Poesie

Im wunderschönen Monat Mai

Im wunderschönen Monat Mai,

als alle Knospen sprangen,

da ist in meinem Herzen

die Liebe aufgegangen

Im wunderschönen Monat Mai

da hab ich ihr gestanden

mein Sehnen und Verlangen

Heinrich Heine (1797-1856)


Das Osterei

Hei, juchei! Kommt herbei!

Suchen wir das Osterei!

Immerfort, hier und dort

und an jedem Ort!

Ist es noch so gut versteckt.

Endlich wird es doch entdeckt.

Hier ein Ei! Dort ein Ei!

Bald sinds zwei und drei.

Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798-1874)


Der Frühling

Die Sonne glänzt, es blühen die Gefilde,

Die Tage kommen blütenreich und milde,

Der Abend blüht hinzu, und helle Tage gehen

Vom Himmel abwärts, wo die Tag entstehen.

Das Jahr erscheint mit seinen Zeiten

Wie eine Pracht, wo sich Feste verbreiten,

Der Menschen Tätigkeit beginnt mit neuem Ziele,

So sind die Zeichen in der Welt, der Wunder viele.

Friedrich Hölderlin (1770-1843)



Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe

so müd geworden, daß er nichts mehr hält.

Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe

und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,

der sich im allerkleinsten Kreise dreht,

ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,

in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille

sich lautlos auf — Dann geht ein Bild hinein,

geht durch der Glieder angespannte Stille —

und hört im Herzen auf zu sein.

September 1903

Rainer Maria Rilke


>> hören Animatiefilmpje gebaseerd op Rainer Maria Rilkes "Der Panther". Gesprochen von Otto Sanders.


Gedichte von Goethe:

Das Alter

Das Alter ist ein höflich Mann:

Einmal übers andre klopft er an;

Aber nun sagt niemand: Herein!

Und vor der Türe will er nicht sein.

Da klinkt er auf, tritt ein so schnell,

Und nun heißts, er sei ein grober Gesell.

Abendlied

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

Angedenken

Angedenken an das Gute

Hält uns immer frisch bei Muthe.

Angedenken an das Schöne

Ist das Heil der Erdensöhne.

Angedenken an das Liebe,

Glücklich! wenn's lebendig bliebe.

Angedenken an das Eine

Bleibt das Beste, was ich meine.

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?

Es ist der Vater mit seinem Kind;

Er hat den Knaben wohl in dem Arm,

Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? -

Siehst Vater, du den Erlkönig nicht?

Den Erlenkönig mit Kron und Schweif? -

Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. -

»Du liebes Kind, komm, geh mit mir!

Gar schöne Spiele spiel ich mit dir;

Manch bunte Blumen sind an dem Strand,

Meine Mutter hat manch gülden Gewand.«

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,

Was Erlenkönig mir leise verspricht? -

Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;

In dürren Blättern säuselt der Wind. -

»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?

Meine Töchter sollen dich warten schön;

Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn

Und wiegen und tanzen und singen dich ein.«

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort

Erlkönigs Töchter am düstern Ort? -

Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau:

Es scheinen die alten Weiden so grau. -

»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;

Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.«

Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an!

Erlkönig hat mir ein Leids getan! -

Dem Vater grauset's, er reitet geschwind,

Er hält in den Armen das ächzende Kind,

Erreicht den Hof mit Mühe und Not;

In seinen Armen das Kind war tot.


Kommt Zeit, kommt Rat

Wer will denn alles gleich ergründen!

Sobald der Schnee schmilzt, wird sichs finden.

Wie du mir, so ich dir.

Mann mit zugeknöpften Taschen,

Dir thut Niemand was zu lieb;

Hand wird nur von Hand gewaschen;

Wenn du nehmen willst, so gieb!

Oh, wer um alle Rosen wüsste


Oh, wer um alle Rosen wüsste,

die rings in stillen Gärten stehn -

oh, wer um alle wüsste,

müsste wie im Rausch durchs Leben gehen.

Du brichst hinein mit rauen Sinnen,

als wie ein Wind in einen Wald -

und wie ein Duft wehst du von hinnen,

dir selbst verwandelte Gestalt.

Oh, wer um alle Rosen wüsste,

die rings in stillen Gärten stehn -

oh, wer um alle wüsste,

müsste wie im Rausch durchs Leben gehen.

Christian Morgenstern (1871-1914)