Nachwort zu Jenseits der Bilder

Weber, Thomas: “Zur mediologischen Konzeption von ‘Jenseits der Bilder’ von Régis Debray”, 15.02.08

Zur mediologischen Konzeption

von Jenseits der Bilder von Régis Debray

Von Thomas Weber

Régis Debray: Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland. Rodenbach 1999 (AVINUS Verlag). Originaltitel: Vie et mort de l’image. Une histoire du regard en Occident. Paris 1992

“Wenn der Mediologe auf jemanden trifft, der mit dem Finger auf den Mond zeigt, dann betrachtet er nicht den Mond, sondern den Finger und die Geste des Zeigens.” (1)

Jenseits der Bilder verwirrt auf den ersten Blick, denn das Werk steht quer zu gängigen Erwartungshaltungen. Zum einen, weil diejenigen, denen der Autor auch hierzulande ein Begriff ist, ihn eher als Weggefährten Che Guevaras und politisch engagierten Intellektuellen kennen denn als Philosophen, der über die Macht von Bildern nachdenkt. Zum anderen, weil sich seine Geschichte der Bildbetrachtung in keine der bekannten Schubladen einfügt. Schon der Status des Buches ist unklar, schwankt zwischen philosophisch-literarischem Essay und anspruchsvoller akademischer Studie, zwischen Geschichtsschreibung und Medienkritik, zwischen verdrehter Kunstgeschichte und verschrobener Soziologie der künstlerischen Produktion, zwischen einer Archäologie des Blickes und einer politologischen Analyse des Christentums. Debray selbst hat wenig dazu beigetragen, diese Unklarheit aufzulösen. In einem Interview darauf angesprochen, welchem Genre er Jenseits der Bilder selbst zurechnen würde, antwortete er nur: „Offen gesagt: Ich weiß es nicht.“(2)

Tatsächlich haften die Etiketten schlecht auf einem Werk (3), das die Ressorts beständig wechselt und dieses Changieren auch noch zur Methode erklärt, die als „Mediologie“ bezeichnet wird – ein Begriff, der bis vor kurzem auch in Frankreich noch unbekannt war.

Jenseits der Bilder ist ein Buch über die Faszination von Bildern, über die Macht, die sie auf Menschen ausüben, über das, worauf Bilder verweisen, und damit auch über die Effizienz, die sie als Symbole haben. Die etablierten Wissenschaften haben diese Themen bisher nur am Rande gestreift, da sie praktisch nur auf ihren sie jeweils konstituierenden Gegenstand eingehen. So beschäftigt sich die Kunstgeschichte mit der Kunst, die Semiologie mit den Zeichen, die Soziologie mit der Gesellschaft etc., ohne die verschiedenen Bereiche miteinander zu vernetzen. Dabei beklagt Debray, daß insbesondere die empirische Soziologie die Medien- und Kommunikationsforschung für sich vereinnahmt habe, daß sie ihre spezifische Methodik und Fragestellungen dem neuen Gegenstand einfach überstülpe und ihn mit Hegemonieanspruch verwalte. Dagegen grenzt er die Mediologie scharf ab (4) und beansprucht für sie eine gewisse Eigenständigkeit.

In verschiedenen Schriften entwickelte Debray in den letzten Jahren eine mediologische Programmatik (5), die auch die Konstruktion von Jenseits der Bilder prägt. Insbesondere die ein Jahr zuvor erschienene Arbeit Cours de médiologie générale nimmt bereits viele Grundzüge von Jenseits der Bilder vorweg.


Die Mediologie als Methode

Eine Definition der Mediologie fällt nicht ganz leicht, da sie nicht allein von Régis Debray vertreten wird (6); eine wachsende Zahl von Autoren, Künstlern und Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Provenienz akzentuieren dieses noch junge, erst in den 90er Jahren öffentlich in Erscheinung getretene Projekt sehr unterschiedlich (7).

Die Mediologie ist auch keine Medientheorie (wie etwa die von Baudrillard oder Virilio), sondern eher eine Wissenschaftsdisziplin in Gründung, die sich nicht nur durch einen Gegenstand, sondern durch die von ihr angewandte Analysemethode definiert.

Erstmals taucht der Begriff „Mediologie“ 1979 in der von Debray vorgelegten Studie Le pouvoir intellectuel en France auf, wird dort aber noch nicht programmatisch ausgeführt. In dem zwölf Jahre später veröffentlichen Cours de médiologie générale stellt Debray klar, daß der Begriff Mediologie sich keineswegs nur auf Massenmedien bezieht. Das Wort „Medio“ steht nicht für „Medium“, sondern bezeichnet ein Ensemble von technisch und sozial bestimmten Mitteln der symbolischen Übermittlung (8).

Ausgangspunkt für die Mediologie ist die Frage nach der symbolischen Wirkungskraft von Zeichen (9), deren Übermittlung nicht nur von der gesellschaftlichen Organisation, sondern in zunehmendem Maße auch von technischen Medien bestimmt wird. Es geht dabei nicht um die Bedeutung oder um den Sinn der Zeichen (was in anderen Disziplinen wie z.B. der Semiologie verhandelt wird), sondern um ihre Effizienz oder ihre Macht.

Als Analysemethode schlägt die Mediologie die Untersuchung der komplexen Korrelation zwischen einem symbolischen Körper (einer Doktrin, einem künstlerischen Genre, einer Religion etc.), einer Form der kollektiven Organisation (einer Partei, einer Schule, einem Industriezweig etc.) und einem technischen System der Kommunikation (technisches Medium, Archivierungssystem etc.) vor (10). Dabei setzt die Analyse bei dem Begriff „transmettre“ an, den man im Deutschen am ehesten mit „übermitteln“ (11) übersetzen könnte, da „transmettre“ im Gegensatz zu „kommunizieren“ nicht an sprachliche Codes gebunden ist und ebenso die Übermittlung von Ideen wie von materiellen Gütern bezeichnen kann. So läßt sich Geld oder Grundeigentum genauso übermitteln oder übertragen wie politische Macht oder ein Fußballspiel.

Während Kommunikation prinzipiell ein räumlicher Transport ist, der ein Netz knüpft (wie z.B. das WWW), bei dem es immer einen Sender und einen Empfänger gibt, die zwar an unterschiedlichen Orten, nicht aber in verschiedenen Zeitaltern sein können, ist die Übermittlung ein Transport in der Zeit, der zeitlich voneinander entfernte Subjekte miteinander verbinden und sogar zwischen Toten und Lebenden vermitteln kann. Sie erfordert nicht die physische Präsenz eines Senders und kann sich über Jahrhunderte hinweg vollziehen (12).

Die kulturelle Übermittlung ist immer geknüpft an materielle Bedingungen, und zwar in doppelter Weise: zum einen durch die konkrete Organisation des Materials, also z.B. von Farbe und Leinwand zu einem Gemälde, zum anderen durch die materielle Organisation, das heißt die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen (13).

Diese Materialität wurde bisher meist ignoriert oder sogar negiert, wie Debray an den meisten Philosophen des Abendlandes kritisiert. Für sie mache es keinen Unterschied, ob eine philosophische Idee mit Tinte und Feder, Schreibmaschine oder PC zu Papier gebracht, ob ein Manuskript handschriftlich kopiert oder mittels Rotationspresse vervielfältigt und verbreitet wurde, da sie die Ideen losgelöst von ihren materialen und materiellen Produktions- und Rezeptionsbedingungen betrachten.

Debray hält dagegen, daß die Mediologie gerade jene unscheinbaren, von der Philosophie häufig verachteten Mittel und Techniken genauer untersuchen müsse, um auch die Wirkung von Symbolen verstehen zu können, also die Art und Weise, wie eine immaterielle Idee zu einer materiellen Macht wird. Dies ist nun nicht nur ein Plädoyer für die stärkere Berücksichtigung von Technikgeschichte, sondern es geht um die Korrelation ganz unterschiedlicher technologischer, soziologischer, religiöser, politischer oder künstlerischer Faktoren.

Kein monokausales Modell zu einer allgemeinen Medien- und Zivilisationskritik wird hier entworfen, sondern eine komplexe Vorgehensweise, die auf die Untersuchung der vielschichtigen Veränderungen von Denkweisen zielt, die in zunehmendem Maße durch technische Medien vermittelt werden.

Als Vorbilder hierfür nennt Debray u.a. die Schriften des Ethnologen und Prähistorikers André Leroi-Gourhan, die Medientheorie von Marshall McLuhan und den Essay „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ von Walter Benjamin.

Nicht „Ideologie“ in einem klassischen Sinne wird dabei zum Gegenstand, sondern eher – wie Debray sagt – der „optische Glaube“, also jener Legitimationsdiskurs einer gesellschaftlichen Vorstellung von Realität, der diese als einzig gültige erscheinen läßt. Denn mit den vordergründigen Inhalten werden bei der kulturellen Übermittlung immer zugleich auch Spielregeln oder Konventionen übermittelt, die die Konstruktion unserer Wahrnehmung mitbestimmen – so wie z.B. die Übertragung eines Fußballspiels im Fernsehen nicht nur die Begegnung zweier Mannschaften zeigt, sondern auch die Regeln des Spiels und die der Übertragung selbst (das Ritual der Werbepausen, der Moderation etc.).

Veränderungen der Kriterien für das, was als Realität gilt, erfolgen nicht spontan, sondern lassen sich nur in epochalem Maßstab wahrnehmen.

Im Cours de médiologie générale unterscheidet Debray drei verschiedene Zeitalter:

1. die Logosphäre, die vor allem von mündlicher Tradierung und handschriftlichen Aufzeichnungen geprägt ist,

2. die Graphosphäre, die mit der Einführung des Buchdrucks beginnt,

3. die Videosphäre, deren Beginn Debray mit der Einführung des Farbfernsehens ungefähr auf das Jahr 1968 datiert.

Diese Einteilung stützt sich nicht allein nur auf einen Medienwechsel, sondern wird erst möglich durch das Zusammenspiel von symbolischen Formen, Medien und kollektiver Organisation, die sich verändern. Erst dann hat aus mediologischer Sicht ein epochaler Paradigmenwechsel stattgefunden, der auch die Machtverhältnisse und ihre Legitimierung, die Mechanismen des Glaubenmachens miteinbegreift.

Ein von Debray oft angeführtes Beispiel für eine derart grundlegende Veränderung liefert die mediologische Analyse des Christentums (symbolischer Körper) im Hinblick auf seine materiellen Verbreitungsbedingungen (technisches System der Kommunikation) in bestimmten Formen der gesellschaftlichen Organisation.

So hat etwa die Einführung des Buchdrucks keineswegs nur eine höhere Auflage von Büchern und insbesondere der Heiligen Schrift ermöglicht, sondern auch eine Veränderung der Denkweise angestoßen. Der Übergang vom handschriftlich kopierten Manuskript zum gedruckten Buch verbreiterte nicht nur die Distributionsbasis des Christentums, sondern zerstörte auch das Interpretationsmonopol von Kirche und Kaiser. Nicht allein der Glaubensinhalt wird verändert, sondern auch die Glaubensweise, was innerhalb der Kirche schließlich zur Reformation führen wird. Doch auch die profane Autorität durchläuft einen Wandel, der durch den Übergang von der feudalen zur absolutistischen Monarchie gekennzeichnet ist, wie Debray in L’état séducteur feststellt.


Zur Konstruktion von Jenseits der Bilder

Jenseits der Bilder nimmt die im Cours de médiologie générale entwickelte Periodisierung wieder auf und konstruiert sie als Koordinatensystem mit zwei Achsen, mit deren Hilfe er die Veränderung der symbolischen Wirkung von Bildern zu verorten sucht.

Auf der horizontalen, zeitlichen Achse stehen die drei Zeitalter der Logosphäre, der Graphosphäre und der Videosphäre.

Auf der vertikalen Achse bestimmt er die jeweiligen Analysekriterien, von denen vor allem drei Fragestellungen besonders hervorzuheben sind:

„Erstens eine technische: Wie wird ein Bild hergestellt? Welche Vorlage, Materialien und Formate sind dafür notwendig? Welcher Ausstellungsort und welche Ausbildung? Zweitens eine symbolische: Welcher Sinn wird durch das Bild übermittelt? Welche Wirklichkeiten verbindet es? Und drittens eine politische: durch welchen Einfluß, unter wessen Aufsicht und zu welchem Zweck wurde es geschaffen?“

Diese drei Fragen zielen auf die verschiedenen Faktoren, die das Bild determinieren und verweisen zugleich auf ihre Wirkungszusammenhänge.

Die Trennung der einzelnen Zeitalter ist jedoch nicht apodiktisch und strikt chronologisch aufzufassen, auch wenn Debray sie historisch situiert. Die Kirchenikone oder das Kunstwerk verschwinden ja nicht, nur weil es seit ein paar Jahrzehnten das Farbfernsehen gibt. Lediglich der hegemoniale Anspruch hat sich verschoben. Nach wie vor durchdringen sich die verschiedenen Zeitalter gegenseitig. Dabei erlaubt es Debrays mediologischer Ansatz, eine Art Theorie der Gleichzeitigkeit verschiedener Medien zu entwickeln.

So widerlegt er den geläufigen Mythos, ein neues technisches Medium habe automatisch auch eine Veränderung der Wahrnehmung zur Folge. Die Fotografie hat beispielsweise Mitte des letzten Jahrhunderts die Malerei keineswegs ausgelöscht, sondern sie lediglich von ihrer Abbildfunktion befreit, die sie zur realistischen Nachahmung und zur Ähnlichkeit als ästhetischem Maßstab verpflichtete. Umgekehrt hat die Fotografie in ihren Anfängen gerade jenes Repertoire an ästhetischen Formen wiederholt, das die Malerei dieser Zeit abzulegen begann, genannt sei hier nur das Genre-Bild oder die Porträtfotografie in steifen Posen.

Ähnliche Muster einer zeitweilig auftretenden Gleichzeitigkeit, während der ein neues Medium die Funktionen eines älteren Mediums in einer vollkommeneren Form übernimmt und damit die bestehende Wirklichkeitswahrnehmung verstärkt, lassen sich im 20. Jahrhundert häufiger entdecken, z.B. im frühen Kino, das zunächst die Ästhetik von älteren Medien wie etwa der Laterna Magica imitierte oder im frühen Fernsehen, das sich zu Beginn an das Vorbild des Theaters und des Radios anlehnte.

Entsprechend dieser Einteilung in drei Zeitalter hat Debray Jenseits der Bilder in drei Bücher gegliedert: Buch I versucht zu zeigen, daß das Bild der Todesangst oder der Angst vor dem Unbekannten entspringt und eine Verbindung zum Unsichtbaren, zum Transzendenten herzustellen versucht. Es hat magische Bedeutung und wird der Religion zum Mittel. Buch II beschäftigt sich mit der Ära der Kunst. Dabei muß zunächst der Begriff Kunst als Mythos entlarvt werden: Kunst ist eine Erfindung der Renaissance, also keineswegs etwas, das zu allen Epochen und damit überzeitlich existieren würde. Es ist zugleich eine Bestandsaufnahme von Kunst im Zeitalter ihres Verschwindens. Buch III beschäftigt sich mit der Videosphäre und zeigt zunächst deren Entwicklungsschritte auf, die schließlich neue Wertmaßstäbe des Visuellen etablieren.

Diese historische Gliederung hat nun weniger eine neue Periodisierung der Geschichtsschreibung zum Ziel als vielmehr einen Perspektivenwechsel. Akademische Zuordnungen interessieren Debray dabei nur am Rande. Im Zentrum steht der Versuch, die Komplexität von symbolischen Beziehungen und ihrer medialen Vermittlungen zu beschreiben, ohne ein eindimensionales, monokausales oder gar moralisierendes Modell zu entwickeln.

Auch wenn Debray – als Republikaner der Graphosphäre verbunden – auf die moralische Dimension eines Medienwechsels und damit der Veränderung von Wahrnehmungs- und Denkweisen hinweist, geht es ihm nicht um rasche Schuldzuweisungen, wie etwa Neil Postman, der die Medien in Wir amüsieren uns zu Tode für ein allgemeines Absinken des Bildungsstandes verantwortlich machte.

Debrays mediologischer Ansatz zielt nicht auf eine vordergründige Medienkritik, sondern auf die Analyse der komplexen Interdependenzen von Technik, gesellschaftlicher Organisation und medialen Vermittlungsformen. Die Akzentuierung der Medialität der kulturellen Übermittlung ist keine Poetisierung von Technik, sondern stellt eher die Bedeutung der materialen und materiellen Faktoren heraus, die hinter den demonstrativen Inhalten zu verschwinden und damit Machtverhältnisse zu verdecken drohen. Seine Analyse von Bildern legt die Bildfixiertheit der aktuellen Massenmedien als optischen Glauben offen, der die Darstellung der Wirklichkeit für die Wirklichkeit nimmt, und damit auch den Wandel der Maßstäbe für das, was für wahr oder real gehalten wird. Das Bild hört auf, ein Bild „von etwas“ zu sein; dies geht zu Lasten des Unsichtbaren und Immateriellen, das nicht ins Bild gesetzt werden kann und daher zunehmend irreal und unglaubwürdig wirkt. Der Vergleich mit vergangenen Epochen relativiert dabei den Anspruch der heutigen Medienrealität auf Allgemeingültigkeit, indem er ihre historische Bedingtheit erhellt. Denn anders als Idol und Ikone, die einen Götzen oder Gott darstellten, verweisen unsere heutigen Fernsehbilder auf nichts anderes mehr als auf sich selbst. Erst der mediologische Blick nicht nur auf das Gezeigte, sondern auch auf den Finger und die Geste des Zeigens, ermöglicht es, die wahrgenommene Wirklichkeit als Inszenierung zu entdecken und damit jene unsichtbaren Codes des Sichtbaren, die jenseits der Bilder unseren Blick bestimmen.

Berlin 1999

* Erstveröffentlichung dieses Textes unter dem Titel: “Nachwort. Zur mediologischen Konzeption von Jenseits der Bilder” in: Régis Debray: Jenseits der Bilder. Eine Geschichte der Bildbetrachtung im Abendland.Rodenbach 1999 (AVINUS Verlag), S. 403 – 411.

Endnoten

1 Von den Mediologen häufig angeführtes Beispiel, vgl. z.B. Cahiers de médiologie, Nr. 6, S.27 oder den letzten Absatz aus Kapitel 4 von Jenseits der Bilder.

2 L’evénement, 29 oct. 1992.

3 Das gilt auch für Debrays Gesamtwerk, das ihm letzthin keine institutionelle Einbindung ermöglicht hat. Er selbst sagte dazu in einem Interview: „Vous savez, c’est dur d’être un intellectuel solitaire, privé de toute institution. (…) J’ai été trop littéraire pour les universitaires et trop universitaire pour les littéraires. Et, bien sûr, trop politique pour les artistes, et inversement.“ Le Nouvel Observateur, 12-18 Nov. 1992, S. 114.

4 Daraus entwickelte sich 1997 ein öffentlich ausgetragener Streit zwischen Pierre Bourdieu auf der einen und Daniel Bougnoux und Régis Debray auf der anderen Seite. S. dazu Bourdieu, Sur la télévision (Paris: Liber, 1997); Libération, 13. März 1997 und Le Monde, 18. März 1997.

5 In Le pouvoir intellectuel en France (Paris: Éditions Ramsay, 1979) – einer ersten mediologischen Studie über die Macht der Intellektuellen in Frankreich, die übrigens für lange Zeit unter dem Titel „Voltaire verhaftet man nicht!Die Intellektuellen und die Macht in Frankreich (Hohenheim: Edition Maschke, 1981) die letzte ins Deutsche übersetzte Arbeit von Debray blieb, folgte die programmatische Schrift Cours de médiologie générale (Paris: Éditions Gallimard, 1991); danach Vie et mort de l’image. Une histoire du regard en Occident (Paris: Édtitions Gallimard, 1992; zugleich auch die „thèse du doctorat“ von Debray); L’État séducteur: les révolutions médiologiques du pouvoir (Paris: Éditions Gallimard, 1994 ; enthält zugleich auch den Vortrag der „thèse d’état“ von Régis Debray); und Transmettre (Paris: Éditions Odile Jacob, 1997).

6 Seit 1996 erschienen die aufwendig gestalteten Cahiers de Médiologie regelmäßig zweimal im Jahr mit einer Auflage von rund 7000 Exemplaren, die weit über Fachkreise hinaus ein Publikum finden. Seit dieser Zeit existieren auch eine Gesellschaft für Mediologie, genannt AD REM (Association pour le Développement de la Recherche En Médiologie), die zusätzlich so genannte Arbeitshefte, travail médiologique, unregelmäßig herausgibt und bisher zahlreiche Veranstaltungen, Kolloquien, Lesungen usw. organisierte. Ebenfalls 1997 wurde bei den angesehenen Éditions Odile Jacob eine eigene Buch-Reihe zur Mediologie, Champ médiologique eröffnet, in der bisher Transmettre (Paris: 1997) von Régis Debray; L’invention du Christ. Genèse d’une religion (Paris: 1998) von Maurice Sachot; La projection nationale. Cinéma et nation (Paris: 1998) von Jean-Michel Frodon; La Fabrique du regard von Monique Sichard (Paris: 1998); Croire, Voir, Faire (Paris: 1999) von Régis Debray und La roue et le stylo. Comment nous sommes devenus touristes (Paris: 1999) von Catherine Bertho-Lavenir erschienen sind. Siehe dazu auch den Internet-Site der Cahiers de médiologie: www.medilogie.com.

7 Tatsächlich gibt es immer wieder Differenzen und Richtungsstreitigkeiten. Aus diesem Anlaß widmeten die Cahiers de médiologie (Nr. 6, deuxième semestre 1998) ihre sechste Ausgabe der Frage „Pourquoi des médiologues?“. Darin vertritt u.a. Yves Jeanneret die These, die Mediologie sei im Grunde eine Mediographie (S. 93 ff.); Louise Merzeau postuliert – anders als Debray – nicht nur drei „Sphären“, sondern darüber hinaus eine vierte, von ihr „Hypersphäre“ genannt, um die digitale Revolution stärker zu akzentuieren (S. 37 ff.). Und Daniel Bougnoux legt in einem offenen Brief an Debray dar, dass er dessen – bei vielen Mediologen umstrittene – Auffassung nicht teile, dass die Mediologie sich in erster Linie nicht mit den aktuellen Massenmedien beschäftigen sollte (s. S. 293).

8 Den Mediologen scheint auch die „Definition eines mediologischen Fachgebietes durch einen bestimmten Gegenstandsbereich“ eine Sackgasse zu sein, „weil das Medium nicht existiert. (…) Man kann es ersetzen durch Institutionen (Schule), technische Apparate (ein Radiogerät, eine Kinoleinwand, eine Kathodenröhre), Material (Papier, Leinwand, Magnetband, Ziegelstein), soziale Codes (Grammatik, Syntax) und allgemeine Kommunikationsformen (mündliche, schriftliche, gedruckte, audiovisuelle, informatische).“ Debray 1991, S. 18.

9 Vgl. Debray 1991, S. 14: „La médiologie a pour but, à travers uns logistique des opérations de pensée d’aider à clarifier cette question lancinante, indécidable et décisive déclinée ici comme ‘le pouvoir des mots’, là comme ‘l’efficacité symbolique’ ou encore ‘le rôle des idées dans l’histoire’, selon qu’on est écrivain, ethnologue ou moraliste.“ Und an anderer Stelle heißt es: „Elle [la médiologie] se voudrait l’étude des méditations par les quelles ‘une idée devient force matérielle’, méditations dont nos ‘médias’ ne sont qu’un prolongement particulier, tardif et envahissant.“/span>

10 Vgl. dazu auch den Internet-Site der Cahiers de mediologie: www.mediologie.org.

11 Möglich sind auch „vermitteln“ und „übertragen“, die aber durch ihre alltagssprachlichen Assoziationen in die Irre führen können.

12 So entspricht z.B. dem Modell „Kommunikation“ eher der Journalist, der aktuelle Informationen an seine Zeitgenossen weitergibt, während dem Modell „Übermittlung“ eher der Universitätsprofessor entspricht, der (unter Umständen jahrhundertealte) Kenntnisse und Wissen übermittelt.

13 Debray unterscheidet in seiner Arbeit Transmettre in die „matière organisée“, kurz M.O., und die „organisation materielle“, kurz O.M. Unter M.O. ist z.B. ein Kunstwerk zu verstehen, während O.M. eher eine Institution oder eine Form der gesellschaftlichen Organisation bezeichnet. Beispiel: „L’historien tient qu’il n’y a pas d’Empire (O.M.) sans routes (M.O.), et le géographe qu’il n’y a pas de routes sans Empire.“ Debray 1997, S. 31.