Ist "Einfache Sprache" wirklich einfach?
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Ruhr-Kolleg Essen, Deutschland
michael.loenz@t-online.de
ZUSAMMENFASSUNG
Nicht nur in Deutschland geht ein Trend in der öffentlichen und mittlerweile auch in der akademischen Kommunikation hin zum Gebrauch „einfacher Sprache“, einer Sprache mit reduzierter Syntax und Semantik. Dieses Konzept geht von der Grundannahme aus, daß ein akademischer, behördlicher o.ä. Textproduzent häufig die überwiegende Anzahl möglicher und angezielter Hörer/Leser gar nicht erreiche, da sie in der Textrezeption nicht so geübt sind, daß sie in solchen Texten gewohnheitsmäßig verwendeten „komplexeren“ Textstrukturen oder „elaboriertere“ Wortwahlen zu entschlüsseln in der Lage seien. Vertreter dieses Ansatzes betonen den emanzipatorischen Charakter eines solchen Sprachgebrauches, da dadurch ein breiterer Adressatenkreis erschlossen werde. In meiner Präsentation möchte ich dieser Begründung entschieden widersprechen und sprachliche Emanzipation auf einen nicht-reduktiven Sprachgebrauch zurückführen. Dazu soll mir u.a. auch ein Vergleich mit der Sprachpolitik der Französischen Revolution dienen. Die damalige Nationalversammlung hatte in einem Beschluß vom Januar 1794 angeordnet, für alle Bürger nicht-französischer Muttersprache – das waren zu der Zeit etwa zwei Drittel der Bevölkerung Frankreichs -, und nicht nur für die Kinder, einen umfassenden Unterricht in französischer Sprache, der gleichen Sprache für alle einzuführen - und gleichzeitig durch denselben Lehrer und im selben Unterricht eine Unterrichtung über die Bürger- und Menschenrechte vorzusehen. So sollten alle Bürger befähigt werden, an der Gestaltung ihrer Lebenswelt aktiv und umfassend teilzuhaben. Im Vergleich mit dem diesem Beschluß zugrundeliegenden Konzept soll deutlich werden, daß die Forderung nach „Einfacher Sprache“ eher anti-emanziptorische Konsequenzen hat.
Schlüsselwörter
Einfache Sprache, Demokratisierung, sprachliche Emanzipation, gesellschaftliche Teilhabe
Literatur
Kellermann, G. (2014). Leichte und Einfache Sprache – Versuch einer Definition. Aus Politik und Zeitgeschichte, 9(11), 7–10.
Münch, R. (2015). Mehr Bildung, größere Ungleichheit. Ein Dilemma der Aktivierungspolitik. In St. Mau, & N. Schöneck (Ed.), (Un-)Gerechte (Un-)Gleichheiten (S. 65–73). Suhrkamp.
Searle, J. (1969). Speech Acts. An Essay in the Philosophy of Language.