Interpretation

«Der Schimmelreiter» ist eine von Theodor Storm geschriebene Novelle, welche im Jahre 1888 veröffentlicht wurde und bis heute ein Teil deutscher Weltliteratur geblieben ist.

Diese Novelle weist in ihrer Gesamtheit 3 grosse Interpretationsthemen auf:

· Aberglaube

· Letzendlicher Tod der Familie Haien

· Ist Hauke der Schimmelreiter ?

Diese 3 Themen zu einer einzelnen These zusammenzufassen macht dem Werk keine Ehre aber wenn man es machen müsste, dann wäre das wie folgt:

Welchen Einfluss hat der Aberglaube auf Hauke Haien zu Lebzeiten und wie hängt das mit seinem Tod zusammen?

Jetzt muss man nur noch eine These aufstellen:

«Der Aberglaube der Leute führt zu Hauke Haines letztendlichem Tod.»

Wir stellen diese These auf, weil wir glauben, dass ein aufgeklärteres Volk ihren Grafen nicht verteufelt und hintergangen hätten.

Formale Analyse


In diesem Buch kann man einen starken Bezug zur Natur erkennen. Fast jede neue Passage fängt mit einer Beschreibung der Umgebung an. Die Natur wird aber nicht nur zur Orientierung gebraucht, sondern auch um den Gruselfaktor der Novelle in die Höhe zu steigern. Viele Naturphänomene werden nicht rational erklärt, sondern finden ihr Antworten im Aberglauben, wie z.B. das Eis, welches aus dem Deich tritt und so Lichtreflektionen und Schattenspiele kreiert, werden im Buch als Dämonen, die aus der Erde treten, dargestellt. Die Natur zeigt immer, wie es Hauke gerade geht; Als er mit Elke zusammenkam, war das Wetter sonnig und ohne Wolken. Als er dann aber den neuen Koog vermessen musste oder auch als er den Kater von Trin’Jans getötet hat, war das Wetter stürmisch und konnte einen fast von den Beinen werfen.

Der Aberglaube ist nebst der Natur das wichtigste Thema, welches sich wie Venen durch das Ganze Buch zieht. Direkt am Anfang des Textes wird «der Schimmelreiter» zum ersten Mal vorgestellt. Er ist ein schlechtes Omen, weil jedes Mal, wenn er gesichtet wird, der Deich ein Problem hat. Der Reiter wird öfters im Buch gesichtet, jedoch kann niemand ihm nahekommen, weil er jedes Mal verschwindet, sobald jemand ihn sieht. Bevor der neue Deich gebaut wird, bekommen wir auch noch die Hintergrundgeschichte des Schimmels erzählt. Jevershallig/Jeverssand ist eine Insel in der Nähe des Deiches. Auf dieser Insel kann man im Mondschein den Schimmel grasen sehen. Als dann aber ein Junge des Dorfes diese Stelle aufsucht, ist der Schimmel nirgends zu sehen. Alles was zurückbleibt, sind Unmengen an Schafsknochen und ein Pferdegerippe mit einem fast weiss leuchtendem Schädel. Als sich dann aber Hauke seinen Schimmel kauft, sind weder das Scheinbild des Schimmels im Mondschein, noch die Knochen am Tag dort aufzufinden.

Das ist aber nicht das erste Mal, das Hauke verteufelt wird. Schon als er die Position des Deichgrafen eingenommen hatte, haben die Leute gesagt, dass er nur wegen seines Weibes Deichgraf wurde. Später dann wird die Abneigung der Leute stärker, weil Hauke ein Perfektionist ist und unbedingt jede Kleinigkeit ausbessern will und das bedeutet, dass sie mehr Arbeiten müssen. Die Gerüchte, dass Hauke der Schimmelreiter sei, verbreiten sich rasant unter dem abergläubischen Volke und deren Feindseligkeit gegenüber ihrem Grafen steigt nur noch mehr. Als dann bei der Fertigstellung des neuen Kooges ein Hund in die letzte Grube geworfen wird, befielt Hauke seinen Arbeiters sofort zu stoppen, diese hören aber nicht auf ihn weil sie überzeugt davon sind, dass «etwas Lebiges» in den Deich muss damit er hält. Als Hauke dann den Hund zu sich nimmt und so den Willen der Leute verweigert, ballen diese schon ihre Fäuste und nur mithilfe von Elke’s Pate kann die Situation entschärft werden.

Tiere, besonders Albinotiere, werden in der Novelle oft als Begleiter des Teufels dargestellt. Trin’Jans hatte einen weissen Angorakater, welcher immer auf Hauke gewartet hatte, um dessen Beute entgegenzunehmen. Als er dann eines Tages einen weissen Eisvogel aus der Luft geschossen hatte, wollte er diesen nicht hergeben und als der Kater versuchte den Vogel mit Gewalt an sich zu nehmen, hat Hauke das Tier getötet. Die Ratten und Otter, welche die Ernte von Trin’Jans verderben, sind bekanntlich auch Teufelstiere. Sein weisser Schimmel ist ein weiteres Indiz des Teuflischen, da es zwar von magerer Statur ist, jedoch immer noch feurige Augen und eine muskulöse Gesichtsstruktur hat. Als letztes tierisches Symbol haben wir noch die Möve, Klaus. Die Möve wird am Schluss des Werkes vom Schimmel zertreten, jedoch hier nicht als schlechtes Omen, sondern viel mehr als Tod der kindlichen Hoffnung, herbeigeführt durch den teuflischen Schimmel.

Trin’Jans ist in der Geschichte die Personifikation einer Hexe. Sie belegt Hauke mit einem Fluch, nachdem dieser ihren Kater getötet hat. Diesen Fluch bekommt Hauke in der Form von einer unterbelichteten Tochter und dem massiven Deichbruch am Ende des Buches zu spüren. Trin’Jans sowie die Dorfbewohner verkörpern den Aberglauben, während Hauke und sein Vater an die Vernunft appellieren. Dieser Zwiespalt zwischen den einfachen Leuten und Hauke ist ein konstantes Hindernis, welches Hauke immer wieder aufs Neue überwinden muss.

Der letztendliche Tod der Familie Haien ist das Ergebnis der Abneigung der Dorfbewohner. Hauke hat einen Schaden an der Stelle, wo der alte und neue Deich zusammentreffen, gesehen, konnte sich aber nicht gegen Ole Peters durchsetzen und deswegen wurde sie nicht passend repariert. Haukes Arbeiter haben ihm nicht gehorcht, sondern den neuen Deich auf Befehl von Ole Peters durchstochen. Diese Aspekte führten dann zum Einbruch des Kooges und dementsprechend auch zum Tod der Familie. Man könnte also sagen, dass er auch eine Eigenschuld am Ableben seiner Familie trägt.

Diese Novelle ist stark inspiriert von der Sage an der Weichsel, jedoch ist der Reiter in der Sage ein gutes Zeichen und weist die Leute darauf hin, dass der Deich in Gefahr ist. Diese Sage wird zwar nicht direkt im Buch erwähnt, jedoch wird direkt am Anfang vom «Danziger Dampfboot» gesprochen, welcher 1838 vom Hamburger-Pappe-Verlag veröffentlicht wurde. In dieser Ausgabe stand die Sage an der Weichsel drin. Weiterhin ist der Character Hauke Haien stark von der echten Person namens Hans Momsen, welcher Grundbesitzer, Mathematiker und auch Astronom war, beeinflusst.

"Der Schimmelreiter" wurde von Storm als Gruselgeschichte verfasst. Die schauerigen Mythen der Dorfbewohner können durch die genauen Beschreibungen sogar noch heute Horror auslösen.

Theodor Storm's Schreibstil stützt sich an den literarischen Realismus. Die genauen Beschreibungen der Umgebung in Verbindung mit dem Versuch seine Geschichte gruseliger zu machen, fliessen zu einem Werk zusammen, in dem man sich sehr einfach verlieren kann.

Zuletzt kann man noch sagen, dass im Buch sehr viele Wörter benutzt werden, welche wir heute als Fachjargon bezeichnen würden. Einerseits werden Fachwörter im Bezug zum Deich verwendet und Seemannswörter im Bezug zum Meer.

Interpretation


Fangen wir doch am Anfang der Geschichte an:

"Was ich zu berichten beabsichtige, ist mir vor reichlich einem halben Jahrhundert im Hause meiner Urgroßmutter, der alten Frau Senator Feddersen, kundgeworden, während ich, an ihrem Lehnstuhl sitzend, mich mit dem Lesen eines in blaue Pappe eingebundenen Zeitschriftenheftes beschäftigte; ich vermag mich nicht mehr zu entsinnen, ob von den »Leipziger« oder von »Pappes Hamburger Lesefrüchten«."

Das ist der erste Satz des Werkes und wir können direkt einen Intertextuellen Bezug zu der Sage an der Weichsel machen. Am 14. April 1838 wurde vom Hamburger-Pappe-Verlag die Geschichte «der gespenstige Reiter» veröffentlicht, welcher im Volksmund die Sage an der Weichsel genannt wurde. Die Geschichte war zwar nicht so ausführlich wie «der Schimmelreiter» jedoch weisen beide Geschichten sehr auffällige Parallelen auf. Der grösste Unterschied der 2 Geschichten ist, dass der Schimmelreiter im Buch als schlechtes Omen gesehen wird, während er in der Sage an der Weichsel als gutherziger Helfer des Volkes dargestellt wird und ihnen die Probleme des Deiches aufzeigt. Weniger wichtig, jedoch nicht zu vergessen ist, dass «der Schimmelreiter» an der Nordsee spielt, während «der gespenstische Reiter» an der Weichsel spielt.

Das Konzept der Tiere als Begleiter des Teufels wird uns erstmals vorgestellt, als Hauke den Angorakater von Trin’Jans umbringt. Hier zu beachten ist, dass dieser Konflikt nur ausgelöst wurde, weil Hauke dem Kater immer wieder Vögel mitgebracht hat und erst als er einen Eisvogel ergattern konnte, wollte er diesen Prozess nicht weiterführen. Hier scheint die gewaltsame Seite von Hauke Haien durch, welche wir im Buch nicht oft zu sehen bekommen. Hierbei ist zu beachten, dass beide dieser Tiere weiss sind. Später kauft sich Hauke dann einen weissen Schimmel, welcher trotz seiner ehemaligen Symbolik der Hoffnung und Reinheit bei den Dorfbewohnern dank der Legende des Schimmelreiters einen schlechten Ruf hat. Die Farbe weiss erfüllt in der Geschichte nicht seine Funktion als Hoffnungsgeber, sondern als das genaue Gegenteil. Währenddem er den weissen Kater getötet hat, hat er auf seinem weissen Schimmel Suizid begangen. Das ist aber nicht das einzige Mal, dass der Schimmel dem Tod nahekommt:

"Da klang es wie ein Todesschrei unter den Hufen seines Rosses. Er riß den Zügel zurück; er sah sich um: ihm zur Seite dicht über dem Boden, halb fliegend, halb vom Sturme geschleudert, zog eine Schar von weißen Möwen, ein höhnisches Gegacker ausstoßend; sie suchten Schutz im Lande. Eine von ihnen - der Mond schien flüchtig durch die Wolken - lag am Weg zertreten: dem Reiter war's, als flattere ein rotes Band an ihrem Halse. »Klaus!« rief er. »Armer Klaus!«"

Klaus ist die Möve von Trin’Jans, mit der sich Wienke angefreundet hat. Der Fakt, dass der Schimmel die Möve zertreten hat, stellt ihn als Bringer des Todes dar. Der Schimmel ist in der Geschichte die direkte Andeutung an den Teufel. Als der kleine Carsten nach Jevershallig geht, um den geisterhaften Schimmel zu sehen, fand er nur Schafsknochen und ein Pferdegerippe. Iven Johns, welcher aber auf dem Deich blieb, konnte den Schimmel immer noch grasen sehen.

"Der Junge starrte ihn an; ein Entsetzen lag plötzlich auf seinem sonst so kecken Angesicht, das auch dem Knechte nicht entging. »Komm!« sagte dieser, »wir wollen nach Haus: von hier aus geht's wie lebig, und drüben liegen nur die Knochen - das ist mehr, als du und ich begreifen können. Schweig aber still davon, man darf dergleichen nicht verreden!«"

Heute können wir uns das durch Lichtreflektionen, welche von den Knochen abprallen und dann auf ihrem weg über das Wasser weiter verzerrt werden, erklären. Damals war eine solche Erklärung undenkbar und so haben die Dorfbewohner gedacht, dass der Schimmel wahrhaftig besessen ist. Als sich dann Hauke einen Schimmel kauft, ist der besessene Schimmel nicht mehr zu sehen und auch die Knochen waren verschwunden. Das kann ich mir nicht rational erklären, und wäre deswegen sehr wahrscheinlich auch dem Aberglauben verfallen. Zu Haukes Gunsten, haben die Beiden diese Erkenntnis nicht weitererzählt, sonst wäre er in grossen Schwierigkeiten gewesen, weil die abergläubischen Dorfbewohner sich mit Leichtigkeit davon überzeugen lassen und Hauke gegenüber eine noch stärkere Abneigung aufweisen würden.

Wie schon erwähnt, zieht sich dieser Aberglaube durch das gesamte Werk:

"Soll Euer Deich sich halten, so muß was Lebiges hinein!"

Diese Aussage wird von einem Arbeiter getätigt, welcher bei der Fertigstellung des neuen Deiches anwesend war. Einer der Arbeiter hat unter dem zitierten Vorwand einen Hund in die letzte Grube des Deiches geworfen. Hauke will diese Tradition aber nicht wahrhaben und rettet den Hund. Diese Aktion bringt ihm die Missachtung der Dorfbewohner und wird als Verstoss gegen die natürliche Ordnung des Deiches gesehen. Hauke hat hiermit ein weiteres Mal gegen die alten Bräuche verstossen und die Leute haben seine Art, den Deich zu führen nicht gern. Schon bei seiner Ernennung zum Deichgrafen hat Hauke direkt ein riesiges und auch teures Projekt vorgeschlagen, welches auf Ablehnung stösst. Die Leute waren die Faulheit der alten Grafen gewöhnt und konnten sich nicht mit der Steigerung ihrer Arbeit zurechtfinden. Weiterhin verkörperte Hauke Haien für sie den Teufel selbst. Sein Pferd ist direkt mit dem Schimmelreiter verbunden und er sein Verhalten gilt als gotteswidrig. Als seine Frau an einem schweren Kinderfieber leidet, betet er an den lieben Gott:

"»Herr, mein Gott«, schrie er; »nimm sie mir nicht! Du weißt, ich kann sie nicht entbehren!« Dann war's, als ob er sich besinne, und leiser setzte er hinzu: »Ich weiß ja wohl, du kannst nicht allezeit, wie du willst, auch du nicht; du bist allweise; du mußt nach deiner Weisheit tun - o Herr, sprich nur durch einen Hauch zu mir!«"

Seine Worte werden als Gotteslästerung aufgefasst, da er die Allmacht Gottes in frage stellt. Diese Worte tragen auf ein Neues dazu bei, dass die Leute Hauke mit dem Teufel in Verbindung setzten. Der Aberglaube der Leute führt auch zu Gerüchten, welche sich in dem kleinen Dorf wie ein Lauffeuer verbreiten. Diese Gerüchte werden durch den Argwohn von Ole Peters nur noch verstärkt und bahnen sich ihren Weg sogar in die Köpfe der Mägde des Hause Haiens. Die Bewohner des Dorfes werden gegenüber Hauke immer abgewandter und das hat immense Folgen für den Grafen.

Zuerst kann sich der Graf immer gegen seine Landsleute durchsetzen und schafft es auch seinen geplanten Deich zu bauen aber mit der Zeit wird Hauke zu einem verbitterten Mann, der nicht einmal Ole mehr widersprechen kann:

"Hinter den immerhin noch gemäßigten Worten, die er eben hörte, lag - er konnte es nicht verkennen - ein zäher Widerstand; ihm war, als fehle ihm dagegen noch die alte Kraft. »Ich will tun, wie du rätst, Ole«, sprach er; »nur fürcht ich, ich werd es finden, wie ich es heut gesehen habe.«"

Hinter diesen Worten steckt aber viel mehr als nur eine Fügung an Ole’s Willen. Er sieht zwar einen Schaden am Deich, bessert diesen aber nicht zur Genugtuung aus. Das in Verbindung mit dem vorher schon genannten Vorfall mit dem Hund, sind beides Indizien darauf, dass Hauke den Deich vor seinem Einsturz bewahren hätte können.

Somit kommen wir auch schon zum letztendlichen Tod der Familie Haien. Als Hauke während dem Sturm zum Deich reitet, fällt ihm auf, dass seine Arbeiter nicht an ihren Posten sind, sondern sich versammelt haben um den neuen Deich zu durchstechen:

"Und der Mensch schrie dagegen: »Wir sollen den neuen Deich durchstechen, Herr, damit der alte Deich nicht bricht!« »Was sollt ihr?« - »Den neuen Deich durchstechen!« »Und den Koog verschütten? - Welcher Teufel hat euch das befohlen?« »Nein, Herr, kein Teufel; der Gevollmächtigte Ole Peters ist hier gewesen, der hat's befohlen!«"

Dieser Befehl war der Tropfen, welcher das metaphorische Fass zum Überlaufen brachte. Ich habe 2 Theorien, wieso Ole diesen Befehl gegeben hat:

1. Sein Aberglaube hat ihn dazu verleitet, dass er die Arbeiter dazu beordert hat, ihren Grafen zu hintergehen, weil Hauke ein schlechtes Ansehen hatte und er so seine Meinung, welche er als wichtiger empfand, durchsetzen konnte. Die Arbeiter gehorchten ihm, weil sie, genau wie er, dachten, dass Hauke der Teufel sei und seine Entschlüsse nicht zum Wohle des Dorfes führen.

2. Er sah Hauke immer noch als den Schreibknecht, der er einst war und will ihm schaden, indem sein Deich einbricht. Dann könnte er mit grosser Wahrscheinlichkeit die Position des Deichgrafen einnehmen.

"Der Zorn stieg dem Reiter in die Augen. »Kennt ihr mich?« schrie er. »Wo ich bin, hat Ole Peters nichts zu ordinieren! Fort mit euch! An eure Plätze, wo ich euch hingestellt!«"

"»Herr, hütet Euch!« rief einer aus dem Haufen und stieß mit seinem Spaten gegen das wie rasend sich gebärdende Tier"

Hauke zeigt wieder einmal seine aggressive Seite, jedoch wollen die Leute nicht auf ihm hören. Wenn zu diesem Zeitpunkt nicht der Deich gebrochen wäre, wäre sehr wahrscheinlich eine Meuterei ausgebrochen, bei welcher Hauke ums Leben gekommen wäre. Seine Arbeiter wollen nicht mehr auf ihn hören, weil sie dem Aberglauben verfallen sind und den Grafen mit dem Teufel in Verbindung setzen. Wir können nicht wissen, wie die Geschichte verlaufen wäre, wenn die Arbeiter auf ihn gehört hätten, aber ich glaube, dass wenn der Deich richtig ausgebessert geworden wäre und die Arbeiter ihre Posten gehalten hätten, wäre diese Katastrophe nicht zu Stande gekommen.

Als dann der alte Deich bricht, kann Hauke nicht anders als sich selbst dafür die Schuld zu geben:

"Des Reiters Augen flogen scharf nach allen Seiten; in seinem Kopfe wühlten die Gedanken: Was hatte er für Schuld vor Gottes Thron zu tragen? - Der Durchstich des neuen Deichs - vielleicht, sie hätten's fertiggebracht, wenn er sein Halt nicht gerufen hätte; aber - es war noch eins, und es schoß ihm heiß zu Herzen, er wußte es nur zu gut - im vorigen Sommer, hätte damals Ole Peters' böses Maul ihn nicht zurückgehalten - da lag's! Er allein hatte die Schwäche des alten Deichs erkannt; er hätte trotz alledem das neue Werk betreiben müssen. »Herr Gott, ja, ich bekenn es«, rief er plötzlich laut in den Sturm hinaus, »ich habe meines Amtes schlecht gewaltet!«"

Die Arbeiter, die Dorfbewohner sehr wahrscheinlich sogar die Mäuse, welche im Deich wohnten und jetzt sogar er selbst, gaben ihm die Schuld an all dem. Er hatte aufgegeben, seinen eigenen Wert zu sehen und als dann Elke und Wienke angeritten kamen und sogleich vom Deich verschlungen wurden, ist Hauke so am Ende, dass er beschliesst Suizid zu begehen:

"Er richtete sich hoch auf und stieß dem Schimmel die Sporen in die Weichen; das Tier bäumte sich, es hätte sich fast überschlagen; aber die Kraft des Mannes drückte es herunter. »Vorwärts!« rief er noch einmal, wie er es so oft zum festen Ritt gerufen hatte. »Herr Gott, nimm mich; verschon die andere!«"

Sogar mit seinen letzten Worten, äussert Hauke den Wunsch, die Dorfbewohner, welche ihn missachtet und verteufelt haben, zu schützen.

Fazit


"Welchen Einfluss hat der Aberglaube auf Hauke Haien zu Lebzeiten und wie hängt das mit seinem Tod zusammen?"

Wir können abschliessen sagen, dass der Aberglaube der Leute eine Abneigung gegenüber Hauke ausgelöst hat, welche seine Autorität in Frage gestellt hat. Diese Abneigung führte dazu, dass Hauke zu Lebzeiten verhasst wurde und seine Projekte, welche dem Dorf eigentlich zugutekamen, nicht vollständig umgesetzt wurden.

Seinen Tod hätte man eventuell auch abwenden können und vielleicht sogar den seiner Familie. Elke kam nur an den Deich, weil sie Sorge um ihren Mann hatte. Ich glaube, dass diese Sorge vermindert gewesen wäre, wenn Hauke nicht verhasst, sondern verehrt gewesen wäre. Dann wüsste Elke nämlich, dass er in den guten Händen seiner treuen Untergebenen wäre und hätte sich vielleicht nicht auf den Weg zum Deich gemacht.

Wir können die Geschichte von Hauke Haien weder bestätigen noch widerlegen, genauso wie der Schulmeister und auch Theodor Storm selbst. Für uns hat diese Novelle nicht den Auftrag eine Wahrheit zu erfüllen, sondern viel mehr um uns auf die Zustände, welche damals herrschten, aufmerksam zu machen. Wir können uns jetzt besser vorstellen, wie die Leute damals gedacht und gelebt haben, auch wenn es nur eine Erzählung ist.