Zuflucht

Die Dreifache Zuflucht

Vertiefen wir uns in die Praxis und ergründen das Dharma genauer, können wir erkennen, dass die Buddha-Lehre nicht einfach eine Volksreligion ist, auch wenn sie in asiatischen Ländern mehrheitlich zu einem Glaubenssystem geworden ist. Buddhistische Gemeinschaften sind auch keine Sekten in unserem Verständnis des Begriffes, also im Sinn abgeschlossener, missionarischer und oft fundamentalistischer Gemeinschaften, sondern vielmehr im Sinn von spezifischen Schulen (in Asien ist der Begriff "Sekte" im Sinn von "Schule" üblich).  Viele Schulen unterscheiden zwei unterschiedliche Formen der Zuflucht: 

Die Zufluchtnahme zu Buddha, Dharma und Sangha* ist zusammen mit den Fünf Ethischen Richtlinien (Shila) eine der Grundlagen, die alle Buddhistinnen und Buddhisten weltweit und über Generationen hinweg verbindet. Sie stellt für alle Praktizierenden einen kraftvollen Übungsweg dar. Wenn wir unsere Kräfte bündeln und unsere Motivation stärken möchten, so ist die Zuflucht zu den Drei Juwelen eine hervorragende Praxis, denn sie bringt eine klare Ausrichtung mit sich und verhindert Beliebigkeit, ohne sektiererisch zu werden. Die Zuflucht ist oft verbunden mit der Praxis einer Sangha als Gemeinschaft der Übenden der jeweiligen Traditionslinie und deren Praxisformen. 

Zuflucht als Praxis

Die Vergegenwärtigung der Drei Juwelen Buddha, Dharma und Sangha ist etwas, das hierzulande den wenigsten von uns aus dem familiären oder kulturellen Umfeld von klein auf vertraut ist. Wir müssen dies meist für uns erkunden und erschliessen - und genau das ist mit Zuflucht als Praxis gemeint. Vielleicht wird der Begriff Dharma bald einmal mit Inhalt gefüllt. Und auch Sangha wird durch die gemeinsame Praxis möglicherweise konkret erfahrbar. Doch für viele bleibt insbesondere der Begriff Buddha oft lange verschlossen. Meinen wir allein Buddha Shakyamuni, auf den alle Traditionslinien zurückgehen, und stellen uns dabei vor allem die Frage, welche Beziehung wir zu dieser historischen Persönlichkeit haben? Oder kommen wir nach und nach auch dem inneren Buddha, unserer eigenen Buddha-Natur, dem eigenen Potenzial zu erwachen näher? Dies gilt es zu erforschen. 

Die Dreifache Zuflucht ist damit eine kontinuierliche Praxis und nicht eine Zeremonie, die man einmal absolviert hat und dann beiseitelegt. Die Zuflucht ist auch keine einmalige Angelegenheit, nach der ich "Buddhist bzw. Buddhistin" bin. Zuflucht ist eine innere Praxis! Eine von aussen auferlegte Verpflichtung gibt es durch die Zufluchtnahme nicht. Im Sati-Zen ist die Aufrechterhaltung der Zuflucht und die Zugehörigkeit zu unserer Traditionslinie eine persönliche, freie Entscheidung - ein Aspekt, auf den wir grundlegend und damit auch im Bezug auf die Zufluchtnahme Wert legen. Deshalb formulieren wir diesen Punkt bei der Zufluchtszeremonie ausdrücklich mit den Worten: Die Kraft der Tradition wird aufrechterhalten durch die Übung. Vernachlässigen wir sie, erlischt auch die Übertragung.  

Wie nimmt man Zuflucht in der Sati-Zen-Tradition?

Die Zuflucht in einer spezifischen Traditionslinie gleicht einem Kraftstrom, in den wir eintreten - einem Kraftstrom, der durch jahrhundertelange Kontinuität und Tiefe der Praxis gebildet wird. In der Sati-Zen-Tradition erhalten wir bei der Zufluchtnahme, wie bei zahlreichen Traditionslinien, einen Namen aus dieser Linie. Im Sati-Zen ist dies die Linie des vietnamesischen Thien, wie sie uns von Thich Nhat Hanh überreicht wurde, einer Lineage des Linji-/Rinzai-Zen. Sie geht von Vietnam zurück auf das Chan in China bis nach Indien, zum historischen Buddha Shakyamuni (vgl. Traditionslinie).

Gleichzeitig mit der Zuflucht entschliessen wir uns wie beschrieben auch, die Fünf Ethischen Richtlinien, Übungsregeln oder Achtsamkeitsübungen (Shila) als Lebensausrichtung zu praktizieren. Im Sati-Zen steht es uns frei, mit allen Fünf Shila gleichzeitig zu üben oder mit einem oder mehreren davon zu beginnen. Die Fünf Shila oder ethischen Richtlinien haben wir zeitgemäss formuliert. Die praktische Umsetzung der Zufluchtnahme wird in der Sati-Zen-Sangha mit den Neun Pfeilern der Sati-Zen-Sangha vertieft. Detaillierte Erläuterungen dazu findest du im Buch Die Buddhas der Zukunft. In unserer Traditionslinie ist die Zuflucht, wie in vielen Zen-Schulen und in den Schulen des Mahayana und Vajrayana allgemein, der Beginn des Bodhisattva-Weges, des Weges des Mitgefühls. Die Praxis der Zuflucht wird durch die Verbeugungen und die Rakusu-Praxis praktisch unterstützt. 

Mit der Rakusu-Praxis, dem Nähen der "kleinen Robe des Buddha", die wir während der formellen Praxis tragen können, erhält die Zufluchtnahme zusätzlich zum inneren auch einen äusseren Aspekt. Nach Jahrhunderten kulturell aufgezwungener religiöser Zugehörigkeit sind viele von uns heutzutage verständlicherweise höchst empfindlich, was Religionen und religiöse Symbole angeht. Wenn wir jedoch institutionelle Zugehörigkeiten und hilfreiche Mittel (Upaya) vollständig verwerfen, geht dabei leider oft auch ein direkter Zugang zum Herz-Geist verloren, den Rituale und Symbole schaffen können. Es geht dabei nicht darum, sich mit einem besonderen, diesmal "spirituellen" Zeichen über andere zu erheben oder uns damit zu schmücken. Der Herz-Geist zeigt sich vielmehr in unserer Hingabe - sie bildet den zentralen Punkt der Praxis. Wie wir diese Hingabe auch aussen, in der Welt manifestieren, ist unterschiedlich und kann sich mit oder ohne Symbole ausdrücken. Im Zusammenhang mit der Rakusu-Praxis taucht nicht zuletzt die durchaus anspruchsvolle Frage von Zivilcourage auf (vgl. dazu die Geschichte von Roshi zum Tragen einer Robe in Form und Leerheit). Mehr über diese Praxis und wie wir damit unseren eigenen Geist erforschen können, erfahren wir im übernächsten Kapitel.

Das nächste Kapitel stellt die Traditionslinie der Sati-Zen-Sangha vor und erläutert, wie es in unserer Tradition zum Linien-Namen kommt, den wir bei der Zufluchtszeremonie erhalten.

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Begriffsklärung

*Sangha: Edle Sangha (arya sangha) und Sangha der Übenden
Der Begriff Sangha hat verschiedene Bedeutungsebenen und Gemeinschaft kann sich auch auf verschiedene Weise manifestieren. Wir unterscheiden insbesondere die Edle Sangha (arya sangha) und die Sangha der Übenden. Im Zusammenhang mit der Zufluchtnahme ist immer die Edle Sangha (arya sangha) gemeint - die Sangha derer, die den Weg verwirklicht haben, also erwacht sind. Wir nehmen damit Zuflucht zu einer Vision von Sangha; Thich Nhat Hanh nennt dies die Ausrichtung, den Nordstern der Praxis. Es ist die Vision von etwas Grossem, das in uns schlummert. An die "relative Sangha", die Sangha der Übenden, stellen wir keine so hohen Erwartungen wie an die Edle Sangha, die eine Vision erwachter Wesen ist.

In Asien wird der Begriff arya sangha meist auch für alle vollordinierten Mönche, in einigen Ländern auch für die vollordinierten Nonnen gebraucht. In buddhistischen Ländern erachtet man alle Ordinierten als Repräsentanten von Buddha und daher als arya (edel). Ihnen wird uneingeschränkt Respekt entgegengebracht und es besteht eine klare Hierarchie zwischen Ordinierten und Laien. Dies im Unterschied zur Sati-Zen-Sangha, wo wir bewusst auf diese hierarchische Unterscheidung verzichten (vgl. Sati-Zen-Sangha). 

Zum Begriff arya vgl. auch Titel und Weihen: Ergänzungen.