Und plötzlich verlor ich alles
- Tagebucheintrag einer fiktiven betroffenen Person
Es ist der 6. Februar. Es sollte eine Nacht wie jede andere werden - doch auf einmal kommt alles anders als erwartet.
So friedlich liegt man in seinem Bett und um genau 04:17 Uhr ändert sich alles. Und doch war ich noch eine Minute zuvor unbesorgt um das Leben der anderen und meines Selbst.
Alles fängt an zu beben. Aus den Schränken fällt alles zu Boden und die Bilder an der Wand hängen nicht mehr da, wo sie waren.
Ich schaue zu meiner Frau und sehe, wie die Angst über ihr Gesicht läuft. Rechts mein Kind, weinend und schreiend.
Einen Augenblick hatten wir noch die Chance aus dem Haus zu rennen, doch im nächsten Moment lagen wir schon unter den Trümmern.
Mit jeder Sekunde wird jeder Atemzug schwerer. Mein warmer Körper ist jetzt so kalt wie der Stein, unter dem ich liege. Ich halte die Hand meiner Frau und meines Kindes, um ihren Puls zu spüren, da ich sie unter den Trümmern nicht sehe.
Ich höre mein Kind immer noch schreien und es zerbricht mir das Herz, dass ich nicht helfen kann. Ich rufe auch nach meiner Frau, um sicher zu gehen, dass sie noch da ist.
Stunde für Stunde, Minute für Minute und nichts hat sich geändert. Mein Hunger und Durst wird immer größer, genauso wie das Verlangen meine Familie zu sehen, so viele Gedanken in meinem Kopf, aber ich kann sie nicht ordnen. Ich hoffe, dieses Elend hat bald ein Ende.
Mein Kind schreit nicht mehr aber ich spüre Gott sei Dank noch seinen Puls. Ich kann mir nicht erklären, wieso das alles passiert, ich hoffe nur, dass ich es durchhalte, denn mein Körper wird immer schwächer und schwächer.
Und plötzlich, nach 48 Stunden, höre ich zum ersten Mal eine fremde Stimme, die nach uns ruft. Mit meiner letzten Kraft versuchte ich zu antworten, damit sie uns hören.
Mit Erfolg, ich wurde gehört und die Stimmen kommen immer näher und rufen „Wir helfen euch, gibt nicht auf, es dauert nicht mehr lange.“ Ich höre Maschinen und plötzlich bewegen sich die Trümmer über mir. Ich spüre, wie das Gewicht über mir immer leichter wird und es einfacher wird, zu atmen. Ich höre meinen Sohn wieder weinen, aber das zeigt mir, dass er noch lebt.
Zeit vergeht und wir wurden aus den Trümmern befreit. Ich hätte niemals gedacht, dass es dazu kommen würde, aber ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben. Endlich kann ich meine Familie sehen, ich kann sie umarmen und spüren und mit ihnen zusammen sein. Wir sind einer der wenigen, die es geschafft haben und können so froh darüber sein. Doch ein Gedanke lässt mich nicht los.
Wir haben es geschafft - geschafft zu überleben. Wie es wäre, wenn niemand uns gefunden hätte, möge man sich gar nicht vorstellen.
Und doch habe ich auf einmal so plötzlich alles verloren. Mein Haus ist ein Berg aus Stein und Staub.
Und noch schlimmer, ein Teil meiner Verwandten ist in den Trümmern nicht auffindbar.
Ohne ein Dach über meinem Kopf sitze ich mit den anderen Überlebenden draußen in der eisigen Kälte auf den Straßen.
Das, was noch zu finden und verwendbar ist, wird verbrannt. Vor dem Feuer sitzen wir in unserem Pyjama und warten auf Hoffnung.
In der Hoffnung, dass unsere Verwandten und unsere Liebsten gefunden werden.
In der Hoffnung, dass wir den Hilferuf aus den Trümmern hören.
Doch je mehr Tage vergehen und je mehr Nachbeben entstehen, wird die Wahrscheinlichkeit immer kleiner und die Hoffnung immer größer.
Wir wollen nicht weiterziehen, in die Städte, wo es wärmer ist.
Wir wollen hier bleiben, da wo unsere Heimat ist. Dabei helfen weitere Menschen zu finden.
Ich weiß nicht, wie ich meine Situation erklären soll, ohne jedes Traumata zu erwähnen.
Serra Gaziulusoy (Q1) & Maria Lenchitskaya (Q1)