Interessant ist der Zeitverlauf zurück: Am 28. Februar hat der Bundesrat – unter dem Eindruck der Ereignisse in Italien – das Veranstaltungsverbot erlassen und eine sehr aktive Kommunikation mit sehr gut verständlichen, umsetzbaren und wirksamen Hygieneempfehlungen lanciert. Dass diese Massnahmen wirksam waren, zeigt nun die Analyse der Gruppe von Stadler: Denn wie in der Abbildung gezeigt, dauerte es gerade mal 10 Tage, bis die Massnahmen Wirkung zeigten. Diese 10 Tage, das ist exakt die Zeit welche auch Stadler im Modell vorausgesagt hatte: Zunächst einmal dauert es im Durschnitt 5 Tage, bis eine heute infizierte Person selbst krank wird und ansteckend wird. Und dann dauert es noch einmal – so die Annahmen im Modell – im Durchschnitt 5 Tage, bis eine Person mit einer Infektion diagnostiziert wird. Über diese Annahmen kann man jetzt noch diskutieren, doch im Grossen und Ganzen ist es klar, dass eine Veränderung des Verhaltens zu einer verzögerten Wirkung führt. Und die hier beobachtete Verzögerung ist plausibel. Sie zeigt auf jeden Fall, dass sich die Epidemie VOR dem Lockdown schon deutlich verändert hat.
https://infekt.ch/2020/04/sind-wir-tatsaechlich-im-blindflug/
Nun haben Epidemiologen des Robert Koch Instituts (dem „Deutschen BAG“) praktisch eine identische Analyse präsentiert. Sie haben ihre Annahmen für die Inkubationszeiten und die Zeit bis zur Diagnosestellung etwas kürzer angesetzt. Doch das Resultat blieb dasselbe, wie sich in der Abbildung deutlich zeigt.
In Deutschland gab es zwei wichtige Zeitpunkte: Am 9. März das Verbot von Grossveranstaltungen (>1000 Personen) und dann am 23. März der Lockdown mit umfangreichem Kontaktverbot. Und auch in dieser Analyse vom RKI zeigt sich, dass es in Deutschland, wie schon in der Schweiz, nicht die Lockdown-Massnahmen waren, welche zur wirksamen Hemmung der Ausbreitung von Covid-19 führten.
Offenbar zeigen nun diese beiden Arbeiten mehr oder weniger identisch: Die einfachen Massnahmen, Verzicht auf Grossveranstaltungen und die Einführung von Hygienemassnahmen sind hoch wirksam. Die Bevölkerung ist in der Lage, diese Empfehlungen gut umzusetzen und die Massnahmen können die Epidemie fast zum Stoppen bringen. Auf jeden Fall sind die Massnahmen ausreichend, unser Gesundheitssystem so zu schonen, dass die Spitäler nicht überlastet werden.
https://infekt.ch/2020/04/sind-wir-tatsaechlich-im-blindflug/
Zuversichtlich stimmen dabei Analysen der Gruppe von Tanja Stadler an der ETH Zürich: Ihre Analysen der Covid-19-Ausbreitung weisen darauf hin, dass der deutlichste Rückgang der Epidemie in der Schweiz nicht erst durch die Lockdown-Massnahmen selbst, sondern schon vor dem 13. März durch das Verbot der Massenveranstaltungen und der Einführung der Hygieneempfehlungen erfolgte (Abbildung). https://infekt.ch/2020/04/exitstrategie-lockdown/
Ihe Studie im Bereich Computational Evolution hat mittlerweile eine eigene Webseite: https://ibz-shiny.ethz.ch/covid-19-re/ und wurde zudem übernommen von Swiss National Covid19 Science Task Force: https://ncs-tf.ch/en/situation-report
„Wie bereits beschrieben, liegen aber zwischen dem Zeitpunkt der Ansteckung – dem Zeitpunkt der wirklichen Neuinfektion – und dem Zeitpunkt der Symptomausbildung noch einmal 5-6 Tage. Die Verlaufskurve muss also noch einmal um 5-6 Tage zeitlich zurückgeschoben werden, und damit sinken die Neuinfektionen in Wirklichkeit bereits schon mindestens seit dem 13.-14. März. (...) Aber nun gilt es noch genauer hinzusehen. Über die Zeit hinweg hat nicht nur die Anzahl der berichteten täglichen Neuinfektionen zugenommen, sondern auch die Anzahl der täglich durchgeführten Coronavirus-Tests. Wenn es aber eine hohe Dunkelziffer an zwar infizierten aber aufgrund der zu geringen Testanzahl nicht entdeckten Personen gibt – was beim Coronavirus laut mehreren Studien der Fall ist – hat das frappierende Konsequenzen: Dann findet man mit der zunehmenden Anzahl an Tests auch zunehmend mehr Neuinfektionen – obwohl die Anzahl der Neuinfektionen womöglich gar nicht zugenommen hat oder in Wirklichkeit sogar zurückgegangen ist."
Prof. Dr. Christof Kuhbandner ist Psychologieprofessor und Lehrstuhlinhaber an der Fakultät für Humanwissenschaft der Universität Regensburg. https://scilogs.spektrum.de/menschen-bilder/von-der-fehlenden-wissenschaftlichen-begruendung-der-corona-massnahmen/
Im Coronavirus-Zeitalter sind wir alle zahlensüchtig: Wie viele gemeldete Coronavirusfälle gibt es in Deutschland? Verlangsamt sich die Ausbreitung des Virus, wie entwickeln sich die Fallzahlen international? Wie die Zahlen zu bewerten sind – ein Überblick. https://www.deutschlandfunk.de/coronavirus-aktuelle-zahlen-und-entwicklungen.2897.de.html