xx - Der Wandel einer alten Kultur - die Auswanderung

Die alten Landler, die heute noch in Großpold leben, sind traurig darüber, dass ihre Kinder aus Grosspold ausgewandert sind und nun in Deutschland oder Österreich wohnen. Anneliese Pitter versteht auch nicht, dass sehr viele ihrer Freunde von Grosspold ihrer Heimat den Rücken gekehrt haben. Sie meinte dazu zu mir: "Eigentlich fühle ich mich verraten von denen, die weggezogen sind. Wären sie dageblieben, so hätten wir eine schöne Gemeinschaft im Dorf. Viele haben gesagt, sie bleiben hier, sie fahren nicht weg. Aber sie sind doch ausgewandert. Es war wie eine Pest nach 1989, immer mehr wanderten aus“.

Frau Pitter hängt an Großpold, sie liebt diesen kleinen Ort, in dem einmal Landlerkinder lärmten, brave Landlerbauern ihrer harten Arbeit am Feld nachgingen und Freude an der Gemeinschaft herrschte.

Als ich Anneliese fragte, ob sie und ihr Mann Andreas weiterhin in Großpold bleiben wollen, meint sie: "Das weiß ich nicht. Wenn es nach mir ginge, würde ich nur hier zum Freidhof (Friedhof) ziehen. Aber ganz alleine können wir auch nicht hier bleiben. Aber solange noch ein paar Deutsche da sind, bleiben wir auch da." Merkwürdig ist, darauf kommen Anneliese und ich im Gespräch, dass viele Landler und Sachsen, die von hier weggezogen sind, im Ausland sich besonders heimatverbunden fühlen, sie tun gerade so, als ob sie aus ihrer Heimat vertrieben worden wären. Anneliese meinte daher einmal zu mir:

"Es ist komisch, dass Leute, die ausgewandert sind, beim Oktoberfest in München in ihrer Siebenbürger Tracht auftreten. Die geben dort mit ihrer Kultur an, obwohl sie diese schon lange aufgeben haben".

Frau Pitter sieht die Widersprüchlichkeit der Ausgewanderten, von denen sie sich verraten fühlt. Einerseits wollen sie weg und andererseits gibt es ein Zurücksehnen nach ihrer verlorenen Welt.

Herr Nietsch, den bei ich bei seiner Fahrt mit der Kuh begleitet habe und den ich mit meinen Studenten gerne aufsuchte, erzählte uns bei gutem Wein viel aus seinem Leben. Herr Nietsch antwortete einmal auf meine Frage über die Weggezogenen mit Trauer in der Stimme :"Es kommt keiner mehr zurück." Ihm, der auch schon am Großpolder Freidhof liegt. selbst gefiel es jedoch hier in Großpold, er liebte die alte bäuerliche Kultur. Auf Landlerisch sagte er dies: "Mir gfallts hier". Er hob sein Weinglas und sagte: "Es ist schade, daß die Jungen weg sind. Sie sind nach Deutschland gegangen". In diesen Worten zeigt sich das große Problem, das für große Teile Osteuropas typisch zu sein scheint, nämlich dass die jungen Leute ihrer Heimat fliehen und in die reichen Ländern des Westens auswandern. Ich freue mich, dass es noch Leute wie Herrn Nietsch und Frau Pitter, die liebenswürdige Anneliese, gibt. Sie sind die letzten Träger einer alten Bauernkultur. Die Trauer von Frau Pitter und Herr Nietsch über die Ausgewanderten ist jedoch mit Humor gepaart. Einen solchen besitzt Herr Nietsch, überhaupt als er mir zurief: "Ja, der Herr Professor, ich hole gleich einen Wein aus dem Keller, den müssen Sie trinken!" Im Sinne alter Höflichkeitsrituale ließ ich mir ein Glas einschenken und leerte es auf das Wohlsein der letzten deutschen Bauern hier in Grosspold.

Im Altersheim in Hermannstadt

Die alten Großpoldner, die es körperlich nicht mehr schaffen, ihren Hof zu bewirtschaften, finden Aufnahme in einem modernen Altenheim in Hermannstadt, einer deutschen Stiftung, der so genannten Dr. Wolff-Stiftung. In diesem schönen Heim sprach ich oft mit meinen alten Freunden Herrn und Frau Piringer, früheren Kleinbauern in Grosspold. Manchmal spielte ich mit Herrn Piringer Schach. Aus Freundschaft schenkte er mir seine silberne Taschenuhr, über die ich einem anderen Kapitel erzählen werde. Oft saß ich im Garten der Piringers, Frau Piringer kredenzte mir guten selbst gebackenen Kuchen und ich trank mit Herrn Piringer ein Glas Wein. Sie sind kurz hintereinander gestorben. Ich halte ihr Andenken hoch.

Als ich mit den Piringers einmal im Garten des Altersheimes saß, kam ich auch mit einem Sachsen in Kontakt, dem man einen natürlichen Adel in Haltung und Sprache anmerkte. Auch er sprach sinngemäß vom Verrat der Ausgewanderten, die eine alte deutsche Bauernkultur im Stich gelassen hatten. Aber er versucht, sie zu verstehen, denn es ist schwer geworden für die Deutschen hier in Siebenbürgen, sie fühlen sich alleine gelassen. Dennoch meint er über die ausgewanderten jungen Deutschen : „Das Verhalten der Jungen steht im Widerspruch zu unseren alten Liedern, in denen wir uns mit Stolz zu unserer Heimat hier in Siebenbürgen bekannt haben." Darauf sang er mir ein Lied vor, in dem auf die alte freie bäuerliche Tradition der Sachsen hingewiesen wird:

"Ich bin ein Sachs, ich sags mit Stolz, vom alten edlen Sachsenstamm! Wo gibts ein adliger(!) Geschlecht, da keiner Herr und keiner Knecht ?

……

Ich bin ein Sachs, ich sags mit Stolz, vom alten edlen Sachsenstamm! Wir harren aus in böser Zeit, nicht ewig währt der harte Streit; wir sind getrost, Gott steht uns bei!

Mein Sachsenvolk, dir bleib ich treu."

Dieses Lied verweist auf eine alte freie Bauernkultur in Siebenbürgen , zu der wesentlich, wie ich oben ausgeführt habe, das Prinzip der Nachbarschaft gehörte.

Die alte deutsche Bauernkultur in Siebenbürgen hat den Kommunismus überstanden, aber der Abwanderung der Jungen und dem Ansturm der EU kann sie nichts entgegenhalten.

Es war eine schöne Welt der Kleinbauern, die in einer modernen Welt keinen Platz mehr hat, die ich noch erleben durfte. Diese alte Bauernkultur in Rumänien ist am Untergehen. Es schaut so aus, als ob mit dem angeblichen Segen der EU nun doch das vollendet wird, was Nicolae Ceausescu wollte, nämlich die Abschaffung des Kleinbauern in Rumänien unter dem Banner des Fortschritts.

Die bäuerliche Kultur der Landler und Sachsen mit ihren Nachbarschaften und ihren alten Symbolen und Bräuchen ist verschwunden. An das Leben in Großpold erinnert mich noch die alte Taschenuhr, die mir Herr Piringer geschenkt hat und die einen Ehrenplatz in meiner Vitrine hat.

Literatur:

Roland Girtler, Verbannt und vergessen. Eine untergehende deutschsprachige Kultur

in Rumänien, Linz 1992 (Wiederaufgelegt unter dem Titel: Die Landler in

Rumänien, 2014 -.Lit-Verlag)

Roland Girtler (Hg. mit Studentinnen und Studenten), Die Letzten der Verbannten.

Wien 1997

Roland Girtler, Echte Bauern, vom Zauber einer alten Kultur, Wien 2002

Roland Girtler (Hg. mit Studentinnen und Studenten) Das letzte Lied von Hermannstadt – Das Verklingen einer deutschen Bauernkultur, Wien 2008