Umwelterziehungsprojekt Ometepe, Nicaragua


Bericht vom 10. Juni 2020

von Karin Allgeier, Projektleiterin

Ihr Lieben,

hier jetzt endlich wieder mal ein Rundbrief. Inzwischen hat uns leider auch der Virus hier auf der Insel erreicht und ich muss also auch hier bei mir daheim vorsichtig sein. Die Jugendlichen Studenten (siehe Fotos) die her kommen um Internet zu machen da inzwischen fast alle Universitäten (UNAN noch nicht) über Internet laufen, waschen sich als allererstes die Hände und es besteht doch eine gesunde Distanz zwischen Ihnen und mir, leider. Am Mittwoch musste ich auf die Bank nach Moyogalpa fahren, leider mit dem Bus, und habe natürlich die ganze Zeit Mundschutz getragen und habe mir auch gelegentlich mit Alkohol-Gel die Hände sauber gemacht.

Durch meine Sehnenscheidenentzündung an meiner Hand hab ich gelernt ins Handy zu diktieren, so muss ich weniger am Computer tippen. Es ist zwar sehr komisch aber es funktioniert sehr gut, die Maschine schreibt besser als ich.

Alex und ich beschränken unsere Arbeit im Moment also hauptsächlich auf die Bänke im Dorf (siehe Fotos) denn an vielen Schulen sind kaum noch Schüler, weder an den Grundschulen noch an der Oberschule hier in Balgüe. Auch Alexanders Tochter die 15 Jahre alt ist inzwischen und in der fünften Oberstufe ist, geht nicht mehr in den Unterricht.

Es gehen fast nur noch Jungs und die eher um der Feldarbeit zu entkommen und um nachmittags Fußball oder Volleyball an der Schule zu spielen aber nicht unbedingt um zu lernen.

Es gibt aber auch große Unterschiede, in La Palma ist alles weiterhin recht normal, an Grund und Oberschule, da die Direktoren Marina und Genaro auf einem Elterntreffen klar geredet haben. Hier hingegen hat die Direktorin die Eltern nicht hinzugezogen, sondern wie immer alles allein gemacht und daher, haben die Eltern selber beschlossen was besser ist und deshalb ist das ganze jetzt ein recht wildes Problem hier an der Oberschule in Balgüe. All die Leitungsprobleme dieser Direktorin, Eloida, kommen jetzt geballt ans Tageslicht. Sie war ihr Leben lang Kindergarten Lehrerin, und ist außerdem in den Wechseljahren, spricht 15 bis 16 Jährigen Oberstufen Schülern immer noch „ ja mein liebes Kind“ an, und acht stur und vollkommen hektisch alles im Alleingang, ohne sich auf das Lehrerkollegiums zu stützen. Es kann nicht gut gehen…. Es hat jetzt 4 Jahre überlebt weil sie eine Politische Schleimerin ist, aber keiner, weder Eltern, noch Lehrer, noch Schüler und ganz sicher ich am allerwenigsten, wollen sie noch länger ertragen.

Ich habe letztes und dieses Jahr nicht mehr an der Oberschule in Balgüe gearbeitet, ich hab ich nach La Palma zurückgezogen, wo ich mich sehr wohlfühle, wie ihr ja wisst, aber natürlich tut es mir im Herzen weh, die Oberschule meines Ortes, wo ich viele Jugendliche kenne, mit denen ich gern Umweltprojekte und natürlich auch Tanz und Theater machen würde. Ich hab es im Februar 2020, also zu Beginn dieses Schuljahres dann noch mal versucht, aber sie war so unfreundlich und harsch, dass ich keinen fruchtbaren Boden zu einer Zusammenarbeit gesehen habe. Auch Alex ist derselben Meinung, denn wenn die Direktorin Eloida nicht will, dann legt sie einem viele Steine in den Weg und man kommt nie mit der Arbeit vorwärts. Die Lehrer dürfen ja auch nur das tun was Sie sagt und zulässt, von daher hängt eine Schule schon sehr von einem guten Direktor/in ab. Aber es macht einen traurig wenn halt eine ganze Oberschule erst kaputt gehen muss, nur damit eine Direktorin endlich das erntet was sie ausgesät hat. Glaubt mir vor vier oder fünf Jahren (mir erscheint es ewig), als Sie ihre diktatorische Karriere als Direktorin angetreten hat, da hab ich auch noch versucht was zu unternehmen, aber dann hab ich langsam aber sicher einsehen müssen, dass sie am längeren und mächtigeren „Hebel“ sitzt und ich leider auch nichts tun kann. Den Lehrern war das sowieso klar da sie ja dem ganzen System unterstehen, aber ich bin dem gelegentlich dann doch immer noch entkommen, weil ich pädagogisch argumentieren konnte. Aber all das hilft nichts wen man klare Befehle von OBEN befolgen muss, denen entkommt keiner, egal wie pädagogisch und logisch. Also gilt „der klügere gibt nach“, in dem Fall ich. Der Satz klingt einfach gesagt, dahinter steckt eigentlich eine Erfahrung von totaler Verzweiflung, denn die Direktorin war so ekelhaft zu den drei Schülerinnen die Alex und ich 2 Wochen lang trainiert haben für den Tanz bei der Abiturfeier, was ja hier immer was sehr besonderes ist. An dem Tag sollten die Schülerinnen zusammen mit Alexanders Tochter auch die 4 Folklore-Trachten vorführen um sie dann formell als Abschiedsgeschenk der 5ten Oberstufe an die Schule zu übergeben.

Schon auf dem hinweg gibt es den ersten Programmwechsel, die Tänzerinnen sollen nicht in unseren Türkisblauen Trachten tanzen, sondern in den neuen, aber sie sollen sie erst im letzten Moment anziehen damit das Publikum sie nicht sieht. Also frag ich als wir ankommen welche Nummer im Programm wir sind, und die Direktorin meint:“ Ihr seitz letzte“ orginal, klar und deutlich (ustedes son lo ultimo) natürlich auch noch mit der passenden Geste dazu. Ich wär am liebsten wieder umgedreht. Aber heute, also ca 5 Dez 2018 war Anayelis Abiturfeier, und da war klar dass ich mein Bestes geben wollte.

Also geh ich raus und sag es den Tänzerinnen und die flehen mich an ob es nicht vorher sein kann, denn so eine Zeremonie ist ewig lang, da gehen 35 und mehr Abiturienten mit ihrem Vater oder Mutter nach vorne und bekommen ihren Titel und davor gibt es auch noch einige Reden. Ich hab ihnen gesagt dass sie selber mit der Direktorin reden gehen sollen, aber sie kamen sehr enttäuscht zurück, auch Alex hat es diesmal gehört, weil er in der Nähe stand. Eigentlich sollte die Abiturfeier um 15 Uhr losgehen, aber erst mal sind die noch eine halbe Stunde länger vor dem Tor gestanden und konnten nicht rein weil die Musik nicht pünktlich da war, dann weil sie keinen Lichtanschluss fanden usw… Es war schon spät als das ganze anfing und die Tänzerinnen wollten eigentlich unbedingt noch auf eine „Purisima“, denn da singen die für die Jungfrau Maria und bekommen Geschenke. Genau an dem Tag war die beste „Purisima“ von Balgüe, wo die meisten Geschenke verteilt werden, und 2 der Mädchen sind die Hauptsängerinnen des Kirchenchors in Balgüe. Aber die Direktorin lebt nicht in unserem Dorf und hat halt von all dem keine Ahnung und selbst wenn, Programm ist Programm, und das haben eigentlich die beiden Klassenlehrer ausgearbeitet, aber trotzdem entscheidet, sie.

Ja nun endlich beginnt das Programm und die Mädchen schauen bei den anderen Sachen zu und wir eilen uns vorerst nicht, da wir ja am Ende dran kommen. Bis ich Plötzlich höre wie es aus dem Mikrofon tönt, und jetzt eine kulturelle Präsentation der 7ten Oberstufe. Ich denk mir noch, ach dann haben sie doch noch eine Nummer außer uns???? Schau… und merke dass sie uns suchen, Alex ist bei den Tänzerinnen und sie beginnen sich wie wild anzuziehen, ich geh auf die Bühne und bitte um das Mikrofon, sie wollten es mir fast nicht geben, um zu erklären dass es ein Missverständnis passiert ist und dass sie jetzt dann die Trachten sehen werden die die 5te Oberstufe an die schule übergeben wird, blablabla… damit die Mädchen Zeit haben sich anzuziehen. In Letzter Sekunde eile ich dann noch zu ihnen und sage so wir sind gleich fertig, bitte noch eine Sekunde Geduld. Die Mädchen kommen mir schon entgegen und als ich der der letzten noch schnell den Rock fest bind da höre ich die Direktorin ins Mikrofon sagen. Und jetzt beginnen wir mit den Abiturienten…… Das hätte geheißen dass alle 35 jetzt mit Eltern einer nach dem anderen vorkommen, und danach hätte es keinen Tanz mehr gegeben, nur weil sie nicht noch eine Sekunde warten kann.

Da ist bei mir eine Sicherung durchgebrannt, ich weiß nur noch dass ich in recht lautem Ton gesagt hab dass ich nicht der Clown von niemandem bin, (no soy payaso de nadie). Die Mädchen haben getanzt, aber es war grausam, sie waren so nervös und durcheinander durch dieses ganze Spektakel. Wir haben noch nicht mal die Trachten richtig übergeben, nur die Tochter von Alex stand oben auf der Tribüne und hat ein recht komisches Gesicht gemacht, weil auch sie sich unwohl gefühlt hat, so als einzige, in dieser ganzen Situation. Ich hab natürlich erst hinterher gemerkt dass die Direktorin mir eine Falle gestellt hat, und ich so vollkommen ahnungslos reingelaufen bin. Seit einem Jahr trainieren Alex und ich die Schüler, damit es wieder motivierte Tänzer bei Aktivitäten der Oberschule gibt, und dann behandelt sie ihre eigenen Schüler so??? Aber sie tut das immer, es ist für mich einfach eine dermaßen unpädagogische Unverschämtheit. Die Anwesenden haben das natürlich nicht verstanden und meine Empörtheit kam bei so einer Feier natürlich sehr ungelegen. Bei den wichtigsten Menschen hab ich mich entschuldigt, aber der negative Eindruck blieb. Alex bleibt da immer wunderbar ruhig in solchen Momenten, ist aber innerlich genauso sauer, lässt es halt nur nicht raus, was in diesem Moment wirklich von Vorteil ist. Nach diesem doch so herben Vorfall haben Alex und ich uns fest vorgenommen dass wir keine Schüler mehr für eine Promotion trainieren, und trotzdem haben wir 2019 in Corozal und La Palma wieder Kinder und Jugendliche den Güegüense und andere Folklortänze gelehrt. Hier hat alles sehr gut geklappt, weil wir die Unterstützung der Direktoren, Lehrer und Eltern hatten. Und so macht es Spaß, auch wenn es manchmal viel Geduld zum Üben braucht, aber dafür fühlt man sich zusammen mit allen danach umso stolzer, auch wenn nicht alles so total ganz klappt, wichtig ist dass es ein Anfang ist und dass die Tänzer eine Mischung aus Spaß und Disziplin kennen lernen um zu sehen dass wenn sie gemeinsam eine Choreografie tanzen, dass sie dann alle zusammen gut aussehen.

Ich vermiss das tanzen sehr und vor allem den Kontakt zu den Menschen, das ist nicht zu vergleichen, mit dem das hier jeder vor einem Computer sitzt und Internet macht, um sein Studium aufrecht zu erhalten. Da ist ja nichts partizipatives dabei, gelegentlich haben wir mal einen Moment, so wie das Foto von Ana Francis in der „Palo de Mayo“ Tracht wo sie kurz ein bisschen tanzt, damit ich Fotos mache.

Roberto ist inzwischen auch auf „clases en linea“ umgestiegen, und sitzt jeden Montag bis Donnerstag von 14 bis 16 Uhr vor dem Computer und einer seiner Lehrer unterrichtet ihn und seine Mitschüler. Alles weitere muss er sich selber im Internet nachsuchen und erlernen. Ist recht langweilig so und kostet viel Disziplin und Geduld, denn hier geht andauernd das Licht weg. Das macht einen total verrückt und auch verzweifelt, denn man kann sich auf nichts konzentrieren.

Manchmal weiß ich nicht wie viele von euch meine Berichte lesen, oder ob ihr überhaupt Zeit habt sie zu lesen, ob sie euch interessieren? Weil ich halt manchmal doch viel mehr persönliches als politisches schreibe. Aber neulich hat mir die Traute, eine Freundin meiner Mutter und mir, etwas sehr wichtiges gesagt, schade dass deine Mutter, die doch so ein interessantes und oft sehr aufregendes Leben hat nichts aufgeschrieben hat, denn das wär doch schön. Für mich sind meine Berichte sowas wie mein Tagebuch, denn der rote Faden in meinem Leben ist und hoffe ich wird auch weiterhin die Umwelterziehung, und die Arbeit mit Jugendlichen, Tanz, Theater, Kultur bleiben. Ihr entschuldigt also, dass diese Berichte, nicht nur für euch sind, sondern auch so eine Art Tagebuch, zumindest von unserer Arbeit, in der ich natürlich auch als Person lebe. Sobald ich Artikel oder Videos finde die ich glaube die es Wert sind euch nach Europa zu schicken, dann tu ich das um euch über die hiesige Covid-19 Situation genauer zu informieren. Aber im Moment klaffen die Informationen soooo groß auseinander je nach politischer Richtung dass ich da keiner von beiden Seiten wirklich glauben schenken kann und so eine politisch beeinflusste Information eigentlich auch nicht weitergeben will.

Ich hoffe ihr versteht, dass wir im Moment nicht mit normaler Geschwindigkeit arbeiten und uns wie der Rest eine gewissen Quarantäne anpassen müssen, auch wenn es hier eine selbstauferlegte ist. Aber bitte seit weiter solidarisch mit unserem Projekt denn wir brauchen ganz dringend eure Unterstützung, jetzt mehr denn je.

Ganz herzlich alles liebe, Karen

PS: Ich hab immer noch leichte Probleme mit meiner Sehnenscheidenentzündung an der linken Hand, aber es wird besser. Aber daher leider kein Powerpoint, nur schriftlich und Fotos, aber ein kleines lustiges Filmchen wie Roberto geschickt ein Schweinchen fängt um ihm Vitamine zu spritzen.