P.M. Hahn / U. Schütte
"Thesen" 2003

Peter-Michael / Hahn Ulrich Schütte

Thesen zur Rekonstruktion höfischer Zeichensysteme

in der Frühen Neuzeit

Der Text ist veröffentlicht in den Mitteilungen der Residenzen-Kommission 13-2 (2003), S. 19ff.

Die Thesen veröffentlichen wir anläßlich der vom 7. bis zum 9. März 2003 in Berlin stattfindenden Tagung "Zeichen, Raum und Zeremoniell an den deutschen Höfen der frühen Neuzeit", die vom Deutschen Historischen Museum und vom Rudolstädter Arbeitskreis zur Residenzkultur veranstaltet wird. Die Thesen wurden aus einem Unbehagen niedergeschrieben, das uns als Leser der in den vergangenen Jahrzehnten so überreich vorgelegten Arbeiten zur Hofkultur des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit immer dann überkam, wenn sich die Überlegungen zu "Residenz" und "Hof" entweder materialreich, aber ohne weitere begriffliche Anstrengungen darstellten oder um Systematisierung bemüht, aber in der Regel den heute noch verbreiteten Klischees und Formen eines unreflektierten Vorverständnisses (Luxuskonsum) verpflichtet.

Gerade weil wir überzeugt sind, daß unserer Gegenwart die Bedeutung höfischer Zeichen fremd geworden ist, stellt ihre historiographische Rekonstruktion erhebliche Anforderungen an die verschiedenen akademischen Disziplinen. Deshalb haben wir unsere Überlegungen bewußt als - heute eher ungebräuchlich - "Thesen" deklariert. Damit wollen wir zum einen ihren vorläufigen Charakter benennen; zum anderen sollen sie zur Diskussion darüber auffordern, in welche Richtungen sich ein Nachdenken über eine "Theorie höfischer Zeichen in der Frühen Neuzeit" zu bewegen hätte. Wir denken, daß auf diese Weise am besten ein Anstoß gegeben werden kann, sich neuen Forschungsstrategien zur Kultur an den Höfen in der Frühen Neuzeit zuzuwenden.

Im Zentrum der Frage nach der Rekonstruktion der höfischen Zeichen steht die Lebenswelt einer sozialen Gruppe, deren kulturelle Erzeugnisse und Leistungen heute in Archiven, Bibliotheken und Museen zwar in großem Umfang aufbewahrt werden, die sich aber dennoch einem unmittelbaren Zugriff entziehen. Ist doch der substantielle Kern, der die Handlungen, Meinungen und Intentionen der Mitglieder der Hofgesellschaft prägte, nur zu einem geringen Teil mit jenen Kategorien greifbar, die seit der Aufklärung unser Bild dieser Epoche bestimmen. Nur eingeschränkt tragen bislang übliche Erklärungsmuster zu einem grundlegenden Verständnis der Personen, Handlungen, Institutionen und Gegenstände am Hof bei und nur partiell gelingt dies mit Hilfe jener zeitgenössischen schriftlichen Quellen der Epoche, die nur Segmente der Zeit thematisieren; auch dann, wenn sie sich mit dem Gestus systematischer Ordnung präsentieren wie etwa die Zeremonialpro-tokolle und Festbeschreibungen einzelner Höfe oder auch die Schriften Julius Bernhard von Rohrs zu den "Ceremoniel-Wissenschafften".

Es ist uns ein zentrales Anliegen, das gegenüber dem modernen, bürgerlichen Denken Fremde, wie es die unterschiedlichen kulturellen Formen der höfischen Gesellschaft bestimmte, dadurch besser verständlich zu machen, daß wir die Welt der fürstlichen Familien als eine Welt der Zeichen verstehen wollen. Insbesondere die historischen Dimensionen des "Zeichen"-Begriffs, wie sie in Texten seit der Antike greifbar sind, legen aus unserer Sicht nahe, das Zeichen als eine Interpretationskategorie auch für die höfische Gesellschaft zu verwenden. Allerdings möchten wir mit unseren Thesen betonen, daß im Rahmen einer noch zu entwickelnden Theorie der höfischen Zeichen deren Materialität und Gegenständlichkeit ebenso zu bedenken ist wie ihre Eingebundenheit in räumliche und zeitliche Kontexte. Gleiches gilt für die Differenz und Spannung zwischen jenen auf Dauer angelegten Werken mit Zeichencharakter wie Bauten, Druckwerken, Medaillenprägungen und Sammlungen einerseits und den casual und zeitlich bedingten Handlungs-formen mit Zeichencharakter wie Zeremonien, Feste, Divertissements, Paraden und Manöver andererseits.

Unsere Thesen verstehen sich auch als eine Widerrede gegen eine Historiographie von Ereignissen, dynastischen Verbänden, Institutionen frühneuzeitlicher Staatlichkeit und Künstlerleistungen. Sie beanspruchen, den Kern höfischer Lebensweise und Selbstverständnisformen zu fixieren, nicht deren bloßes 'Abbild' und 'äußeren Schein'.

Gedanken als Thesen zu formulieren, bringt es mit sich, das Gesagte knapp vorzutragen. Eine Beweisführung dieser Überlegungen hätte sich sowohl auf eine gut begründete Theorie ihres Gegenstandes und damit auf eine systematische Entfaltung der in der Analyse verwendeten Begriffe einzulassen wie auch auf eine Darstellung der historischen Gegebenheiten und der kulturellen Formen. Immer müßte dabei der Fürst und seine Welt der Zeichen im Zentrum stehen. Eine solche Aufgabe ist aber noch zu leisten.

Peter-Michael Hahn

Potsdam

Ulrich Schütte

Marburg

Februar 2003