6 - Die 10 Gebote der Feldforschung - entwickelt u. a. in Siebenbürgen

Auf Grund meiner Forschungen in den verschiedensten kulturellen Bereichen (bei Bauern, Wilderern, Ganoven, Dirnen, Kellnern, Pfarrersköchinnen, Tierärzten usw.) habe ich "10 Gebote der Feldforschung" entwickelt. Sie sind allerdings keine Gebote im echten Sinn, sondern Ratschläge, die bei einer Forschung sehr hilfreich sein können. Vor allem meine Forschungen in Siebenbürgen waren sehr förderlich für die Kreation dieser "Gebote". Ich danke allen jenen Studentinnen und Studenten, meinen Reisegefährten, die mir Ideen zu den einzelnen "Geboten" lieferten und mit mir über diese diskutierten.

Die 10 Gebote der Feldforschung

1. Du sollst einigermaßen nach jenen Sitten und Regeln leben, die für die Menschen, bei denen du forschst, wichtig sind. Dies bedeutet Achtung ihrer Rituale und heiligen Zeiten, sowohl in der Kleidung als auch beim Essen und Trinken. - Si vivis Romae Romano vivito more!

2. Du sollst zur Großzügigkeit und Unvoreingenommenheit fähig sein, um Werte zu erkennen und nach Grundsätzen zu urteilen, die nicht die eigenen sind. Hinderlich ist es, wenn du überall böse und hinterlistige Menschen vermutest.

3. Du sollst niemals abfällig über deine Gastgeber und jene Leute reden und berichten, mit denen du Bier, Wein, Tee oder sonst etwas getrunken hast.

4. Du sollst dir ein solides Wissen über die Geschichte und die sozialen Verhältnisse der dich interessierenden Kultur aneignen. Suche daher zunächst deren Friedhöfe, Märkte, Wirtshäuser, Kirchen oder ähnliche Orte auf.

5. Du sollst dir ein Bild von der Geographie der Plätze und Häuser machen, auf und in denen sich das Leben abspielt, das du erforschen willst. Gehe zu Fuß die betreffende Gegend ab und steige auf einen Kirchturm oder einen Hügel.

6. Du sollst, um dich von den üblichen Reisenden zu unterscheiden, das Erlebte mit dir forttragen und darüber möglichst ohne Vorurteile berichten. Daher ist es wichtig, ein Forschungstagebuch (neben den anderen Aufzeichnungen) zu führen, in das du dir jeden Tag deine Gedanken, Probleme und Freuden der Forschung, aber auch den Ärger bei dieser einträgst. Dies regt zu ehrlichem Nachdenken über dich selbst und deine Forschung an, aber auch zur Selbstkritik.

7. Du sollst die Muße zum "ero-epischen (freien) Gespräch" aufbringen. Das heißt, die Menschen dürfen nicht als bloße Datenlieferanten gesehen werden. Mit ihnen ist so zu sprechen, daß sie sich geachtet fühlen. Man muß sich selbst als Mensch einbringen und darf sich nicht aufzwingen. Erst so lassen sich gute Gesprächs- und Beobachtungsprotokolle erstellen.

8. Du sollst dich bemühen, deine Gesprächspartner einigermaßen einzuschätzen. Sonst kann es sein, dass du hineingelegt oder bewußt belogen wirst.

9. Du sollst dich nicht als Missionar oder Sozialarbeiter aufspielen. Es steht dir nicht zu, "erzieherisch" auf die vermeintlichen "Wilden" einzuwirken. Du bist kein Richter, sondern lediglich Zeuge!

10. Du musst eine gute Konstitution haben, um dich am Acker, in stickigen Kneipen, in der Kirche, in noblen Gasthäusern, im Wald, im Stall, auf staubigen Straßen und auch sonst wo wohl zu fühlen. Dazu gehört die Fähigkeit, jederzeit zu essen, zu trinken und zu schlafen.

zu Gebot 1: Bei kirchlichen Veranstaltungen im Dorf z.B. wird feierliche Kleidung, Männer mit Krawatte usw. getragen. Das gefällt den deutschen und altösterreichischen Dorfbewohnern, sie sehen, dass wir ihre Rituale respektieren.

zu Gebot 4: Regelmäßig suche ich mit meinen Reisegefährten auch den Friedhof von Großpold auf. An den Namen auf den Grabsteinen können wir die Herkunft der Menschen im Dorf rekonstruieren. So deuten z.B. die Namen Willinger und Pühringer auf die Herkunft aus Oberösterreich hin, und die Namen Glatz und Sonnleitner auf jene aus Kärnten. Namen wie Nietsch, Wagner und Kirr sind wohl sächsicher Herkunft.

zu Gebot 5 : Mit meinen Reisegefährten wandere ich am ersten Tag unseres Aufenthaltes in Großpold zunächst auf das sogenannte Küppchen, einen Hügel am Rande des Dorfes. Von diesem aus können wir gut sehen, wo die Landler und Sachsen und wo die Rumänen und die Kalderasch siedeln,wie ihre Höfe und Felder aussehen u.ä..

zu Gebot 7 : Den Begriff "ero-episches Gespräch" habe ich in Anlehnung an Homers "Odyssee" entwickelt. In der "Odyssee" fragt stets einer und ein anderer erzählt, wobei sich jeder von beiden in das Gespräch einbringt - dabei wird getrunken und gescherzt. Den Begriff Interview finde ich schlecht, denn er entstammt der Journalistensprache. Als Zögling des Klostergymnasiums zu Kremsmünster lernte ich sechs harte Jahre lang Altgriechisch. Hiebei ist zu erwähnen, daß ich mich als wahrer Altphilologe im besten Sinne des Wortes sehe. Das heißt, ich brachte Liebe (philos - der Freund, der Liebhaber) für das alte Griechisch auf, ohne deswegen ein guter Schüler gewesen zu sein. So erfreuten und erfreuen mich besonders die Schriften Homers, derart, daß ich jetzt auf diese zurückgriff. Schließlich erfährt der Kulturwissenschafter eine Menge aus der "Odyssee" über das Leben im Alltag der Antike.

Im Wort "ero-episch" stecken folgende altgriechische Vokabeln: erotan - fragen und eipon (epos) - reden, mitteilen (Erzählung)

Literatur:

Roland Girtler, Methoden der Feldforschung, Böhlau, UTB, 2001

Roland Girtler, 10 Gebote der Feldforschung, LIT-Wien-Münster

Missbrauch melden|Zugriffsrechte entfernen|Powered by Google Sites