gewaltentrennung in der Verfassung in Legislative, Exekutive und Judikative und deren jeweilige Unabhängigkeit und demokratische Kontrolle ist nicht einfach, aber sie hat sich in einem modernen Rechtsstaat bewährt. Genauso ist auch die konkrete Formulierung des gesetzlichen Auftrages der Zentralbank, deren Unabhängigkeit und deren demokratischer Kontrolle nicht ganz leicht. Dies kann aber kein Grund sein, dies nicht zu tun. Jedenfalls dürfte nicht nur das Ziel der Preisstabilität sondern müsste jedenfalls auch z.B. das Ziel der Vollbeschäftigung eine wesentliche Rolle beim gesetzlichen Auftrag der Zentralbank spielen. 13.2. Postkeynesianische Kritik 13.2.1. Systembedingte Beeinträchtigung der Kreditbereitstellung und damit Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Das Hauptargument postkeynesianischer Ökonomen gegen eine Vollgeldreform, besteht in der Annahme, dass diese zu einer systembedingten Beeinträchtigung der Kreditbereitstellung und damit einer Dämpfung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage führt. Dieses Argument scheint jedoch nicht stichhaltig zu sein (siehe Kapitel 9.2). Eine Ausweitung der Kreditmenge in Summe erfordert eine Erhöhung des Vollgeldbestandes im Bankensystem. Wie im derzeitigen System kann sich die Zentralbank dabei entweder restriktiv oder nicht restriktiv verhalten. Bei nicht restriktivem Verhalten wird die Kreditmenge endogen bestimmt. Bei restriktivem Verhalten wird die Kreditmenge exogen bestimmt. Der einzige Unterschied besteht darin, dass im Vollgeldsystem die Zentralbank zusätzliche Instrumente zur Steuerung der Zahlungsmittelmenge hat und die Instrumente der Zentralbank für eine restriktive Geldpolitik effizienter sind. Das bedeutet aber keineswegs, dass sich die Zentralbank im Vollgeldsystem „monetaristisch“ verhalten wird oder verhalten muss, d.h. dass sie sich im Vollgeldsystem restriktiver verhalten wird oder verhalten muss als im bestehenden 38 System. Dieser Aspekt wird von Kritikern des Vollgeldsystems aber oft nicht entsprechend behandelt. Sofern die Zentralbank über die Inverkehrsetzung von Vollgeld über den Staat (Grobsteuerung) und über eine entsprechende Festlegung des Leitzinssatzes (Feinsteuerung über die Inverkehrsetzung von Vollgeld über das Bankensystem) sichergestellt hat, dass das Bankensystem ausreichend mit Vollgeld ausgestattet ist, erfolgt die Vergabe von Krediten und damit die Änderung der Kreditmenge in Summe endogen wie im derzeitigen Geldsystem.. Man kann davon ausgehen, dass sich die Zentralbank auch im Vollgeldsystem im „Normalfall“ (siehe 9.2.2, Fälle a) bis d)) so verhalten wird, dass die Versorgung des Bankensystems mit Vollgeld in ausreichendem Ausmaß gewährleistet wird. In diesen Fällen wird sich daher kein Unterschied in der Kreditmenge zwischen dem bestehenden und dem Vollgeldsystem ergeben. Allerdings hat die Zentralbank die Möglichkeit bei Anzeichen von einem unerwünschten Derivatehandel (Fall e)) oder im Fall einer (unerwünschten) Assetpreisinflation (Fall f)) eine effiziente Geldpolitik in folgendem Sinn zu betreiben (ausführlicher siehe dazu 9.2.4) o Eine „restriktive“ Inverkehrsetzung von Vollgeld über das Bankensystem führt zu einem steigenden Zinsniveau. o Spekulationsgeschäfte und Finanzwetten werden durch höhere Zinsen stärker eingebremst als realwirtschaftliche Investitionen, weil diese stärker durch die wirtschaftlichen Erwartungen als durch die Höhe der Zinsen beeinflusst werden. o Einem eventuellen (geringfügigen) Absinken der Konjunktur durch höhere Zinsen kann durch eine („expansive“) Inverkehrsetzung von Vollgeld über den Staat, insbesondere durch produktive Kreditschöpfung erfolgreich begegnet werden. Ein solches Verhalten der Zentralbank hat daher einen gewissen dämpfenden Effekt auf Finanzblasen und Spekulation ohne einen wesentlichen dämpfenden Effekt auf die Konjunktur. Im übertragenen Sinn könnte man das folgendermaßen beschreiben: Wenn ein Auto eine automatische Geschwindigkeitsbeschränkung bei 100 kmh eingebaut hat und ein anderes Auto keine solche Geschwindigkeitsbeschränkung eingebaut hat, werden die beiden Autos im Bereich der „normalen“ Geschwindigkeiten kein verschiedenes Verhalten zeigen. Dies wird erst in „unerwünschten“ Ausnahmesituationen, nämlich bei gewünschten Geschwindigkeiten über 100 kmh sichtbar. 13.2.2. höheres Zinsniveau Vielfach wird argumentiert, dass es in einem Vollgeldsystem generell zu einem höheren Zinsniveau kommt. Bezüglich der Argumente, die gegen diese Annahme sprechen, siehe Kapitel 11. Aus dem höheren Zinsniveau wird wieder eine allgemeine Dämpfung der Wirtschaft abgeleitet (siehe dazu 13.2.1). 13.2.3. „Verstaatlichung“ der Kreditvergabe Manche Ökonomen () argumentieren, dass die Kreditmenge im Vollgeldsystem vollständig durch die Zentralbank und damit gleichsam staatlich festgelegt wird. 39 Diese Argumentation beruht offensichtlich auf dem gleichen Missverständnis über das Vollgeldsystemwie im vorigen Punkt 13.2.1 dargestellt.Im „Normalfall“ wird die Kreditmenge im Vollgeldsystem genauso endogen bestimmt wie im bestehenden Geldsystem. Dieses Missverständnis wird offensichtlich fälschlicherweise dadurch hervorgerufen, weil J. Huber sich in seiner Argumentation für das Vollgeldsystem teilweise auch ordoliberaler Argumente bedient. Daraus leitet aber auch Huber keine „exogene“ Festlegung der Vollgeldmenge und der Kreditmenge im „Normalfall“ ab. Wie im Kapitel 9 beschrieben, hat die Zentralbank nur die Möglichkeit, im Fall von unerwünschten Entwicklungen eine effizientere restriktivere Geldpolitik zu machen, ohne dass dies zu wesentlichenEinschränkungen für dieRealwirtschaft führt, sie ist aber auch in einem Vollgeldsystem keineswegs dazu gezwungen. 13.2.4. Verstärkung des prozyklischen Verhaltens Manche Ökonomen argumentieren (), dass es im Vollgeldsystem zu einem Verhalten der Haushalte kommt, das das prozyklische Verhalten von Banken und Unternehmen zusätzlich verstärkt. Sie argumentieren, dass im Aufschwung nicht nur Unternehmen risikofreudiger sind und daher mehr Kredite nachfragen und Banken im Aufschwung risikofreudiger sind und diese Kredite leichter vergeben, sondern dass auch die Haushalte risikofreudiger sind und mehr von ihrem Vollgeld als Spargeld zur Verfügung stellen (im Sinne von Keynes von der Transaktionskasse in die Spekulationskasse transferieren). Das ist grundsätzlich denkbar, nur kommt es dadurch nicht zu dem behaupteten Effekt, dass die Banken deshalb noch mehr Kredite zur Verfügung stellen. Zusätzliches Vollgeld im Bankensystem hat keinen Einfluss auf die Ausweitung der Kreditvergabe, solange die Banken eine ausreichende Vollgeldaustattung haben. Denn wenn die Banken eine ausreichende Ausstattung mit Vollgeld haben, ergibt sich die Kreditmenge endogen. 13.2.5. Zu große Machtfülle für die Zentralbank Manche Ökonomen () argumentieren, dass die Zentralbank eine für eine Demokratie nicht vertretbare Machfülle bekommen. Wenn die Zentralbank die richtigen Ziele verfolgt ist es besser, dass sie auch die richtigen Instrumente zur Erreichung der Ziele und die entsprechende Macht zur Durchsetzung dieser Ziele hat. Ob die Zentralbank die ihr gesetzlich vorzugebenden Ziele tatsächlich verfolgt, muss selbstverständlich einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Sie braucht aber ein möglichst großes Repertoire an effizienten Instrumenten, um diese Ziele auch erreichen zu können. In der tatsächlichen Auswahl der Instrumente sollte sie aber unabhängig sein. 13.2.6. Vollgeld löst nicht alle Probleme Von allen postkeynesianischen Ökonomen wird als Kritik vorgebracht, dass ein VollgeldSystem nicht alle Probleme löst, insbesondere nicht die der Finanzmarktstabilität. Dies in der Tat richtig (siehe 9.2.4) und wird auch von allen (seriösen) Befürwortern einer Vollgeldreform so gesehen. Insofern beruht diese Kritik auf einem Missverständnis. Eine 40 Vollgeldreform ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Sie bedarf aber wesentlicher zusätzlicher Reformen (siehe Kapitel 14) . 41 14. Zusammenfassung: Reformen im Vergleich Eine Vollgeldreform kann viele wichtige Ziele eines Wirtschaftssystems erreichen bzw. unterstützen: manche sehr gut, manche teilweise, manche gar nicht. Jedenfalls ist eine Vollgeldreform aber keine Heilslehre sondern ein Schritt in die richtige Richtung und führt bei keinem Ziel zu einer Verschlechterung. Viele Ziele könnten auch durch Reformen im bestehenden Geldsystem erreicht werden. Um ein optimales Geldsystem zu erreichen, reicht eine Vollgeldreform aber jedenfalls nicht aus. Es müsste jedenfalls ergänzt werden um: o Kapitalsteuern o Trennbankensystem o Finanzmarktregulierungen o EZB-Ziel Vollbeschäftigung o negative Zinsen auf Zahlungsmittel o BANCOR 42 Danksagung Der Autor dankt Beat Weber, Stefan Ederer, Joseph Huber und Florentin Glötzl für eine kritische Durchsicht des Manuskripts und wertvolle Anregungen. 43 Literatur Ederer, S. 2015, http://blog.arbeit-wirtschaft.at/alternative-geldsysteme-keine-loesung/ Felber, C. 2014, Geld – Die neuen Spielregeln, Deuticke Felber, C. 2016,Vom Vollgeld zum „Souveränen Geld“ Vorteile und Optionen einer VollgeldReform http://www.christian-felber.at/schaetze/12_Vorteile_VollgeldReform_Felber_2016.pdf Fontana, G. & Sawyer, M. 2016, Full Reserve Banking: More “Cranks” Than “Brave Heretics”, Cambridge Journal of Economics 2016 Huber, J. 2010, Monitäre Modernisierung, Metropolis Huber, J. 2014, Vollgeld in der Kritik http://www.vollgeld.de/vollgeld-in-der-kritik/ Glötzl, E. 2013, Fragen zur Problematik der Giralgeldschöpfung durch Geschäftsbanken – Banken haben einen ungerechtfertigten Vorteil im Wettbewerb mit Nichtbanken, Working Paper, Monetative Jahrestagung 2013 http://bit.ly/29mEWA1 Glötzl, E. 2015, Keynesianische Geldpolitik mit Vollgeld effizienter, LESERKOMMENTAR http://derstandard.at/2000002357750/Keynesianische-Geldpolitik-mit-Vollgeldeffizienter Glötzl, E. 2016, Maßnahmen zur Wirtschaftsbelebung - Können und Wollen als Voraussetzungen für Investieren und Konsumieren, Working Paper Sauber, M. & Weihmayr, B. 2014, Vollgeld und Full Reserve Banking – Geldreformen auf dem Prüfstand – eine Erwiderung, Wirtschaftsdienst, 94, Jg. (2014), H. 12, S. 898-905 Sauber, M. & Weihmayr, B. 2015, Vollgeld und Full Reserve Banking – Geldreformen auf dem Prüfstand, Wirtschaftsdienst, Jg. (2015), H. 9, S. 640-643 Schulmeister, S. 2016, Das "Vollgeldsystem", Notwendige Reform oder gefährliches Allheilmittel?, WIFO, Working Paper Schweizer Vollgeld initiative 2016, http://www.vollgeld-initiative.ch/ Weber, B. 2013, Ordoliberale Geldreform als Antwort auf die Krise? Bitcoin und Vollgeld im Vergleich, http://ejournals.duncker-humblot.de/doi/pdf/10.3790/vjh.82.4.73 44 Zeddies, L. 2015, Vollgeld und Full Reserve Banking: die Kritik auf dem Prüfstand – eine Replik, Wirtschaftsdienst, Jg. (2015), H. 9, S. 636-640